Inhaltsverzeichnis
- C. Rechtmäßigkeit eines Bebauungsplans
- I. Ermächtigungsgrundlage
- II. Formelle Rechtmäßigkeit des Bebauungsplans
- 1. Zuständigkeit der Gemeinde
- a) Verbandskompetenz
- b) Organkompetenz
- 2. Verfahren
- a) Aufstellungsbeschluss
- b) Umweltprüfung
- c) Frühzeitige Beteiligung der Öffentlichkeit und der Behörden
- d) Erarbeitung eines Planentwurfs
- e) Förmliche Beteiligung der Öffentlichkeit und der Behörden
- f) Ermittlung und Bewertung abwägungsrelevanter Belange
- g) Gemeindebeschluss über den Bebauungsplan
- h) (Ausnahmsweise) Genehmigung des Bebauungsplans
- i) Ausfertigung und ortsübliche Bekanntmachung des Bebauungsplans
- III. Materielle Rechtmäßigkeit des Bebauungsplans
- 1. Planrechtfertigung
- 2. Planungsermessen
- a) Anpassungspflicht an die Ziele der Raumordnung
- b) Vorgaben für Planinhalte
- c) Entwicklungsgebot
- 3. Ordnungsgemäße Abwägung aller Belange
C. Rechtmäßigkeit eines Bebauungsplans
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In der Fallbearbeitung können Sie aufgefordert sein, die Rechtmäßigkeit eines gemäß § 10 Abs. 1 BauGB als Satzung erlassenen oder zu erlassenden Bebauungsplans zu überprüfen.Soweit ersichtlich, ist die Frage der Rechtmäßigkeit eines Flächennutzungsplans dagegen wenig prüfungsrelevant. Da sich die Prüfung der Rechtmäßigkeit eines Flächennutzungsplans grundsätzlich mit der Prüfung der Rechtmäßigkeit eines Bebauungsplans deckt, gelten die nachfolgenden Ausführungen im Text grundsätzlich entsprechend für den Flächennutzungsplan. Erfahrungsgemäß ist dabei allein die Frage, ob ein Bebauungsplan rechtmäßig aufgestellt wurde, prüfungsrelevant. Nicht prüfungsrelevant sind damit Fragen der Rechtmäßigkeit einer Änderung, einer Ergänzung oder einer Aufhebung eines Bebauungsplans, die jedoch jeweils denselben Rechtsmäßigkeitsvoraussetzungen unterliegen wie die Aufstellung eines Bebauungsplans (vgl. auch § 1 Abs. 8 BauGB).
Expertentipp
Sollten Sie daher unerwartet doch die Rechtmäßigkeit einer Änderung, einer Aufhebung etc. eines Bebauungsplans zu prüfen haben, können Sie sich am Prüfungsschema für die Rechtmäßigkeit der Aufstellung eines Bebauungsplans orientieren.
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Die Prüfung, ob ein Bebauungsplan rechtmäßig aufgestellt wird bzw. wurde, kann prozessual in eine Normenkontrolle nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO eingebettet sein (s. unten Rn. 185 ff.) oder als inzidente Prüfung z.B. im Kontext der Frage, ob ein Anspruch auf die Erteilung einer Baugenehmigung besteht (s. unten Rn. 392), gefordert sein. Die Rechtmäßigkeit eines Bebauungsplans prüfen Sie dann wie folgt:
Prüfungsschema
Wie prüft man: Rechtmäßigkeit eines Bebauungsplans
I. | Ermächtigungsgrundlage |
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II. | Formelle Rechtmäßigkeit des Bebauungsplans |
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| 1. | Zuständigkeit der Gemeinde |
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| a) | Verbandskompetenz |
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| b) | Organkompetenz |
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| 2. | Verfahren |
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| a) | Aufstellungsbeschluss |
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| b) | Umweltprüfung |
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| c) | Frühzeitige Beteiligung der Öffentlichkeit und der Behörden |
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| Sonstige Träger öffentlicher Belange | Rn. 64 f. |
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| d) | Erarbeitung eines Planentwurfs |
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| e) | Förmliche Beteiligung der Öffentlichkeit und der Behörden |
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| Berechnung der Auslegungsfrist | Rn. 71 |
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| Anforderungen an die Wahrung der Monatsfrist | Rn. 72 |
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| f) | Ermittlung und Bewertung abwägungsrelevanter Belange |
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| Seit EAG Bau 2004 verfahrensbezogene Pflichten | Rn. 83 |
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| g) | Gemeindebeschluss über den Bebauungsplan |
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| h) | (Ausnahmsweise) Genehmigung des Bebauungsplans |
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| i) | Ausfertigung und ortsübliche Bekanntmachung des Bebauungsplans |
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III. | Materielle Rechtmäßigkeit des Bebauungsplans |
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| 1. | Planrechtfertigung |
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| 2. | Planungsermessen |
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| a) | Anpassungspflicht an die Ziele der Raumordnung |
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| b) | Vorgaben für Planinhalte |
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| c) | Entwicklungsgebot |
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| 3. | Ordnungsgemäße Abwägung aller Belange |
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| Seit EAG Bau 2004 verbliebene materiell-rechtliche Pflichten | Rn. 111 |
Expertentipp
Denken Sie stets daran: Prüfungsschemata sollen Ihnen lediglich eine Orientierungshilfe für Ihre Prüfung geben. Keinesfalls dürfen Prüfungsschemata starr angewendet werden. Wenden Sie ein Prüfungsschema daher immer auf Ihren Fall bezogen an. Das bedeutet vor allem: Problematisieren Sie nur solche Punkte, die tatsächlich erörterungsbedürftig sind. Unproblematische Punkte können Sie kurz – dann auch durchaus im Urteilsstil – abhandeln. Durch diese Vorgehensweise sparen Sie nicht nur Zeit und Energie für die wirklichen Probleme des Falles, sondern stellen vor allem auch Ihre Fähigkeit zur Schwerpunktsetzung in der Fallbearbeitung unter Beweis.
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Bevor Sie die eigentliche Prüfung beginnen, sollten Sie einen möglichst präzise gefassten Obersatz formulieren (s. Beispiele unten Rn. 214 im Zusammenhang mit einem Normenkontrollantrag). Hiermit legen Sie sich selbst den Grundstein für eine erfolgreiche Fallbearbeitung.
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Die eigentliche Prüfung der Rechtmäßigkeit des Bebauungsplans erfolgt in drei Schritten:
I. Ermächtigungsgrundlage
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Nach dem rechtsstaatlichen Vorbehalt des Gesetzes darf die öffentliche Gewalt im grundrechtsrelevanten Bereich nicht ohne gesetzliche Grundlage handeln. So liegt der Fall auch hier. Wie oben (Rn. 34) erwähnt, stellen die Festsetzungen in einem Bebauungsplan Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Eigentums i.S.d. Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG dar. Demgemäß bedarf es einer (formell-)gesetzlichen Grundlage für die Aufstellung eines Bebauungsplans. Einschlägige Ermächtigungsgrundlage für die Aufstellung eines Bebauungsplans sind § 1 Abs. 3 S. 1, § 2 Abs. 1 S. 1 BauGB. Diese Vorschriften konkretisieren – wie z.B. auch § 10 Abs. 1 BauGB – die Planungshoheit der Gemeinde (s.o. Rn. 16).
II. Formelle Rechtmäßigkeit des Bebauungsplans
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Die formelle Rechtmäßigkeit des Bebauungsplans prüfen Sie in zwei Schritten:
Expertentipp
Erkennen Sie das Grundmuster der Prüfung? Die formelle Rechtmäßigkeit des Bebauungsplans prüfen Sie im Ansatz wie die formelle Rechtmäßigkeit jedes anderen Gesetzes. Dies überrascht nicht, handelt es sich beim Bebauungsplan doch um ein materielles Gesetz (s.o. Rn. 38)!
Für die Prüfung im Einzelnen gilt das oben (Rn. 40) zu Prüfungsschemata Gesagte hier im besonderen Maße: Vor allem die einzelnen Verfahrensvoraussetzungen sollten Sie zwar im Hinterkopf haben und in der Fallbearbeitung bei der Erstellung Ihrer Lösungsskizze anprüfen. Gehen Sie auf diese Voraussetzungen in Ihrer Falllösung aber nur dann näher ein, soweit die eine oder andere Voraussetzung nach den Angaben im Sachverhalt tatsächlich problematisch ist.
1. Zuständigkeit der Gemeinde
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Expertentipp
Nutzen Sie ggf. die Gelegenheit zu einer kurzen Wiederholung der Begriffe Verbands- und Organkompetenz im Skript „Kommunalrecht NRW“!
Bei der Prüfung der Zuständigkeit der Gemeinde, die einen Bebauungsplan aufstellen will oder aufgestellt hat, sind zwei Formen der Zuständigkeit zu unterscheiden, die Sie bereits aus dem Kommunalrecht kennen: zum einen die Verbandskompetenz und zum anderen die Organkompetenz.
a) Verbandskompetenz
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Die Verbandskompetenz betrifft die Frage, welcher Verband aus der Gesamtheit der öffentlichen Gewalt für die Aufstellung des Bebauungsplans zuständig ist. Gemäß § 2 Abs. 1 S. 1 BauGB sind dies die Gemeinden als Träger der Planungshoheit in ihrem Gemeindegebiet.
