Inhaltsverzeichnis
- d) Durchsuchung (§§ 39–42 PolG NRW)
- aa) Überblick
- bb) Durchsuchung von Personen (§ 39 PolG NRW)
- (1) Gegenstand der Durchsuchung
- (2) Zulässigkeit der Durchsuchung
- (3) Verfahrensrechtliche Vorgabe
- cc) Durchsuchung von Sachen (§ 40 PolG NRW)
- (1) Begriff der Sache i.S.d. § 40 PolG NRW
- (2) Zulässigkeit der Durchsuchung von Sachen
- (3) Verfahrensrechtliche Vorgabe
- dd) Betreten und Durchsuchung von Wohnungen (§§ 41, 42 PolG NRW)
- (1) Begriff der Wohnung
- (2) Betreten und Durchsuchung
- (3) Voraussetzungen für das Betreten und die Durchsuchung von Wohnungen
- (4) Verfahrensrechtliche Vorgaben
d) Durchsuchung (§§ 39–42 PolG NRW)
aa) Überblick
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Expertentipp
Werfen Sie einen ersten Blick in §§ 39 ff. PolG NRW!
Die Standardermächtigungen der Durchsuchung sind in §§ 39 bis 42 PolG NRW geregelt. Das Polizeigesetz NRW differenziert dabei zwischen der Durchsuchung von Personen (§ 39 PolG NRW), der Durchsuchung von Sachen (§ 40 PolG NRW) sowie dem Betreten und der Durchsuchung von Wohnungen (§§ 41, 42 PolG NRW). Die differenzierten Regelungen tragen dem Umstand Rechnung, dass bei jeder dieser Standardmaßnahmen unterschiedliche Grundrechte des Betroffenen berührt sind. Bei einer Durchsuchung von Personen sind das Grundrecht des Betroffenen auf allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG (s. dazu Skript „Grundrechte“ Rn. 184 ff.) und u.U. das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG (s. dazu Skript „Grundrechte“ Rn. 191 f.) betroffen. Die Durchsuchung von Sachen berührt das Grundrecht des Betroffenen auf Eigentum aus Art. 14 Abs. 1 GG (s. dazu Skript „Grundrechte“ Rn. 619 ff.). Beim Betreten und Durchsuchen von Wohnungen stehen die Grundrechte des Betroffenen auf Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art. 13 Abs. 1 GG (s. dazu Skript „Grundrechte“ Rn. 592 ff.) und auf Eigentum aus Art. 14 Abs. 1 GG in Rede.
Hinweis
Über § 24 Abs. 1 Nr. 12 OBGsteht die Durchsuchung auch der Ordnungsverwaltung zur Verfügung.
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Eine Durchsuchung hat eine Doppelnatur: Sie ist ein Realakt und zugleich eine konkludente Duldungsverfügung und insoweit ein Verwaltungsakt i.S.d. § 35 VwVfG NRW, indem der Betroffene verpflichtet wird, den tatsächlichen Vorgang der Durchsuchung zu dulden.
Vgl. Schenke Polizei- und Ordnungsrecht Rn. 129.bb) Durchsuchung von Personen (§ 39 PolG NRW)
(1) Gegenstand der Durchsuchung
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Bei der Durchsuchung einer Person sucht die Polizei die Körperoberfläche des Betroffenen ab, um bestimmte Gegenstände aufzufinden.
