Weiter kam das Gericht zum Ergebnis, dass allenfalls ein Grundrechtseingriff von geringer Intensität vorliegt, wenn die Bundespolizei in Grenznähe Identitätskontrollen bei einzelnen, einen offenkundigen Migrationshintergrund aufweisenden Fahrgästen eines Zuges durchführt.
Sachverhalt
Der Kläger, ein deutscher Staatsgehöriger indischer Abstammung mit dunkler Hautfarbe, reiste am 26. Juli 2012 mit dem Zug auf dem Weg von Prag nach Berlin in die Bundesrepublik ein und wurde etwa sieben Kilometer nach Überquerung der deutsch-tschechischen Grenze von Beamten der Bundespolizei einer Personalienkontrolle unterzogen.
In der Folge erhob der Kläger Klage zum VG Dresden und begehrte die Feststellung der Rechtswidrigkeit dieser Identitätsfeststellung.
Das VG Dresden stellte fest, statthaft sei einzig die Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 I 4 VwGO analog, da sich die vom Kläger angegriffene Maßnahme schon mit deren Befolgung erledigt habe. Allerdings weise der Kläger das für die Zulässigkeit der FFK erforderliche berechtigte Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der erledigten Maßnahme nicht auf.
Gegen dieses Urteil erhob der Kläger Antrag nach § 124a Abs. 4 VwGO, das Urteil des VG Dresden zur Berufung zuzulassen.
Entscheidung des Sächsischen OVG
Das Sächsische OVG hatte gem. § 124a Abs. 5 S. 2 VwGO zu prüfen, ob einer der durch den Kläger gelten gemachten Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 VwGO vorlag.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO
Zunächst untersuchte das Gericht, ob sich aus dem Vorbringen des Klägers ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des VG Dresden ergäben gem. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
Das OVG führte zunächst aus, dass dieser Zulassungsgrund „der Verwirklichung von Einzelfallgerechtigkeit“ dient. Eine berufungsgerichtliche Nachprüfung des Urteils sei daher möglich, „wenn der Antragsteller des Zulassungsverfahrens tragende Rechtssätze oder erhebliche Tatsachenfeststellungen des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten so in Frage stellt, dass der Ausgang des Berufungsverfahrens zumindest als ungewiss erscheint.“ Dazu habe sich der Antragsteller mit den durch das VG angeführten Argumenten inhaltlich auseinanderzusetzen.
Der Kläger hatte vorgetragen, das VG Dresden sei irrtümlich zur Annahme gekommen, er weise das erforderliche Fortsetzungsfeststellungsinteresse nicht auf.
a. Tiefgreifende Grundrechtsverletzung bzw. typischerweise kurzfristige Erledigung
Entgegen der Überzeugung des VG habe die Identitätskontrolle eine „tiefgreifende spezifische Grundrechtsverletzung dargestellt, denn der alleinige Grund für die Feststellung seiner Identität sei seine Hautfarbe gewesen.“ Damit habe die Maßnahme gegen Art. 3 GG sowie Art. 20, 21 EU-Grundrechte-Charta verstoßen. Daneben sei die Identitätskontrolle auch unvereinbar mit Art. 45 der EU-Grundrechte-Charta, welcher die Freizügigkeit der Unionsbürger im gesamten Unionsgebiet gewähre.
Der Kläger trug zur Begründung seines Antrags weiter vor, er weise ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse auch deswegen auf, weil es sich bei der Maßnahme der Bundespolizei um eine sich typischerweise kurzfristig erledigende polizeiliche Maßnahme handle. Bei diesen „sei unter Berücksichtigung von Art. 19 Abs. 4 GG stets von einem berechtigten Interesse an einer Überprüfung des erledigten Verwaltungsakts auszugehen.“
Das Sächsische OVG schloss sich hingegen der Einschätzung des VG Dresden an und kam zu dem Ergebnis, ein gewichtiger oder gar schwerer Grundreinrechtseingriff sei nicht gegeben. „Zwar griff die Maßnahme in das Grundrecht des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) ein. Allerdings erschöpfte sie sich in der einmaligen Preisgabe von Personalien und führte nicht zu einer Speicherung personenbezogener Daten.“ Weiter werde die Identitätskontrolle „insbesondere im grenznahen Bereich grundsätzlich nicht als außergewöhnlich oder herabsetzend begriffen.“ Auch habe die Maßnahme insgesamt nur wenige Minuten gedauert. Schließlich sei erkennbar, dass der Kläger die Eingriffsintensität auch subjektiv als gering empfunden habe – schließlich habe er die Maßnahme „nicht zeitnah, sondern erst kurz vor Ablauf der Jahresfrist angegriffen.“
Weil ein gewichtiger Grundrechtseingriff demnach nicht bejaht werden könne, scheide auch ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse vor dem Hintergrund der „typischerweise kurzfristigen Erledigung des Verwaltungsakts“ aus. Denn dass das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG gebiete die Möglichkeit einer nachträglichen gerichtlichen Klärung der Rechtmäßigkeit solcher Verwaltungsakte ausschließlich in Fällen gewichtiger Grundrechtseingriffe.
b. Rehabilitierungsinteresse
Der Kläger hatte weiter argumentiert, seine Klage zum VGsei auch deswegen zulässig gewesen, weil er ein Rehabilitierungsinteresse aufweise. Die Kontrolle habe im Beisein seiner Tochter stattgefunden. Durch die Maßnahme habe ihm „der Makel eines scheinbar gefährlichen Störers“ angehaftet.