Beispiel
In der Gemeinde A gilt für ihr Gemeindegebiet ein Bebauungsplan, in dem ein reines Wohngebiet von zwei Gewerbegebieten umgeben ist. Zum Ausgleich möchte die Gemeinde A nun eine Fläche, die unmittelbar an das reine Wohngebiet angrenzt, aber bereits der Gemeinde B gehört, als Fläche für Wald (§ 9 Abs. 1 Nr. 18b BauGB) festsetzen und fasst einen entsprechenden Ergänzungsbeschluss für ihren Bebauungsplan. – Da diese Fläche der Gemeinde B gehört, besitzt die Gemeinde B (nicht die Gemeinde A) die Planungshoheit über diese Fläche und hat demnach die Verbandskompetenz.
Hinweis
Wenig prüfungsrelevante Ausnahmen von der Verbandszuständigkeit der Gemeinde sind in §§ 203 ff. BauGB enthalten.
b) Organkompetenz
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Von der Verbandskompetenz ist die Organkompetenz zu unterscheiden. Bei der Organkompetenz prüfen Sie, welches Organ der Gemeinde zur Aufstellung eines Bebauungsplans berufen ist. Die Antwort auf diese Frage finden Sie in § 41 Abs. 1 S. 2 lit. f GO NRW und ergänzend ggf. in der Hauptsatzung der Gemeinde.Vgl. Hellermann in: Dietlein/Hellermann Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen § 4 Rn. 40. Danach ist der Rat der Gemeinde für die Aufstellung eines Bebauungsplans zuständig.
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Sofern – wie in unserem Beispiel oben (Rn. 46) – die Gemeinde ihre Zuständigkeit nicht eingehalten hat, erweist sich der Bebauungsplan bereits aus diesem Grunde als rechtswidrig und, weil es sich beim Bebauungsplan seiner Rechtsnatur nach um eine Satzung und damit um ein materielles Gesetz handelt (s.o. Rn. 38), zugleich als nichtig.
Expertentipp
Beachten Sie, dass die Verletzung von Zuständigkeitsvorschriften bei der Aufstellung eines als Satzung erlassenen Bebauungsplans nicht geheilt werden kann. § 7 Abs. 6 GO NRW gilt nach seinem Wortlaut nur für die Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften. § 214 BauGB greift ebenfalls nicht, weil er allein Verstöße gegen Bestimmungen des BauGB, nicht aber solche gegen kommunalrechtliche Vorschriften erfasst.
2. Verfahren
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Das Verfahren zur Aufstellung eines Bebauungsplans kann in bis zu acht Schritten erfolgen:
Expertentipp
Lesen Sie die im Folgenden jeweils genannten Vorschriften zum besseren Verständnis der Materie unbedingt parallel zum Text aufmerksam durch!
a) Aufstellungsbeschluss
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Das Verfahren zur Aufstellung eines Bebauungsplans beginnt gemäß § 2 Abs. 1 S. 1 BauGB mit einem Aufstellungsbeschluss. Mit dem Aufstellungsbeschluss soll die förmliche Eröffnung des Planungsverfahrens dokumentiert werden.Vgl. Hellermann in: Dietlein/Hellermann Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen § 4 Rn. 42.
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Der Aufstellungsbeschluss ist gemäß § 2 Abs. 1 S. 2 BauGB ortsüblich nach Maßgabe der Bestimmungen der GO NRW und ggf. der gemeindlichen HauptsatzungVgl. BVerwGE 19, 164. bekannt zu machen. Regelmäßig erfolgt die Bekanntmachung im Amtsblatt der Gemeinde (vgl. § 7 Abs. 5 GO NRW i.V.m. § 1 Abs. 2, § 4 Abs. 1 Nr. 1 BekanntmVOBekanntmachungsverordnung.). Mit dem ortsüblich bekannt gemachten Aufstellungsbeschluss wird das Aufstellungsverfahren förmlich eröffnet.
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Besondere inhaltliche Anforderungen werden an den Aufstellungsbeschluss nicht gestellt. Es genügt, wenn der Beschluss gefasst wird, dass ein Bebauungsplan aufgestellt werden soll.
Beispiel
Der Rat der Gemeinde O beschließt, für eine bisher landwirtschaftlich genutzte Fläche im Gemeindegebiet einen Bebauungsplan aufzustellen. Wie die Fläche zukünftig genutzt werden soll, lässt der Rat bei seinem Beschluss offen. – Der rechtsstaatliche Bestimmtheitsgrundsatz verlangt nicht, dass der Aufstellungsbeschluss bereits inhaltliche Aussagen zu der beabsichtigten Planung enthält.Vgl. allgemein BVerwGE 51, 121. Demgemäß konnte der Rat der Gemeinde O die Frage der konkreten Nutzung der Fläche ohne Weiteres offen lassen. Der rechtsstaatliche Bestimmtheitsgrundsatz verlangt jedoch, dass ein Planbereich benannt wird.Vgl. Schubert in: Erbguth/Mann/Schubert Besonderes Verwaltungsrecht Rn. 895. Ein solches Gebiet hat der Rat der Gemeinde O benannt und damit seine rechtsstaatlichen Pflichten erfüllt.
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Der Aufstellungsbeschluss stellt keine Zulässigkeitsvoraussetzung für das Planverfahren dar.Vgl. BVerwGE 79, 200; auch Schubert in: Erbguth/Mann/Schubert Besonderes Verwaltungsrecht Rn. 895 mit Fn. 30 (str.).
Beispiel
Die Gemeinde T führt ein Aufstellungsverfahren für einen Bebauungsplan durch, ohne zuvor einen Aufstellungsbeschluss gefasst zu haben.
Zur Begründung wird auf den Wortlaut des § 2 Abs. 1 S. 2 BauGB verwiesen, nach dem nur eine Pflicht zur Bekanntmachung, nicht jedoch eine Pflicht zum Erlass eines Aufstellungsbeschlusses bestehe.
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Etwas anderes gilt jedoch für Maßnahmen zur Sicherung der Bauleitplanung i.S. etwa der §§ 14 Abs. 1, 33 Abs. 1 BauGB. Diese setzen den Erlass eines rechtmäßigen Aufstellungsbeschlusses voraus.Vgl. nur Schubert in: Erbguth/Mann/Schubert Besonderes Verwaltungsrecht Rn. 895.
Beispiel
Will die Gemeinde H eine Veränderungssperre erlassen, muss sie zuvor beschließen, einen Bebauungsplan für das betreffende Gebiet in ihrer Gemeinde auszustellen. Ohne diesen Aufstellungsbeschluss ist der Erlass einer Veränderungssperre rechtswidrig.
b) Umweltprüfung
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Sofern die Gemeinde den Bebauungsplan im normalen Verfahren gemäß §§ 2 ff. BauGB aufstellen will, muss sie im Anschluss an den Aufstellungsbeschluss eine Umweltprüfung durchführen. Diese Umweltprüfung erfolgt mit Rücksicht auf die in § 1 Abs. 6 Nr. 7, § 1a BauGB normierten Umweltbelange.
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Bei der Umweltprüfung sind die voraussichtlichen erheblichen Umweltauswirkungen zu ermitteln und in einem Umweltbericht zu beschreiben und zu bewerten (vgl. § 2 Abs. 4 S. 1 Hs. 1 BauGB). Dieser Umweltbericht bildet einen gesonderten Teil der Begründung zum Bebauungsplan (vgl. § 2a S. 3 BauGB). Einzelheiten zur Umweltprüfung sind in § 2 Abs. 4 S. 1 Hs. 2 und S. 2 bis 6 BauGB geregelt. Danach muss die Gemeinde gemäß § 2 Abs. 4 S. 2 BauGB insbesondere ein sog. Scoping durchführen, indem sie für jeden Bebauungsplan festlegt, in welchem Umfang und Detaillierungsgrad es erforderlich ist, die Belange für die Abwägung zu ermitteln. Unterlaufen ihr dabei Fehler, verletzt die Gemeinde nicht nur § 2 Abs. 4 S. 2 BauGB, sondern auch § 2 Abs. 3 BauGB.
Beispiel
Beim Scoping verkennt die Gemeinde T, dass für die beabsichtigte Planung eine umfangreiche Ermittlung der umweltbezogenen Auswirkungen auf den Menschen und seine Gesundheit sowie auf die Bevölkerung insgesamt notwendig ist (vgl. § 1 Abs. 6 Nr. 7c BauGB). – Indem die Gemeinde T die Erforderlichkeit, in welchem Umfang und Detaillierungsgrad dieser Belang des Umweltschutzes zu ermitteln ist, nicht zutreffend festgelegt hat, verstößt sie gegen § 2 Abs. 4 S. 2 und Abs. 3 BauGB.
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Entscheidet sich die Gemeinde demgegenüber dafür, den Bebauungsplan im sog. vereinfachten Verfahren oder im sog. beschleunigten Verfahren aufzustellen, entfällt die Umweltprüfung (vgl. § 13 Abs. 3 S. 1 BauGB bzw. § 13a Abs. 2 Nr. 1 BauGB).
Hinweis
Entscheidet sich die Gemeinde zu Unrecht für das vereinfachte Verfahren zur Aufstellung eines Bebauungsplans, liegt ein beachtlicher Abwägungsmangel vor, sofern von einer Umweltprüfung abgesehen wird.Vgl. OVG NRW BauR 2015, 1612.
c) Frühzeitige Beteiligung der Öffentlichkeit und der Behörden
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Sobald die Gemeinde ein erstes erörterungsfähiges Planungskonzept ausgearbeitet hat, muss sie gemäß § 3 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 BauGB grundsätzlichAusnahme: § 3 Abs. 1 S. 3 BauGB. eine sog. frühzeitige Beteiligung der Öffentlichkeit durchführen, die in Form einer Bürgeranhörung stattfindet (vgl. § 3 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 BauGB). Gemäß § 3 Abs. 1 S. 2 BauGB sind Kinder und Jugendliche ausdrücklich Teil der Öffentlichkeit im Sinne des § 3 Abs. 1 S. 1 BauGB.
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Dabei muss die Gemeinde die Bürger über die Ziele und die Zwecke der Planung sowie die voraussichtlichen Auswirkungen der Planung öffentlich unterrichten. Die frühzeitige Beteiligung der Öffentlichkeit dient mehreren Zwecken:Vgl. dazu BVerwG NVwZ 1988, 822. In erster Linie dient sie der vollständigen Ermittlung und der zutreffenden Bewertung der von der Planung berührten Belange und der Information der Öffentlichkeit (vgl. § 4a Abs. 1 BauGB). Durch die Öffentlichkeitsbeteiligung beschafft und vervollständigt die Gemeinde das notwendige Abwägungsmaterial. Bei dieser Gelegenheit erhält die Gemeinde nähere Informationen über die Wünsche und auch die Befürchtungen der betroffenen Bürger. Die Beteiligung der Öffentlichkeit soll außerdem die Bürger in den Prozess der Vorbereitung politischer (Planungs-)Entscheidungen aktiv einbeziehen und dient insoweit einem demokratischen Zweck.
Hinweis
Wichtig ist auch die Rechtsschutzfunktion, die mit der frühzeitigen Beteiligung der Öffentlichkeit verbunden ist. Bei der Aufstellung von Bebauungsplänen unterliegt der Satzungsgeber grundrechtlichen Schutzpflichten (s. allgemein zu den grundrechtlichen Schutzpflichten Skript „Grundrechte“ Rn. 39 ff.).Vgl. in diesem Zusammenhang auch BVerfGE 53, 30 – Mülheim-Kärlich.
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Gemäß § 4 Abs. 1 S. 1 BauGB muss die Gemeinde neben der Öffentlichkeit – u.U. zeitgleich (vgl. § 4a Abs. 2 BauGB) – die Behörden und die sonstigen Träger öffentlicher Belange, deren Aufgabenbereich durch die Planung betroffen werden können, entsprechend § 3 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 BauGB frühzeitig unterrichten und zur Äußerung auch im Hinblick auf das Scoping i.S.d. § 2 Abs. 4 BauGB auffordern.
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Wie die frühzeitige Beteiligung der Öffentlichkeit dient die frühzeitige Beteiligung der Behörden und der sonstigen Träger öffentlicher Belange vor allem der vollständigen Ermittlung und der zutreffenden Bewertung der von der Planung berührten Belange (vgl. § 4a Abs. 1 BauGB).Vgl. auch BVerwG NVwZ 1988, 288. Zugleich soll die frühzeitige Beteiligung der Behörden und der sonstigen Träger öffentlicher Belange die Gemeinde bei der Zusammenstellung der abwägungsrelevanten Belange entlasten. Je mehr Abwägungsmaterial die beteiligten Träger öffentlicher Belange selbst beibringen, desto geringer ist der Aufwand für die Gemeinde, selbst die abwägungsrelevanten Belange zu ermitteln. Gleichzeitig reduziert die frühzeitige Beteiligung der Träger öffentlicher Belange die Gefahr, den Planentwurf ergänzen und erneut auslegen zu müssen, wenn behördliche Stellungnahmen erst später eingehen.
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Bei den zu beteiligenden Behörden i.S.d. § 4 Abs. 1 S. 1 BauGB handelt es sich um die Stellen, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnehmen (vgl. § 1 Abs. 4 VwVfG bzw. § 1 Abs. 2 VwVfG NRW),Vgl. Battis in: Battis/Krautzberger/Löhr BauGB § 4 Rn. 3. zu denen auch Beliehene gehören.Vgl. Brenner Öffentliches Baurecht Rn. 317; allgemein Ramsauer in: Kopp/Ramsauer VwVfG § 1 Rn. 63. Sonstige Träger öffentlicher Belange i.S.d. § 4 Abs. 1 S. 1 BauGB sind die Stellen, denen die Wahrnehmung öffentlicher Belange übertragen ist. Die Begriffe „Behörden“ und „sonstige Träger öffentlicher Belange“ sind mithin funktional zu verstehen.Vgl. Brenner Öffentliches Baurecht Rn. 317. Zu den zu beteiligenden Stellen i.S.d. § 4 Abs. 1 S. 1 BauGB gehören z.B. das Gewerbeaufsichtsamt, die Denkmalschutzbehörde, der Träger der Straßenbaulast, eine Nachbargemeinde, die Industrie- und Handelskammer usw.Vgl. Beispiele bei Battis in: Battis/Krautzberger/Löhr BauGB § 4 Rn. 3; Brenner Öffentliches Baurecht Rn. 317. Im konkreten Fall zu beteiligen sind die Behörden und sonstigen Träger öffentlicher Belange i.S.d. § 4 Abs. 1 S. 1 BauGB, wenn sich die von diesen Stellen vertretenen öffentlichen Belange auf die Art und das Maß der Bodennutzung auswirken und diese Belange durch die beabsichtigte kommunale Planung konkret berührt werden können.Vgl. Brenner Öffentliches Baurecht Rn. 318.
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Private Stellen, auch wenn sie sich der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben widmen (z.B. NaturschutzverbändeVgl. BVerwGE 104, 367.), kommen mangels gesetzlichen Auftrags, öffentliche Interessen zu verfolgen, nicht als sonstige Träger öffentlicher Belange in Betracht. Sie sind über § 3 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 BauGB zu beteiligen.Vgl. Battis in: Battis/Krautzberger/Löhr BauGB § 4 Rn. 3.
Expertentipp
Sie sehen: Für die Frage, ob es sich im Einzelfall um einen sonstigen Träger öffentlicher Belange handelt oder nicht, ist maßgeblich, ob ein gesetzlicher Auftrag zur Verfolgung öffentlicher Interessen gegeben ist.
d) Erarbeitung eines Planentwurfs
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Nach der frühzeitigen Beteiligung der Öffentlichkeit sowie der Behörden und der sonstigen Träger öffentlicher Belange erarbeitet die Gemeinde oder – im Falle einer Übertragung gemäß § 4b BauGB – ein privates Planungsbüro einen Planentwurf. Diesem Entwurf muss gemäß § 2a BauGB eine Begründung beigefügt werden, die die Grundlage für die Begründung zum Bebauungsplan i.S.d. § 9 Abs. 8 BauGB bildet.Vgl. Hellermann in: Dietlein/Hellermann Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen Rn. 45.
e) Förmliche Beteiligung der Öffentlichkeit und der Behörden
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Während § 4 BauGB die förmliche Beteiligung der Behörden regelt, enthält § 3 BauGB Vorschriften über die förmliche Beteiligung der Öffentlichkeit; § 4a BauGB beinhaltet gemeinsame Vorschriften zur Beteiligung. Gemäß § 3 Abs. 2 S. 1 BauGB ist der Planentwurf mit der Begründung und den nach Einschätzung der Gemeinde wesentlichen, bereits vorliegenden umweltbezogenen Stellungnahmen für die Dauer eines Monats, mindestens jedoch für die Dauer von 30 Tagen, oder bei Vorliegen eines wichtigen Grundes für die Dauer einer angemessenen längeren Frist auszulegen. Mit dieser Auslegung beteiligt die Gemeinde die Öffentlichkeit förmlich am Planungsverfahren. Durch die Öffentlichkeitsbeteiligung erhält jedermann unabhängig davon, ob er ein individuelles Interesse an der Planung vorweisen kann, die Gelegenheit zur Stellungnahme.
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Mindestens eine Woche vor der öffentlichen Auslegung des Planentwurfs sind der OrtVgl. hierzu VGH BW NVwZ-RR 2016, 172 (Leitsatz). und die Dauer der Auslegung sowie Angaben dazu, welche Arten umweltbezogener Informationen verfügbar sind, ortsüblich bekannt zu machen (vgl. § 3 Abs. 2 S. 2 Hs. 1 BauGB).Vgl. hierzu BVerwGE 165, 387; OVG NRW Urteil vom 16.11.2020 – 10 D 8/18.NE (juris). Diese Bekanntmachung muss gemäß § 3 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BauGB mit bestimmten Hinweisen verbunden werden.Vgl. hierzu OVG NRW BauR 2021, 181.
Diese Bekanntmachung soll den Bürgern ermöglichen, sich ihres Interesses an dem Planentwurf bewusst zu werden (sog. Anstoßfunktion)BVerwGE 55, 369. und muss daher so formuliert sein, dass ein Bürger nicht davon abgehalten wird, sich am Verfahren zu beteiligen.Vgl. BVerwG NVwZ 2021, 1311 (verneint für den Zusatz „schriftlich oder zur Niederschrift“ mit Blick auf die Möglichkeiten elektronischer Kommunikation wie etwa per E-Mail).
Beispiel
Die ehrenamtlich verwaltete Gemeinde C verkündet in ihrem Amtlichen Gemeindeblatt, dass der Planentwurf Nr. xy ab sofort für einen Monat im Gemeindehaus ausliegt. Eingesehen werden könne er während der für den Publikumsverkehr vorgesehenen Öffnungszeiten des Gemeindehauses. Dort könne Stellung zum Planentwurf genommen werden. – Gemeindebewohner W hat Zweifel, ob diese Bekanntmachung rechtmäßig ist.
Die Zweifel des W sind in der Tat aus mehreren Gründen berechtigt:
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(1) Entgegen § 3 Abs. 2 S. 2 Hs. 1 BauGB hat die Gemeinde C die Auslegung des Planentwurfs nicht mindestens eine Woche vorher bekannt gegeben. Die Frist für die Bekanntmachung berechnet sich nach § 31 VwVfG NRW i.V.m. § 187 Abs. 1 BGB, d.h. der Tag der Bekanntmachung wird nicht mitgerechnet.Vgl. Brenner Öffentliches Baurecht Rn. 326.
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(2) Ein Verstoß gegen § 3 Abs. 2 S. 2 Hs. 1 BauGB liegt ferner darin, dass die Bekanntmachung nicht – wie erforderlich – zumindest den datumsmäßigen Beginn der Auslegungsfrist enthält.Vgl. allgemein BVerwG NVwZ 1993, 475; Jarass/Kment BauGB § 3 Rn. 14.
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Früher war umstritten, wie die Monatsfrist in § 3 Abs. 2 S. 1, S. 2 Hs. 1 BauGB berechnet wird. Inzwischen vertritt die h.M. jedoch die Ansicht, dass für den Fristbeginn § 31 VwVfG NRW i.V.m. § 187 Abs. 2 S. 1 BGB gilt und für das Fristende § 31 VwVfG NRW i.V.m. §§ 188 Abs. 2 Alt. 2, 193 BGB gelten.Vgl. nur GmS-OGB BVerwGE 40, 363. Falls der erste Tag der öffentlichen Auslegung gemäß § 3 Abs. 2 BauGB auf einen Feiertag fällt, ist dieser Tag bei der Fristberechnung nicht mitzuzählen.Vgl. OVG Nds. BauR 2016, 624.
Beispiel
Anders als in unserem Beispiel oben (Rn. 66) teilt die Gemeinde C in ihrer Bekanntmachung über die Auslegung des Planentwurfs mit, dass sie den Planentwurf vom 11.3. bis zum 11.4.2021 auslegt. – Nach der h.M. beginnt die Auslegungsfrist gemäß § 187 Abs. 2 S. 1 BGB am 11.3.2021 und endet gemäß § 188 Abs. 2 Alt. 2 BGB mit Ablauf des 10.4.2021. Die Erwähnung des 11.4.2021 ist daher unzutreffend.
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(3) Fraglich ist, ob die Gemeinde C die in § 3 Abs. 2 S. 1 BauGB vorgesehene Monatsfrist wahrt, wenn sie eine Einsicht in den Planentwurf nur während der für den Publikumsverkehr vorgesehenen Öffnungszeiten gewährt. – Nach früher h.M. sollte diese Vorgehensweise nicht genügen.Vgl. etwa VGH Bayern NJW 1974, 1670. Inzwischen hat sich jedoch die gegenteilige Ansicht durchgesetzt. Nach dieser Ansicht ist zu prüfen, inwieweit sich die Möglichkeit der Einsichtnahme in den Planentwurf insgesamt als hinreichend erweist.Vgl. etwa Jarass/Kment BauGB § 3 Rn. 15 m.w.N.
Beispiel
Die Gemeinde C wird von zwei ehrenamtlichen Mitarbeitern verwaltet. Der Planentwurf Nr. xy liegt täglich in der Zeit von 9.00 bis 12.00 Uhr aus. In dieser Zeit ist das Gemeindehaus für den Publikumsverkehr geöffnet. – Auf der Grundlage der früheren h.M. würde diese täglich zeitlich begrenzte Einsichtsmöglichkeit nicht ausreichen. Nach der inzwischen vorherrschenden Ansicht wäre demgegenüber davon auszugehen, dass die vorgesehenen Zeiten für eine Einsichtnahme in den Planentwurf unter den gegebenen Umständen ausreichend sind.
Expertentipp
Sollte sich dieser Punkt in der Fallbearbeitung als problematisch erweisen, stellen Sie den Meinungsstreit auf Ihren Fall bezogen dar und schließen sich einer Ansicht mit eigenen Argumenten an. Zugunsten der inzwischen vorherrschenden Ansicht könnte sprechen, dass sie den Umständen des Einzelfalls gerechter wird. Bei einer kleinen Gemeinde wie in unserem Beispiel wäre es grundsätzlich unzumutbar zu verlangen, dass sie den Planentwurf auch nachmittags auslegt.
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(4) Indem in der Bekanntmachung lediglich der Planentwurf Nr. xy genannt wird, bewirkt die Bekanntmachung der Gemeinde C außerdem nicht die mit § 3 Abs. 2 S. 2 BauGB bezweckte Anstoßfunktion. Hierfür wäre es vielmehr notwendig gewesen, das Plangebiet näher zu bezeichnen, d.h. insbesondere den räumlichen Geltungsbereich des Planentwurfs hinreichend deutlich, zumindest durch eine schlagwortartige geographische Bezeichnung zu konkretisieren.Vgl. allgemein BVerwG NVwZ 2001, 203.
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(5) Damit in Zusammenhang steht schließlich ein letztes Bedenken, das sich auf die am Ende der Bekanntmachung enthaltene Formulierung bezieht, dort könnte Stellung zum Planentwurf genommen werden. Mit dieser Formulierung erweckt die Gemeinde C den Eindruck, etwaige Bedenken oder Anregungen könnten nur „dort“, also unmittelbar vor Ort und damit persönlich vorgebracht werden, so dass eine schriftliche Stellungnahme ausgeschlossen wäre.Vgl. allgemein VGH Bayern NJW 1983, 297. Hierdurch läuft die Gemeinde C Gefahr, Bürger davon abzuhalten, Stellung zu nehmen, was der mit § 3 Abs. 2 S. 2 BauGB bezweckten Anstoßfunktion zuwiderläuft.
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Rechtzeitig vorgebrachte Bedenken oder Anregungen zum Planentwurf fließen in die Abwägung der Gemeinde nach § 1 Abs. 7 BauGB ein. Sollte der Planentwurf aufgrund von Bedenken oder Anregungen geändert oder ergänzt werden, müssen die Verfahrensabschnitte der Auslegung des Planentwurfs sowie der förmlichen Beteiligung der Öffentlichkeit, der Behörden und der sonstigen Träger öffentlicher Belange erneut durchgeführt werden. Allerdings gelten insoweit Verfahrenserleichterungen (vgl. § 4a Abs. 3 BauGB).Vgl. BVerwG NVwZ 2014, 1170. Hat eine nach öffentlicher Auslegung vorgenommene Ergänzung einer Festsetzung allerdings nur klarstellende Bedeutung, muss eine Öffentlichkeitsbeteiligung sowie eine Beteiligung von Behörden und Trägern öffentlicher Belange nicht erneut erfolgen, denn inhaltlich ändert sich am Planentwurf nichts. Entsprechendes gilt, wenn der Entwurf nach der Auslegung in Punkten geändert wird, zu denen die betroffenen Bürger, Behörden und sonstigen Träger öffentlicher Belange zuvor bereits Gelegenheit zur Stellungnahme hatten, die Änderungen auf einem ausdrücklichen Vorschlag eines Betroffenen beruhen und Dritte hierdurch nicht abwägungsrelevant berührt werden. Eine erneute Öffentlichkeitsbeteiligung wäre in diesen Fällen eine bloße Förmlichkeit.Vgl. BVerwG NVwZ 1988, 822.
f) Ermittlung und Bewertung abwägungsrelevanter Belange
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Gemäß § 2 Abs. 3 BauGB sind bei der Aufstellung eines Bebauungsplans für die Abwägung relevante Belange zu ermitteln und zu bewerten. Mit der in § 2 Abs. 3 BauGB angesprochenen Abwägung ist die Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB gemeint, in deren Rahmen die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander in einen gerechten Ausgleich zu bringen sind.
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Die Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB, die als Selbstverständlichkeit voraussetzt, dass überhaupt eine Abwägung stattfindet, vollzieht sich in drei Phasen, wobei sich die beiden ersten Phasen auf den Abwägungsvorgang und die dritte Phase auf das Abwägungsergebnis beziehen:Vgl. Stollmann/Beaucamp Öffentliches Baurecht § 7 Rn. 39.
Hinweis
In der Literatur ist die Anzahl der Phasen umstritten: Neben den – hier angenommenen – drei Phasen wird vertreten, dass sich die Abwägung in zwei oder vier Phasen vollzieht. Dabei werden die (hier als die ersten beiden Phasen dargestellten) Abschnitte entweder zusammengefasst oder weiter ausdifferenziert.[1]Vgl. hierzu näher den Überblick bei Merkel Die Gerichtskontrolle der Abwägung im Bauplanungsrecht, insbesondere nach der Neuregelung des § 2 Abs. 3 und 214 BauGB durch das EAG Bau, 2011, S. 130 ff. Welcher Ansicht Sie folgen, entscheiden Sie nach Ihrer eigenen Überzeugung.
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In der ersten Phase ist das Abwägungsmaterial zusammenzustellen. Die Gemeinde muss alle von der städtebaulichen Planung konkret betroffenen öffentlichen und privaten Belange, die weit zu verstehen sind und sowohl gegenwärtige als auch zukünftige Belange umfassen, ermitteln.Vgl. zum Ganzen (einschließlich Beispiele) Brenner Öffentliches Baurecht Rn. 404. Hierfür müssen die relevanten Belange begrifflich abstrakt definiert werden.Vgl. Hellerman in: Dietlein/Hellermann Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen § 4 Rn. 87.
