Der Kläger hat von einer Kundin, der S-GmbH, eine Bürgschaft zur Sicherung seiner Stahllieferungen gefordert. Von der später beklagten Sparkasse bekommt der Kläger kurz darauf einen Brief, mit u.a. folgender Formulierung: „zugunsten der S-GmbH haben wir eine selbstschuldnerische Bürgschaft iHv. 150 000 DM übernommen. (…). Bitte teilen Sie uns mit, auf welche Summe sich die Verbindlichkeiten der S-GmbH bei Ihnen zZt. belaufen.“
Darauf der Kläger: ...“200 000 DM“.
Darauf die Beklagte: „bezugnehmend auf Ihr Schreiben, teilen wir Ihnen mit, dass eine Bürgschaft unsererseits nicht besteht.“
Darauf der Kläger: „das steht in gewissem Widerspruch zu Ihrem vorigen Brief.“
Darauf die Beklagte: „unserer Zweigstelle unterlief ein Fehler, sie dachte irrtümlich, es bestünde bereits eine Bürgschaft, was tatsächlich nicht der Fall war. Vorsorglich fechten wir unsere Erklärung wegen Irrtums an.“
Nachdem eintritt, was eintreten musste (die S-GmbH fällt als Schuldnerin aus), beantragt nun die Klägerin, die beklagte Sparkasse, zur Zahlung aus übernommener Höchstbetragsbürgschaft iHv. 150 000 DM, an die Klägerin zu verurteilen.
Ein Anspruch ergibt sich aus dem Bürgschaftsversprechen, wenn die zugrunde liegende Forderung besteht, der Bürgschaftsvertrag wirksam ist und keine Einreden entgegenstehen (Achtung: selbstschuldnerische Bürgschaft). Vom Bestehen der Forderung ist auszugehen. Bzgl. des Bürgschaftsvertrages ist problematisch, ob die Beklagte eine wirksame Willenserklärung auf Abschluss eines Bürgschaftsvertrages abgegeben hat.
Der objektive Tatbestand liegt nach Ansicht des BGH vor: Mit dem ersten Schreiben an den Kläger habe die Beklagte eine Handlung vorgenommen, die nach §§ 133, 157 BGB dahingehend zu verstehen sei, dass Sie mit Handlungswillen, Erklärungswillen und Rechtsbindungswillen eine Rechtsfolge, nämlich: Vertragsschluss(!), herbeiführen wollte. Allerdings stünde nach tatrichterlicher Würdigung auch fest, dass der Beklagten das Bewusstsein fehlte, eine rechtserhebliche Handlung vorzunehmen. Damit stellt sich die Frage, ob ein solches Erklärungsbewusstsein (subjektives-) Tatbestandsmerkmal einer Willenserklärung ist.
Nach einer bis dahin (und immer noch) verbreiteten Ansicht, ist § 118 BGB zu entnehmen, dass eine ohne Erklärungsbewusstsein abgegebene Willenserklärung nichtig sei: Wenn schon eine nicht ernst gemeinte, aber bewusste Erklärung keine wirksame Willenserklärung darstelle, dann müsste das für eine nicht bewusste Erklärung erst recht gelten.
Der BGH meint dagegen, dass die Situation einer nicht ernst gemeinten Erklärung etwas anderes sei: Hier will der Erklärende nichts Erhebliches erklären. Ihm müsse deshalb auch nicht die Wahl gelassen werden, ob er seine Erklärung gelten lassen wolle oder nicht: Er will sie schließlich nicht gelten lassen! Damit stelle eine nicht bewusste Erklärung nicht ein weniger zu § 118 dar, sondern etwas anderes. Der BGH fährt fort: § 119 Abs. 1 BGB regele die Situation, dass ein bewusst Erklärender etwas anderes erklärt, als er denkt. Dieser Person solle nach der Intention des Gesetzes die Wahlmöglichkeit gegeben werden, ob das tatsächlich Erklärte nunmehr gelten soll oder nicht. Auch hier hat der Handelnde erklärt, ohne dass ihm bewusst ist, was er erklärt hat. Diese Situation sei mit der vorliegenden eher vergleichbar: Hier ist dem Handelnden gar nicht bewusst, dass er etwas erklärt, tatsächlich tut er aber genau das. Es liegt eine planwidrige Gesetzeslücke und rechtliche Vergleichbarkeit vor. § 119 Abs. 1 BGB kann deshalb analog angewandt werden. Um der rechtlichen Wirksamkeit beraubt zu werden, müsste die Erklärung deshalb wirksam angefochten worden sein.
Vorausgesetzt wird also eine Anfechtungserklärung. Diese müsse unmissverständlich zum Ausdruck bringen, nicht an dem Erklärten festhalten zu wollen. Diese Voraussetzungen lägen (überraschenderweise) nicht vor. Zwar müsse die Erklärung der Beklagten nicht ausdrücklich das Wort „Anfechtung“ enthalten, allerdings müsse dem Anfechtungsempfänger zumindest klar werden, warum und was angefochten werde.
Die Beklagte muss sich also an der Annahmeerklärung des Bürgschaftsvertrages festhalten lassen. Der eingeklagte Anspruch besteht und ist mangels entgegengesetzter Anhaltspunkte auch durchsetzbar.
Die Entscheidung sollte lehren: Es ist nicht in erster Linie entscheidend, dass in der Fallbearbeitung die richtigen Merkmale unter der jeweiligen Überschrift (objektiver Tatbestand, subjektiver Tatbestand) stehen, sondern dass das erkannte Problem in methodisch vertretbarer Weise mit dem Gesetzestext in Verbindung gebracht und logisch nachvollziehbar aufgelöst wird. Vorliegend ist das eigentliche Problem nicht, ob der subjektive Tatbestand der Willenserklärung ein Erklärungsbewusstsein voraussetzt (der Begriff subjektiver Tatbestand ist ein Hilfsbegriff der Wissenschaft, keiner des Gesetzes), sondern ob dem Gesetzestext etwas Verwertbares in der Frage zu entnehmen ist, ob jemand der nicht weiß, dass er etwas erklärt, tatsächlich etwas erklärt.
Wer mehr über das Erklärungsbewusstsein, Willenserklärungen und Rechtsscheinhaftung wissen will, dem sei unser GuKO ZR I oder eines unserer ExOs ans Herz gelegt.