Der Entscheidung des BGH (Urt. v. 6.3.2019 - 5 StR 593/18 – abrufbar unter www.bundesgerichtshof.de) lag u.a. folgender Sachverhalt zugrunde:
A nimmt in einem Rewe-Markt 4 Flaschen Jägermeister und 2 Flaschen Bacardi aus dem Regal, legt sie zunächst in den Einkaufskorb und danach in einem mitgebrachte Sporttasche, um sie ohne Bezahlung aus dem Rewe Markt zu bringen.
Nun stellt sich die Frage, ab welchem Zeitpunkt der Diebstahl vollendet ist.
Hinweis
Denken Sie daran, dass beim Diebstahl und auch beim Raub die Zeitpunkte der Vollendung und der Beendigung auseinanderfallen können. Die Vollendung ist wichtig für die Verwirklichung des Tatbestands. Der Zeitkorridor zwischen der Vollendung und der regelmäßig erst später eintretenden Beendigung kann relevant werden für die sukzessive Mittäterschaft / Beihilfe oder die sukzessive Qualifikation. Der Beendigungszeitpunkt ist auch bei § 32 StGB relevant. Solange die Tat noch nicht beendet ist, ist der Angriff noch gegenwärtig, so dass Notwehr möglich ist.
Der Diebstahl ist vollendet, wenn fremder Gewahrsam gegen oder ohne den Willen des bisherigen Gewahrsamsinhabers gebrochen und neuer Gewahrsam begründet wurde. Unter Gewahrsam ist dabei die nach der Verkehrsauffassung zu bestimmende, tatsächliche Sachherrschaft zu verstehen, die von einem natürlichen Sachherrschaftswillen getragen wird.
Die Prüfung der Wegnahme erfolgt also in 3 Schritten:
- Steht die Sache im Gewahrsam eines anderen?
- Ist der Gewahrsam auf den Täter oder einen Dritten übergegangen?
- Geschah das gegen oder ohne den Willen des bisherigen Gewahrsamsinhabers?
Hinweis
Wir haben diese 3 Schritte in einem Beitrag bei „Recht Interessant“ noch einmal etwas ausführlicher dargestellt. Schauen Sie sich das vielleicht noch einmal an (https://www.juracademy.de/recht-interessant/article/wegnahme-242-249-stgb-pruefung-beachten)
Der BGH hat die Frage nach der Vollendung mit folgender Begründung zu Recht bejaht:
„Für die Frage des Wechsels der tatsächlichen Sachherrschaft ist entscheidend, dass der Täter diese derart erlangt, dass er sie ohne Behinderung durch den alten Gewahrsamsinhaber ausüben kann und dieser über die Sache nicht mehr verfügen kann, ohne seinerseits die Verfügungsgewalt des Täters zu brechen. Ob dies der Fall ist, richtet sich nach ständiger Rechtsprechung nach den Anschauungen des täglichen Lebens….
Danach macht es einen entscheidenden Unterschied, ob es sich bei dem Diebesgut um umfangreiche, namentlich schwere Sachen handelt, deren Abtransport mit besonderen Schwierigkeiten verbunden ist, oder ob es nur um kleine, leicht transportable Gegenstände geht. Bei unauffälligen, leicht beweglichen Sachen, wie etwa bei Geldscheinen sowie Geld- und Schmuckstücken, lässt die Verkehrsauffassung für die vollendete Wegnahme schon ein Ergreifen und Festhalten der Sache genügen. Steckt der Täter einen Gegenstand in Zueignungsabsicht in seine Kleidung, so schließt er allein durch diesen tatsächlichen Vorgang die Sachherrschaft des Bestohlenen aus und begründet eigenen ausschließlichen Gewahrsam. Die Verkehrsauffassung weist daher im Regelfall einer Person, die einen Gegenstand in der Tasche ihrer Kleidung trägt, die ausschließliche Sachherrschaft zu, und zwar auch dann, wenn er sich noch im Gewahrsamsbereich des Berechtigten befindet….
Für ohne Weiteres transportable, handliche und leicht bewegliche Sachen kann jedenfalls dann nichts anders gelten, wenn der Täter sie in einem Geschäft – wie hier – in Zueignungsabsicht in eine von ihm mitgeführte Hand-, Einkaufs-, Akten- oder ähnliche Tasche steckt; hierdurch bringt er sie in ebensolcher Weise in seinen ausschließlichen Herrschaftsbereich wie beim Einstecken in seine Kleidung ….. Ob er hierbei die Aussicht hat, den Gewahrsam längere Zeit aufrechtzuerhalten, ist für die Frage, ob die Wegnahme vollendet ist, ohne Belang…., denn die Tatvollendung setzt keinen gesicherten Gewahrsam voraus.“
Expertentipp
Bei der Prüfung des Gewahrsamswechsels sollte man sich folgende Frage stellen: muss der bisherige Gewahrsamsinhaber eine auffällige und sozial rechtfertigungsbedürftige Handlung vornehmen, um den Gewahrsam zurückzuerlangen? Sofern Sie das mit entsprechender Argumentation bejahen können, liegt ein vollendeter Diebstahl vor, wenn der Gewahrsamswechsel gegen oder ohne den Willen geschah. Geschah er hingegen mit dem Willen des Gewahrsamsinhabers, liegt ein tatbestandsausschließendes Einverständnis vor und es kommt ggfs. – sofern eine Täuschung des Gewahrsamsinhabers zur Aufgabe des Gewahrsams geführt hat – Betrug gem. § 263 StGB in Betracht.