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In die Abwägung müssen alle öffentlichen und privaten Belange eingestellt werden, die „nach Lage der Dinge“ in die Abwägung einzustellen sind.Vgl. BVerwGE 34, 301 – Flachglas. Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts sind dies „alle mehr als nur geringfügig betroffenen, schutzwürdigen Belange, deren Betroffenheit der Gemeinde bekannt oder zumindest hätte bekannt sein müssen“.Vgl. BVerwG NVwZ-RR 1994, 490
Beispiel
Beispiele für demnach in die Abwägung einzustellende öffentliche Belange ergeben sich aus § 1 Abs. 5 und Abs. 6 BauGB. Beispiele für schutzwürdige private Belange sind z.B. private Rechte wie das sich aus Art. 14 Abs. 1 GG ergebende Recht auf bauliche Nutzung eines Grundstücks, unabhängig davon, ob die Nutzung des Grundstücks auf dem Eigentum oder auf einem Miet- oder Pachtverhältnis beruht; ferner u.U. das Interesse eines Unternehmers an einer Änderung eines Gewerbebetriebes; schließlich auch private Interessen wie etwa der Schutz vor Immissionen. Kein schutzwürdiger privater Belang ist demgegenüber z.B. ein Schwarzbau.
78
In die Abwägung einzubeziehen sind dabei jedoch nur solche Belange, wenn und soweit sie typischerweise bei der bestimmungsgemäßen Nutzung eines Vorhabens auftreten und von bodenrechtlicher Relevanz sind. Verneint wurde dies z.B. bei von einer Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber ausgehenden Lärmimmissionen. Solche Belästigungen sind nach Ansicht des OVG NRW nicht Gegenstand baurechtlicher Betrachtung, sondern nach Maßgabe des jeweiligen Einzelfalles möglicherweise für das Polizei- und Ordnungsrecht oder das zivile Nachbarrecht von Relevanz.Vgl. OVG NRW NVwZ-RR 2014, 833.
79
In der zweiten Phase muss die Gemeinde den objektiven Inhalt jedes Belangs bestimmen und die einzelnen Belange gewichten.
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In der dritten Phase findet die eigentliche Abwägung der öffentlichen und privaten Belange statt. Sie bildet damit den Kern der gesamten Abwägung.Vgl. BVerwGE 34, 301 – Flachglas. Die Gemeinde muss in dieser Phase die gewichteten öffentlichen und privaten Belange ins Verhältnis setzen und entscheiden, welche Belange gegenüber anderen Belangen den Vorrang erhalten und welcher Belang ggf. ganz oder teilweise zurückgestellt wird.
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82
Die nunmehr verfahrensrechtliche Einordnung der Ermittlung und der Bewertung der öffentlichen und privaten Belange durch § 2 Abs. 3 BauGB ändert an den zur bisherigen Rechtslage anerkannten Anforderungen an das Verfahren bei der Aufstellung eine Bebauungsplans nichts. Inhaltlich entspricht § 2 Abs. 3 BauGB der bisherigen, sich aus dem Abwägungsgebot ergebenden Rechtslage, nach der die Berücksichtigung aller planungsrelevanten Belange in der Abwägung zunächst deren ordnungsgemäße Ermittlung und Bewertung voraussetzt.Vgl. BVerwGE 131, 100 (unter Bezugnahme auf die Gesetzesbegründung).
g) Gemeindebeschluss über den Bebauungsplan
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Das Planverfahren der Gemeinde mündet im Satzungsbeschluss des Gemeinderates über den Bebauungsplan (vgl. § 10 Abs. 1 BauGB). Insoweit unterscheidet sich das Verfahren beim Bebauungsplan von dem beim Flächennutzungsplan, für den ein einfacher Gemeinderatsbeschluss genügt.
Expertentipp
Nutzen Sie die Gelegenheit, die insoweit prüfungsrelevanten Problemfelder im Skript „Kommunalrecht NRW“ zu wiederholen!
Expertentipp
Wenn der Sachverhalt entsprechende Anhaltspunkte enthält, müssen Sie den Gemeinderatsbeschluss ggf. am Maßstab der Vorschriften der GO NRW (v.a. §§ 47 ff.) auf seine Rechtmäßigkeit hin überprüfen!
h) (Ausnahmsweise) Genehmigung des Bebauungsplans
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Im Gegensatz zum Flächennutzungsplan, der immer genehmigungsbedürftig ist (vgl. § 6 Abs. 1 BauGB), muss der Bebauungsplan nur ausnahmsweise von der höheren Verwaltungsbehörde genehmigt werden (vgl. § 10 Abs. 2 BauGB). Versagt die höhere Verwaltungsbehörde ihre Genehmigung innerhalb von grundsätzlich drei Monaten unter Angabe von Gründen (vgl. § 10 Abs. 2 S. 2 i.V.m. § 6 Abs. 4 S. 1 bis 3 BauGB), kann der Bebauungsplan nicht in Kraft treten. Andernfalls gilt die Genehmigung als erteilt (vgl. § 10 Abs. 2 S. 2 BauGB i.V.m. § 6 Abs. 4 S. 4 BauGB).
Hinweis
Vgl. in diesem Zusammenhang auch § 246 Abs. 1a BauGB, nach dem die Länder bestimmen können, dass nicht genehmigungsbedürftige Bebauungspläne anzeigepflichtig sind. Von dieser Ermächtigung hat NRW – soweit ersichtlich – bislang keinen Gebrauch gemacht.
i) Ausfertigung und ortsübliche Bekanntmachung des Bebauungsplans
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Wie jede Satzung muss auch der Bebauungsplan ausgefertigt werden. Da es in NRW – soweit ersichtlich – keine ausdrückliche Regelung über die Ausfertigung von Satzungen gibt, folgt dieses Erfordernis aus dem Rechtsstaatsprinzip. Mit der Ausfertigung wird dokumentiert, dass der Inhalt des Bebauungsplans authentisch ist und die Verfahrensvorschriften eingehalten wurden.Vgl. zum Ganzen Hellermann in: Dietlein/Hellermann Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen § 2 Rn. 234 und § 4 Rn. 49. Vgl. speziell zur Authentizitätsfunktion eines Bebauungsplans VGH BW VBlBW 2009, 466. Sofern der Bebauungsplan aus einem Planteil und einem Textteil besteht, die nicht auf einem Blatt zusammengefasst sind, sind für eine wirksame Ausfertigung grundsätzlich alle Teile mit einem Ausfertigungsvermerk zu versehen.Vgl. näher OVG NRW DVBl. 2014, 1544. Ein Ausfertigungsmangel führt zur Unwirksamkeit des Bebauungsplans.Vgl. OVG NRW BauR 2018, 198.
Expertentipp
Zumindest in der Praxis erweist sich die Ausfertigung von Bebauungsplänen als fehleranfällig. Nähere Ausführungen zu diesem Themenkomplex im Sachverhalt sollten Sie aufhorchen lassen. Prüfen Sie die Einhaltung der entsprechenden Vorschriften dann besonders aufmerksam.
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Gemäß § 10 Abs. 3 S. 1 BauGB ist – ausnahmsweise – die Erteilung der Genehmigung des Bebauungsplans oder – im Regelfall – der (Satzungs-)Beschluss des Bebauungsplans durch die Gemeinde ortsüblich bekannt zu machen. Dabei sind die Bestimmungen des § 10 Abs. 3 S. 2 bis 3 BauGB zu beachten. Nach § 10 Abs. 3 S. 4 BauGB tritt der Bebauungsplan mit seiner Bekanntgabe in Kraft.
Hinweis
Der in Kraft getretene Bebauungsplan mit der Begründung i.S.d. § 2a BauGB und der zusammenfassenden Erklärung i.S.d. § 10a Abs. 1 BauGB soll ergänzend auch in das Internet eingestellt und über ein zentrales Internetportal des Landes zugänglich gemacht werden (vgl. § 10a Abs. 2 BauGB). Ebenso wie in § 6a Absatz 2 BauGB, der für den Flächennutzungsplan gilt, besteht zur Einstellung in das Internet und zur Zugänglichmachung über das zentrale Internetportal jedoch keine Verpflichtung.Vgl. Gesetzesbegründung BT-Drs. 18/10942, S. 46.
III. Materielle Rechtmäßigkeit des Bebauungsplans
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Im Anschluss an die formelle Rechtmäßigkeit prüfen Sie die materielle Rechtmäßigkeit des Bebauungsplans in drei Schritten:
1. Planrechtfertigung
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Gemäß § 1 Abs. 3 S. 1 Hs. 1 BauGB haben die Gemeinden die Bauleitpläne i.S.d. § 1 Abs. 2 BauGB aufzustellen, sobald und soweit es für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist, wobei die Aufstellung insbesondere bei der Ausweisung von Flächen für den Wohnungsbau in Betracht kommen kann (vgl. § 1 Abs. 3 S. 1 Hs. 2 BauGB). Das Tatbestandsmerkmal der Erforderlichkeit gilt nicht nur für den Anlass, sondern auch für den Inhalt des Bebauungsplans, und zwar für jede Festsetzung.Vgl. BVerwGE 120, 239. Was in diesem Sinne erforderlich ist, bestimmt sich nach der planerischen Konzeption der Gemeinde.Vgl. BVerwGE 153, 16. Der Gesetzgeber ermächtigt die Gemeinden, diejenige Städtebaupolitik zu betreiben, die ihren städtebaulichen Entwicklungs- und Ordnungsvorstellungen entspricht. Sobald und soweit städtebaulich erforderlich, ist eine Gemeinde also nach § 1 Abs. 3 S. 1 Hs. 1 BauGB zur Aufstellung eines Bebauungsplans verpflichtet. § 1 Abs. 3 S. 1 Hs. 1 BauGB regelt das „Ob“ der Aufstellung von Bauleitplänen.Vgl. Schubert in: Erbguth/Mann/Schubert Besonderes Verwaltungsrecht Rn. 953.
