Sachverhalt
Die Klägerin A war Mitglied der beklagten Postbeamtenkrankenkasse und befand sich zwischen 2003 und 2005 in Behandlung bei Dr. K.
Dieser schlug einem Teil seiner Patienten, darunter auch der Klägerin, vor, dass er auf den für die Krankenkassen bestimmten Rechnungen nicht die tatsächlich durchgeführten Behandlungsleistungen aufführen würde, sondern andere. So wies er etwa im Falle der A statt der vorgenommenen Bioresonanztherapie aus, er habe eine Akupunktur-Behandlung vorgenommen. Seine Patienten ließ Dr. K eine Erklärung unterzeichnen, wonach sie sich mit dieser „analogen Abrechnung“ der Leistungen einverstanden erklärten.
Für dieses Vorgehen wurde Dr. K vom Landgericht München wegen Betrugs in Mittäterschaft in einer Vielzahl von Fällen zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Das Strafurteil führte dabei auch fünf Rechnungen auf, welche Dr. K im Zusammenhang mit an A erbrachten Behandlungsleistungen erstellt hatte. Das Strafurteil gegen Dr. K wurde am 9. Februar 2012 rechtskräftig.
Mit Bescheid vom 17.10.2012 nahm die beklagte Postbeamtenkrankenkasse ihre zwischen 2004 und 2005 an A adressierten, auf Grundlage von Dr. Ks Rechnungen ergangenen Leistungsbescheide zurück. Mit separaten Rückforderungsbescheiden forderte die Krankenkasse von A die aus ihrer Sicht ohne Rechtsgrund erbrachten Kassenleistungen in Höhe von insgesamt 6.795,83 EUR zurück.
Nach erfolglos durchgeführtem Widerspruchsverfahren erhob die A am 27. Feburar 2013 Klage beim VG Stuttgart und beantragte, die Aufhebungs- sowie die Rückforderungsbescheide der Krankenkasse aufzuheben. Das VG wies die Klage am 01. Oktober 2013 als unbegründet ab. Dagegen legte A beim VGH Mannheim fristgerecht Berufung ein.
Feststellungen des VGH
Der VGH wies die Berufung der A als unbegründet ab.
1. Rechtsgrundlage
Das Gericht stellte zunächst fest, Rechtsgrundlage für die Rückforderung der Kassenleistungen sei § 30 Abs. 4 der Satzung der beklagten Postbeamtenkrankenkasse i. V. m. § 48 VwVfG. § 30 Abs. 4 S. 1 der Satzung lautet: „Zu Unrecht erbrachte Leistungen sind zu erstatten.“
a. Rechtmäßigkeit der Rücknahme der Leistungsbescheide
Der Anspruch setze zunächst voraus, dass die Kassenleistungen zu Unrecht erbracht worden waren. Dazu war erforderlich, dass die ursprünglichen Leistungsbescheide rechtmäßig aufgehoben wurden. Dies beurteilte sich nach Auffassung des Gerichts nach § 48 Abs. 1 und 2 VwVfG. Denn den Bescheiden hatten gefälschte Rechnungen zugrunde gelegen, wodurch die Bescheide von Anfang an rechtswidrig gewesen waren.
aa. Vertrauensschutz gem. § 48 Abs. 2 VwVfG
Anschließend setzte sich das Gericht mit der Frage auseinander, ob sich die Klägerin nach § 48 Abs. 2 S. 1 VwVfG auf schützenswertes Vertrauen berufen konnte. In diesem Fall wäre die Rücknahme der Geldleistungen gewährenden Kassenbescheide nach § 48 Abs. 2 S. 1 VwVfG ausgeschlossen gewesen.
In diesem Zusammenhang hatte das Gericht zu beurteilen, ob sich die Klägerin aufgrund der Tatbestände der § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 1, Nr. 2 oder Nr. 3 VwVfG unmöglich war, sich auf schützenswertes Vertrauen zu berufen.
Arglist der A gem. § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 VwVfG?
Hierbei widmete sich das Gericht zuerst der Frage, ob A die Sachbearbeiter der Krankenkasse arglistig getäuscht hatte, indem sie die „analogen Rechnungen“ eingereicht hatte, um Kassenleistungen zu erhalten.
Die beklagte Krankenkasse trug insoweit vor, durch Strafurteil sei verbindlich festgestellt, dass Dr. K. und die im Urteil genannten Patienten entsprechend eines gemeinsamen Tatplans falsche Rechnungen eingereicht hätten. In den Gründen des Strafurteils würde auch die A als beteiligte Patientin genannt, daneben würden die fünf an A ergangenen Kassenbescheide der Beklagten ausdrücklich aufgeführt.