Vgl. zu einer Durchsuchung, die mit dem Entkleiden der durchsuchten Person verbunden ist, VG Köln Urteil vom 25.11.2015 – 20 K 2624/14 – juris. Von der Standardermächtigung des § 39 PolG NRW gedeckt ist ferner die Durchsuchung von ohne Hilfsmittel einsehbaren Körperhöhlen (Nase, Ohren) sowie nach h.M. auch die Durchsuchung von ohne Hilfsmittel zugänglichen Körperöffnungen (Mund, After).Vgl. Dietlein in: Dietlein/Hellermann, Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen § 3 Rn. 184, zugleich mit Bedenken gegen die Einbeziehung von ohne Hilfsmitteln zugänglichen Körperöffnungen. Nicht von § 39 PolG NRW gedeckt sind körperliche Untersuchungen, d.h. das Nachsuchen im Inneren des Körpers oder in nicht ohne Hilfsmittel zugänglichen Körperöffnungen (z.B. Auspumpen des Mageninhalts,Vgl. EGMR NJW 2006, 3117. weiblicher GenitalbereichVgl. VGH Bayern NVwZ-RR 1999, 310.). Eine präventiv-polizeiliche körperliche Untersuchung kommt daher nur nach Maßgabe des § 14 PolG NRW in Betracht.Vgl. Dietlein in: Dietlein/Hellermann, Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen § 3 Rn. 184. Ob eine körperliche Untersuchung auch auf die polizeiliche Generalklausel des § 8 Abs. 1 PolG NRW gestützt werden kann, wird mit Blick auf die Schwere des damit verbundenen Grundrechtseingriffs zumindest erheblich bezweifelt.Vgl. ablehnend Schenke Polizei- und Ordnungsrecht Rn. 165; für ausnahmsweise zulässig erachtend aber Kingreen/Poscher Polizei- und Ordnungsrecht § 17 Rn. 3.204
Bei der Frage, ob eine polizeiliche Nachschau von der Standardermächtigung des § 39 PolG NRW gedeckt wird, ist zu differenzieren. Eine Nachschau liegt vor, wenn die Polizei die Taschen an Mantel, Jacke, Hose etc. des Betroffenen nach Gegenständen absucht. Die Nachschau findet ihre Rechtsgrundlage in § 39 PolG NRW, wenn und soweit der Betroffene die Kleidung noch an seinem Körper trägt. Andernfalls fällt die Nachschau unter die Durchsuchung des Betroffenen nach § 40 PolG NRW.
Vgl. zum Ganzen Wolffgang/Hendricks/Merz Polizei- und Ordnungsrecht in Nordrhein-Westfalen Rn. 167.(2) Zulässigkeit der Durchsuchung
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§ 39 Abs. 1 und Abs. 2 PolG NRW enthalten abschließend sieben Gründe für eine Durchsuchung von Personen. Nicht berücksichtigt ist dabei die in § 39 Abs. 1 PolG NRW ausgeklammerte Durchsuchung einer Person im Rahmen der Identitätsfeststellung nach § 12 Abs. 2 S. 4 PolG NRW.
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Eine Durchsuchung von Personen kommt gemäß § 39 Abs. 1 PolG NRW zunächst in Betracht, wenn die Person nach dem Polizeigesetz NRW (§ 10 Abs. 3, § 12 Abs. 2 S. 3, § 35 PolG NRW) oder anderen Rechtsvorschriften (z.B. § 127 Abs. 2 StPO) festgehalten werden kann (vgl. § 39 Abs. 1 Nr. 1 PolG NRW), wobei das Festhalten des Betroffenen schon begonnen haben muss.
Vgl. Kingreen/Poscher Polizei- und Ordnungsrecht § 17 Rn. 11. NNach § 39 Abs. 1 Nr. 2 PolG NRW kann eine Person durchsucht werden, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie Sachen mit sich führt, die nach § 43 PolG NRW sichergestellt werden dürfen. Eine Durchsuchung kann ferner zum Schutz des Betroffenen vorgenommen werden, wenn sich die Person erkennbar in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand oder sonst in hilfloser Lage befindet (vgl. § 39 Abs. 1 Nr. 3 PolG NRW). Nach § 39 Abs. 1 Nr. 4 PolG NRW kann eine Person durchsucht werden, die sich an einem sog. verrufenen Ort i.S.d. § 12 Abs. 1 Nr. 2 PolG NRW (s.o. Rn. 123) aufhält. Eine Durchsuchung kommt außerdem in Betracht, wenn sich der Betroffene in einem gefährdeten Objekt oder in der unmittelbaren Nähe eines gefährdeten Objektes i.S.d. § 12 Abs. 1 Nr. 3 PolG NRW aufhält, wenn ferner Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass in oder an Objekten dieser Art Straftaten begangen werden sollen, durch die Personen oder diese Objekte gefährdet sind (vgl. § 39 Abs. 1 Nr. 5 PolG NRW).207
Aus Gründen des Eigenschutzes
Vgl. Dietlein in: Dietlein/Hellermann, Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen § 3 Rn. 185. kann die Polizei eine Person im Rahmen einer Identitätsfeststellung nach Maßgabe des § 39 Abs. 2 S. 1 PolG NRW nach Waffen, anderen gefährlichen Werkzeugen und Explosivmitteln durchsuchen. § 39 Abs. 2 S. 2 PolG NRW lässt eine Durchsuchung des Betroffenen aus den Gründen des Satzes 1 auch dann zu, wenn eine Person nach anderen Rechtsvorschriften vorgeführt oder zur Durchführung einer Maßnahme an einen anderen Ort gebracht werden soll.(3) Verfahrensrechtliche Vorgabe
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§ 39 Abs. 3 PolG NRW normiert als verfahrensrechtliche Vorgabe, dass Personen grundsätzlich nur von Personen gleichen Geschlechts oder Ärzten durchsucht werden dürfen. Wird diese Vorgabe verletzt, ist die Durchsuchung rechtswidrig; eine Heilung kommt nicht in Betracht.
Vgl. VG Köln Urteil vom 25.11.2015 – 20 K 2624/14 – juris; Kingreen/Poscher Polizei- und Ordnungsrecht § 17 Rn. 5 mit dem Hinweis, dass in diesem Falle bei fortbestehender Gefahr die Voraussetzungen für eine erneute Durchsuchung der Person vorliegen können.cc) Durchsuchung von Sachen (§ 40 PolG NRW)
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Expertentipp
Lesen Sie § 40 PolG NRW!
§ 40 PolG NRW ermächtigt die Polizei zur Durchsuchung von Sachen.
(1) Begriff der Sache i.S.d. § 40 PolG NRW
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Unter Sachen i.S.d. § 40 PolG NRW sind alle körperlichen Gegenstände i.S.d. § 90 BGB zu verstehen, vor allem bewegliche Sachen wie Gepäckstücke, Fahrzeuge, Boote etc. Wie oben (Rn. 204) bereits festgestellt, wird von der Ermächtigung des § 40 PolG NRW allerdings nicht die Durchsuchung von Kleidung, die der Betroffene am Körper trägt, erfasst; diese darf nur nach Maßgabe des § 39 PolG NRW erfolgen. Der Begriff der Sache i.S.d. § 40 PolG NRW umfasst des Weiteren auch ein Grundstück. Wegen der Bestimmung des § 41 PolG NRW gehört die Wohnung jedoch nicht zu den Sachen i.S.d. § 40 PolG NRW.
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Problematisch ist, ob ein Fahrzeug, das ganz oder teilweise Wohnzwecken dient (z.B. Wohnwagen, Lkw mit Schlafkoje), auf der Grundlage des § 40 PolG NRW durchsucht werden darf. An sich wird ein Fahrzeug vom Begriff der Sache i.S.d. § 40 PolG NRW umfasst. Allerdings könnte sich eine andere Beurteilung aus dem Umstand ergeben, dass das Fahrzeug ganz oder teilweise Wohnzwecken dient. Betrachtet man solche Fahrzeuge als Wohnung i.S.d. Art. 13 Abs. 1 GG, dürfen sie nur nach Maßgabe des § 41 PolG NRW durchsucht werden. Unter Berücksichtigung des Schutzzwecks des Art. 13 Abs. 1 GG, die Intimsphäre einer Person zu gewährleisten, wird die Einordnung eines Fahrzeugs als Wohnung im konkreten Einzelfall davon abhängen, ob das Fahrzeug im Zeitpunkt der Durchsuchung Wohnzwecken dient und daher mit persönlichen Gegenständen ausgestattet ist.
