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Ob die Verwirkung zur Verneinung der Klagebefugnis oder zum Entfallen des Rechtsschutzbedürfnisses führt, ist umstritten.
Vgl. Schmidt Öffentliches Baurecht Rn. 490 m.w.N. Da es sich um eine Aufbaufrage handelt, ist dieses Problem nicht darzustellen. Durch den Ort der Prüfung ergibt sich, welcher Auffassung sind folgen. Jedenfalls ist die Verwirkung im Rahmen der Zulässigkeit und nicht erst im Rahmen der Begründetheit der Klage zu prüfen.667
Nach der Rechtsprechung kann das Recht des Nachbarn, sich auf ihn schützende Vorschriften zu berufen, durch Verwirkung untergehen.
BVerwGE 44, 294; BVerwGE 78 35; VGH Baden-Württemberg VBlBW 1992, 103; VGH Baden-Württemberg BauR 2012, 1637. Verwirkung liegt vor, wenn seit der Möglichkeit, ein subjektives Recht geltend zu machen, längere Zeit verstrichen ist und infolge besonderer Umstände die spätere Geltendmachung gegen Treu und Glauben verstoßen würde.BVerfGE 32, 305; BVerwG NVwZ-RR 2004, 314.668
Es ist zwischen der formellen und der materiellen Verwirkung zu unterscheiden.
Dürr Baurecht Baden-Württemberg Rn. 318. Beide Arten der Verwirkung setzten nicht voraus, dass es sich bei der baulichen Anlage um ein genehmigtes Bauvorhaben handelt, so dass eine Verwirkung auch bezüglich eines formell illegalen Vorhabens eintreten kann.BVerwG BauR 1997, 281; BVerwG NJW 1998, 328.669
Eine formelle Verwirkung ist dann gegeben, wenn der Nachbar trotz sicherer Kenntnis vom Bauvorhaben ein Jahr lang nichts unternimmt, insbesondere wenn er keine Rechtsmittel einlegt.
BVerwGE 44, 294; BVerwGE 78, 35; VGH Baden-Württemberg VBlBW 1992, 103; VGH Baden-Württemberg BauR 2012, 1637. