Der Fall gestaltet sich in vereinfachter Form wie folgt: Der Erblasser hinterlässt bei seinem Tod zwei eigenhändige Testamente. In dem ersten setzt er seine Kinder zu gleichen Teilen neben seiner Ehefrau zu Erben ein, im zweiten bedenkt er seine Kinder mit, der Höhe nach bestimmten Beträgen und verfügt darüber hinaus wie folgt: "Die Person, die sich bis zu meinem Tod um mich kümmert, bekommt mein Haus, der Rest meines Vermögens geht an das Kloster X". Das Haus stellt dabei den überwiegenden Anteil am Gesamtvermögen des Erblassers dar. Nachdem der Erblasser sein Erbe gelassen hat und das Zeitliche segnete enbrennt zwischen den Erben ein Streit: Das zweite Testament sei unwirksam, der Tochter T des Erblassers, die den Erblasser bis zu seinem Tod beinahe täglich besuchte, stehe das Haus nicht zu.
Ist die Tocher Alleinerbin?
Ist in einer Klausur nach der Erbenstellung gefragt und liegen mehrere Testamente oder Testamentsversionen vor, so bietet es sich in der Regel an, die Prüfung chronologisch aufzubauen. Vorliegend also zunächts die ursprünglichen Verfügungen von Todes wegen zu prüfen um im Anschluss daran, auf das neuerliche Testament mit seinen divergierenden Verfügungen einzugehen.
Hier liegt der Fall aber eindeutig: Die Tochter T ist nur dann Alleinerbin, wenn Sie durch das zweite eigenhändige Testament als solche eingesetzt wurde. Ausdrücklich war das nicht der Fall, als "Alleinerbin" oder "Alleinerbe" wurde niemand bezeichnet. Die Alleinerbenstellung der Tochter könnte sich aber daraus ergeben, dass sie ihren Vater bis zu dessen Tod beinahe täglich besuchte und darüberhinaus der Person, "die sich kümmert" das Haus als wesentlicher Vermögensgegestand zugewand werden sollte. Da das Haus den wesentlichen Vermögensgegenstand ausmacht, wird insoweit entsprechend § 2087 Abs. 1 BGB davon ausgegangen, dass diejenige Person, der das Haus schlussendlich zufällt, Alleinerbe sein soll. Ist aber weiterhin fraglich, ob dies tatsächlich die Tochter T sein sollte.
Zwar kann durchaus davon ausgegangen werden, dass sich die Tochter um den Vater "gekümmert" hat, allerdings nur nach einer möglichen Auslegung des Wortlautes. Es ist schon nicht klar, ob das "kümmern" eine irgendwie geartete Mindestgrenze in zeitlicher Hinsicht erfüllten sollte. Auch ist nicht klar, welcher qualitativen Gestalt das "Kümmern"sein sollte: lediglich psychischer Beistand, regelrechte Personenpflege etc. Der Erblasser ist zwar nicht verpflichtet, eine eindeutige Worwahl in seiner Verfügung zu wählen, es muss aber allein aus dem angedeuteten Willen des Erblassers erkennbar sein, wer Erbe sein soll und wer nicht (Andeutungstheorie). Etwas anderes würde darauf hinauslaufen, dass nicht der Erblasser selbst, sonder ein Dritter darüber bestimmen würde, wer Erbe wird und wer nicht. Das ist aber ausweiselich § 2065 Abs. 1 BGB untersagt. Eine derart unbestimmte Verfügung ist nichtig. Ändern kann daran auch nicht, die zwar wichtige Vorschrift des § 2084 BGB, denn die besagt nur, dass zwischen mehreren möglichen Auslegungen, die wirksame gewählt werden soll. Die Vorschrift besagt aber nicht, dass eine unbestimmte Erklärung dadurch wirksam werden soll, dass nach einer möglichen Auslegung der tatsächliche Tatbestand der Erklärung erfüllt sein könnte.
Unabhängig davon, ob die sonstigen Verfügungen (Vermächtnisse) des zweiten Testaments im Übrigen aufrecht zu erhalten sind oder nicht - ist die Tochter T jedenfalls nicht Alleinerbin des Erblassers.
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