Beispiel
Um Hotelkosten zu sparen, übernachtet L eine Nacht auf dem Rastplatz an einer BAB. Er hat sich in seinem Pkw u.a. mit einem Kissen, mit einer dicken Decke und mit Waschutensilien eingedeckt. – Hier ist der Pkw mit persönlichen Gegenständen ausgestattet und daher für die Dauer als Wohnungsersatz als Wohnung anzusehen. Eine polizeiliche Durchsuchung dürfte daher nur auf der Grundlage des § 41 PolG NRW stattfinden.
(2) Zulässigkeit der Durchsuchung von Sachen
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§ 40 Abs. 1 PolG NRW nennt abschließend sechs Gründe, bei deren Vorliegen eine Sache durchsucht werden kann. Wie § 39 PolG NRW klammert § 40 Abs. 1 PolG NRW die Durchsuchung im Rahmen einer Identitätsfeststellung nach § 12 Abs. 2 S. 4 PolG NRW aus.
214
Die Durchsuchung einer Sache kommt nach § 40 Abs. 1 PolG NRW in Betracht, wenn diese von einer Person mitgeführt wird, die nach § 39 PolG NRW durchsucht werden darf (Nr. 1), d.h. bei dieser Person muss ein Durchsuchungsgrund i.S.d. § 39 Abs. 1, Abs. 2 PolG NRW vorliegen. Eine Sache kann ferner durchsucht werden, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich in ihr eine Person befindet, die in Gewahrsam genommen werden darf, widerrechtlich festgehalten wird oder hilflos ist (Nr. 2), wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich in ihr eine andere Sache befindet, die nach § 43 PolG NRW sichergestellt werden darf (Nr. 3), wenn sich die Sache an einem verrufenen Ort i.S.d. § 12 Abs. 1 Nr. 2 PolG NRW (s.o. Rn. 123) ) (Nr. 4) oder an einem gefährdeten Ort i.S.d. § 12 Abs. 1 Nr. 3 PolG NRW (s.o. Rn. 123) oder in dessen unmittelbarer Nähe befindet und Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass in oder an Objekten dieser Art Straftaten begangen werden sollen, durch die Personen oder diese Objekte gefährdet sind (Nr. 5) oder wenn es sich um ein Land-, Wasser- oder Luftfahrzeug handelt, in dem sich eine Person befindet, deren Identität nach § 12 Abs. 1 Nr. 4 PolG NRW festgestellt werden darf, wobei sich die Durchsuchung auch auf die in dem Fahrzeug enthaltenen Sachen erstrecken darf (Nr. 6).
(3) Verfahrensrechtliche Vorgabe
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Als verfahrensrechtliche Vorgabe sieht § 40 Abs. 2 S. 1 PolG NRW vor, dass der Inhaber der tatsächlichen Gewalt das Recht hat, bei der Durchsuchung anwesend zu sein. Im Falle seiner Abwesenheit soll sein Vertreter oder ein anderer Zeuge hinzugezogen werden (vgl. § 40 Abs. 2 S. 2 PolG NRW). Auf Verlangen ist dem Inhaber der tatsächlichen Gewalt eine Bescheinigung über die Durchsuchung und ihren Grund zu erteilen (vgl. § 40 Abs. 2 S. 3 PolG NRW).
Expertentipp
Bei einer Verletzung des § 40 Abs. 2 PolG NRW müssen Sie §§ 45, 46 VwVfG NRW in Betracht ziehen.
dd) Betreten und Durchsuchung von Wohnungen (§§ 41, 42 PolG NRW)
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Expertentipp
Lesen Sie §§ 41, 42 PolG NRW!
