Inhaltsverzeichnis
- B. Rechtmäßigkeit einer bauaufsichtlichen Verfügung
- I. Ermächtigungsgrundlage
- II. Formelle Rechtmäßigkeit
- 1. Zuständigkeit
- 2. Verfahren
- 3. Form
- 4. Begründung
- III. Materielle Rechtmäßigkeit
- 1. Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage
- a) Vorliegen eines baurechtswidrigen Zustandes
- aa) Formelle Baurechtswidrigkeiten
- bb) Materielle Baurechtswidrigkeiten
- b) Vorliegen der Voraussetzungen für die bauaufsichtliche Verfügung
- aa) Stilllegungsverfügung
- bb) Nutzungsuntersagung
- cc) Abrissverfügung
- (1) Formell baurechtswidrige, aber materiell baurechtmäßige Anlage
- (2) Formell baurechtmäßige, aber materiell baurechtswidrige Anlage
- (3) Formell und materiell baurechtswidrige Anlage
- 2. Ermessen
- a) Ermessensentscheidung
- b) Grenzen des Ermessens
- aa) Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
- bb) Gleichheitssatz
- cc) Behördliche Duldung oder Verwirkung
- c) Richtiger Adressat
B. Rechtmäßigkeit einer bauaufsichtlichen Verfügung
446
Die Rechtmäßigkeit einer bauaufsichtlichen Verfügung prüfen Sie wie folgt:
Prüfungsschema
Wie prüft man: Rechtmäßigkeit bauaufsichtlicher Verfügungen
I. | Ermächtigungsgrundlage |
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II. | Formelle Rechtmäßigkeit |
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| 1. | Zuständigkeit |
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| 2. | Verfahren |
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| 3. | Form |
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| 4. | Begründung |
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III. | Materielle Rechtmäßigkeit |
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| 1. | Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage |
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a) | Vorliegen eines baurechtswidrigen Zustandes | |||||
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| aa) | Formelle Baurechtswidrigkeit |
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| bb) | Materielle Baurechtswidrigkeit |
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b) | Vorliegen der Voraussetzungen für die bauaufsichtliche Verfügung | |||||
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| aa) | Stilllegungsverfügung |
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| bb) | Nutzungsuntersagung |
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| Voraussetzungen für den Erlass | Rn. 464 | ||
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| cc) | Abrissverfügung |
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(1) | Formell baurechtswidrige, aber materiell baurechtsmäßige Anlage | |||||
(2) | Formell baurechtsmäßige, aber materiell baurechtswidrige Anlage | |||||
(3) | Formell und materiell baurechtswidrige Anlage | |||||
| 2. | Ermessen |
| |||
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| a) | Ermessensentscheidung |
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| b) | Grenzen des Ermessens |
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| aa) | Verhältnismäßigkeitsgrundsatz |
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| bb) | Gleichheitssatz |
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| cc) | Behördliche Duldung oder Verwirkung |
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| Geeignete Rechtsfiguren, um den Erlass bauaufsichtlicher Maßnahmen auszuschließen? | Rn. 477 | ||
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| c) | Richtiger Adressat |
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Expertentipp
Wie bereits mehrfach erwähnt, gilt auch für dieses Prüfungsschema, dass es lediglich Ihrer Orientierung dienen soll. Keinesfalls dürfen Sie es also starr abarbeiten, sondern müssen es stets am konkreten Fall orientiert anwenden, d.h. insbesondere dürfen nur problematische Prüfungspunkte näher erörtert werden.
447
Der richtige Einstieg in die Falllösung gelingt Ihnen mit einem möglichst präzise formulierten Obersatz. Dieser könnte bei einer rein materiell-rechtlichen Prüfung z.B. wie folgt lauten: „Die Verfügung der Bauaufsichtsbehörde … (hier erlassende Behörde nennen) ist rechtmäßig, wenn und soweit sie auf einer tauglichen Ermächtigungsgrundlage beruht sowie formell und materiell rechtmäßig ist.“
I. Ermächtigungsgrundlage
448
Für die Maßnahmen der repressiven Bauüberwachung gibt es in der BauO NRW 2018 verschiedene Ermächtigungsgrundlagen. Zunächst ist § 58 Abs. 2 S. 2 BauO NRW 2018 zu nennen, der die bauaufsichtsrechtliche Generalklausel für repressive bauaufsichtliche Verfügungen enthält und als sonderordnungsrechtliche Ermächtigungsgrundlage die ordnungsbehördliche Generalklausel des § 14 Abs. 1 OBG verdrängt (s. hierzu Skript „Polizei- und Ordnungsrecht NRW“ Rn. 244 ff.).
