Denn der mit der Ausarbeitung politischer Kompromisse zwischen Bundestag und Bundesrat betraute Vermittlungsausschuss darf sich zur Erfüllung seiner Aufgaben mit einiger Autonomie verschiedener formeller und informeller Gremien bedienen.
Ein Ausschluss einzelner Abgeordneter von Arbeitsgruppen oder anderen Treffen der Mitglieder des Vermittlungsausschusses verletzt diese daher nicht in ihren Rechten nach Art. 38 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Art. 21 Abs. 1, Art. 20 Abs. 2 GG und Art. 77 Abs. 2 GG.
Sachverhalt:
Antragsteller im Organstreitverfahren gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, § 13 Nr. 5, §§ 63 ff. BVerfGG sind zwei ehemalige Abgeordnete des Deutschen Bundestages, die zugleich Mitglieder des Vermittlungsausschusses waren, sowie die Fraktion „DIE LINKE“ im Deutschen Bundestag.
Als Antragsgegner wurden der Vermittlungsausschuss, der Bundestag und der Bundesrat bezeichnet.
Streitgegenstände sind einerseits der Ausschluss der Antragsteller von einer Arbeitsgruppe des Vermittlungsausschusses sowie andererseits ihre Nichtzulassung zu einer informellen Gesprächsrunde, die das Gesetz zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch betrafen.
Dem Verfahren liegen folgende Geschehnisse zugrunde:
In den Vermittlungsausschuss werden gem. § 1 GO-Vermittlungsausschuss je 16 Mitglieder des Bundesrats und des Bundestags entsandt. Die 16 dem Bundestag zustehenden Sitze sind gem. §§ 12, 57 GOBT nach dem Proportionalitätsprinzip zu besetzen, womit dem Proporz der Fraktionen Rechnung getragen wird. Danach entfielen in der fraglichen Legislaturperiode auf die Fraktionen von CDU/CSU sieben, auf die der SPD vier, auf die von FDP und DIE LINKE jeweils zwei und auf die Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein Sitz.
Nachdem der Vermittlungsausschuss nach Art. 77 II GG einberufen worden war, um über das Gesetz zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches des SGB zu diskutieren, kamen die Mitglieder zunächst im Rahmen eines informellen Treffens zusammen, im Rahmen dessen die Einrichtung einer Arbeitsgruppe zur Erarbeitung eines Kompromissvorschlags beschlossen wurde.
„Diese Arbeitsgruppe bestand sowohl für die sogenannte A-Seite (Bundestag: SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN; Bundesrat: SPD- und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN-geführte Landesregierungen) als auch für die sogenannte B-Seite (Bundestag: CDU/CSU, FDP, Bundesrat: CDU-, CSU- und FDP-geführte Landesregierungen) aus jeweils neun Teilnehmern, davon je vier Abgeordnete des Deutschen Bundestages und je fünf Angehörige der Landesregierungen. Sie sollte erste Kompromissmöglichkeiten sondieren und Vorschläge ausarbeiten. Mitglieder der Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag wurden bei der Zusammensetzung der Arbeitsgruppe nicht berücksichtigt.“
Anträge der Mitglieder der DIE LINKE-Fraktion auf Aufnahme in die Arbeitsgruppe wurden von der Mehrheit der Mitglieder abgelehnt.
Im späteren Verlauf des Vermittlungsverfahrens trafen sich Mitglieder der A- sowie der B-Seite auch zu informellen Gesprächen, an denen die Mitglieder der Fraktion DIE LINKE entgegen ihrem erklärten Willen nicht teilnahmen.
Die Antragsteller beantragen, festzustellen, dass der Ausschluss aus der Arbeitsgruppe sowie die Nichtzulassung zu den informellen Gesprächsrunden sie in ihren Rechten aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Art. 21 Abs. 1, Art. 20 Abs. 2 GG und Art. 77 Abs. 2 GG verletzen.
