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Juristische Methodenlehre - 3. Teil Rechtsfortbildung

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Juristische Methodenlehre

3. Teil Rechtsfortbildung

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Führt die Suche nach einer im konkreten Fall einschlägigen Vorschrift zu keinem Ergebnis bzw. wird der zu würdigende Sachverhalt nach sorgfältiger Auslegung des (nur) auf den ersten Blick als einschlägig erscheinenden Rechtssatzes anhand der vier juristischen Auslegungskriterien letztlich doch nicht von diesem erfasst, so ist dieses „Schweigendes Gesetzes grundsätzlich zu respektieren:

Beaucamp/Treder, Methoden, Rn. 245; Horn, Einführung in die Rechtswissenschaft und Rechtsphilosophie, 5. Auflage 2011, Rn. 174 f. mit dem zutreffenden Hinweis, dass es mit diesem Befund im Strafrecht insoweit sein Bewenden hat, als das dortige Analogieverbot zu Lasten des Täters eingreift (Rn. 240 f.). Anders dagegen im Zivilrecht, siehe Rn. 276 und Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 199 m.w.N. Macht A gegen B einen bestimmten Anspruch geltend, ist aber keine entsprechende gesetzliche Anspruchsgrundlage vorhanden oder liegen deren Voraussetzungen im Verhältnis zwischen A und B nicht vor, so steht damit A der gegenüber B geltend gemachte Anspruch eben nicht zu; eine gleichwohl erhobene Klage müsste das Gericht abweisen.Horn, Einführung in die Rechtswissenschaft und Rechtsphilosophie, 5. Auflage 2011, Rn. 184; Wank, Auslegung, S. 81.

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Ließe sich unter Inkaufnahme auch solcher Ergebnisse mithin jeder Fall allein nach Maßgabe des geschriebenen Rechts lösen,

So zutreffend Wank, Auslegung, S. 81 mit dem weiteren Hinweis, dass die Rechtsfortbildung daher richtigerweise nicht schon aufgrund des Rechtsverweigerungsverbots (Rn. 214) geboten ist. A.A. statt vieler Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 823 a.E.: „Das Rechtsverweigerungsverbot rechtfertigt […] die normsetzende Tätigkeit der Gerichte im Lückenbereich“. I.d.S. wohl auch BVerfGE 34, 269 (292). Vermittelnd Muthorst, Grundlagen, § 8 Rn. 17. so kann sich das auf dieser Grundlage – dem Wortlaut des Gesetzes als Grenze der Auslegung (Rn. 150, 215) – erzielte Resultat des Bestehens einer Gesetzeslücke mit der Folge einer negativen Antwort auf die betreffende Rechtsfrage (z.B. A hat keinen Anspruch gegen B) allerdings nicht nur gemessen an den insofern irrelevanten persönlichen (gesellschaftspolitischen, wirtschaftlichen, ideologischen etc.) Gerechtigkeitsvorstellungen des Einzelnen, sondern auch nach der in diesem Zusammenhang allein beachtlichen juristischen Wertung als unbillig, inkonsequent bzw. „ungerecht“ erweisen.Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 193; Schwacke, Methodik, S. 121, 123; Tettinger/Mann, Einführung, Rn. 256; Zippelius, Methodenlehre, S. 53, 55, 67 f. Zum Aspekt der „Gerechtigkeit“ siehe auch Rn. 11, 236, 248, 268, 271 ff.

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Hinweis

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Ob ein bestimmter Sachverhalt vom Gesetz nicht geregelt wird, d.h. dieses insoweit lückenhaft ist, lässt sich erst nach dessen Auslegung beantworten.