449
Die oben (Rn. 440) bereits angesprochenen baupolizeilichen Standardmaßnahmen, nämlich die Stilllegungsverfügung, die Nutzungsuntersagung und die Abrissverfügung, fanden lange Zeit ihre Rechtsgrundlage in der bauordnungsrechtlichen Generalklausel. Dies hat sich jedoch mit dem Inkrafttreten der BauO NRW 2018 geändert. Die BauO NRW 2018 enthält in ihrem vierten Abschnitt (§§ 80–82) nunmehr spezielle Ermächtigungsgrundlagen u.a. für die Stilllegungsverfügung (§ 81 Abs. 1 BauO NRW 2018), die Nutzungsuntersagung (§ 82 Abs. 1 S. 2 BauO NRW 2018) und die Abrissverfügung (§ 82 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 BauO NRW 2018). Da vor allem die Stilllegungsverfügung, die Nutzungsuntersagung und die Abrissverfügung nach Maßgabe des § 82 Abs. 1 S. 1 BauO NRW 2018 prüfungsrelevant sind, wollen wir uns im Folgenden dementsprechend auf diese drei bauaufsichtlichen Verfügungen konzentrieren.
II. Formelle Rechtmäßigkeit
450
Die formelle Rechtmäßigkeit der bauaufsichtlichen Verfügung prüfen Sie in vier Schritten:
1. Zuständigkeit
451
Im ersten Schritt untersuchen Sie, ob die bauaufsichtliche Verfügung von der sachlich und örtlich zuständigen Behörde erlassen wurde. Insoweit kann auf die Ausführungen oben (Rn. 377 ff.), die hier entsprechend gelten, verwiesen werden.
452
Bei Gefahr im Verzug liegt die Zuständigkeit bei der allgemeinen Ordnungsbehörde (vgl. § 6 Abs. 1 S. 1 OBG) und u.U. bei der Polizeibehörde (vgl. § 1 Abs. 1 S. 3 PolG NRW).
Expertentipp
Denken Sie ggf. an § 44 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3 Nr. 1 VwVfG NRW und § 46 VwVfG NRW!
2. Verfahren
453
Die Bauaufsichtsbehörde muss die einschlägigen Verfahrensvorschriften beachtet haben. Dazu gehört insbesondere, dass die Behörde vor dem Erlass einer bauaufsichtlichen Verfügung, die einen belastenden Verwaltungsakt darstellt, grundsätzlich eine Anhörung nach § 28 VwVfG NRW durchführen muss.
Expertentipp
Denken Sie insoweit aber ggf. an § 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 VwVfG NRW und § 46 VwVfG NRW!
3. Form
454
Die bauaufsichtlichen Verfügungen bedürfen grundsätzlich der Schriftform (vgl. § 20 Abs. 1 OBG).
Expertentipp
Denken Sie in diesem Zusammenhang ggf. an § 44 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG NRW und § 46 VwVfG NRW!
4. Begründung
455
Da die bauaufsichtlichen Verfügungen schriftlich abgefasst werden (s.o. Rn. 454), müssen sie grundsätzlich begründet werden (vgl. § 39 VwVfG NRW).
Expertentipp
Denken Sie hier ggf. an § 45 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG NRW, Abs. 2 und § 46 VwVfG NRW!
III. Materielle Rechtmäßigkeit
456
1. Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage
a) Vorliegen eines baurechtswidrigen Zustandes
457
Im Rahmen der materiellen Rechtmäßigkeit einer bauaufsichtlichen Verfügung prüfen Sie im ersten Schritt, ob ein baurechtswidriger Zustand vorliegt. Ein baurechtswidriger Zustand liegt vor, wenn eine Anlage im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet, geändert oder beseitigt wird (vgl. § 81 Abs. 1 S. 1 BauO NRW 2018), eine Anlage im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften genutzt wird (vgl. § 82 Abs. 1 S. 2 BauO NRW) bzw. eine Anlage im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder geändert wird (vgl. § 82 Abs. 1 S. 1 BauO NRW 2018). Ein Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften führt also zu einem baurechtswidrigen Zustand. Dabei kann eine Anlage formell und/oder materiell baurechtswidrig sein:
aa) Formelle Baurechtswidrigkeiten
458
Eine formelle Baurechtswidrigkeit liegt insbesondere vor, wenn eine baugenehmigungspflichtige Anlage ohne die erforderliche Baugenehmigung errichtet worden ist oder ohne die erforderliche Baugenehmigung errichtet wird, weil entweder die Baugenehmigung von Anfang an fehlt oder nachträglich vor allem durch Aufhebung unwirksam geworden ist oder weil die Anlage von der erteilten Genehmigung erheblich abweicht (sog. „Schwarzbau“).Vgl. Schubert in: Erbguth/Mann/Schubert Besonderes Verwaltungsrecht Rn. 1333.
459
Formelle Baurechtswidrigkeit liegt in allen unseren Beispielen (oben Rn. 441) vor: in Beispiel 1, weil R ohne die erforderliche Baugenehmigung mit der Errichtung des Wohnhauses beginnt; in Beispiel 2, weil R entgegen der Baugenehmigung einen Teil des Wohngebäudes gewerblich nutzt; in Beispiel 3, weil R mit der Errichtung des sechsten Vollgeschosses erheblich von der Baugenehmigung, die nur fünf Vollgeschosse erlaubt, abweicht.
bb) Materielle Baurechtswidrigkeiten
460
Materielle Baurechtswidrigkeit liegt vor, wenn die Anlage nicht den Vorschriften des materiellen öffentlichen Rechts entspricht,Vgl. Schubert in: Erbguth/Mann/Schubert Besonderes Verwaltungsrecht Rn. 1333. d. h. gegen Vorschriften des Bauplanungsrechts, des Bauordnungsrechts oder des sonstigen öffentlichen Rechts, verstößt. Dies ist in unseren Beispielen 2 und 3 (oben Rn. 441) der Fall, weil R nach der Baugenehmigung das errichtete Haus nur als Wohngebäude nutzen darf.
