(Gekürzter) Sachverhalt:
Die Klägerin, deren Firmensitz in Belgien liegt, stellt unter dem Markennamen „SuperSmoker“ elektronische Zigaretten (im Folgenden: E-Zigaretten) und mit so genannten Liquids befüllte Filterkartuschen her. Die Flüssigkeiten enthalten Propylengylkol, Glycerin und Aromastoffe und werden in verschiedenen Geschmacksrichtungen mit und ohne Nikotin angeboten. Mit der E-Zigarette lassen sich die Liquids erhitzen („verdampfen“) und inhalieren. Mit Schreiben vom 1.3.2010 teilte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (im Folgenden: BfArM) der Klägerin auf Anfrage vom Februar 2009 mit, dass die nikotinhaltige Variante ihrer E-Zigarette als ein zulassungspflichtiges Arzneimittel einzustufen sei. Das Verdampfungsgerät (Applikator) sei als Medizinprodukt anzusehen. Es handele sich hierbei um eine vorläufige und nicht rechtsverbindliche Einschätzung. Eine verbindliche Entscheidung ergehe erst im Rahmen eines arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahrens oder der Überwachungstätigkeit der Landesbehörden. Unter dem 23.12.2010 beantragte die Klägerin bei BfArM dann die Feststellung, dass die von ihr hergestellte E-Zigarette kein Arzneimittel sei. Der Antrag blieb auch nach mehrfacher Erinnerung unbeschieden. Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die Feststellung, dass die E-Zigarette „SuperSmoker“ sowie die Filterkartuschen „NORMAL“, „MENTHOL“ (Nikotingehalt jeweils: 1,9 %) und „LIGHT“ (1,45 %) keine Arzneimittel oder Medizinprodukte seien.
Hat die Klage der Klägerin Aussicht auf Erfolgt vor dem zuständigen Verwaltungsgericht?
Entscheidung des Gerichts:
Erste zentrale Weichenstellung der Entscheidung ist die statthafte Klageart. Das BVerwG geht mit folgender Begründung von einer Feststellungsklage aus:
„Soweit der Antrag der Klägerin (…) darauf gerichtet ist, festzustellen, dass die von ihr hergestellten nikotinhaltigen Filterkartuschen nicht den Vorschriften des Arzneimittelrechts unterliegen, kann sie ihr Begehren mit der Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO verfolgen. Das erforderliche feststellungsfähige Rechtsverhältnis ergibt sich aus dem Streit mit der Beklagten über die Arzneimitteleigenschaft der Nikotin-Liquids. Das BfArM hat mit Schreiben vom 1. März 2010 gegenüber der Klägerin (…) die Auffassung vertreten, dass sie diese Erzeugnisse nicht ohne Zulassung nach dem Arzneimittelgesetz in den Verkehr bringen darf, und dabei zur Frage der Arzneimittel- und Medizinprodukteeigenschaft der Liquids und der E-Zigarette ausführlich Stellung genommen. Seine Zuständigkeit zur Abgabe der Stellungnahme hat das BfArM aus § 11 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Durchführung des Arzneimittelgesetzes (AMGVwV) vom 29. März 2006 (BAnz. Nr. 63 S. 2287) entnommen. Nach § 11 Satz 1 AMGVwV sind Anfragen zur Zulassungspflicht eines Arzneimittels von der zuständigen Behörde des Landes zu beantworten, in dem der pharmazeutische Unternehmer seinen Sitz hat oder begründen will. Hat der pharmazeutische Unternehmer wie im Fall der Klägerin (…) seinen Sitz in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, ist das BfArM für die Beantwortung der Anfrage zuständig (§ 11 Satz 4 AMGVwV). (…) Die sich aus § 13 Abs. 3 MPG und § 11 Satz 4 AMGVwV ergebenden rechtlichen Beziehungen zwischen der Klägerin (…) und der Beklagten sind hinreichend verdichtet, um ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis im Sinne von § 43 Abs. 1 VwGO zu begründen.“
In der Begründetheit kam es schließlich auf die Frage an, ob es sich bei der E-Zigarette selbst (Applikator) bzw. den nikotinhaltigen Filterkartuschen (Liquids) um Arzneimittel bzw. Mediziniprodukte handelt. Das eigene Präjudiz gibt einem die Antwort eigentlich schon vor: eine Zigarette, auch nicht in elektronischer Form, ist kein Arzneimittel, sondern ein reines Genussmittel. Doch wie lässt sich dies begründen? Hierfür muss man zunächst die Struktur der einschlägigen Vorschriften des AMG und MPG studieren, die dahinterstehende Dogmatik verstehen und dann konsequent auf den vorliegenden Fall anwenden. Das BVerwG macht dies kleinschrittig und mit einem klaren Stil.