Hinweis
Merken Sie sich: „Der Erlass erforderlicher Bauleitpläne ist geboten, der Erlass nicht erforderlicher Bauleitpläne dagegen verboten“.Vgl. Stollmann/Beaucamp Öffentliches Baurecht § 7 Rn. 3. § 1 Abs. 3 S. 1 Hs. 1 BauGB hat demnach sowohl Gebots- als auch Verbotswirkung.
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Der Zeitpunkt („sobald“) und der sachlich-räumliche Umfang („soweit“) der Planaufstellung sind in § 1 Abs. 3 S. 1 Hs. 1 BauGB gesetzlich festgelegt.
Beispiel
In einem unbeplanten Bereich der Gemeinde T ist ein Gewerbepark entstanden. Die Gemeinde T sieht derzeit keinen Handlungsbedarf für die Aufstellung eines Bebauungsplans für den Gewerbepark. Dies sieht die Nachbargemeinde H anders und schaltet die Kommunalaufsicht ein. – Die Kommunalaufsicht kann die Gemeinde T verpflichten, für den betreffenden Bereich einen Bebauungsplan aufzustellen, sofern ein qualifizierter städtebaulicher Bedarf besteht.
91
Für die in § 1 Abs. 3 Hs. 1 BauGB genannte städtebauliche Entwicklung und Ordnung sind allein öffentliche Belange maßgeblich.
Beispiel
Schriftsteller G lebt am Rande eines reinen Wohngebietes in der Gemeinde S. Von seinem Arbeitszimmer aus genießt er eine freie Sicht auf einen landwirtschaftlich genutzten unbeplanten Bereich der Gemeinde S. Eines Morgens liest er zu seinem Entsetzen in der Zeitung, dass das bisher landwirtschaftlich genutzte Gebiet bebaut werden soll. Die Gemeinde S hat ins Auge gefasst, für dieses Gebiet einen Bebauungsplan aufzustellen und dieses Gebiet als Mischgebiet auszuweisen. Da G um seine geschätzte Fernsicht fürchtet, bittet er die Gemeinde S, das betreffende Gebiet als landwirtschaftlich genutzte Fläche im Bebauungsplan festzusetzen. – Abgesehen davon, dass G kein subjektiv-öffentliches Recht auf eine städtebauliche Planung hat (oben Rn. 89), würde die Ausweisung der betreffenden Fläche als landwirtschaftlich genutztes Gebiet nur den privaten Interessen des G dienen. Mangels Vorliegen eines öffentlichen Belangs wäre die Aufstellung eines solchen Bebauungsplans unzulässig.
92
Öffentliche Belange, die für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung relevant sein können, finden sich in § 1 Abs. 5 BauGB (vgl. Wortlaut „insbesondere“) als sog. allgemeine Planungsleitlinien, die durch die in § 1 Abs. 6 BauGB nicht abschließend aufgezählten sog. besonderen Planungsleitlinien konkretisiert werden. Diese Planungsleitlinien enthalten Berücksichtigungsgebote, die im Rahmen der Abwägung überwunden werden können.Vgl. näher zum Ganzen Stollmann/Beaucamp Öffentliches Baurecht § 7 Rn. 26 ff.
Expertentipp
Lesen Sie § 176a BauGB!
Hinweis
Durch Art. 1 Nr. 17 des Gesetzes zur Mobilisierung von Bauland vom 14.6.2021, das am 23.6.2021 in Kraft getreten ist,BGBl. I S. 1802. wurde ein neues informelles städtebauliches Planungsinstrument i.S.d. § 1 Abs. 6 Nr. 11 BauGB im neu eingefügten § 176a BauGB ausgestaltet. Hierbei handelt es sich um das städtebauliche Entwicklungskonzept zur Stärkung der Innenentwicklung.Vgl. hierzu Battis/Mitschang/Reidt NVwZ 2021, 905. Gemäß § 176a Abs. 1 BauGB kann eine Gemeinde ein städtebauliches Entwicklungskonzept beschließen, das Aussagen zum räumlichen Geltungsbereich, zu Zielen und zur Umsetzung von Maßnahmen enthält, die der Stärkung der Innenentwicklung dienen. Das städtebauliche Entwicklungskonzept nach § 176a Abs. 1 BauGB soll insbesondere der baulichen Nutzbarmachung auch von im Gemeindegebiet ohne Zusammenhang verteilt liegenden unbebauten oder brachliegenden Grundstücken dienen (vgl. § 176a Abs. 2 BauGB). Die Gemeinde kann ein städtebauliches Entwicklungskonzept nach § 176a Abs. 1 BauGB zum Bestandteil der Begründung eines Bebauungsplans machen (vgl. § 176a Abs. 3 BauGB).
Durch Art. 1 Nr. 2 b) des Baulandmobilisierungsgesetzes wurde auch § 1 Abs. 6 BauGB wie folgt geändert:Vgl. hierzu Battis/Mitschang/Reidt NVwZ 2021, 905. In Nr. 8 d) wurde die Formulierung „insbesondere des Mobilfunkausbaus“ angefügt. In Nr. 9 wurde nach dem Wort „Bevölkerung“ die Formulierung „auch im Hinblick auf die Entwicklungen beim Betrieb von Kraftfahrzeugen, etwa der Elektromobilität,“ ergänzt. Neu eingefügt wurde Nr. 14, nach der eine „ausreichende Versorgung mit Grün- und Freiflächen“ berücksichtigt werden muss.
93
Zentrales Kriterium in § 1 Abs. 3 S. 1 Hs. 1 BauGB ist die Erforderlichkeit der städtebaulichen Planung. Die Frage der Erforderlichkeit städtebaulicher Planung hängt von den Entwicklungsvorstellungen der Gemeinde und damit von ihrer planerischen Konzeption ab. Hierdurch wird der verfassungsrechtlich verbürgten Planungshoheit der Gemeinde bereits im Vorfeld der gemeindlichen Gestaltungshoheit bei der späteren Bauleitplanung Rechnung getragen.Vgl. Schubert in: Erbguth/Mann/Schubert Besonderes Verwaltungsrecht Rn. 954.
Hinweis
Die planerische Konzeption der Gemeinde ist kommunalaufsichtsrechtlich und gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar.Vgl. zur gerichtlichen Überprüfbarkeit BVerwG NJW 1971, 1626. Sie darf nur dahingehend überprüft werden, ob die Gemeinde sich innerhalb der Grenzen ihres Beurteilungsspielraums gehalten hat.
94
Das Merkmal der Erforderlichkeit für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung bildet nur bei „groben und einigermaßen offensichtlichen Missgriffen“ hinsichtlich Ziel, Anlass, Zeitpunkt, Umfang oder Inhalt der kommunalen Planung mit der Folge städtebaulicher Missstände eine wirksame Schranke der Planungshoheit. Jede Bauleitplanung muss auf eine geordnete städtebauliche Entwicklung ausgerichtet sein und dies gewährleisten.Vgl. zum Ganzen OVG NRW NWVBl. 2006, 421.
95
Unter Berücksichtigung der planerischen Konzeption der Gemeinde ist eine städtebauliche Planung erforderlich, wenn sie vernünftigerweise geboten erscheint. Es genügt, wenn die Planungsinitiative der Gemeinde nach ihrer planerischen Konzeption angemessen erscheint.Vgl. Schubert in: Erbguth/Mann/Schubert Besonderes Verwaltungsrecht Rn. 956.
Beispiel
In unserem Beispiel oben (Rn. 91) greift die Gemeinde S die Idee des G auf und beabsichtigt, losgelöst von dem persönlichen Interesse des G, das betreffende Gebiet als Fläche für landwirtschaftliche Nutzung festzusetzen. Auf diese Weise will sie eine von Großinvestoren ins Auge gefasste Wohnbebauung auf dieser Fläche verhindern. – Sofern eine Gemeinde (wie hier) eine bestimmte städtebauliche Nutzung (hier zu landwirtschaftswirtschaftlichen Zwecken) nur vorschiebt, um eine andere bauliche Nutzung (hier die geplante Wohnbebauung) zu verhindern (sog. Negativplanung),Vgl. allgemein BVerwG NVwZ 1999, 878. wäre die Festsetzung der betreffenden Fläche als Fläche für landwirtschaftliche Nutzung nicht erforderlich i.S.d. § 1 Abs. 3 S. 1 BauGB. – Anders läge der Fall, wenn die Gemeinde S allein die Absicht verfolgen würde, durch die Festsetzung des Gebiets als Fläche für die Landwirtschaft dieses Gebiet tatsächlich dauerhaft für die landwirtschaftliche Nutzung zu sichern. In diesem Falle hätte die Gemeinde S keine Verhinderungsabsicht, sondern würde ausschließlich ein städtebaulich zulässiges Ziel verfolgen.
Beispiel
Nicht erforderlich ist ein Bebauungsplan, wenn den beabsichtigten Festsetzungen im Bebauungsplan auf unabsehbare Zeit unüberwindbare tatsächliche oder rechtliche Hindernisse entgegenstehenVgl. BVerwGE 108, 248. oder wenn der Bebauungsplan aus zwingenden Gründen nicht vollzogen werden kann.Vgl. BVerwGE 109, 246; 116, 144.