Dagegen trug die Klägerin vor, eine arglistige Täuschung werde ihr zu Unrecht unterstellt. Sie habe Dr. Ks Rechnungen ungeprüft bei der Beklagten eingereicht. Auch das Strafurteil treffe über ihr Verhalten keine anderweitige Aussage, denn weder sei gegen sie ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden, noch sei sie im Strafverfahren beteiligt oder auch nur als Zeugin gehört worden. Indem das VG sich lediglich auf das Strafurteil gegen Dr. K und die darin vermeintlich in Bezug auf ihre Person getroffenen Feststellungen gestützt hatte, habe es außerdem gegen den Amtsermittlungsgrundsatz verstoßen.
Weiter machte A geltend, sie habe schon deshalb nicht arglistig gehandelt, weil ihr als Laiin nicht erkennbar gewesen sei, ob und was für ein Unterschied zwischen Akupunktur- und Bioresonanzbehandlungen liege. Einmal würden Metallnadeln eingesetzt, das andere Mal Elektroden. Vor diesem Hintergrund müsse den Patienten eine durch ihren Arzt vorgeschlagene Analogie bei der Abrechnung nicht ohne weiteres zweifelhaft erscheinen.
Auch sei zu beachten, dass es nicht im Interesse Dr. Ks gewesen sein konnte, allen Patienten offenzulegen, dass er rechtswidrig falsch abrechne. Damit hätte er 1.554 Personen zu Mitwissern gemacht und riskiert, binnen kurzer Zeit aufzufliegen. Tatsächlich habe er mit den Einverständniserklärungen, welche er seine Patienten unterschreiben ließ, gerade das gegenteilige Ziel verfolgt, nämlich die Rechtmäßigkeit der Abrechnungsweise vorzuspiegeln.
Der VGH befand, dass A zurecht formal beanstandet hatte, dass das VG sich hinsichtlich der Frage nach einer möglichen Arglist As maßgeblich auf Feststellungen des Strafurteils gestützt hatte, obwohl die Klägerin weder in das Strafverfahren einbezogen noch überhaupt je gegen sie in diesem Zusammenhang ein Ermittlungsverfahren eröffnet worden war.
Anschließend prüfte das Gericht das Vorliegen der materiellen Tatbestandsvoraussetzungen und stellte fest, dass A nicht arglistig gehandelt hatte. Arglistig täusche, wer Angaben macht, deren Unrichtigkeit ihm bewusst war oder deren Unrichtigkeit er für möglich hielt und welche er in Kauf nahm. Weiter sei erforderlich, dass der Handelnde bei Behördenmitarbeitern einen Irrtum in dem Bewusstsein hervorruft, diese durch Täuschung zu einer für ihn günstigen Entscheidung zu bestimmen. Obgleich es erwiesen war, dass Dr. K gegenüber A die „analoge Abrechnung“ erwähnt hatte, hielt es das Gericht jedoch „immerhin noch für möglich, dass die Klägerin insoweit die Augen verschlossen und nicht einen bewussten Täuschungsvorsatz gefasst hatte.“
Ausschluss des Vertrauensschutzes nach § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 oder Nr. 3 VwVfG?
Jedoch befand das Gericht, dass sich A dennoch nicht auf ein etwaiges schutzwürdiges Vertrauen berufen konnte, weil die Tatbestände der § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 und Nr. 3 VwVfG erfüllt seien.
Denn A hatte durch das Einreichen der falschen Rechnungen ohne jeglichen Kommentar und ihne Anmerkungen über die tatsächlich erbrachten Behandlungsleistungen des Dr. K zu machen, wesentlich unrichtige bzw. unvollständige Angaben gemacht i.S.d. § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 VwVfG.
Daneben sei auch der Tatbestand des § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 VwVfG gegeben sei, weil der Klägerin die Rechtswidrigkeit der Bescheide „doch zumindest infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt“ gewesen sei. Aufgrund einer Parallelwertung in der Laiensphäre hätte die Klägerin erkennen müssen, „dass ein auf unrichtigen oder in wesentlicher Hinsicht unvollständigen Sachverhaltsangaben beruhender Verwaltungsakt mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht rechtmäßig ist.“ A könne sich auch nicht unter Verweis auf „Fehlvorstellungen im Zusammenhang mit dem Begriff analoger Abrechnungen entlasten.“
Auch habe die Beklagte ihr Ermessen bzgl. der Rücknahmeentscheidung fehlerfrei ausgeübt. Das Gericht merkte an, dass im Falle fehlenden Vertrauensschutzes „regelmäßig eine Ermessensreduktion in Richtung einer Rücknahme auch für die Vergangenheit anzunehmen“ sei.