Expertentipp
Der Sache nach prüfen Sie die materielle Baurechtswidrigkeit genauso wie die Genehmigungsfähigkeit einer baulichen Anlage (s. dazu oben Rn. 388 ff.).
b) Vorliegen der Voraussetzungen für die bauaufsichtliche Verfügung
461
Für die Wiederherstellung des baurechtmäßigen Zustandes stehen der Bauaufsichtsbehörde mit der Stilllegungsverfügung (§ 81 Abs. 1 BauO NRW 2018), der Nutzungsuntersagung (§ 82 Abs. 1 S. 2 BauO NRW) und der Abrissverfügung (§ 82 Abs. 1 S. 1 BauO NRW 2018), auf die wir uns konzentrieren (oben Rn. 449), verschiedene Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung. An den jeweiligen Voraussetzungen für diese Maßnahmen hat sich durch den Umstand, dass diese Maßnahmen nunmehr in §§ 81 Abs. 1 und 82 Abs. 1 BauO NRW spezielle Ermächtigungsgrundlagen erhalten haben (oben Rn. 449), nichts geändert.Vgl. Hellermann in: Dietlein/Hellermann Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen § 4 Rn. 290. Welche dieser Maßnahmen die Behörde im konkreten Einzelfall erlassen kann, hängt von der Art des Rechtsverstoßes, d. h. davon ab, ob die betreffende Anlage nur formell baurechtswidrig, nur materiell baurechtswidrig oder formell und materiell baurechtswidrig ist.Vgl. Schubert in: Erbguth/Mann/Schubert Besonderes Verwaltungsrecht Rn. 1332.
462
An dieser Stelle ziehen Sie daher Ihr Ergebnis zum Prüfungspunkt „Vorliegen eines baurechtswidrigen Zustandes“ (oben Rn. 457 ff.) heran und gehen der Frage nach, welche Maßnahme repressiver Bauüberwachung nach diesem Ergebnis in Betracht kommt. Im Überblick sieht das wie folgt aus:
Expertentipp
In Ihrer Fallbearbeitung prüfen Sie natürlich nur die behördliche(n) Maßnahme(n), die nach der Fallgestaltung in Betracht kommt/kommen.
aa) Stilllegungsverfügung
463
Die Bauaufsichtsbehörde kann eine Stilllegungsverfügung nach Maßgabe des § 81 Abs. 1 BauO NRW 2018 bereits bei einer nur formell baurechtswidrigen Anlage erlassen. Soweit eine Anlage formell baurechtswidrig ist, verstößt sie gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften und rechtfertigt insoweit grundsätzlich den Erlass einer Stilllegungsverfügung, weil sie jederzeit aufgehoben werden kann. Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn der Bauherr den Bauantrag gestellt hat, die Anlage aus der Sicht der Bauaufsichtsbehörde genehmigungsfähig ist und der Genehmigungserteilung auch im Übrigen keine Hindernisse entgegenstehen.Vgl. z.B. OVG NRW Beschluss vom 14.1.2019 – 10 A 1524/17 (juris); zum Ganzen Hellermann in: Dietlein/Hellermann Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen § 4 Rn. 291 m.N. So liegt der Fall in unserem Beispiel 1 (oben Rn. 441). Zwar hat R vor der Erteilung der Baugenehmigung mit der Realisierung seiner Anlage begonnen; aber er hat die Baugenehmigung beantragt, seine Anlage ist aus der Sicht der Behörde (wie die später erteilte Genehmigung belegt) genehmigungsfähig und der Genehmigung stehen auch im Übrigen keine Hindernisse entgegen. Der Erlass einer Stilllegungsverfügung wäre demnach unverhältnismäßig und damit ermessensfehlerhaft.
bb) Nutzungsuntersagung
464
Vorsicht
Umstritten ist, unter welchen Voraussetzungen der Erlass einer Nutzungsuntersagung nach Maßgabe des § 82 Abs. 1 S. 2 BauO NRW 2018 gerechtfertigt ist.Vgl. näher Stollmann/Beaucamp Öffentliches Baurecht § 19 Rn. 19 f. m.w.N.