Die Ermächtigung zum Betreten und zur Durchsuchung von Wohnungen ist in §§ 41, 42 PolG NRW besonders gesetzlich geregelt. Der Grund hierfür ist Art. 13 Abs. 2 GG, nach dem Wohnungsdurchsuchungen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzug auch durch die in den Gesetzen vorgesehenen anderen Organe angeordnet und nur in der dort vorgeschriebenen Form durchgeführt werden.
(1) Begriff der Wohnung
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Der Begriff der Wohnung i.S.d. § 41 PolG NRW entspricht dem der Wohnung i.S.d. Art. 13 GG. Der verfassungsrechtliche Begriff der Wohnung wird dadurch gekennzeichnet, dass eine Wohnung der Schaffung einer Privatsphäre dient, in der der Einzelne das Recht hat, in Ruhe gelassen zu werden. Außerdem zeichnet sich eine Wohnung durch eine erkennbare räumliche Abgrenzung nach außen aus (vgl. zum Ganzen näher Skript „Grundrechte“ Rn. 596).
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Der Begriff der Wohnung ist in § 41 Abs. 1 S. 2 PolG NRW legaldefiniert und umfasst danach die Wohn- und Nebenräume, Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume sowie anderes befriedetes Besitztum. Wohnungen in diesem Sinne sind daher vor allem Wohnhäuser, Wohnungen, als Wohnung genutzte Wohnwagen, Zelte, Hausboote etc. Nebenräume sind z.B. Keller, Dachböden, Wirtschaftsräume, Garagen etc. Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume sind z.B. Verkaufsräume, Werkstätten, Praxisräume von Ärzten, Kanzleiräume von Rechtsanwälten etc. Befriedetes Besitztum ist z.B. ein Grundstück, das durch Zäune, Hecken o.ä. eingefriedet und nicht nur landwirtschaftlich genutzt wird.
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Inhaber der Wohnung ist derjenige, der rechtmäßig die tatsächliche Gewalt über die Räumlichkeit ausübt.
Vgl. Wolffgang/Hendricks/Merz Polizei- und Ordnungsrecht in Nordrhein-Westfalen Rn. 170–180. In Gemeinschaftsunterkünften, die von Dritten geleitet werden (z.B. Obdachlosenunterkunft), ist der Leiter der Unterkunft der Wohnungsinhaber.(2) Betreten und Durchsuchung
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Als Rechtsfolge sieht § 41 PolG NRW das Betreten und die Durchsuchung von Wohnungen vor.
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Definition
Betreten
Betreten meint das Eindringen in die betreffenden Räume sowie das Verweilen in diesen Räumen.
Das Betreten umfasst auch das schlichte Nach- und Umschauen in den betreffenden Räumen.
Vgl. Dietlein in: Dietlein/Hellermann, Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen § 3 Rn. 192.221
Dem Betreten i.S.d. § 41 PolG NRW geht die hoheitliche Aufforderung voraus, der Polizei Eintritt in die betreffende Wohnung zu gewähren.
Vgl. Dietlein in: Dietlein/Hellermann, Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen § 3 Rn. 192.Beispiel
G beabsichtigt, eine Bank zu überfallen. Kurz vor dem geplanten Coup taucht er bei seinem Bekannten K, der ganz in der Nähe der betreffenden Bank wohnt, unter, um den Überfall vorzubereiten. Die Polizei erhält einen anonymen Hinweis und fährt zur Wohnung des K. Die Polizei klingelt an der Wohnung des K und fordert K auf, die Wohnungstür zu öffnen. – Dem Betreten der Wohnung des K geht die polizeiliche Aufforderung voraus, der Polizei Eintritt in die Wohnung zu gewähren. Diese Aufforderung ist ein Verwaltungsakt i.S.d. § 35 VwVfG NRW, der seine Rechtsgrundlage in der polizeilichen Generalklausel des § 8 Abs. 1 PolG NRW hat.
