Inhaltsverzeichnis
A. Überblick
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Nachdem wir uns in den Teilen 3 und 4 dieses Skripts mit dem Bauplanungsrecht befasst haben, werden wir uns in diesem und dem nächsten Teil des Skripts mit dem Bauordnungsrecht beschäftigen. Wie oben (Rn. 14) bereits erwähnt, liegt die Gesetzgebungskompetenz für das Bauordnungsrecht bei den Ländern. Im Gegensatz zum Bauplanungsrecht, das die bauliche und sonstige Nutzung von Grundstücken und damit bodenbezogene Regelungen zum Gegenstand hat, stellt das Bauordnungsrecht objektbezogenes Recht dar, das in erster Linie darauf gerichtet ist, dass durch die Errichtung und die Nutzung baulicher Anlagen keine Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung entstehen; daneben verfolgt es z.B. auch sozialpolitische sowie bau- und energiewirtschaftliche Ziele.Vgl. Brenner Öffentliches Baurecht Rn. 779. Zu den zuletzt genannten Zielen gehört z.B. die Vermeidung von verunstaltend wirkenden Vorhaben oder die Sicherung sozialer und ökologischer Standards für ein gesundes Wohnen oder Arbeiten.Vgl. Hellermann in: Dietlein/Hellermann Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen § 4 Rn. 233 m.N. Letztlich ist das Bauordnungsrecht daher vor allem besonderes (baubezogenes) Gefahrenabwehrrecht mit der Folge, dass, soweit die baurechtlichen Vorschriften keine abschließende Regelung enthalten, das allgemeine Gefahrenabwehrrecht subsidiär anwendbar ist.
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Im öffentlichen Baurecht nehmen die Behörden daher vor allem gefahrenabwehrrechtliche Aufgaben wahr.
§ 58 Abs. 2 S. 1 BauO NRW 2018 weist den Behörden allgemein die Aufgabe zu, bei der Errichtung, der Änderung, der Nutzungsänderung und der Beseitigung sowie bei der Nutzung und der Instandhaltung von Anlagen darüber zu wachen, dass die öffentlich-rechtlichen Vorschriften und die aufgrund dieser Vorschriften erlassenen Anordnungen eingehalten werden. Die Behörden nehmen damit die Aufgaben der Bauüberwachung wahr. Für die Wahrnehmung der Bauüberwachung werden den Bauaufsichtsbehörden Eingriffsbefugnisse eingeräumt.
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Die Bauüberwachung wird in § 83 Abs. 1 BauO NRW legaldefiniert. Hiernach kann die Bauaufsichtsbehörde die Einhaltung der öffentlich-rechtlichen Vorschriften und der Anforderungen sowie die ordnungsgemäße Erfüllung der Pflichten der am Bau Beteiligten überprüfen. Die Bauüberwachung ist im Fünften Abschnitt der Landesbauordnung 2018, zu dem neben § 83 BauO NRW 2018 auch § 84 BauO NRW 2018 gehört, besonders ausgestaltet.
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Expertentipp
Lesen Sie § 58 Abs. 2 S. 2 BauO NRW 2018!
Die Bauüberwachung kann präventiv oder repressiv erfolgen. Präventive Bauüberwachung bedeutet, dass die Behörde in Wahrnehmung ihrer Aufgaben tätig wird, bevor sie einen Verstoß gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften feststellt. Das typische Beispiel präventiver Bauüberwachung stellt die Baugenehmigung dar, mit der wir uns in diesem Teil des Skripts näher befassen werden. Repressive Bauüberwachung meint demgegenüber, dass die Behörde in Wahrnehmung ihrer Aufgaben tätig wird, nachdem sie einen Verstoß gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften festgestellt hat. In diesem Falle räumt die Bauordnung NRW 2018 der Behörde neben der allgemeinen Befugnis, nach pflichtgemäßem Ermessen die erforderlichen Maßnahmen zur Beseitigung des baurechtswidrigen Zustands zu ergreifen (vgl. § 58 Abs. 2 S. 2 BauO NRW 2018), spezielle Befugnisse ein. Hierzu gehört z.B. die Befugnis zum Betreten von Grundstücken und Anlagen einschließlich der Wohnungen (vgl. § 58 Abs. 7 S. 1 BauO NRW 2018). Die typischen Maßnahmen der repressiven Bauüberwachung sind die Stilllegungsverfügung, die Nutzungsuntersagung und die Beseitigungsverfügung (vgl. §§ 81, 82 BauO NRW 2018; dazu näher Rn. 440 ff.).
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Das Bauordnungsrecht unterteilt sich in das sog. formelle Bauordnungsrecht und das sog. materielle Bauordnungsrecht. Das formelle Bauordnungsrecht befasst sich mit der Organisation, den Zuständigkeiten und den Befugnissen der Behörden sowie den Bauaufsichtsverfahren. Das materielle Bauordnungsrecht regelt die materiellen (inhaltlichen) Anforderungen an ein Vorhaben. Dazu gehören z.B. die Abstandsflächen (§ 6 BauO NRW 2018), die Gestaltung (§ 9 BauO NRW 2018), die Stellplätze (§ 48 BauO NRW 2018) und die örtliche Bauvorschriften (§ 89 BauO NRW 2018).