„Die nikotinhaltigen Liquids erfüllen weder die Merkmale eines sog. Präsentationsarzneimittels im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG (…), noch handelt es sich bei ihnen um sog. Funktionsarzneimittel im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AMG (…).
Unter den Begriff des Präsentationsarzneimittels (Hervorhebung durch d. Verf.) fallen Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die zur Anwendung im oder am menschlichen Körper und als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder Linderung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten oder krankhafter Beschwerden bestimmt sind. Ein Erzeugnis erfüllt diese Merkmale, wenn es entweder ausdrücklich als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung, Linderung oder Verhütung von Krankheiten bezeichnet oder empfohlen wird oder wenn sonst bei einem durchschnittlich informierten Verbraucher auch nur schlüssig, aber mit Gewissheit der Eindruck entsteht, dass das Produkt in Anbetracht seiner Aufmachung die betreffenden Eigenschaften haben müsse. (…) (D)ie Liquids und die E-Zigarette (werden, Anm. d. Verf.) nicht als Mittel präsentiert, die zur Heilung, Linderung oder Verhütung von Krankheiten bestimmt sind. Weder nach ihrer Bezeichnung und den werbenden Aussagen noch nach der Produktaufmachung im Übrigen nehmen die Erzeugnisse in Anspruch, Eigenschaften zur Behandlung der Nikotin- oder Tabaksucht aufzuweisen.
Die Voraussetzungen eines Funktionsarzneimittels (Hervorhebung durch d. Verf.) liegen ebenfalls nicht vor. Hierzu zählen nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AMG (…) alle Stoffe und Stoffzubereitungen, die im oder am menschlichen Körper angewendet oder einem Menschen verabreicht werden können, um die physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen. Die Entscheidung, ob ein Erzeugnis unter diese Definition fällt, ist von Fall zu Fall zu treffen. Dabei sind alle Merkmale des Produkts zu berücksichtigen (vgl. § 2 Abs. 3a AMG…), insbesondere seine Zusammensetzung, seine pharmakologischen, immunologischen oder metabolischen Eigenschaften, die Modalitäten seines Gebrauchs, der Umfang seiner Verbreitung, seine Bekanntheit bei den Verbrauchern und die Risiken seiner Verwendung (…). Im Rahmen dieser Einzelfallprüfung sind die pharmakologischen, immunologischen oder metabolischen Eigenschaften das Kriterium, auf dessen Grundlage ausgehend von den Wirkungsmöglichkeiten des Erzeugnisses zu beurteilen ist, ob es zur Wiederherstellung, Korrektur oder Beeinflussung der physiologischen Funktionen im oder am menschlichen Körper angewandt oder einem Menschen verabreicht werden kann (…). Das Produkt muss die Körperfunktionen nachweisbar und in nennenswerter Weise wiederherstellen, korrigieren oder beeinflussen können, wobei auf dessen bestimmungsgemäßen, normalen Gebrauch abzustellen ist (…).