Schwacke, Methodik, S. 121; Wank, Auslegung, S. 81. Vgl. auch Muthorst, Grundlagen, § 8 Rn. 5. Die Lückenschließung im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung kommt deshalb erst dann in Betracht, wenn zuvor sämtliche Methoden der Gesetzesauslegung ausgeschöpft wurden (Vorrang der Auslegung vor der Rechtsfortbildung bzw. Subsidiarität der Rechtsfortbildung gegenüber der Auslegung).Muthorst, Grundlagen, § 8 Rn. 10; Schmalz, Methodenlehre, Rn. 377; Schwacke, Methodik, S. 80, 121. M.a.W.: „Rechtsfortbildung beginnt dort, wo die Auslegung endet, d.h. die Wortlautgrenze markiert den Übergang zwischen Auslegung und Rechtsfortbildung.“Sauer, in: Krüper, Grundlagen des Rechts, § 9 Rn. 35. A.A. Wank, Auslegung, S. 82: „Die Grenze der Auslegung ist erreicht, wenn die Interpretation des vorliegenden Rechtssatzes nicht mehr vom Zweck der Vorschrift gedeckt ist“ (Hervorhebungen d.d. Verf.).

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Beispiel

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Nach dem römischen Zwölftafelgesetz (ca. 450 v. Chr.) haftete der Eigentümer eines Vierfüßers (quadrupes) für Schäden, die ein solches Tier durch seine Wildheit verursachte, sog. actio de pauperie. Wurde nun aber etwa der Gast eines Gartenfestes vom afrikanischen Strauß des gastgebenden Senators gebissen, so ergab die „schlichte Auslegung“ des Gesetzes, dass dieser nicht haftpflichtig war. Ein Zweifüßer (bipes) hat eben nicht vier Füße. Eine abweichende (erweiternde) Auslegung – etwa aus teleologischen Gründen – war innerhalb der durch den eindeutigen Wortlaut des Gesetzes gezogenen Grenzen nicht möglich. Ein Anspruch stand einem derart Geschädigten folglich allein dann zu, wenn die Voraussetzungen einer entsprechenden Anwendung der gesetzlich für Vierfüßer vorgesehenen Haftungsregelung auch auf Zweifüßer vorlagen (was i.E. bejaht wurde) – und nicht im Gegenteil aus der ausdrücklichen Nennung nur der Ersteren im Gesetz eine Haftung für Schäden, die durch Letztere verursacht wurden, gerade ausgeschlossen war.

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Die Schließung derartiger Lücken nicht nur (rechtspolitisch) für die Zukunft vom Gesetzgeber zu fordern, sondern bereits de lege lata die Gerichte hiermit zu betrauen, begegnet aus verfassungsrechtlicher Sicht zunächst allerdings Bedenken.

Zippelius, Methodenlehre, S. 53. Denn das von diesen hierzu eingesetzte Instrument der Rechtsfortbildung ist der Sache nach nichts anderes als Rechtsschöpfung, d.h. richterliche Normsetzung (Richter als „Ersatzgesetzgeber“Muthorst, Grundlagen, § 8 Rn. 14; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 822 mit dem Hinweis (Rn. 825), dass dies von den Gerichten nur ungern eingestanden werde.).Beaucamp/Treder, Methoden, Rn. 246. „Wo der Richter auf eine Gesetzeslücke stößt, kann er das Recht nicht ,finden‘. Er muss es selbst setzen“Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 824. Vgl. auch dies., a.a.O., Rn. 883. – was an sich Aufgabe des Gesetzgebers ist.Wank, Auslegung, S. 82.

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Hinweis

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Auch wenn eine entsprechende Differenzierung mitunter Schwierigkeiten bereiten mag und nicht selten – freilich zu Unrecht