Nach einer Ansicht setzt der Erlass einer Nutzungsuntersagung immer voraus, dass die Nutzung der Anlage formell und materiell baurechtswidrig ist. Zur Begründung führt diese Ansicht an, dass wegen des Gewichts und der wirtschaftlichen Bedeutung einer Nutzungsuntersagung keine Veranlassung bestehe, niedrigere Anforderungen als die formelle und materielle Baurechtswidrigkeit einer Nutzung zu verlangen. Dies gelte umso mehr, als auch die Gegenansicht immer einen Blick auf die materielle Rechtslage werfe, um zu verhindern, dass eine genehmigungsfähige Nutzung untersagt werde.Vgl. z.B. VGH Mannheim DÖV 1996, 750. Nach dieser Ansicht ist in unserem Beispiel 2 oben (Rn. 441) der Erlass einer Nutzungsverfügung gerechtfertigt, weil R die vierte und fünfte Etage seines Wohnhauses gewerblich und nicht – wie genehmigt – zu Wohnzwecken nutzt und die ausgeübte gewerbliche Nutzung in einem reinen Wohngebiet nicht genehmigungsfähig ist.
Überwiegend und vor allem in der Rechtsprechung wird demgegenüber vertreten, bereits die formell baurechtswidrige Nutzung einer baulichen Anlage rechtfertige grundsätzlich den Erlass einer Nutzungsuntersagung, weil die Nutzungsuntersagung – ähnlich wie die Stilllegungsverfügung – jederzeit wieder rückgängig gemacht werden könne. Der Erlass einer Nutzungsuntersagung soll trotz formell baurechtswidriger Nutzung einer baulichen Anlage ausnahmsweise jedoch dann nicht gerechtfertigt sein, wenn der Bauherr den Bauantrag gestellt hat, die Nutzung aus der Sicht der Bauaufsichtsbehörde genehmigungsfähig ist und der Genehmigungserteilung auch im Übrigen keine Hindernisse entgegenstehen (sog. passiver Bestandsschutz).Vgl. z.B. OVG NRW Beschluss vom 1.8.2019 – 10 B 813/19 (juris); zum Ganzen Hellermann in: Dietlein/Hellermann Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen § 4 Rn. 292 m. w. N. In unserem Beispiel 2 oben (Rn. 441) ist der Erlass einer Nutzungsuntersagung auch nach dieser Ansicht gerechtfertigt, weil die gewerbliche Nutzung der vierten und fünften Etage des Wohnhauses der genehmigten Nutzung zu Wohnzwecken widerspricht und die ausgeübte gewerbliche Nutzung in einem reinen Wohngebiet nicht genehmigungsfähig ist.
Die formell baurechtswidrige Nutzung einer baulichen Anlage rechtfertigt jedoch auch nach dieser Ansicht nichts stets den Erlass einer Nutzungsuntersagung. Es ist vielmehr anerkannt, dass der Erlass einer Nutzungsuntersagung trotz formell baurechtswidriger Nutzung einer baulichen Anlage im Einzelfall unverhältnismäßig sein kann. Dies ist z.B. der Fall, wenn die Nutzungsuntersagung gegenüber einem eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ausgesprochen wird und mit Blick auf das damit verbundene Insolvenzrisiko in ihren Auswirkungen nahezu einer Beseitigungsanordnung gleichkommen würde.Vgl. OVG NRW NWVBl. 2014, 466. Das OVG NRW hat insoweit ausgeführt, die Einzelfallumstände dürften trotz des typisierten Umgangs mit Nutzungsuntersagungen nicht aus dem Blick geraten. Je mehr sich eine Nutzungsuntersagung einem Substanzeingriff annähere oder mit anderweitigen schweren, irreversiblen Folgen für den Pflichtigen verbunden sein könnte, desto höher würden mit Blick auf Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG die Verhältnismäßigkeitsanforderungen.Vgl. OVG NRW NWVBl. 2014, 466.
Expertentipp
Den Meinungsstreit müssen Sie nur dann näher erörtern und entscheiden, wenn die verschiedenen Auffassungen zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Andernfalls genügt es, wenn Sie kurz erwähnen, dass es den Meinungsstreit gibt, dieser aber in Ihrer Fallkonstellation wegen übereinstimmender Ergebnisse nicht entschieden werden muss.
cc) Abrissverfügung
465
Von den drei typischen Handlungsmöglichkeiten repressiver Bauüberwachung stellt der Erlass einer Abrissverfügung i.S.d. § 82 Abs. 1 S. 1 BauO NRW 2018 den schwerwiegendsten Eingriff dar, denn der Abriss einer errichteten Anlage ist irreversibel. Dementsprechend hoch sind die Anforderungen an die Zulässigkeit einer solchen Abrissverfügung. Die Rechtsprechung legt die Tatbestandsvoraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes eng aus. Dies hat mittlerweile, nämlich seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung der Landesbauordnung 2018 vom 30.6.2021 am 2.7.2021 (Rn. 343), seinen Niederschlag in § 82 Abs. 1 S. 1 BauO NRW 2018 gefunden, nach dem die Beseitigung einer Anlage nur angeordnet werden kann, wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können.Vgl. Hellermann in: Dietlein/Hellermann Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen § 4 Rn. 294. Die Rechtsprechung unterscheidet drei Fallkonstellationen:Vgl. hierzu und zu den drei Fallkonstellationen Hellermann in: Dietlein/Hellermann Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen § 4 Rn. 294.
(1) Formell baurechtswidrige, aber materiell baurechtmäßige Anlage
466
Bei einer formell baurechtswidrigen, aber materiell baurechtmäßigen Anlage kommt der Erlass einer Abrissverfügung i.S.d. § 82 Abs. 1 S. 1 BauO NRW 2018 regelmäßigVgl. zu einer Ausnahme OVG NRW NWVBl. 2006, 136. nicht in Betracht, weil die Bauaufsichtsbehörde sofort die Wiedererrichtung der Anlage genehmigen müsste. Anstelle einer solchen Abrissverfügung kann die Behörde in dieser Fallkonstellation nur mildere Maßnahmen, nämlich eine Stilllegungsverfügung oder eine Nutzungsuntersagung, erlassen. So liegt der Fall auch in unserem Beispiel 1 oben (Rn. 441). Zwar hat R mit der Errichtung des Wohnhauses vor Erteilung der erforderlichen Baugenehmigung begonnen; da die Anlage aber genehmigungsfähig ist, kann die Behörde bis zur Erteilung der Genehmigung allenfalls eine Stilllegungsverfügung erlassen.
Expertentipp
Die Bauaufsichtsbehörde kann den Bauherrn jedoch nicht verpflichten, nachträglich einen Bauantrag zu stellen. Die Entscheidung über die Stellung eines Bauantrags liegt allein im Verantwortungsbereich des Bauherrn.
467
Im Übrigen kann eine nachträglich erteilte Baugenehmigung den angestrebten baurechtmäßigen Zustand wiederherstellen. Dies gilt auch dann, wenn die Baugenehmigung zuvor bereits bestandskräftig abgelehnt worden ist, weil der ablehnende Bescheid nur die bestandskraftfähige Regelung enthält, dass der Bauantrag abgelehnt wird, und die Gründe, die zur Ablehnung geführt haben, als Bestandteil der Begründung des Ablehnungsbescheids nicht in Bestandskraft erwachsen (s.o. Rn. 398).
(2) Formell baurechtmäßige, aber materiell baurechtswidrige Anlage
468
Wurde für eine formell baurechtmäßige, aber materiell baurechtswidrige Anlage eine Baugenehmigung erteilt, kommt der Erlass einer Abrissverfügung i.S.d. § 82 Abs. 1 S. 1 BauO NRW 2018 nicht in Betracht, weil die Baugenehmigung die rechtsverbindliche Feststellung enthält, dass die Anlage öffentlich-rechtlichen Vorschriften nicht widerspricht. Der Bauherr genießt insoweit Vertrauensschutz. Nach einer bestandskräftigen oder sofort vollziehbaren Rücknahme der Baugenehmigung auf der Grundlage des § 48 VwVfG NRW kann die Bauaufsichtsbehörde jedoch eine Abrissverfügung i.S.d. § 82 Abs. 1 S. 1 BauO NRW 2018 erlassen,Vgl. OVG NRW NVwZ 1988, 942. weil die errichtete Anlage dann auch formell baurechtswidrig ist.
Beispiel
Nehmen Sie an, R aus unseren Beispielen oben (Rn. 441) hätte eine Baugenehmigung zur Errichtung eines viergeschossigen Wohnhauses erhalten, obwohl bauplanungsrechtlich nur eine dreigeschossige Wohnbebauung zulässig ist. In diesem Falle würde die Baugenehmigung rechtsverbindlich feststellen, dass R das Wohnhaus mit vier Vollgeschossen errichten darf. Insoweit würde R Vertrauensschutz genießen. Um einen baurechtmäßigen Zustand wiederherzustellen, könnte die Bauaufsichtsbehörde die Baugenehmigung jedoch nach §§ 48 Abs. 1, Abs. 3 VwVfG NRW zurücknehmen. Sobald die Rücknahme bestandskräftig oder sofort vollziehbar ist, könnte die Behörde eine Teilabrissverfügung für das vierte Vollgeschoss erlassen.
(3) Formell und materiell baurechtswidrige Anlage
469
Bei einer formell und materiell baurechtswidrigen Anlage ist der Erlass einer Abrissverfügung i.S.d. § 82 Abs. 1 S. 1 BauO NRW 2018 grundsätzlichVgl. aber OVG NRW NWVBl. 2016, 248, zur (ausnahmsweisen) Rechtswidrigkeit einer Abrissverfügung. gerechtfertigt. Weder der Bestandsschutz noch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz steht hier dem Erlass einer solchen Abrissverfügung entgegen. – So könnte der Fall in unserem Beispiel 3 oben (Rn. 441) liegen. Hinsichtlich der Errichtung des sechsten Vollgeschosses ohne die erforderliche Baugenehmigung ist das Wohnhaus des R formell baurechtswidrig. Um eine Abrissverfügung i.S.d. § 82 Abs. 1 S. 1 BauO NRW 2018 erlassen zu können, müsste die Anlage des R auch materiell rechtswidrig sein. Insoweit bestehen Zweifel, weil R das zu Wohnzwecken genutzte Gebäude zunächst als Wohnhaus und erst später teilweise gewerblich genutzt hat. Jedenfalls entsprach die ursprüngliche Nutzung des Hauses den Vorgaben der Baugenehmigung und war somit rechtmäßig. Die entscheidende Frage ist demnach, ob es für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit auf den Zeitpunkt der Errichtung der Anlage oder auf einen späteren Zeitpunkt ankommt. Abgestellt wird auf den Zeitpunkt der Errichtung der Anlage.Vgl. Hellermann in: Dietlein/Hellermann Öffentliches Baurecht in Nordrhein-Westfalen, § 4 Rn. 294 m.N. Demnach wäre der Erlass einer Abrissverfügung i.S.d. § 82 Abs. 1 S. 1 BauO NRW 2018 rechtswidrig.
Expertentipp
Bedenken Sie also: Eine Abrissverfügung i.S.d. § 82 Abs. 1 S. 1 BauO NRW 2018 ist nur zulässig, wenn die Anlage seit ihrer Errichtung formell und materiell baurechtswidrig ist. War die Anlage zu irgendeinem Zeitpunkt materiell baurechtmäßig, wird eine solche Abrissverfügung für unzulässig gehalten.
2. Ermessen
470
Ob die Maßnahme der Bauaufsichtsbehörde ermessensfehlerfrei ergangen ist, prüfen Sie in drei Schritten:
a) Ermessensentscheidung
471
Im ersten Schritt halten Sie fest, dass die Entscheidung über den Erlass bauaufsichtlicher Verfügungen im Ermessen der Bauaufsichtsbehörde steht (vgl. Wortlaut „nach pflichtgemäßem Ermessen“). § 58 Abs. 2 S. 2 BauO NRW 2018 räumt der Behörde dabei sowohl Entschließungsermessen („ob“) als auch Auswahlermessen („wie“) ein. Das Ermessen hat die Behörde nach Maßgabe des § 40 VwVfG NRW auszuüben; sie hat dabei alle widerstreitenden öffentlichen und privaten Interessen zu berücksichtigen und gegeneinander abzuwägen.
Expertentipp
Wenn Sie in der Fallbearbeitung aufgefordert sind, stellvertretend für die Behörde zu untersuchen, ob der Erlass einer bauaufsichtlichen Verfügung in Betracht kommt, müssen Sie hier zunächst alle möglichen öffentlichen Interessen, alle Interessen des Bauherrn und die von Nachbarn zusammentragen und sodann gegeneinander abwägen. In diesem Falle wäre § 40 VwVfG NRW der Maßstab für Ihr Vorgehen. Dabei dürften Sie vor allem auch Zweckmäßigkeitserwägungen anstellen.
Sollen Sie aus der Perspektive eines Verwaltungsgerichts die Rechtmäßigkeit des Erlasses einer bauaufsichtlichen Verfügung prüfen, müssen Sie den Maßstab des § 114 VwGO anlegen und sich auf die Überprüfung beschränken, ob die Behörde bei ihrer Entscheidung die Ermessensgrenzen eingehalten hat und ob kein Ermessensfehlgebrauch vorliegt (s. dazu näher das Skript „Verwaltungsprozessrecht“).Vgl. z.B. OVG NRW BauR 2016, 805; NWVBl. 2016, 448 in Bezug auf eine Abrissverfügung.
b) Grenzen des Ermessens
472
Die Bauaufsichtsbehörde kann ihr Ermessen nicht grenzenlos ausüben. Vielmehr unterliegt sie rechtsstaatlich bedingten Grenzen, zu denen insbesondere der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und der Gleichheitssatz gehören. Umstritten ist, ob eine Verwirkung oder eine Duldung durch die Bauaufsichtsbehörde deren Ermessen begrenzen kann. Im Einzelnen gilt folgendes:
aa) Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
473
Das Ermessen der Bauaufsichtsbehörde kann durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz begrenzt sein. Dieser spielt vor allem beim Erlass einer Abrissverfügung i.S.d. § 82 Abs. 1 S. 1 BauO NRW 2018 eine große Bedeutung. Wegen der weitreichenden erheblichen Folgen einer solchen Abrissverfügung muss die Bauaufsichtsbehörde den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in diesem Falle besonders beachten.Vgl. auch EGMR NVwZ 2017, 1755.
Expertentipp
Die Verhältnismäßigkeit einer bauaufsichtlichen Maßnahme prüfen Sie wie üblich: Die Maßnahme muss einem verfassungsrechtlich legitimen Zweck, nämlich der Wiederherstellung eines baurechtmäßigen Zustandes, dienen, zur Erreichung dieses Zwecks geeignet, erforderlich und angemessen sein. S. allgemein näher das Skript „Allgemeines Verwaltungsrecht“.
474
Unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes darf die Behörde eine Abrissverfügung i.S.d. § 82 Abs. 1 S. 1 BauO NRW 2018 z.B. nicht erlassen, wenn die Behörde den baurechtmäßigen Zustand mit einer milderen Maßnahme (etwa einer Nutzungsuntersagung oder der Bewilligung einer Ausnahme oder Befreiung nach § 31 BauGB) wiederherstellen kann. Dazu gehört auch der Fall, dass der baurechtmäßige Zustand durch den Erlass einer Teilabrissverfügung anstelle einer Totalabrissverfügung wiederhergestellt werden kann (vgl. unser Beispiel 3 oben Rn. 441). Unerheblich sind demgegenüber grundsätzlich die wirtschaftlichen Interessen des Bauherrn. Etwas anderes kann jedoch dann gelten, wenn das Vorhaben nur geringfügig gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften verstößt, der Erlass einer Abrissverfügung i.S.d. § 82 Abs. 1 S. 1 BauO NRW 2018 aber erheblichen wirtschaftlichen Schaden nach sich ziehen würde.Vgl. OVG Nds BRS 40 Nr. 226 (hier ging es um die Überschreitung einer notwendigen Abstandsfläche um drei bis sechs Zentimeter).
bb) Gleichheitssatz
475
Eine weitere Grenze des behördlichen Ermessens kann sich ausnahmsweise aus dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG ergeben (s. dazu allgemein näher das Skript „Grundrechte“ Rn. 695 ff.). In Betracht kommt dies vor allem im Falle der sog. „Selbstbindung der Verwaltung“. Erlässt die Behörde gegenüber einem Grundstückseigentümer eine Abrissverfügung i.S.d. § 82 Abs. 1 S. 1 BauO NRW 2018, obwohl sie gleichzeitig andere, vergleichbare Anlagen duldet, kann sich die Behörde nicht ohne Weiteres darauf berufen, es gebe keine „Gleichheit im Unrecht“, sondern muss einen sachlichen Grund für die Ungleichbehandlung vorweisen können. Als solcher kommt z.B. in Betracht, dass die Behörde gegen vergleichbare Anlagen systematisch und nacheinander vorgehtVgl. OVG Bremen BRS 54 Nr. 209. oder dass die Behörde vor dem Erlass weiterer Abrissverfügungen i.S.d. § 82 Abs. 1 S. 1 BauO NRW 2018 zunächst das Ergebnis eines Musterprozesses abwartet.Vgl. VGH Hessen NJW 1984, 318. Der Erlass einer solchen Abrissverfügung ist dagegen z.B. ermessensfehlerhaft, wenn feststeht, dass es in einem abgrenzbaren Gebiet eine größere Anzahl vergleichbar rechtswidrig errichteter baulicher Anlagen gibt.Vgl. VGH BW NVwZ-RR 1997, 465; OVG NRW NVwZ-RR 2011, 351.
cc) Behördliche Duldung oder Verwirkung
476
Expertentipp
Wiederholen Sie die Rechtsfiguren der behördlichen Duldung und der Verwirkung im Skript „Allgemeines Verwaltungsrecht“ bzw. „Verwaltungsprozessrecht“!
Nehmen Sie an, dass die Bauaufsichtsbehörde in unserem Beispiel 3 oben (Rn. 441) erst nach sieben Jahren gegen R vorgehen will. Hier stellt sich die Frage, ob der Erlass einer Teilabrissverfügung nicht deshalb ausgeschlossen ist, weil die Behörde den baurechtswidrigen Zustand geduldet hat bzw. weil die Behörde ihr Recht auf den Erlass einer Teilabrissverfügung verwirkt hat.
477
Die Frage, ob der Erlass einer bauaufsichtlichen Verfügung infolge Duldung oder Verwirkung durch die Bauaufsichtsbehörde ausgeschlossen sein kann, ist grundsätzlich umstritten.Vgl. hierzu Hellermann in: Dietlein/Hellermann Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen § 4 Rn. 298.
Hinsichtlich der behördlichen Duldung unterscheidet jedenfalls das OVG NRW im Bauordnungsrecht zwischen einer sog. faktischen und aktiven Duldung. Unter einer faktischen Duldung versteht das OVG NRW, dass die Behörde einen illegalen Zustand über einen längeren Zeitraum hinnimmt. Die faktische Duldung vermöge grundsätzlich keinen Vertrauenstatbestand des Ordnungspflichtigen zu begründen, der illegale Zustand werde auch künftig hingenommen werden. Bei einer faktischen Duldung sei ein späteres bauaufsichtliches Einschreiten daher zulässig. Bei einer aktiven Duldung könne sich hingegen ein – einem bauaufsichtlichen Einschreiten entgegenstehender – Vertrauenstatbestand ergeben. Angesichts des Ausnahmecharakters und der weit reichenden Folgen einer solchen aktiven Duldung, bei der die Behörde an der Beseitigung rechtswidriger Zustände gehindert sei, müsse den entsprechenden Erklärungen der Behörde mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen sein, ob, in welchem Umfang und gegebenenfalls über welchen Zeitraum die Duldung des illegalen Zustands erfolgen soll.Vgl. z.B. OVG NRW NVwZ-RR 2016, 851.