2. Planungsermessen
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Im Gegensatz zur Planrechtfertigung geht es beim Planungsermessen um das „Wie“ der Aufstellung von Bebauungsplänen. Das Planungsermessen überprüfen Sie in drei Schritten:
Expertentipp
In der Fallbearbeitung gehen Sie allerdings nur auf die Punkte näher ein, die nach dem Sachverhalt tatsächlich Probleme aufwerfen. Die unproblematischen Punkte können Sie kurz – und dann auch ruhig im Urteilsstil – abhandeln.
a) Anpassungspflicht an die Ziele der Raumordnung
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Gemäß § 1 Abs. 4 BauGB sind die Bebauungspläne den Zielen der Raumordnung anzupassen (sog. Anpassungspflicht).Vgl. näher Stollmann/Beaucamp Öffentliches Baurecht § 7 Rn. 13 ff. Die Ziele der Raumordnung sind in § 3 Abs. 1 Nr. 2 ROG wie folgt legaldefiniert:
Definition: Ziele der Raumordnung
Ziele der Raumordnung sind verbindliche Vorgaben in Form von räumlich und sachlich bestimmten oder bestimmbaren, vom Träger der Raumordnung abschließend abgewogenen textlichen oder zeichnerischen Festlegungen in Raumordnungsplänen zur Entwicklung, Ordnung und Sicherung des Raums.
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Solche Ziele der Raumordnung werden nach Maßgabe des LPlG in einem Landesentwicklungsplan sowie in Raumordnungs- und Regionalplänen festgelegt. Sind entsprechende Ziele der Raumordnung festgelegt, ist die Gemeinde hieran gemäß § 1 Abs. 4 BauGB gebunden. Die Gemeinde ist nicht nur an solche Ziele der Raumordnung, die zur Zeit des Planverfahrens bereits festgelegt sind, sondern auch an solche Ziele gebunden, die nachträglich festgelegt werden. Im zuletzt genannten Falle besteht gemäß § 1 Abs. 4 BauGB eine Anpassungspflicht.Vgl. zum Ganzen Hellermann in: Dietlein/Hellermann Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen § 4 Rn. 65. Im Gegensatz zu den Grundsätzen der Raumordnung, die in § 3 Abs. 1 Nr. 3 ROG legaldefiniert sind, können die Ziele der Raumordnung auch im Rahmen der Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB nicht überwunden werden.Vgl. BVerwGE 90, 329. Die Frage, ob ein Bebauungsplan der Anpassungspflicht des § 1 Abs. 4 BauGB genügt, ist von der Gemeinde in eigener Verantwortung zu prüfen.Vgl. BVerwG Beschluss vom 15.10.2020 – 4 BN 8/20 (juris). Die Anpassungspflicht setzt ein, wenn die Verwirklichung der Raumordnungsziele bei Fortschreiten der „planlosen“ städtebaulichen Entwicklung auf unüberwindbare (tatsächliche oder rechtliche) Hindernisse stoßen oder wesentlich erschwert würde.Vgl. BVerwGE 119, 25.
Hinweis
Neben den Zielen der Raumordnung schränken auch Fachplanungen (dazu bereits oben Rn. 22) die Planungshoheit der Gemeinde ein. Beachten Sie in diesem Zusammenhang § 38 BauGB (s.u. Rn. 230 f.)!Vgl. dazu insgesamt näher Hellermann in: Dietlein/Hellermann Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen § 4 Rn. 67 ff.
b) Vorgaben für Planinhalte
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Aufgrund ihrer Planungshoheit ist die Gemeinde für die städtebauliche Planung in ihrem Gemeindegebiet verantwortlich. Sie entscheidet daher, wie sie ihr Gemeindegebiet städtebaulich verplant. So bestimmt sie z.B., ob ein bestimmtes Gebiet als Gewerbegebiet, als Mischgebiet oder als reines Wohngebiet und ob ein benachbartes Gebiet als Versorgungsfläche oder als Wald ausgewiesen wird. Die in Ausübung ihrer Planungshoheit ausgewiesenen Gebiete muss die Gemeinde jedoch den gesetzlich vorgesehenen Festsetzungsmöglichkeiten zuordnen können. Die Festsetzungsmöglichkeiten der Gemeinde sind grundsätzlichAusnahmen: § 9 Abs. 4 BauGB (z.B. § 89 Abs. 2 BauO NRW 2018) und § 12 Abs. 3 S. 2 BauGB. abschließend in § 9 Abs. 1 bis Abs. 3 BauGB enthalten (sog. „numerus clausus bauplanungsrechtlicher Festsetzungsmöglichkeiten“);Vgl. Hellermann in: Dietlein/Hellermann Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen § 4 vor Rn. 70 (Überschrift 5). ergänzend gelten über § 9a Nr. 1 bis 3 BauGB die Vorschriften der BauNVO.
Hinweis
Durch die Festsetzungen in einem Bebauungsplan bestimmt die Gemeinde den Inhalt und die Schranken des Eigentums i.S.d. Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG der im Plangebiet belegenen Grundstücke (s.o. Rn. 34).
100
Von den in § 9 Abs. 1 bis Abs. 3 BauGB vorgesehenen Festsetzungsmöglichkeiten sind die Festsetzungen hinsichtlich der Art und des Maßes der baulichen Nutzung (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 BauGB) sowie hinsichtlich der Bauweise und der überbaubaren Grundstücksfläche (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 BauGB) von besonderer Bedeutung.
Expertentipp
Werfen Sie zum besseren Verständnis an dieser Stelle einen Blick in die Inhaltsübersicht der BauNVO!
Für diese möglichen Festsetzungen gelten ergänzend die jeweiligen Bestimmungen der BauNVO.
101
Setzt die Gemeinde die Art der baulichen Nutzung fest, ist § 9 Abs. 1 Nr. 1 BauGB i.V.m. §§ 1 bis 15 BauNVO zu beachten. Die Festsetzung der Art der baulichen Nutzung erfolgt gemäß § 1 Abs. 3 S. 1 BauNVO durch die Festsetzung eines der in § 1 Abs. 2 BauNVO abschließend genannten Baugebiete.
Hinweis
Durch Art. 2 Nr. 3 des Gesetzes zur Mobilisierung von Bauland vom 14.6.2021 (Rn. 92) wurde mit dem dörflichen Wohngebiet in § 5a BauNVO eine neue Art der baulichen Nutzung normiert.Vgl. hierzu Battis/Mitschang/Reidt NVwZ 2021, 905; Hornmann NVwZ 2021, 1275. Dörfliche Wohngebiete dienen dem Wohnen sowie der Unterbringung von land- und forstwirtschaftlichen Nebenerwerbsstellen und nicht wesentlich störenden Gewerbebetrieben, wobei die Nutzungsmischung nicht gleichgewichtig sein muss (vgl. § 5a Abs. 1 S. 1–2 BauNVO). Welche Bauvorhaben in einem dörflichen Wohngebiet zulässig sind oder ausnahmsweise zugelassen werden können, ist in § 5a Abs. 2 und 3 BauNVO geregelt.
102
Durch die Festsetzung eines Baugebietes werden die Vorschriften der §§ 2 bis 14 BauNVO grundsätzlich Bestandteil des Bebauungsplans (vgl. § 1 Abs. 3 S. 2 BauNVO).
Beispiel
Die Gemeinde M hat ein Gebiet in ihrem Bebauungsplan als besonderes Wohngebiet i.S.d. § 1 Abs. 2 Nr. 4 i.V.m. § 1 Abs. 3 S. 1 BauNVO festgesetzt. Daher werden die §§ 4a, 12 ff. BauNVO Bestandteil des Bebauungsplans.
Beispiel
Befinden sich in einem Baugebiet Wirtschaftsstellen land- und forstwirtschaftlicher Betriebe und will die Gemeinde dieses Gebiet als Mischgebiet festsetzen, steht dem entgegen, dass die Gemeinde die tatsächlich vorhandene Bebauung nicht in dem geplanten Baugebiet unterbringen kann. Die tatsächliche Bebauung erfüllt vielmehr die Voraussetzungen eines Dorfgebiets i.S.d. § 5 BauNVO.Vgl. BVerwGE 133, 377.
Hinweis
Bzgl. im Zusammenhang bebauter Ortsteile i.S.d. § 34 BauGB ist § 9 Abs. 2a–d BauGB zu beachten.
103
Setzt die Gemeinde das Maß der baulichen Nutzung fest, ist § 9 Abs. 1 Nr. 1 BauGB i.V.m. §§ 16 bis 21a BauNVO zu beachten, wobei § 17 BauNVO Obergrenzen normiert, die durch Art. 2 Nr. 6 des Gesetzes zur Mobilisierung von Bauland vom 14.6.2021 (Rn. 92) neu bestimmt wurden, um flächensparendes Bauen zu ermöglichen und zusätzliche Flächenversiegelung zu vermeiden.Vgl. Battis/Mitschang/Reidt NVwZ 2021, 905.
104
Das Maß der baulichen Nutzung kann durch die in § 16 Abs. 2 BauNVO genannten Varianten festgesetzt werden. Die Grundflächenzahl gibt an, wie viel Quadratmeter Grundfläche der baulichen Anlage je Quadratmeter Grundstücksfläche zulässig sind (vgl. § 19 Abs. 1 BauNVO).
Beispiel
In einem Bebauungsplan ist eine Grundflächenzahl (GRZ) von 0,3 festgesetzt worden. K besitzt ein 1000 m² großes Grundstück in diesem Gebiet. – K kann sein Grundstück unter diesen Umständen mit einer maximalen Grundfläche von 300 m² bebauen.
105
Die Geschossflächenzahl gibt an, wie viel Quadratmeter Geschossfläche der baulichen Anlage je Quadratmeter Grundstücksfläche zulässig sind (vgl. § 20 Abs. 2 BauNVO).
Beispiel
Wie Beispiel oben. Neben der GRZ ist eine Geschossflächenzahl (GFZ) von 0,4 festgesetzt worden. – K kann eine Gesamtgeschossfläche von 400 m² verbauen. Wenn er sich für eine zweigeschossige Bauweise entscheidet, kann er pro Geschoss 200 m² einplanen; wenn er sich für eine viergeschossige Bauweise entscheidet, kann er pro Geschoss 100 m² einplanen.
106
Nähere Vorgaben hinsichtlich der Festsetzung der Zahl der Vollgeschosse und der Höhe der baulichen Anlagen finden sich in § 20 Abs. 1 BauNVO bzw. § 18 BauNVO.
Hinweis
Beachten Sie in diesem Zusammenhang § 16 Abs. 3 BauNVO,Vgl. zu § 16 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO VGH BW BauR 2019, 1400. den Sie zum besseren Verständnis als Konditionalsatz lesen können: Wenn das Maß der baulichen Nutzung festgelegt wird, müssen stets die Grundflächenzahl oder die Größe der Grundflächen der baulichen Anlagen sowie u.U. die Zahl der Vollgeschosse oder die Höhe der baulichen Anlagen festgesetzt werden.
107
Setzt die Gemeinde die Bauweise und/oder die überbaubaren Grundstücksflächen fest, ist § 9 Abs. 1 Nr. 2 BauGB i.V.m. § 22 bzw. § 23 BauNVO zu beachten. Bzgl. Einzelheiten lesen Sie bitte die Normtexte der §§ 22 und 23 BauNVO!
c) Entwicklungsgebot
108
Aus der grundsätzlichen Zweistufigkeit der Bauleitplanung (s. bereits oben Rn. 24 ff.) ergibt sich folgerichtig das sog. Entwicklungsgebot, das in § 8 Abs. 2 S. 1 BauGB normiert ist. Danach sind Bebauungspläne aus dem Flächennutzungsplan zu entwickeln. Die Gemeinde muss daher die im Flächennutzungsplan getroffenen Grundentscheidungen als solche beachten. Nicht ausgeschlossen ist jedoch, dass die im Flächennutzungsplan vorgesehene Planung fortentwickelt wird. Deshalb sind auch unwesentliche Grenzverschiebungen zulässig.Vgl. zum Ganzen Hellermann in: Dietlein/Hellermann Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen § 4 Rn. 61.
Beispiel
Die Gemeinde D hat in einem Flächennutzungsplan ein Gebiet als öffentliche Grünfläche vorgesehen. Im Bebauungsplan kann dieses Gebiet nun nicht z.B. als Gewerbegebiet ausgewiesen werden. Zulässig wäre aber z.B., einen Teil des als Grünfläche vorgesehenen Gebiets als Friedhof und einen anderen Teil dieses Gebiets als Sportplatz auszuweisen (vgl. § 9 Abs. 1 Nr. 15 BauGB).
3. Ordnungsgemäße Abwägung aller Belange
109
Nach § 1 Abs. 7 BauGB muss die Gemeinde bei der Aufstellung eines Bebauungsplans die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abwägen. Wie beim Planungsermessen (s.o. Rn. 96) steht bei dieser Abwägung das „Wie“ der gemeindlichen Planung in Rede.Vgl. Schubert in: Erbguth/Mann/Schubert Besonderes Verwaltungsrecht Rn. 951. Ungeachtet der materiell-rechtlichen Bindungen, denen die Gemeinde bei der Aufstellung eines Bebauungsplans unterliegt, besitzt die Gemeinde im Übrigen einen erheblichen Gestaltungsspielraum, welche Festsetzungen über die bauliche oder sonstige Nutzung der Grundstücke in ihrem Gemeindegebiet sie unter Abwägung der öffentlichen und privaten Belange trifft.Vgl. Hellermann in: Dietlein/Hellermann Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen § 4 Rn. 76. Allerdings besteht auch diese gestalterische Freiheit nicht unbegrenzt. Vielmehr unterliegt die planerische Gestaltungsfreiheit der Gemeinde dem sog. Gebot gerechter Abwägung,Vgl. grundlegend BVerwGE 34, 301 – Flachglas. das in § 1 Abs. 7 BauGB gesetzlich normiert ist.
110
Hinweis
Expertentipp
111
Zwecks inhaltlicher Konkretisierung des Gebots gerechter Abwägung haben die Rechtsprechung und das Schrifttum sog. Abwägungsgrundsätze für eine ordnungsgemäße Abwägung in der letzten Phase des Abwägungsvorgangs entwickelt,Vgl. Schubert in: Erbguth/Mann/Schubert Besonderes Verwaltungsrecht Rn. 102. hinsichtlich derer jedenfalls im Ansatz Konsens besteht.
112
Nach dem sog. Gebot der Abwägungsbereitschaft muss die Gemeinde für alle möglichen Planungsvarianten offen sein. Andernfalls würde die Abwägungsentscheidung unzulässig verkürzt. Dies ist z.B. der Fall, wenn die Gemeinde von vornherein auf eine bestimmte Planung festgelegt ist.Vgl. Hellermann in: Dietlein/Hellermann Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen § 4 Rn. 90.
Beispiel
Die Gemeinde K möchte in einem Bebauungsplan ein bisher als öffentlicher Sportplatz genutztes Gebiet zukünftig als Wohngebiet ausweisen. Alleiniger Grund für diesen Sinneswandel der Gemeinde K ist das auch für sie lukrative Vorhaben des privaten Investors C, auf dem betreffenden Gebiet eine große Wohnanlage zu errichten. Ohne Rücksprache mit anderen Ämtern oder dem Gemeinderat sichert die Gemeinde K die besagte Änderung des Bebauungsplans zu. – Hier verletzt die Gemeinde K das Gebot der Abwägungsbereitschaft allein schon deshalb, weil sie die Zusicherung ohne Mitwirkung des Gemeinderates abgibt.
113
Keine unzulässige Verkürzung der Abwägung liegt jedoch vor, wenn die Vorwegnahme der Entscheidung sachlich gerechtfertigt ist, die planungsrechtliche Zuständigkeitsordnung gewahrt ist (insbesondere der Gemeinderat ordnungsgemäß beteiligt wurde) und die vorweggenommene Entscheidung inhaltlich nicht zu beanstanden ist.Vgl. BVerwGE 45, 309.
114
Das sog. Gebot der Konfliktbewältigung verpflichtet die Gemeinde, bei der Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB alle bestehenden und durch die beabsichtigte Planung neu auftretenden städtebaulichen Konflikte zu berücksichtigen und planerisch zu bewältigen.Vgl. Brenner Öffentliches Baurecht Rn. 433 ff. Zur Bewältigung solcher Konflikte stehen der Gemeinde die vielfältigen Festsetzungsmöglichkeiten des § 9 Abs. 1 bis Abs. 3 BauGB und die sie konkretisierenden Bestimmungen der BauNVO zur Verfügung. Die Gemeinde muss grundsätzlich so planen, dass sie einen Konflikt zumindest reduziert.Vgl. OVG NRW DVBl. 2009, 1385; auch Brenner Öffentliches Baurecht Rn. 434.
Beispiel
Sofern bei der Umsetzung eines Bebauungsplans hinsichtlich eines bestehenden Gewerbebetriebs, der Lärm emittiert, Nutzungskonflikte zu erwarten sind, darf die Gemeinde insoweit nicht auf eine Konfliktlösung im Bebauungsplan verzichten, weil sie unterstellt, dass der Gewerbebetrieb in der Zukunft modernisiert wird und die Betriebsabläufe geändert werden, und – allein gestützt auf bloße Absichtsbekundungen des Betriebsinhabers – mittelfristig von einer Standortverlagerung des Gewerbebetriebs ausgeht.Vgl. OVG NRW NWVBl. 2004, 309.
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Etwas anderes gilt dann, wenn der Konflikt in einem dem Planungsverfahren nachfolgenden Verfahren gelöst werden kann.Vgl. Schubert in: Erbguth/Mann/Schubert Besonderes Verwaltungsrecht Rn. 1026. In diesem Falle besitzt die Gemeinde die Möglichkeit der sog. planerischen Zurückhaltung.Vgl. Hellermann in: Dietlein/Hellermann Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen § 4 Rn. 91.
Beispiel
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Nicht nur beim Nachbarschutz (dazu unten Rn. 419 ff.; s. auch Rn. 261), sondern auch bei der Aufstellung von Bebauungsplänen hat die Gemeinde das sog. Gebot der Rücksichtnahme zu beachten, das die Gemeinde speziell im Bereich der Bauleitplanung zur Berücksichtigung schutzwürdiger privater Interessen verpflichtet. Das so verstandene Gebot der Rücksichtnahme hat nähere Ausprägungen erfahren, zu denen als zentrale Ausprägung der sog. Grundsatz der Trennung unverträglicher Nutzungen gehört. Danach sollen unverträgliche Nutzungen grundsätzlich nicht nebeneinander geplant werden.
Beispiel
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Nach h.M. handelt es sich beim Trennungsgrundsatz um ein sog. Optimierungsgebot, das – im Gegensatz zu den Planungsleitsätzen – zwar eine vorrangige Berücksichtigung verlangt, einer – allerdings rechtfertigungsbedürftigen – Überwindung durch im Einzelfall vorrangige Belange aber nicht entgegensteht.Vgl. zum Ganzen Schubert in: Erbguth/Mann/Schubert Besonderes Verwaltungsrecht Rn. 1028 (mit Fn. 548) und Rn. 997. Ein positiv-rechtlich normiertes Optimierungsgebot finden Sie v.a. in § 50 BImSchG.Bundesimmissionsschutzgesetz.
Beispiel
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