Es ist ein Postulat der „Methodenehrlichkeit“, offen zu legen, ob ein Gesetz ausgelegt oder fortgebildet wird, vgl. Rn. 150 und Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 830 f. Im Ergebnis unterscheiden sich Gesetzesauslegung und Rechtsfortbildung freilich kaum, gelangt bei Vorliegen der jeweiligen Voraussetzungen doch in beiden Fällen dieselbe Vorschrift (ggf. entsprechend) zur Anwendung, siehe Muthorst, Grundlagen, § 7 Rn. 21; Schmalz, Methodenlehre, Rn. 378; Schwacke, Methodik, S. 136. – unterbleibt,Vgl. Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Auflage 2008, S. 636; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 799, 814, 831. Hingegen lasse sich nach Horn, Einführung in die Rechtswissenschaft und Rechtsphilosophie, 5. Auflage 2011, Rn. 187 a.E. auch in der Praxis meist „brauchbar“ zwischen Auslegung und Analogie unterscheiden. so ist „Rechtsfortbildung [doch] etwas ganz anderes als Auslegung.“ Während das Ziel der Letztgenannten nämlich darin besteht, „den Sinn einer Regelung zu verstehen, die ein anderer erlassen hat“ (nachvollziehende Tätigkeit, Kognition), handelt es sich bei der Erstgenannten um die „schöpferische Leistung […], selbst eine neue [abstrakt-generelleMuthorst, Grundlagen, § 8 Rn. 14. Die im Wege der Rechtsfortbildung „gefundene“ Lösung muss allgemeingültig sein (Schwacke, Methodik, S. 122 und Fn. 76 zu Rn. 248), d.h. darf nicht auf Überlegungen gestützt werden, die nur für den jeweiligen Einzelfall gelten, siehe Schmalz, Methodenlehre, Rn. 393. Vgl. denn auch Art. 1 Abs. 2 schweiz. ZGB: „Kann dem Gesetz keine Vorschrift entnommen werden, so soll das Gericht nach Gewohnheitsrecht und, wo auch ein solches fehlt, nach der Regel entscheiden, die es als Gesetzgeber aufstellen würde. ] Regelung“ zu setzen (produktive Tätigkeit, Dezision)Zum Ganzen siehe Muthorst, Grundlagen, § 8 Rn. 5, 14 (Hervorhebungen d. d. Verf.), der auch von der insoweit fehlenden Unterscheidung durch den EuGH berichtet; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 825 m.w.N. A.A. Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 187: „Gesetzesauslegung und richterliche Rechtsfortbildung dürfen nicht als wesensverschieden angesehen werden“.  – freilich nicht i.S.e. „freie[n] Schaffen[s]“, sondern unter Bindung an die sich aus den vorhandenen gesetzlichen Bestimmungen ergebenden Wertungen („gebundene[s] Richterrecht“Kramer, Juristische Methodenlehre, 3. Auflage 2010, S. 173. Siehe auch Rn. 243 ff.).Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 883. Diese in rechtsmethodischer Hinsicht grundlegenden Unterschiede spiegeln sich in den verschiedenartigen Voraussetzungen wider, denen die Gesetzesauslegung einerseits und die Rechtsfortbildung andererseits jeweils unterliegen.Vgl. Beaucamp/Treder, Methoden, Rn. 245 m.w.N.; Schmalz, Methodenlehre, Rn. 378. Zudem ist der Begründungsaufwand für ein im Wege der Rechtsfortbildung (gesetzesferner) gewonnenes Ergebnis tendenziell höher als bei „normalen“ (gesetzesnäheren) Auslegungsresultaten der Fall.Vgl. BVerfGE 88, 145 (166 f.) und siehe Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 830; Schwacke, Methodik, S. 122, 135 m.w.N. Denn nicht nur ist der Richter gehalten, „einsichtig“ zu machen, „dass das geschriebene Gesetz seine Funktion, ein Rechtsproblem gerecht zu lösen, nicht erfüllt“, sondern muss er darüber hinaus ebenfalls offenlegen, anhand welcher rationalen (willkürfreien) Argumente, sich aus „der praktischen Vernunft und den ,fundierten allgemeinen Gerechtigkeitsvorstellungen der Gemeinschaft‘“BVerfGE 34, 269 (287) unter Hinweis auf BVerfGE 9, 338 (349). ergebenden Maßstäbe genau er die vom Gesetzgeber gelassene Lücke füllt; namentlich der Analogieschluss (Rn. 248 ff.) bezeichnet lediglich eine bestimmte Argumentationsstruktur, gibt selbst aber noch keine inhaltliche Begründung für das auf ihn gestützte Ergebnis.Horn, Einführung in die Rechtswissenschaft und Rechtsphilosophie, 5. Auflage 2011, Rn. 187; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 825 a.E. m.w.N. „Sowenig wie die Auslegung nach dem subjektiven Empfinden des Interpreten erfolgen darf, sowenig ist Rechtsfortbildung unter vager Berufung auf die Rechtsidee oder die Gerechtigkeit zulässig.“Wank, Auslegung, S. 85. Siehe auch Rn. 11, 134.

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