Dem Urteil des OVG Koblenz vom 5.2.2015 (Az. 7 A 10683/14; NVwZ-RR 2015, 570) lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Am 24.3.2012 fand eine vom Kläger angemeldete und geleitete Versammlung unter dem Motto „keine Straße, keine Stadt, kein Haus für Nazis“ statt. Während des Aufzugs wurde ein Übertragungswagen der Bereitschaftspolizei eingesetzt, der mit einer schwenkbaren Kamera ausgestattet ist. Nach den Angaben des Beklagten wurden mit diesem Wagen an sieben Punkten der Aufzugsstrecke, unter anderem während der vier stehenden Kundgebungen, Bilder in Echtzeit zur Lageorientierung des Polizeiführers in die Befehlsstelle nach dem Kamera-Monitor-Prinzip übertragen, d. h. ohne Aufzeichnung und Speicherung der Bildaufnahmen. Der Kläger begehrt die Feststellung, dass die Anfertigung von Übersichtsaufnahmen einer Versammlung rechtswidrig war.
Lösung:
Der Kläger beantragte eine Feststellungsklage nach § 43 I VwGO. Das Rechtsverhältnis besteht in der Frage, ob die Bereitschaftspolizei berechtigt war, Übersichtsaufnahmen der vom Kläger angemeldeten und geleiteten Versammlung zu fertigen und die Bilder von der Kamera zum Monitor in die Befehlsstelle zu übertragen. Dass es sich dabei um ein vergangenes Rechtsverhältnis handelt, ist unerheblich.
Zum Feststellungsinteresse im Sinne einer Wiederholungsgefahr macht das Gericht folgende Ausführungen. Examenskandidaten können hier gut lernen, wie man die Wiederholungsgefahr zunächst gut definiert und anschließend anhand des Sachverhalts sauber subsumiert:
„Das Erfordernis der Wiederholungsgefahr setzt zum einen die Möglichkeit einer erneuten Durchführung einer vergleichbaren Versammlung durch den Kl. voraus, zum anderen, dass die Behörde voraussichtlich auch zukünftig an ihrer Rechtsauffassung festhalten wird (…) Unter Berücksichtigung der Bedeutung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) reicht es jedoch auf Seiten des Kl. aus, wenn sein Wille erkennbar ist, in Zukunft Versammlungen abzuhalten, die ihrer Art nach zu den gleichen Rechtsproblemen und damit der gleichen Beurteilung ihrer Rechtmäßigkeit führen können. Angesichts des verfassungsrechtlich geschützten Rechts des Veranstalters, über das Ziel sowie die Art und Weise der Durchführung einer Versammlung selbst zu bestimmen, darf für die Bejahung des Feststellungsinteresses nicht verlangt werden, dass die möglichen weiteren Versammlungen unter gleichen Umständen, mit einem identischen Motto und am selben Ort durchgeführt werden. (…)
Hiervon ausgehend ist im vorliegenden Fall ein berechtigtes Feststellungsinteresse des Kl. unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr zu bejahen. Der Kl. hat nach seinen vom Bekl. nicht bestrittenen Angaben in den letzten Jahren eine Vielzahl von Demonstrationen angemeldet, wovon sich rund die Hälfte gegen „rechte“ Organisationen gerichtet hat. Die Polizei hat den Angaben des Bekl. zufolge in den Jahren 2012 und 2013 bei vier von insgesamt 20 Versammlungen Übersichtsaufnahmen, dh Bildübertragungen nach dem Kamera-Monitor-Prinzip ohne Aufzeichnung und Speicherung der Bilder, angefertigt und zwar bei solchen Versammlungen, die polizeilich wegen drohenden Konfliktpotenzials – in der Regel bei rechts-links-Lagen – kritisch betrachtet wurden. Es besteht daher die hinreichend konkrete Möglichkeit, dass der Kl. auch in Zukunft eine vergleichbare Versammlung anmelden und leiten wird, die sich gegen eine „rechte“ Organisation richtet. In einem solchen Fall wird der Bekl. voraussichtlich erneut mit vergleichbarer Begründung wie im vorliegenden Fall – wegen des Konfliktpotenzials bei rechts-links-Lagen – Übersichtsaufnahmen von der Versammlung durch die Polizei anfertigen lassen. Es ist demnach davon auszugehen, dass der Kl. auch in Zukunft Versammlungen durchführen will, die zu den gleichen Rechtsproblemen wie im vorliegenden Fall führen können.“
Zur Frage des Feststellungsinteresse in allen Fallgruppen im Rahmen einer Fortsetzungsfeststellungsklage sollten Sie die Klausur „Die gestörte Versammlung“ aus dem juriq-Klausurenkurs im Öffentlichen Recht lösen!
Im weiteren verneint das Gericht das Vorliegen der Voraussetzungen von §§ 12a, 19a VersG. Es fehle an tatsächlichen Anhaltpunkten für eine erhebliche Gefahr der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Erheblich sei die Gefahr dann, wenn eine Gefahr für gewichtige Rechtsgüter wie Leib und Leben bestünde. Dies war hier – insbesondere im Hinblick an die Aufstellung von Kameras an sieben verschiedenen Stellen während der gesamten Versammlung – nicht ersichtlich.