Vgl. Dietlein in: Dietlein/Hellermann, Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen § 3 Rn. 192; str.Variante 1:
K kommt dieser Aufforderung nach und lässt die Polizei in seine Wohnung. – Hier erfüllt K die polizeiliche Aufforderung, so dass die Polizei mit Willen des K dessen Wohnung betreten kann.
Variante 2:
K kommt dieser Aufforderung nicht nach. Die Polizei öffnet daraufhin gewaltsam die Wohnungstür und gelangt in die Wohnung des K. – Hier erfüllt K die polizeiliche Aufforderung nicht, so dass sich die Polizei gegen den Willen des K Eintritt in dessen Wohnung verschaffen muss. Diese Maßnahme ist eine Zwangsmaßnahme, mit der die ihr zugrundeliegende polizeiliche Anordnung, die Wohnungstür zu öffnen, vollstreckt wird.
Vgl. Dietlein in: Dietlein/Hellermann, Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen § 3 Rn. 192; str. Das anschließende Betreten und die Durchsuchung der Wohnung erfolgen dann auf der Grundlage des § 41 PolG NRW.Expertentipp
In der Fallbearbeitung müssen Sie zwischen den einzelnen Maßnahmen der Polizei unterscheiden und in einem Rechtsbehelfsverfahren entsprechend differenziert prüfen. Das beginnt u.U. bereits bei der Frage, welche der polizeilichen Maßnahmen rechtlich überprüft werden sollen (vgl. § 88 VwGO [u.U. analog]).
222
Definition
Durchsuchung
Durchsuchung meint das ziel- und zweckgerichtete Suchen nach Personen oder Sachen durch staatliche Organe bzw. deren Bestreben, etwas aufzuspüren, was der Inhaber einer Wohnung nicht offenzulegen bereit ist.
Die Durchsuchung einer Wohnung steht unter dem Richtervorbehalt des Art. 13 Abs. 2 GG (s.u. Rn. 227).
(3) Voraussetzungen für das Betreten und die Durchsuchung von Wohnungen
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Nach § 41 Abs. 1 PolG NRW kommen das Betreten und die Durchsuchung von Wohnungen in den folgenden, abschließend genannten vier Fällen in Betracht:
• | Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass sich in der Wohnung eine Person befindet, die nach § 10 Abs. 3 PolG NRW vorgeführt oder nach § 35 PolG NRW in Gewahrsam genommen werden darf (Nr. 1). Das Betreten und die Durchsuchung der Wohnung dienen dem Auffinden der betreffenden Person. |
• | Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass sich in der Wohnung eine Sache befindet, die nach § 43 Nr. 1 PolG NRW sichergestellt werden darf (Nr. 2). Das Betreten und die Durchsuchung dienen dem Auffinden der betreffenden Sache. |
• | Von einer Wohnung gehen Immissionen aus, die nach Art, Ausmaß oder Dauer zu einer erheblichen Belästigung der Nachbarschaft führen (Nr. 3). |
• | Das Betreten und die Durchsuchung der Wohnung sind zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder für Sachen von bedeutendem Wert erforderlich (Nr. 4). Diese Gefahr muss ihre Ursache nicht unbedingt in der betreffenden Wohnung haben. Es genügt, wenn es erforderlich ist, dass von der betreffenden Wohnung aus Gefahrenabwehrmaßnahmen durchgeführt werden. Vgl. Dietlein in: Dietlein/Hellermann, Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen § 3 Rn. 193. |
Beispiel
Im Gerichtsgebäude findet eine Geiselnahme statt. Die Polizei will rund um das Gebäude Scharfschützen positionieren, um den Geiselnehmer in einem günstigen Moment ggf. erschießen zu können. Zu diesem Zwecke fordert sie A auf, der Polizei Zutritt in ihre Wohnung zu gewähren. – Hier geht keine Gefahr von der Wohnung der A aus. Ihre Wohnung bietet aber einen geeigneten Standort, um von hier aus notwendige Maßnahmen zur Gefahrenabwehr durchzuführen.