Das Sächsische OVG lehnte das geltend gemachte Rehabilitierungsinteresse hingegen ab. Dieses setze eine Stigmatisierung des Betroffenen voraus, „die geeignet ist, sein Ansehen in der Öffentlichkeit oder im sozialen Umfeld herabzusetzen.“ Es bestünden aber keine Anzeichen dafür, dass die in Frage stehende Maßnahme außerhalb des familiären Umfeldes des Klägers von unbeteiligten Dritten zur Kenntnis genommen worden sein könnte. Denn der Kläger hatte sich mit seiner Tochter in einem geschlossenen Abteil befunden, in dem sonst niemand zugegen war.
Weiterreichend stellte das OVG fest, dass selbst dann kein anderes Ergebnis gerechtfertigt wäre, wenn unbekannte Mitreisende die polizeiliche Maßnahme möglicherweise bemerkt hätten. Denn die Identitätskontrolle in Grenznähe sei weder außergewöhnlich noch diskriminierend. Mangels eines anderweitigen Zeugenvortrags sei jedenfalls nicht von einer stigmatisierenden Wirkung auszugehen.
c. Wiederholungsgefahr
Schließlich hatte der Kläger geltend gemacht, er verfüge über das nötige Fortsetzungsfeststellungsinteresse, weil Wiederholungsgefahr bestehe. Der Kläger trug vor, er befürchte auf zukünftigen Zugreisen erneut unter Verletzung gesetzlicher Diskriminierungsverbote kontrolliert zu werden.
Auch das Vorliegen dieser Fallgruppe lehnte aber das Sächsische OVG ab. Die erforderliche Wiederholungsgefahr müsse „hinreichend konkret“ sein, also tatsächlich bevorstehen, in absehbarer Zeit möglich erscheinen oder sich konkret abzeichnen. Voraussetzung sei jedenfalls, dass eine ähnliche Situation unter im Wesentlichen unveränderten Umständen entstehen könne. Dies sei aber gerade unwahrscheinlich. Das Gericht führte aus, dass „sich auf Grund der aktuellen Flüchtlingssituation und der zeitweisen Wiedereinführung von Kontrollen an den Staatsgrenzen der Beklagten die äußeren Umstände im Vergleich zu der bei der Identitätsfeststellung des Klägers herrschenden Lage grundlegend verändert“ hätten.
Damit lehnte das Sächsische OVG das Vorliegen des Zulassungsgrunds nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO insgesamt ab.
2. Besondere rechtliche Schwierigkeiten i. S. v. § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO
Das Sächsische OVG stellte zunächst fest, dass der Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO voraussetzt, dass „die Rechtssache überdurchschnittliche, das normale Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten verursacht. Die konkreten Schwierigkeiten müssen sich auf Fragen beziehen, die für das konkrete Verfahren entscheidungserheblich sind.“
Der Kläger hatte vorgetragen, es gäbe zur Frage des Feststellungsinteresses bei sich kurzfristig erledigenden Verwaltungsakten umfangreiche Rechtsprechung, die nicht einheitlich sei. Auch zur Frage des Vorliegens einer Diskriminierung nach Art. 3 GG gäbe es noch keine abschließende obergerichtliche Klärung.
Dieses Argument wies das Sächsische OVG jedoch ab. Die Fallgruppe des Fortsetzungsfeststellungsinteresses bei „typischerweise kurzfristig erledigten Verwaltungsakten“ sei geklärt und – wie ausgeführt – im vorliegenden Fall nicht einschlägig. Die übrigen, materiell-rechtlichen Fragen bedürften erst bei Zulässigkeit der Klage einer Klärung und seien demnach hier nicht entscheidungserheblich.
3. Grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache i. S. v. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO
Das Sächsische OVG stellte fest, der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO sei nur gegeben, wenn mit der Rechtssache „eine grundsätzliche, bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht entschiedene Rechtsfrage oder eine im Bereich der Tatsachenfeststellungen bisher obergerichtlich nichtgeklärte Frage von allgemeiner Bedeutung aufgeworfen würde, […] die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung und der Fortentwicklung des Rechts berufungsgerichtlicher Klärung bedarf.“
Der Kläger hatte geltend gemacht, die Frage, ob bei kurzfristig sich erledigenden polizeilichen Verwaltungsakten ein Feststellungsinteresse gegeben ist, bedürfe höchstrichterlicher Klärung. Daneben sei auch die Frage nach einer Diskriminierung nach Art. 3 des Grundgesetzes von allgemeiner Bedeutung.
Wiederum verwies das Sächsische OVG darauf, dass die Voraussetzungen des Fortsetzungsfeststellungsinteresses abschließend geklärt seien. Da keine der anerkannten Fallgruppen vorliegend erfüllt und die Klage damit unzulässig sei, könnten die übrigen aufgeworfenen Rechtsfragen nicht geklärt werden.
Das OVG wies damit mangels Zulassungsgrunds i.S.d. § 124 Abs. 2 VwGO den Antrag des Klägers ab.
Bedeutung für ExamenskandidatInnen
Die Fallgruppen, für welche ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse des Klägers bejaht werden kann, sollten Ihnen vertraut sein – hier wird von ExamenskandidatInnen eine umfassende Kenntnis der Rechtsprechung verlangt. In Klausuren ist eine detaillierte Prüfung mit sauberer Subsumtion vonnöten. Das vorliegende Beispiel zeigt, dass das Fortsetzungsfeststellungsinteresse nicht leichthin bejaht werden sollte.
Das Urteil des Sächsischen OVG ist insbesondere insofern von Bedeutung, als es die – in Literatur und Teilen der Rechtsprechung umstrittenen – Voraussetzungen der Fallgruppe „typischerweise kurzfristig erledigter Verwaltungsakt“ klar benennt.