Irrt der Täter tatsächlich, dann liegt ein Irrtum gem. § 16 I StGB vor und es kommt nur noch eine Strafbarkeit aus einem Fahrlässigkeitsdelikt in Betracht, sofern es ein solches gibt. Irrt er hingegen rechtlich, dann kann ein Verbotsirrtum gem. § 17 StGB vorliegen, der aber nur dann zur Straffreiheit führt, wenn er unvermeidbar ist, was in der Regel nicht der Fall ist.
Die Abgrenzung wird kompliziert bei normativen Tatbestandsmerkmalen (z.B. „fremd“ bei § 242 StGB oder „Urkunde“ bei § 267 StGB), denn hier braucht der Täter neben der Sachverhaltskenntnis auch Bedeutungskenntnis, d.h. er muss das Merkmal als juristischer Laie erfasst haben. Wie macht man die Abgrenzung nun aber in der Klausur?
Eigentlich ist es ganz einfach: Du orientierst Dich an der Definition des jeweiligen Tatbestandsmerkmals und fragst danach, ob der Täter als juristischer Laie diese Definition erfasst hat. Dies ist dann der Fall, wenn dem Täter – ohne es zu wissen oder benennen zu können – genau das bewusst war, was Du selbst im objektiven Tatbestand subsumiert hast. Zur Abgrenzung dieses Irrtums ist also eine genaue Definition und Subsumtion des infrage kommenden Tatbestandsmerkmals erforderlich.
Hatte er dieses Bewusstsein, so ist ein Tatbestandsirrtum ausgeschlossen. Es liegt ein Subsumtionsirrtum vor, der über § 17 zu lösen ist. Der Täter hat in diesen Fällen des Tatbestandsmerkmal rechtlich verengt.
Dazu folgendes Beispiel (mehr dazu auch im Exo oder dem GuKO SR AT I in der JURACADEMY):
A bestellt in der Kneipe mehrere Kölsch. Pro bestelltem Kölsch macht der Wirt auf dem Bierdeckel einen Strich. Nach zehn Kölsch stellt A fest, dass er zu wenig Geld eingesteckt hat und radiert von den zehn auf dem Bierdeckel vorhandenen Strichen fünf weg. Bei Vorlage dieses Bierdeckels zahlt er alsdann fünf Kölsch und verlässt die Gaststätte. Gegenüber der Polizei erklärt A später, dass er niemals geglaubt habe, ein Bierdeckel könne eine Urkunde darstellen. Eine Urkunde müsse nach seiner Ansicht ein unterschriebenes Schriftstück sein.
Der objektive Tatbestand des § 267 Alt. 2 ist vorliegend unproblematisch verwirklicht. Eine Urkunde ist eine menschliche Gedankenerklärung, die ihren Aussteller erkennen lässt und zum Beweis im Rechtsverkehr bestimmt und geeignet ist. In dem Bierdeckel lag die menschliche Gedankenerklärung, dass A zehn Kölsch getrunken hatte. Diese Gedankenerklärung war dem Wirt als Aussteller zuzurechnen, wobei die Gesamtumstände mit zu berücksichtigen sind. Der Bierdeckel diente der abschließenden Abrechnung der getrunkenen Kölsch und war damit zum Beweis im Rechtsverkehr bestimmt und geeignet. Durch das Ausradieren der fünf Striche hat A eine Urkunde verfälscht, da er nachträglich den Erklärungsgehalt der Urkunde verändert hat.
Im subjektiven Tatbestand muss der Vorsatz nunmehr sämtliche objektiven Tatbestandsmerkmale umfassen. Das Tatbestandsmerkmal der „Urkunde“ stellt ein normatives Tatbestandsmerkmal dar. A muss infolge dessen nicht nur den Sachverhalt kennen, der das Merkmal der Urkunde ausfüllt, sondern darüber hinaus auch als Laie den rechtlich-sozialen Bedeutungsgehalt des Sachverhaltes verstanden haben.
Zunächst wusste A, dass es vorliegend einen Bierdeckel gibt, auf welchem der Wirt Striche gemacht hat und dass gegen Vorlage dieses Bierdeckels unter Berücksichtigung der Anzahl der Striche gezahlt wird. Insofern besaß A die entsprechende Kenntnis der den Begriff ausfüllenden Tatsachen, d.h. die Sachverhaltskenntnis.
Fraglich ist, ob A Bedeutungskenntnis hatte. Ihm war bewusst, dass der Wirt mit den Strichen erklären wollte, dass und wie viele Kölsch A getrunken hatte. Er hat mithin laienhaft richtig erfasst, dass in dem Bierdeckel eine Gedankenerklärung liegt, die dem Wirt zuzurechnen ist, so dass A auch die Ausstellereigenschaft erfasst hat. Er wusste auch, dass gegen Vorlage dieses Bierdeckels gezahlt wird, der Bierdeckel mithin Beweis für die Anzahl der getrunkenen Kölsch erbringt. Aus diesem Grund hat A schließlich fünf der zehn Striche wegradiert, um dann gegen Vorlage des Bierdeckels weniger zahlen zu müssen. A wusste also, dass diese Gedankenerklärung zum Beweis im Rechtsverkehr bestimmt und geeignet ist. Er hatte damit die erforderliche Bedeutungskenntnis. Der Umstand, dass er gleichwohl glaubte, sich nicht strafbar gemacht zu haben, ist im Rahmen des § 16 Abs. 1 ohne Bedeutung, da es hier nur darauf ankommt, ob der Täter sämtliche Merkmale des objektiven Tatbestandes gekannt hat. A's Irrtum ist als rechtlicher Irrtum nach § 17 zu behandeln. A hat letztlich das Tatbestandsmerkmal der Urkunde zu seinen Gunsten verengt. Der Verbotsirrtum wird im Rahmen der Schuld geprüft. Hier kommt es ausschließlich darauf an, ob dieser Irrtum für A vermeidbar war oder nicht. Im Falle der Vermeidbarkeit, wovon vorliegend ausgegangen werden muss, da A Rechtsrat hätte einholen können, kommt eine Bestrafung gem. § 267 in Betracht. (Tofahrn, Strafrecht AT I)