Nicht erfasst vom Begriff des Funktionsarzneimittels sind Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, deren Wirkungen sich auf eine schlichte Beeinflussung der physiologischen Funktionen beschränken, ohne dass sie geeignet wären, der Gesundheit unmittelbar oder mittelbar zuträglich zu sein (…). Daher können Erzeugnisse, die nicht zu therapeutischen, sondern ausschließlich zu Entspannungs- oder Rauschzwecken konsumiert werden und dabei gesundheitsschädlich sind, nicht als Arzneimittel im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AMG (…) eingestuft werden (…). Schließlich genügt es nicht, dass das fragliche Erzeugnis Eigenschaften besitzt, die der Gesundheit im Allgemeinen förderlich sind, oder dass es einen Stoff enthält, der für therapeutische Zwecke verwendet werden kann. Ihm muss vielmehr tatsächlich die Funktion der Heilung, Linderung oder Verhütung von Krankheiten oder krankhaften Beschwerden zukommen (…). Mit anderen Worten, das Produkt muss objektiv geeignet sein, für therapeutische Zwecke eingesetzt zu werden.
Gemessen daran sind die in Rede stehenden Nikotin-Liquids nicht als Funktionsarzneimittel anzusehen. Zwar ist (…) Nikotin ein Stoff (…), der pharmakologische Wirkungen entfaltet und in den Liquids der Klägerin (…) in einer Dosierung vorhanden ist, die bei bestimmungsgemäßem Gebrauch eine nennenswerte Einwirkung auf den Stoffwechsel hervorruft. Bei der gebotenen Gesamtschau aller Produktmerkmale ist das Oberverwaltungsgericht aber zu dem Schluss gelangt, dass die Erzeugnisse nach ihrer Funktion Genussmittel sind und ihnen keine Arzneimitteleigenschaft zukommt. Gegen diese Würdigung ist aus revisionsrechtlicher Sicht nichts zu erinnern.
Für die Genussmitteleigenschaft (Hervorhebung durch den Verf.) spricht (…), dass die nikotinhaltige E-Zigarette eine große Ähnlichkeit mit Tabakzigaretten aufweist. Das ergibt sich aus der äußeren Form, der sonstigen Aufmachung und der Art der Anwendung der E-Zigarette. Danach wird mit dem Verdampfen der Liquids das Rauchen der Tabakzigarette imitiert.
Durch den Zusatz von Aromastoffen soll ein angenehmer Geschmack erzeugt werden, wobei dem Anwender vielfältige Geschmacksvarianten zur Auswahl stehen. Das unterscheidet die Liquids von dem zur Rauchentwöhnung zugelassenen Arzneimittel „Nicorette Inhaler“, das allein Menthol und Nikotin enthält. Auch fehlt eine Dosierungsempfehlung, wie sie für Arzneimittel typisch ist. Des Weiteren hat das Berufungsgericht festgestellt, dass die Liquids nicht geeignet sind, zu therapeutischen Zwecken eingesetzt zu werden. Es stützt sich darauf, dass allein die Möglichkeit, Entzugssymptome kurzfristig zu lindern, die Annahme einer arzneilichen Zweckbestimmung nicht rechtfertigt, weil die Aufnahme und Anreicherung von Nikotin der Gesundheit
schaden. (…)
Fehlt den Liquids die Arzneimitteleigenschaft, handelt es sich bei den E-Zigaretten, mittels derer sie verdampft und inhaliert werden, auch nicht um Medizinprodukte. Sie sind weder im Sinne von § 2 Abs. 3 MPG dazu bestimmt, Arzneimittel zu verabreichen, noch liegt ein Fall des § 3 Nr. 1 bis 3 MPG vor.“
Lange Rede, kurzer Sinn: E-Zigaretten sind keine Medizinprodukte und die nikotinhaltigen Liquids kein Arzneimittel. Das hätte man der Klägerin im Prinzip auch gleich sagen können. Aber als Juris soll man stets genau hinschauen. Lassen Sie sich bei ähnlichen Fällen also nicht auf verkürzte Argumentationen ein, sondern wenden Sie konsequent das einschlägige Gesetz an. Durch eine klare, am Gesetz orientierte und gut strukturierte Argumentation können Sie die entscheidenden Punkte in einer Klausur einsammeln. Gutes juristisches Handwerkzeug ist noch immer einer der größten Erfolgsgaranten im Examen.
Für weitere Besonderheiten der juristischen Arbeitsweise sei Ihnen das Buch „Juristische Methodenlehre“ aus der Reihe juriq-Erfolgstraining, erschienen im C.F.Müller Verlag, ans Herz gelegt.