Polizei- und Ordnungsrecht NRW - Rechtsstaatliche Anforderungen an die Ermächtigungsgrundlage

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Polizei- und Ordnungsrecht NRW

Rechtsstaatliche Anforderungen an die Ermächtigungsgrundlage

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I. Rechtsstaatliche Anforderungen an die Ermächtigungsgrundlage

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Expertentipp

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Wiederholen Sie ggf. an dieser Stelle zunächst den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung im Skript „Staatsorganisationsrecht“ oder „Allgemeines Verwaltungsrecht“!

Gemäß Art. 20 Abs. 3 GG ist die vollziehende Gewalt an Gesetz und Recht gebunden (sog. Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung). Hieraus ergeben sich rechtsstaatliche Vorgaben für das Handeln der Exekutive, die nach heute gängiger Ansicht

Vgl. Degenhart Staatsrecht I Rn. 305 ff. (str.). aus den Grundsätzen des Vorrangs und Vorbehalts des Gesetzes bestehen. Der Grundsatz des Vorrangs des Gesetzes gilt für jedwedes Handeln der Exekutive und hat zum Inhalt, dass die Exekutive dem Gesetz entsprechend handeln muss bzw. keine Maßnahmen vornehmen darf, die dem Gesetz widersprechen.Vgl. Degenhart Staatsrecht I Rn. 310 ff.

Hinweis

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Der Vorrang des Gesetzes bedeutet kurz: Kein Handeln gegen das Gesetz.

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Der Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes gilt demgegenüber nur für Handlungen der Exekutive, die in Rechte des Bürgers eingreifen, und hat zum Inhalt, dass die Exekutive nur dann in Rechte des Bürgers eingreifende Maßnahmen vornehmen kann, wenn es hierfür eine gesetzliche Grundlage gibt, die den Handlungsrahmen für die Exekutive festlegt. So sieht z.B. § 1 Abs. 5 S. 1 PolG NRW vor, dass die Polizei Maßnahmen, die in Rechte einer Person eingreifen, nur treffen darf, wenn dies auf Grund eines Gesetzes oder anderer Rechtsvorschriften zulässig ist.

Hinweis

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Der Vorbehalt des Gesetzes bedeutet kurz: Kein Handeln ohne Gesetz.

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Das allgemeine Polizei- und Ordnungsrecht bildet einen klassischen Bereich der Eingriffsverwaltung und unterfällt daher grundsätzlich dem Vorbehalt des Gesetzes. Polizei- bzw. ordnungsrechtliche Eingriffe in die Rechte eines Bürgers, die vor allem durch Gefahrenabwehrverfügungen vorgenommen werden, sind daher nur zulässig, wenn und soweit sie auf eine formalgesetzliche Ermächtigungsgrundlage (Befugnisnorm) gestützt werden können.

Vgl. Degenhart Staatsrecht I Rn. 313 ff.

Hinweis

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Ermächtigungsgrundlagen sind zugleich Befugnisnormen. Beide Begriffe drücken unterschiedliche Sichtweisen aus: Aus Sicht des Adressaten einer Verfügung bildet eine Ermächtigungsnorm die Grundlage für die hoheitliche Maßnahme, die in Rechte des Adressaten eingreift (Ermächtigungsgrundlage). Aus Sicht der Polizei bzw. der Ordnungsverwaltung beinhaltet eine Befugnisnorm die hoheitlichen Eingriffsbefugnisse, indem in der Befugnisnorm festgelegt ist, unter welchen Voraussetzungen die Polizei bzw. die Ordnungsverwaltung welche Befugnisse gegenüber dem Bürger oder einem Hoheitsträger besitzt. In Fallbearbeitungen werden Sie in aller Regel aufgefordert sein zu prüfen, ob die Maßnahme der Polizei bzw. der Ordnungsverwaltung aus Sicht des Adressaten rechtmäßig ist. Da insoweit auf die Sicht des Adressaten abgestellt wird, wird im Skript von Ermächtigungsgrundlage gesprochen.

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Demgegenüber genügt eine bloße Aufgabennorm als Rechtsgrundlage für Eingriffe in die Rechte des Bürgers nicht. Eine Aufgabennorm weist der Polizei bzw. der Ordnungsverwaltung Aufgaben der Gefahrenabwehr zu (vgl. z.B. § 1 Abs. 1 S. 1 PolG NRW, § 1 Abs. 1 OBG) und legt dadurch lediglich den Aufgabenbereich einer Behörde fest, während eine Befugnisnorm Eingriffsbefugnisse zur Erfüllung gesetzlich übertragener Aufgaben gegenüber grundrechtsberechtigten Dritten verleiht. Damit kann zwar von einer Befugnisnorm auf eine Aufgabe geschlossen werden, aber grundsätzlich nicht umgekehrt, d.h. von einer Aufgabennorm kann grundsätzlich nicht auf eine Befugnisnorm geschlossen werden (s. aber den umstrittenen Sonderfall der behördlichen Warnungen der Bundesregierung unten Rn. 66).

Expertentipp

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In der Fallbearbeitung hat die Geltung des Vorbehalts des Gesetzes für Sie vor allem zur Folge, dass Sie eine fehlende Befugnisnorm oder eine Befugnisnorm, die eine Maßnahme der Polizei bzw. der Ordnungsverwaltung nicht vollständig abdeckt, nicht durch Analogieschlüsse oder Rechtsfortbildung kompensieren dürfen. In diesen Fällen ist allein der Gesetzgeber aufgerufen, ggf. aktiv zu werden und den Befugniskatalog zu erweitern.Vgl. hierzu allgemein Dietlein in: Dietlein/Hellermann, Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen § 3 Rn. 41. In Ihrer Fallbearbeitung wäre eine polizei- bzw. ordnungsrechtliche Gefahrenabwehrverfügung im Fall einer fehlenden oder unzureichenden Ermächtigungsgrundlage bereits aus diesem Grunde rechtswidrig. Da Sie in der Regel zur Erstellung eines umfassenden Gutachtens aufgefordert sind, prüfen Sie die Rechtmäßigkeit der Gefahrenabwehrverfügung nach einem solchen Zwischenergebnis grundsätzlich wie gewohnt im Hauptgutachten weiter.

