Die Bundespolizei ist eine „Polizei mit begrenzten Aufgaben“. Sie darf nur in räumlich und sachlich begrenztem Umfang tätig werden. Denn grundsätzlich obliegt die Gefahrenabwehr den Landespolizeibehörden. Der Bundespolizei obliegen gem. § 3 BPolG die „Aufgaben der Bahnpolizei“. Doch wie weit gehen die Befugnisse und ab welchem Punkt ist die Landespolizei zuständig? Ab dem Gleis, in der Bahnhofshalle, auf dem Bahnhofsvorplatz? Abstrakt: Wo endet die Aufgabenbereich der „Bahnpolizei“? Zu dieser Frage äußerte sich jüngst das BVerwG (Urt. v. 28.5.2014 – 6 C 4/13, NVwZ 2015, 91 ff.) Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Kläger stand am 23.6.2011 zusammen mit mehreren Jugendlichen neben der Treppe des Haupteingangs zum Bahnhof der Stadt T. Gegen 17.50 Uhr forderten zwei Beamte der Bundespolizei den Kläger und die Jugendlichen zur Vorlage ihrer Ausweise auf. Anhand der Ausweise führten sie mit Hilfe eines Funkgerätes einen Datenabgleich durch. Dabei wurde festgestellt, dass zu einer Person Erkenntnisse älteren Datums als Betäubungsmittelkonsument vorlagen. Zu dem Kläger und den anderen Personen lagen keine Erkenntnisse über Handel oder Konsum von Betäubungsmitteln vor. Anschließend erhielten alle Personen ihren Ausweis zurück. War die Maßnahme der Bundespolizei gegenüber dem Kläger rechtswidrig?
Lösung:
I. Ermächtigungsgrundlage
Die Ermächtigungsgrundlage für die Identitätsfeststellung durch die Bundespolizei ergibt sich aus § 23 Abs. 1 Nr. 1 BPolG. Die Rechtmäßigkeit des Datenabgleichs richtet sich nach § 34 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 bzw. S. 2 BPolG.
II. Formelle Rechtmäßigkeit
Die Bundespolizei müsste sachlich zuständig sein. Da sie als Bahnpolizei tätig geworden ist, müssten die Voraussetzungen des § 3 BPolG vorliegen. Hierfür müsste eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung vorliegen, die den Benutzern, den Anlagen oder dem Betrieb der Bahn droht oder beim Betrieb der Bahn entsteht oder von den Bahnanlagen ausgeht. Der Einsatzort müsste sich „auf dem Gebiet der Bahnanlagen der Eisenbahnen des Bundes“ befinden.
Für die Definition der „Bahnanlagen“ stellt das Gericht auf die EBO ab – diese würde in einer Examensklausur mitabgedruckt:
„Maßgeblich für die Bestimmung des Begriffs „Bahnanlage“ ist § 4 I der Eisenbahn-Bau-und Betriebsordnung (...) (EBO). Bahnanlagen sind danach alle Grundstücke, Bauwerke und sonstigen Einrichtungen einer Eisenbahn, die unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse zur Abwicklung oder Sicherung des Reise- oder Güterverkehrs auf der Schiene erforderlich sind. Dazu gehören auch Nebenbetriebsanlagen sowie sonstige Anlagen einer Eisenbahn, die das Be- und Entladen sowie den Zu- und Abgang ermöglichen oder fördern. (...) Gemeinsames Kriterium für die (objektive) Zugehörigkeit zur Bahnanlage ist – nach der Rechtsprechung des BVerwG – unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse die so genannte Eisenbahnbetriebsbezogenheit, dh die Verkehrsfunktion und der räumliche Zusammenhang mit dem Eisenbahnbetrieb.“
Wo aber liegen die Grenzen der Eisenbahnbetriebsbezogenheit? Fällt der Einsatzort neben den Treppen auf dem Bahnhofsvorplatz vor dem Bahnhofsgebäude noch zu den „Bahnanlagen“? Das BVerwG verneint diese Frage im konkreten Fall. Entscheidendes Abgrenzungsmerkmal ist, ob der Ort vorwiegend dem Allgemeinverkehr oder dem spezifischen Bahnverkehr zugeordnet werden kann.
„Als „Anlagen einer Eisenbahn, die das Be- und Entladen sowie den Zu- und Abgang ermöglichen oder fördern“ (§ 4 I 2 EBO) sind danach nur solche Flächen im Vorfeld eines Bahnhofs einzustufen, bei denen objektive, äußerlich klar erkennbare, dh räumlich präzise fixierbare, Anhaltspunkte ihre überwiegende Zuordnung zum Bahnverkehr im Unterschied zum Allgemeinverkehr belegen. Dies ist insbesondere bei Treppen und überdachten Flächen im Eingangsbereich eines Bahnhofsgeländes der Fall.(...) Ein Bahnhofsvorplatz beginnt, wo das Bahnhofsgebäude endet. Er ist genauso der Platz vor dem Bahnhof wie er eine sonstige Verkehrsfläche in der jeweiligen Gemeinde ist. Dementsprechend ist er nicht nur „eisenbahnbetriebsbezogen“, sondern bezieht sich auch auf den sonstigen Verkehr auf dem Gemeindegebiet. Für die öffentliche Sicherheit und Ordnung auf einer solchen Fläche ist, sofern nicht in der vorbezeichnet erwähnten Weise Anhaltspunkte die überwiegende Zuordnung zum Bahnverkehr belegen, nicht eine Sonderpolizei des Bundes zuständig, sondern die nach Landesrecht zu bestimmende Gefahrenabwehrbehörde.“
Die Bundespolizei war als Bahnhofspolizei damit nicht sachlich zuständig.
Das Gericht schließt im Folgenden eine weitere denkbare Zuständigkeitszuordnung aus. Denn die Bundespolizei kann grundsätzlich auch Amtshilfe leisten und nach § 65 Abs. 1 BPolG tätig werden – jedoch nur, wenn das Polizeigesetzes des jeweiligen Landes dies zulässt (vgl. z.B. § 86 PolG Rlp; § 78 PolG BaWü; § 9 POG NRW; Art. 11 POG Bayern). Für ein solches Tätigwerden im Zuständigkeitsbereich der Landespolizeibehörde lagen jedoch keine Anhaltspunkte vor.
Auch eine sog. „Nacheile“ gem. § 58 Abs. 3 BPolG lag hier offensichtlich nicht vor.
Wäre nach den Erfolgsaussichten einer Klage gefragt, könnten in einem solchen Fall gut (Standard-)Probleme zur – hier einschlägigen – Fortsetzungsfeststellungsklage in den Sachverhalt eingebaut werden.