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Während der Nachtzeit, d.h. in den Monaten April bis September zwischen 21 Uhr und 4 Uhr und in den Monaten Oktober bis März zwischen 21 Uhr und 6 Uhr (vgl. § 104 Abs. 3 StPO) sind das Betreten und die Durchsuchung einer Wohnung nur in den Fällen des § 41 Abs. 1 Nrn. 3 und 4 PolG NRW zulässig (vgl. § 41 Abs. 2 PolG NRW).
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§ 41 Abs. 3 PolG NRW ermächtigt die Polizei, Wohnungen zur Abwehr dringender Gefahren jederzeit zu betreten, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass dort Personen Straftaten von erheblicher Bedeutung verabreden, vorbereiten oder verüben oder sich dort Personen treffen, die gegen aufenthaltsrechtliche Strafvorschriften verstoßen, oder sich dort gesuchte Straftäter verbergen (Nr. 1) oder wenn die Wohnungen der Prostitution dienen (Nr. 2).
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Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume sowie andere Räume und Grundstücke, die der Öffentlichkeit zugänglich sind oder waren und den Anwesenden zum weiteren Aufenthalt zur Verfügung stehen, können zum Zwecke der Gefahrenabwehr (§ 1 Abs. 1 PolG NRW) während der Arbeits-, Geschäfts- oder Aufenthaltszeit betreten werden (vgl. § 41 Abs. 4 PolG NRW).
Hinweis
Beachten Sie, dass § 41 Abs. 3 und 4 PolG NRW nur zum Betreten der betreffenden Räume, nicht zu deren Durchsuchung ermächtigt.
(4) Verfahrensrechtliche Vorgaben
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Vor dem Hintergrund des Art. 13 Abs. 2 GG dürfen Durchsuchungen von Wohnungen grundsätzlich nur durch den Richter angeordnet werden (vgl. § 42 Abs. 1 S. 1 PolG NRW). Zuständig ist das Amtsgericht, in dessen Bezirk die Wohnung liegt (§ 42 Abs. 1 S. 2 PolG NRW). Eine Ausnahme vom Richtervorbehalt gilt jedoch bei Gefahr im Verzug (vgl. § 42 Abs. 1 S. 1 PolG NRW), d.h. wenn der Erfolg einer Maßnahme durch eine vorherige Befassung des Richters zeitlich gefährdet würde, wobei insoweit ein strenger Maßstab anzulegen ist.
Vgl. BVerfGE 103, 142; Dietlein in: Dietlein/Hellermann, Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen § 3 Rn. 196.228
Für die Durchsuchung einer Wohnung normieren die § 42 Abs. 2 ff. PolG NRW verschiedene verfahrensrechtliche Vorgaben zugunsten des Wohnungsinhabers. Bezüglich Einzelheiten lesen Sie bitte § 42 Abs. 2 bis 6 PolG NRW.
Expertentipp
Die Verletzung einer verfahrensrechtlichen Vorgabe führt regelmäßig zur formellen Rechtswidrigkeit der polizeilichen Maßnahme. Denken Sie aber an §§ 45, 46 VwVfG NRW. Eine Heilungsmöglichkeit besteht allerdings nicht bei einem Verstoß gegen den Richtervorbehalt.
Vgl. Kingreen/Poscher Polizei- und Ordnungsrecht § 17 Rn. 29 und Rn. 31.229
Die in § 42 PolG NRW normierten verfahrensrechtlichen Vorgaben gelten nur für die Durchsuchung von Wohnungen (vgl. nur die amtliche Überschrift des § 42 PolG NRW „Verfahren bei der Durchsuchung von Wohnungen“). Für das Betreten von Wohnungen einschließlich der mitumfassten Nach- und Umschau gelten sie dagegen nicht.
Hinweis
Denken Sie beim Betreten von Wohnungen aber an Art. 13 Abs. 7 GG (s. dazu Skript „Grundrechte“ Rn. 614 ff.).