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Im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht gilt der Vorbehalt des Gesetzes allerdings nicht ausnahmslos. Jenseits polizei- bzw. ordnungsrechtlicher Gefahrenabwehrverfügungen haben die Aufgabennormen durchaus Bedeutung bei Maßnahmen der Polizei und der Ordnungsverwaltung, die nicht in die Rechte der Bürger, insbesondere nicht in deren Grundrechte, eingreifen. Bei diesen Maßnahmen, die keinen Eingriffscharakter haben, handelt es sich um Realakte. Im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht werden Realakte namentlich im Vorfeld von Eingriffsmaßnahmen relevant.

Vgl. zum Ganzen Götz/Geis Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht § 7 Rn. 6.

Beispiel

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Streifendienst der Polizei; Erteilung von Auskünften; allgemeine Warnungen; Belehrungen; Ermahnungen; Gefährderansprache; Gefährderanschreiben.

Expertentipp

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Wenn Sie eine Maßnahme der Polizei bzw. der Ordnungsverwaltung ausnahmsweise nicht auf eine Befugnis-, sondern auf eine Aufgabennorm stützen, stellen Sie unter dem Punkt „Ermächtigungsgrundlage“ zunächst fest, dass die betreffende Maßnahme keinen Eingriffscharakter hat, der Vorbehalt des Gesetzes daher nicht gilt und damit eine Befugnisnorm nicht einschlägig ist. Sodann benennen Sie die einschlägige Aufgabennorm, aus der sich die sachliche Zuständigkeit der Polizei bzw. der Ordnungsbehörde für die Wahrnehmung der betreffenden Aufgabe ergibt.

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Einen Sonderfall stellen in diesem Zusammenhang behördliche Warnungen der Öffentlichkeit vor Gefahren dar. Eine Aufgabennorm verleiht die Befugnis, die Öffentlichkeit vor Gefahren zu warnen, vorausgesetzt, dass die Warnung vor Gefahren keine Rechte Dritter beeinträchtigt. Beeinträchtigt die Warnung dagegen unmittelbar oder mittelbar Rechte Dritter, kann die Warnung nicht auf eine Aufgabennorm gestützt werden.

Beispiel

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Die zuständige Behörde informiert Eltern schulpflichtiger Kindern in einer Broschüre über gesunde Ernährung und macht in allgemeiner Form darauf aufmerksam, dass Kindernahrung oftmals besonders viel Zucker enthält, daher ungesund ist und besser gemieden werden sollte. – Hier klärt die zuständige Behörde die Eltern lediglich grundsätzlich über eine gesunde Ernährung von Schulkindern auf. Hierin liegt kein Eingriff in ein Recht Dritter, so dass diese Tätigkeit der Behörde von einer Aufgabennorm (im Zweifel § 1 Abs. 1 OBG) gedeckt ist.

Beispiel

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Anders als in Beispiel 1 warnt die zuständige Behörde in ihrer Broschüre ausdrücklich vor dem Verzehr bestimmter Kindernahrung der Firma xy. Die Firma xy erleidet aufgrund der Warnung nicht nur bei den von der Warnung erfassten, sondern auch bei anderen Produkten erhebliche Umsatzeinbußen. – Hier greift die Behörde mit der Warnung in das Grundrecht der Firma aus Art. 12 Abs. 1 GG ein. Die Warnung kann daher nicht auf eine Aufgabennorm gestützt werden, sondern muss von einer Befugnisnorm (im Zweifel § 14 Abs. 1 OBG) gedeckt sein.

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Eine Besonderheit soll für Warnungen durch die Bundesregierung gelten.

Beispiel

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Die Bundesregierung warnt vor dem Genuss von mit Glykol versetztem Wein

Vgl. BVerfGE 105, 252. oder vor Sekten.Vgl. BVerfGE 105, 279.

In diesen Fällen fehlt eigentlich eine ausdrückliche Aufgabennorm (wie es sie z.B. mit § 1 Abs. 1 OBG bzw. § 1 Abs. 1 S. 1 PolG NRW für die Ordnungsverwaltung bzw. die Polizei in Nordrhein-Westfalen gibt). Gleichwohl hat das Bundesverfassungsgericht eine Aufgabe der Bundesregierung in Bezug auf entsprechende Warnungen bejaht, indem es angenommen hat, dass eine solche Aufgabe ungeschrieben im Grundgesetz enthalten sei. Diese Aufgabe der Bundesregierung soll nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts darin bestehen, dass die Bundesregierung die Entwicklungen im Staat und in der Gesellschaft zu beobachten und darüber die Bevölkerung zur Abwehr schwerwiegender Gefahren zu informieren hat. Die so hergeleitete Aufgabe soll zugleich das Recht der Bundesregierung begründen, die Öffentlichkeit zur Gefahrenabwehr zu unterrichten und, wenn dies nicht vermeidbar ist, dabei in Rechte Dritter einzugreifen. Diese Auffassung ist im Schrifttum allerdings auf Widerspruch gestoßen, weil das Bundesverfassungsgericht unzulässigerweise von einer Aufgabenzuweisung auf eine Befugnis zum Eingriff in Rechte des Bürgers schließe und das Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage für die Maßnahme verkenne.

Vgl. Schenke Polizei- und Ordnungsrecht Rn. 40 und Rn. 713.

 

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