Vergleiche zur verfahrensrechtlichen Stellung des Vermittlungsausschusses auch dieLösung:
Zulässigkeit:
Antraggegner
Der Zweite Senat befand die Anträge der Antragsteller nur insoweit als zulässig, als sie sich gegen den Vermittlungsausschuss richten. Nur dieser sei der richtige Antraggegner, da der Ausschluss der Antragsteller von der Arbeitsgruppe „auf einem Treffen der Mitglieder des Vermittlungsausschusses gefasst [wurde], zu dem der Vorsitzende des Vermittlungsausschusses eingeladen hatte.“ Dass dieser Beschluss nicht im Rahmen eines förmlichen Zusammenkommens, sondern bei einem informellen Treffen seiner Mitglieder gefasst wurde, ändere an der rechtlichen Zuordnung zum Vermittlungsausschuss nichts. Dem Bundestag oder dem Bundesrat könne der Beschluss hingegen nicht zugerechnet werden.
Antragsgegenstand
Weiter stellte der Zweite Senat fest, dass lediglich der Ausschluss der Antragsteller aus der Arbeitsgruppe einen zulässigen Antragsgegenstand darstelle.
Hingegen sei die Nichtzulassung zu informellen Gesprächsrunden kein zulässiger Antragsgegenstand. Denn nach „dem unbestrittenen Vortrag der Antragsgegner wurde die Aufnahme dieser Gespräche weder von dem Vermittlungsausschuss beschlossen noch von ihm initiiert. Auch die Durchführung der Gespräche hat der Vermittlungsausschuss nicht organisiert.“ Weiter erreichten die Gespräche nach Überzeugung des Zweiten Senats „nicht einen Grad an formeller und organisatorischer Ähnlichkeit mit einem Verfahren [des] Antragsgegners, der es rechtfertigen könnte, [ihm] die Gespräche […] zuzurechnen.“ Damit seien die informellen Gespräche nicht als rechtserhebliche, zurechenbare Maßnahme anzusehen.
Begründetheit:
Der Zweite Senat befand den Antrag, soweit zulässig, für unbegründet und stellte fest, dass die Antragsteller durch den Ausschluss aus der Arbeitsgruppe nicht in ihren Rechten aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 und Art. 77 Abs. 2 GG verletzt wurden.
Die Antragsteller hatten argumentierten, „die Arbeitsgruppe und die informelle Gesprächsrunde seien jene Einrichtungen, in denen die politische Willensbildung in Bezug auf die Novellierung der sogenannten „Hartz IV“-Gesetze eigentlich stattgefunden habe. Es verstoße deshalb gegen ihre verfassungsrechtlich durch Art. 38 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit Art. 21 Abs. 1, Art. 20 Abs. 2 und Art. 77 Abs. 2 GG gewährleisteten Rechte auf effektive Teilhabe am politischen Willensbildungsprozess, dass sie von der Mitwirkung in der Arbeitsgruppe ausgeschlossen worden seien.“
Weil es nicht angehen könne, dass Arbeitsgruppen „mit der Intention gegründet [werden], das für Ausschüsse und Unterausschüsse geltende Gebot der Spiegelbildlichkeit zu unterlaufen“, bestehe ein „verfassungsrechtlicher Beteiligungsanspruch nach Maßgabe des Spiegelbildlichkeitsgrundsatzes.“
„Auf die Einhaltung des Prinzips der Spiegelbildlichkeit habe jeder Abgeordnete des Deutschen Bundestages einen aus Art. 38 Abs. 1 GG folgenden Anspruch. Dieser Anspruch würde entwertet, wenn er sich in einem bloß formalen Teilnahmerecht an den ordentlichen Sitzungen des Vermittlungsausschusses erschöpfte. Der Teilhabeanspruch müsse vielmehr auch die Möglichkeit umfassen, das Ergebnis der Beratungen im Vermittlungsausschuss inhaltlich wirksam beeinflussen zu können.“
Dem folgte der Zweite Senat jedoch nicht. Zwar stellte er zunächst fest, dass sich die „Mitwirkungsbefugnis der Abgeordneten […] nicht nur auf die Beschlussfassung [bezieht], sondern auch auf deren Recht zu beraten, also zu „verhandeln“ im Sinne von Art. 42 Abs. 1 Satz 1 GG. Öffentliches Verhandeln von Argument und Gegenargument ist ein wesentliches Element des demokratischen Parlamentarismus.“ Daher haben die Ausschüsse grundsätzlich ein Spiegelbild des Plenums zu sein. Dies gilt auch für den Vermittlungsausschuss. „Dieser ist zwar als gemeinsamer Ausschuss zweier Verfassungsorgane nicht ohne weiteres mit einem Ausschuss des Bundestages vergleichbar.“ Jedoch betreffe die Erarbeitung politischer Kompromisse im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens die zentrale Aufgabe des Parlaments. Deswegen nimmt der „Vermittlungsausschuss […] im Gesetzgebungsverfahren eine herausgehobene und in gewissem Umfang verselbständigte Stellung“ ein.