bb. Rücknahmefrist, § 48 Abs. 4 VwVfG
Weiter stellte das Gericht klar, dass die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG für die Rücknahme des rechtswidrigen Verwaltungsakts erst mit Rechtskraft des Strafurteils zu laufen begonnen hatte. Den Einwand der A, die Frist habe schon mit Kenntnis der Krankenkasse von den polizeilichen Ermittlungen gegen Dr. K im Jahre 2008 zu laufen begonnen, verwarf das Gericht. Denn vor dem rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens hatte die Krankenkasse nicht mit Sicherheit von der Rechtswidrigkeit der Leistungsbescheide ausgehen können.
b. Einwendung der Entreicherung
Das Gericht befand weiter, dass sich die Klägerin auf eine mögliche Entreicherung nicht berufen könne, da sie die Umstände, die zur Rücknahme des Verwaltungsakts geführt haben, jedenfalls infolge grober Fahrlässigkeit verkannt hatte, vgl. § 49a Abs. 2 S. 2 VwVfG.
c. Verjährung des Rückerstattungsanspruchs?
Schließlich legte der VGH Mannheim dar, dass der Erstattungsanspruch der Postbeamtenkrankenkasse auch nicht verjährt gewesen sei. Maßgeblich sei insoweit § 79 Abs. 4 Satz 1 und 2 der Krankenkassensatzung, nach welchem Rückforderungsansprüche in drei Jahren verjähren und die Verjährungsfrist mit dem Schluss des Jahres beginnt, in dem der Anspruch entstanden ist und die Krankenkasse von allen den Anspruch begründenden Tatsachen Kenntnis erlangt hat.
Die Beklagte hatte dazu vorgetragen, da die Rückerstattungsforderung erst mit Rücknahme der rechtswidrigen Leistungsbescheide durch Bescheid vom 17.10.2012 entstanden sei, habe die Verjährungsfrist erst mit Ablauf des Jahres 2012 zu laufen begonnen. Die Vorschrift des § 79 Abs. 4 Kassensatzung habe einer Geltendmachung des Anspruchs, ebenfalls durch Bescheid vom 17.10.2012, daher nicht entgegengestanden.
Dagegen hatte die Klägerin argumentiert, auch für den Beginn der Verjährungsfrist des Rückerstattungsanspruchs sei auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem die Behörde erfahren hatte, dass sie die Kassenbescheide zurücknehmen konnte. Nähme man hingegen an, der Rückerstattungsanspruch entstünde als solcher erst mit der Rücknahme der rechtswidrigen Leistungsbescheide, könne jede Behörde den Verjährungsbeginn des Rückerstattungsanspruchs beeinflussen. Dies käme aber eine Umgehung der Verjährungsregelungen gleich.
Das Gericht stellte insoweit lediglich klar, dass „die Argumentation der Klägerin, hier würden Verjährungsvorschriften umgangen, […] ebenso unrichtig [sei] wie ihre Annahme, die rückforderungsbegründenden Umstände seien bereits mit Kenntnis des Abschlusses des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens 2008 bekannt gewesen.“
Bedeutung des Urteils
Das Gericht verdeutlicht auf interessante Weise, wie wichtig es ist, zwischen der Aufhebung der Leistungsbescheide einerseits und der Geltendmachung des Rückerstattungsanspruchs durch Rückforderungsbescheid andererseits zu unterscheiden. Im vorliegenden Fall zeigt sich, dass dies etwa für die Berechnung von Verjährungsfristen erheblich sein kann.
ExamenskandidatInnen sollten sich in diesem Zusammenhang also die Verschachtelung der verschiedenen Bescheide vor Augen führen, welche gerne zum Gegenstand von Klausuren gemacht wird. Machen Sie sich deutlich, dass hier erst die Rücknahme des Leistungsbescheids zur Rechtsgrundlosigkeit der Leistung geführt hat. Mithin lagen erst mit dieser Rücknahme alle Tatbestandsvoraussetzung des Rückerstattungsanspruchs der Krankenkasse vor. Damit kann aber die Verjährungsfrist des Rückerstattungsanspruchs auch frühestens in diesem Zeitpunkt zu laufen beginnen. Weil sich die Klägerin im vorliegenden Fall dessen nicht bewusst war, kam es zu einer Verwirrung über die verschiedenen zu beachtenden Fristen.
Weiter verdeutlicht das Urteil das Verhältnis der verschiedenen Tatbestände des § 48 Abs. 2 S. 3 VwVfG, welche dem Adressaten des Verwaltungsakts eine Berufung auf schützenswertes Vertrauen verwehren. Auch lässt sich am Urteil des VGH die Prüfung der arglistigen Täuschung genau studieren.