Gewahrsam ist die von einem Herrschaftswillen getragene tatsächliche Sachherrschaft. Die Sachherrschaft als tatsächliche Einwirkungsmöglichkeit auf die Sache wird nach der Verkehrsauffassung bestimmt (BGH JuS 2020, 1083ff).
Verliert der Gewahrsamsinhaber das Handy und kennt er den Aufenthaltsort des Handys nicht (das Handy wurde auf einem Spaziergang irgendwo im Wald verloren) oder befindet sich die Sache in einem für ihn nicht zugänglichen Bereich (das Handy liegt im Kino, welches ab 23.00 Uhr geschlossen ist) , dann hat er den Gewahrsam verloren (im Fall des Kinos hat aber in der Regel der Betreiber des Kinos Gewahrsam an den sich in seiner Gewahrsamssphäre befindlichen Gegenständen) . Weiß er hingegen, wo die Sache ist, dann besteht der Gewahrsam grundsätzlich als gelockerter Gewahrsam fort.
Wie ist die Situation aber zu beurteilen, wenn der bisherige Gewahrsamsinhaber sich aufgrund einer vorangegangenen Auseinandersetzung mit einem Angreifer zunächst nicht traut, den Ort aufzusuchen, an welchem sich das Handy befindet und der Ort allgemein zugänglich ist?
Der BGH (BGH JuS 2020, 1083ff) hat angenommen, dass in diesem Fall kein Gewahrsam mehr am Handy besteht, so dass das Einstecken des Handys nur eine (Fund-) Unterschlagung gem. § 246 I StGB ist. Nach gegenteiliger Auffassung (Anm. Hecker JuS 2020, 1085) bleibt der Gewahrsam am Handy bestehen, so dass Diebstahl gem. § 242 I StGB in Betracht kommt.
Expertentipp
Da es bei der Bestimmung des Gewahrsams auf die Verkehrsauffassung ankommt, kann mit entsprechender Begründung vieles vertreten werden. Wie immer kommt es auf eine überzeugende Argumentation an. Gelegentlich macht es Sinn, klausurtaktisch zu entscheiden. Hat der Täter z.B. einen langen Schraubenzieher in der Hosentasche, dann könnte der Diebstahl gem. § 244 I Nr. 1a StGB qualifiziert sein, wenn der Schraubenzieher ein „gefährliches Werkzeug“ ist. Damit dieses Problem dargestellt werden kann, empfiehlt es sich in einem solchen Fall, den Diebstahl zu bejahen.