Das Gericht schloss auch eine Anwendung von § 27 II 1 PolG aus. Denn die Versammlung unterlag hier schließlich offensichtlich dem Versammlungsgesetz.
Vgl. für die Abgrenzung von Polizei- und Versammlungsrecht unter dem Gesichtspunkt der „Polizeifestigkeit des Versammlungsrechts“ die Klausur „Dicke Luft“ auf dem juriq-Klausurenkurs im Öffentlichen Recht.
Das Gericht leitet dann die Erforderlichkeit einer gesetzlichen Grundlage her, da Übersichtsaufnahmen einen Eingriff in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit darstellten. Interessant sind insbesondere die Auseinandersetzung mit der Gesetzgebungsgeschichte von §§ 12a, 19a aus dem Jahre 1989. Damals wurde noch davon ausgegangen, dass eine Identifizierung einzelner Menschen durch Übersichtsaufnahmen nicht möglich – und deshalb eine gesetzliche Regelung entbehrlich sei.
„Auch durch solche bloßen Übersichtsaufnahmen wird in die durch Art. 8 GG geschützte Versammlungsfreiheit eingegriffen, so dass es hierfür einer gesetzlichen Grundlage bedarf (vgl. Art. 8 II GG).
(…D)as Anfertigen von bloßen Übersichtsaufnahmen durch die Polizei, die lediglich von der Kamera auf einen Monitor in Echtzeit übertragen und nicht gespeichert werden, verbunden mit der Möglichkeit des Heranzoomens einzelner Teilnehmer der Versammlung, (überschreiten, Anm. d. Verf.) die Schwelle zum Eingriff in den Schutzbereich der Versammlungsfreiheit (…).
Denn auch Übersichtsaufnahmen ohne Aufzeichnung sind geeignet, eine einschüchternde Wirkung auf Versammlungsteilnehmer zu entfalten und sie in ihrer Grundrechtsausübung zu beeinflussen oder sogar von ihr abzuhalten. Der einzelne Versammlungsteilnehmer kann regelmäßig nicht erkennen, ob eine auf die Versammlung gerichtete Kamera lediglich in Echtzeit Bilder auf einen Monitor überträgt oder aber zeitgleich darüber hinaus die Aufnahme aufgezeichnet und gespeichert wird. Wer damit rechnet, dass die Teilnahme an einer Versammlung behördlich registriert wird und ihm dadurch persönliche Risiken entstehen können, wird möglicherweise auf die Ausübung seines Grundrechts verzichten (…).
Dem Bekl. ist allerdings einzuräumen, dass der Gesetzgeber bei Einfügung der §§ 12 a, 19 a VersG in das Versammlungsgesetz im Jahr 1989 davon ausging, dass für bloße Übersichtsaufnahmen eine gesetzliche Grundlage nicht erforderlich sei. (…) Für die Herstellung von bloßen Übersichtsaufnahmen von Demonstrationen nahm der Gesetzgeber an, bleibe das geltende Recht hingegen unberührt. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu: „Diese Aufnahmen werden nicht mit dem Ziel hergestellt, einzelne Teilnehmer einer Demonstration zu identifizieren; eine Identifizierung wird ohne weitere technische Verfahren auch nicht möglich sein. Aufnahmen, die keine Identifizierung ermöglichen, tangieren keine Grundrechte von Versammlungsteilnehmern. Für diese Aufnahmen ist deshalb eine besondere gesetzliche Ermächtigungsgrundlage nicht erforderlich.“
Diese Einschätzung des Gesetzgebers aus dem Jahr 1989 zur mangelnden Identifizierungsmöglichkeit einzelner Versammlungsteilnehmer mithilfe von Übersichtsaufnahmen ist durch den technischen Fortschritt der letzten 25 Jahre als überholt anzusehen. So hat das BVerfG bereits in seinem Beschluss vom 17.2.2009 darauf hingewiesen, dass nach dem heutigen Stand der Technik in Übersichtsaufzeichnungen des gesamten Versammlungsgeschehens die Einzelpersonen in der Regel individualisierbar miterfasst sind. Sie können, ohne dass technisch weitere Bearbeitungsschritte erforderlich sind, durch schlichte Fokussierung erkennbar gemacht werden, so dass einzelne Personen identifizierbar sind. Ein prinzipieller Unterschied zwischen Übersichtsaufzeichnungen und personenbezogenen Aufzeichnungen besteht diesbezüglich, jedenfalls nach dem Stand der heutigen Technik, nicht (vgl. BVerfGE 122, 342 [368 f.] = NVwZ 2009, 441). (…)
Nach alledem bedurfte die Anfertigung von Übersichtsaufnahmen der Versammlung des Kl. wegen des damit verbundenen Eingriffs in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit einer gesetzlichen Grundlage. Eine solche gesetzliche Ermächtigungsgrundlage besteht in Rheinland-Pfalz im Gegensatz zu mehreren anderen Bundesländern jedoch nicht.“
Die Rechtsprechung im Versammlungsrecht ist stets im Wandel. Im Examen bieten Klausuren mit versammlungsrechtlichem Aufhänger eine gute Möglichkeit grundrechtliche, versammlungsrechtliche und verfassungsrechtliche Fragen miteinander zu kombinieren. Seien Sie deswegen stets aufmerksam und beschäftigen Sie sich mit der aktuellen Rechtsprechung.
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