Gegen die Möglichkeit einer Verwirkung wird u. a. das grundsätzliche Bedenken vorgebracht, bei der Eingriffsbefugnis der Bauaufsichtsbehörde handele es sich nicht um verzichtbares subjektives Recht, sondern um ein im öffentlichen Interesse bestehendes Recht, so dass die Bauaufsichtsbehörde ihr Recht, eine bauaufsichtliche Maßnahme zu erlassen, nicht verwirken könne.Vgl. VGH Bayern BRS 22 Nr. 210.
c) Richtiger Adressat
478
Im Rahmen ihres Auswahlermessens muss die Bauaufsichtsbehörde außerdem den richtigen Adressaten („gegen wen“) für ihre bauaufsichtliche Verfügung auswählen. Insoweit sind in einem ersten Schritt zunächst die speziellen Regelungen für den Bauherrn und die anderen am Bau Beteiligten in §§ 52 ff. BauO NRW 2018 zu beachten. Nach dem in § 52 BauO NRW 2018 normierten Grundsatz sind bei der Errichtung, der Änderung, der Nutzungsänderung und der Beseitigung von Anlagen der Bauherr und im Rahmen ihres Wirkungskreises die anderen am Bau Beteiligten für die Einhaltung der öffentlich-rechtlichen Vorschriften verantwortlich. In ihrem sachlichen, persönlichen und zeitlichen Anwendungsbereich verdrängen die speziellen Regelungen in §§ 52 ff. BauO NRW 2018 die allgemeinen Grundsätze der gefahrenabwehrrechtlichen Verantwortlichkeit.Vgl. Gohde in BeckOK BauO NRW § 52 Rn. 4. Die Verantwortlichkeit des in §§ 53–56 BauO NRW 2018 erfassten Personenkreises knüpft allein an die Funktion des am Bau Beteiligten an und ist damit unabhängig von einem konkreten Verhalten dieser Personen.Vgl. VGH Hessen BRS 39 Nr. 98.
479
Andere als die in §§ 52 ff. BauO NRW 2018 genannte Personen können nach den allgemeinen Grundsätzen der gefahrenabwehrrechtlichen Verantwortlichkeit in Anspruch genommen werden (s. zu den allgemeinen Grundsätzen der polizei- und ordnungsrechtlichen Verantwortlichkeit das Skript „Polizei- und Ordnungsrecht“ Rn. 276 ff.).Vgl. Hellhammer-Hawig in: Schönenbroicher/Kamp BauO NRW § 56 Rn. 5. Als Störer kommen insoweit der Handlungsstörer (§ 17 OBG) und der Zustandsstörer (§ 18 OBG) in Betracht. Als Anscheinsstörer muss sich im Einzelfall derjenige als Ordnungspflichtiger behandeln lassen, der nach außen hin als Bauherr auftritt und sich aus der Sicht der Bauaufsichtsbehörde auch so benimmt.Vgl. OVG NRW BauR 2014, 2074.
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Bei mehreren Störern muss die Behörde nach den allgemeinen Grundsätzen eine Auswahl treffen. Regelmäßig ist der Bauherr als Störer heranzuziehen; wenn dieser unbekannt ist, kann der Eigentümer – sofern dieser mit dem Bauherrn nicht identisch ist – in Anspruch genommen werden.Vgl. Hellermann in: Dietlein/Hellermann Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen § 4 Rn. 288; auch OVG Bremen NVwZ-RR 2021, 393. Der Eigentümer ist grundsätzlich der richtige Adressat bei einer Abrissverfügung. Bei Miteigentümern ist eine Abrissverfügung, die nur gegenüber einem Miteigentümer ergeht, nur vollstreckbar, wenn die Behörde gegenüber den anderen Eigentümern eine Duldungsverfügung erlässt.Vgl. in diesem Kontext OVG NRW NWVBl. 2014, 343 und 345. Sofern die abzureißende bauliche Anlage vermietet ist, muss die Bauaufsichtsbehörde gegenüber dem Mieter eine Duldungsverfügung erlassen.Vgl. zum Ganzen Hellermann in: Dietlein/Hellermann Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen § 4 Rn. 299.
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Eine Nutzungsuntersagung bei einer vermieteten baulichen Anlage muss die Bauaufsichtsbehörde an den jeweiligen Mieter richten, weil er als Handlungsstörer für die rechtswidrige Nutzung verantwortlich ist.Vgl. OVG NRW NWVBl. 1993, 232.; OVG Nds. NVwZ 2019, 334. Insoweit kommt aber auch Vermietverbot, das die Behörde gegenüber dem Eigentümer ausspricht, in Betracht.Vgl. OVG NRW BRS 59 Nr. 220.
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Als sachbezogene VerwaltungsakteVgl. VGH Hessen NVwZ-RR 2015, 270; OVG NRW NVwZ 1987, 427. gelten bauaufsichtliche Verfügungen auch für den Rechtsnachfolger (vgl. § 58 Abs. 3 BauO NRW 2018). Dementsprechend sind diese Verfügungen sowohl für einen Einzelrechtsnachfolger als auch für einen Gesamtrechtsnachfolger rechtsverbindlich.Vgl. Hellermann in: Dietlein/Hellermann Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen § 4 Rn. 289.