Die Beschwerdeführer wollten die Wahl zum Europäischen Parlament vom 7.6.2009 für ungültig erklären lassen, da die bei dieser Wahl angewandte Sperrklausel des § 2 Abs. 7 EuWG wegen eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit und der Chancengleichheit der Parteien verfassungswidrig sei.
Das Gericht stellt bei seiner Prüfung zunächst klar, dass es sich bei dem Europawahlgesetz um deutsches Bundesrecht handele, das am Maßstab des Grundgesetzes zu überprüfen sei. Europarechtliche Spezialvorgaben gäbe es nicht. Im Ergebnis gelten daher grundsätzlich die gleichen verfassungsrechtlichen Maßstäbe wie für die Bundestagswahl.
Die Wahlgrundsätze des Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG zieht das Gericht dabei jedoch nicht direkt als Maßstab heran, da diese nur für die Wahl zum Deutschen Bundestag gelten würden. Zu einem nahezu identischen Prüfungsmaßstab kommt das Gericht jedoch dadurch, dass es eine allgemeinen Grundsatz der Wahlgleichheit aus Art. 3 Abs. 1 GG ableitet, der inhaltlich der Wahlgleichheit des Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG entspricht. Diesen Umweg geht das Gericht, da es keine direkten verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Europawahl gibt. Zusätzlich zieht das Gericht aus Art. 21 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG den Grundsatz der Chancengleichheit der politischen Parteien als Prüfungsmaßstab heran. Beide Grundsätze seien sehr streng und formal zu begreifen. Die Einführung einer Sperrklausel bewirkt somit immer eine erhebliche Einschränkung der Wahlrechtsgleichheit. Alle Stimmen, die für Parteien abgegeben werden, die unterhalb diese Schwellenwertes bleiben, werden im Ergebnis nicht berücksichtigt. Der Erfolgswert dieser Stimmen ist gleich null.
Das Gericht fordert in diesen Fällen immer einen zwingenden Grund, der diese Einschränkung rechtfertigt. In seiner Rechtsprechung zu diesen Quoren hat das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich die Funktionsfähigkeit des Parlaments insbesondere im Hinblick auf die Bildung regierungsfähiger Mehrheiten anerkannt (vgl. hierzu bereits BVerfGE 6, 84 ff.; 95, 408, 418). Für die Bundestagswahlen hielt das Bundesverfassungsgericht daher die Klausel für verfassungsgemäß, da eine Mehrheitsfindung im Bundestag essentiell für eine stabile Regierungsarbeit sei. Dahinter dürfe der Grundsatz der Wahlgleichheit eingeschränkt werden. Grundsätzlich ist man sich aber allgemein einig, dass dieses Quorum von 5 % die Obergrenze sei.
Im Fall der Wahl zum Europäischen Parlament hält das Gericht in Abkehr zu einer früheren Entscheidung dieses Argument nicht mehr für tragfähig. Das Gericht verlangt, dass die Sperrklausel geeignet und erforderlich sein muss, um die Funktionsfähigkeit zu sichern. Dabei muss insbesondere die Aufgabe des Organs untersucht werden.
Bei dieser Prüfung stellt das Gericht zunächst fest, dass zu dieser Zeit bereits Abgeordnete aus 162 verschiedenen Parteien im Parlament sitzen. Das Argument einer weiteren Zersplitterung kann daher nicht überzeugen. Zudem wirkt das Parlament momentan nicht beeinträchtigt in seiner Funktionsweise. Des Weiteren ist das Parlament nicht mit dem Deutschen Bundestag vergleichbar, da kein parlamentarisches Regierungssystem vorläge. Die Kommission ist nicht direkt vom Parlament abhängig. Auch im Rahmen der europäischen Gesetzgebung spiele das Parlament eine untergeordnete Rolle und ist nicht mit einem "klassischen Legislativorgan" vergleichbar. Bis zu diesem Zeitpunkt verlaufe die Fraktionsarbeit im Parlament aber auch insgesamt so, dass von einer Einschränkung der Funktionsfähigkeit nicht die Rede sein könne.
Nach diesen Maßstäben durfte § 2 Abs. 7 nicht beibehalten werden und wurde vom Gericht für nichtig erkärt. Von einer möglichen Anordnung einer Neuwahl sah das Gericht jedoch ab. Es räumt dem Bestandsschutz der im Vertrauen auf die Verfassungsmäßigkeit des Europawahlgesetzes zusammengesetzten Volksvertretung Vorrang gegenüber der Durchsetzung des festgestellten Wahlfehlers ein.
Vor diesem Hintergrund bleibt es abzuwarten wie das Bundesverfassungsgericht eine Neuregelung bewerten wird, die eine 3 % Sperrklausel beinhaltet. Wörtlich heißt es in dem Urteil ein wenig prophetisch zu dieser Frage:
"Für Sperrklauseln im Verhältniswahlrecht bedeutet dies, dass die Vereinbarkeit einer Sperrklausel mit dem Grundsatz der Wahlgleichheit und der Chancengleichheit der politischen Parteien nicht ein für allemal abstrakt beurteilt werden kann. Eine Wahlrechtsbestimmung kann mit Blick auf eine Repräsentativkörperschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt gerechtfertigt sein und mit Blick auf eine andere oder zu einem anderen Zeitpunkt jedoch nicht."
Weitere Ausführungen zu dieser Thematik finden Sie in unseren GuKO ÖR I sowie in den ExO`s.