Allerdings sei das Prinzip der Spiegelbildlichkeit nicht auch auf die Arbeitsgruppen des Vermittlungsausschusses anzuwenden – egal, ob diese förmlich eingerichtet seien oder ein informelles Gremium darstellten.
Zwar würden in diesen Gruppen zweifelsohne bereits Kompromissvorschläge vorbereitet, wobei es zu einer inhaltlichen Vorformung der später im Vermittlungsausschuss zu vollziehenden Willensbildung komme. Jedoch sei die Arbeitsweise des Vermittlungsausschusses „weder mit dem deliberativen Verfahren im Deutschen Bundestag noch mit der Entscheidungsfindung im Bundesrat gleichzusetzen. […] Es dient nicht der öffentlichen parlamentarischen Verhandlung und Beschlussfassung. Vielmehr eröffnet das Grundgesetz um der Effizienz der Gesetzgebung willen die Möglichkeit, die Beratung von Vorlagen einem Ausschuss zu übertragen, der nach seiner Zusammensetzung und seinem Verfahren in besonderem Maße geeignet ist, einen Kompromiss zu erarbeiten.“ Zu diesem Zwecke dürfe sich der Vermittlungsausschuss einer Vielzahl formeller und informeller Arbeitsgremien bedienen.
„Dass das Vermittlungsverfahren nach der Konzeption des Grundgesetzes nicht auf eine möglichst breite Beteiligung aller parlamentarischen Kräfte angelegt ist, zeigt sich auch an der in Art. 77 Abs. 2 Satz 1 GG geregelten Besetzung des Vermittlungsausschusses.“ Schließlich sind mit den 16 Bundesratsmitgliedern auch Vertreter der Landesregierungen beteiligt. „Das Vermittlungsverfahren dient folglich nicht der öffentlichen parlamentarischen Verhandlung und Beschlussfassung im Sinne von Art. 42 Abs. 1 und 2 GG, auf die sich die aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG abzuleitende gleiche Mitwirkungsbefugnis aller Abgeordneten des Deutschen Bundestages in erster Linie bezieht.“
Durch die Autonomie des Vermittlungsausschusses bei der Wahl und Organisation seiner Arbeitsformate werde etwa die Einbeziehung externer Experten ermöglicht. Die große Flexibilität und die informellen Austauschmöglichkeiten öffneten den Beratungsprozess erlaubten die Einbeziehung neuer Argumente.
Nachdem die Arbeitsgruppe ihre Beratungen abgeschlossen habe, obliege es der Gesamtheit der Mitglieder des Vermittlungsausschusses, sich die Ergebnisse der Arbeitsgruppe anzueignen oder sie abzulehnen. Hier werde wiederum das Mitwirkungsrecht aller Mitglieder des Ausschusses gewahrt. Abschließend stellte der Zweite Senat fest: „Dass [dabei] Mitglieder kleinerer Fraktionen im Regelfall ihre Änderungsvorschläge nicht werden durchsetzen können, ist keine Besonderheit des Vermittlungsverfahrens, sondern gleichermaßen den parlamentarischen Beratungen und Beschlussfassungen im Deutschen Bundestag und in seinen Ausschüssen eigen.“
Zu den Besonderheiten des Gesetzgebungsverfahrens und der Beteiligung des Vermittlungsausschusses: vgl. die juriq-Skripten zum Staatsorganisationsrecht.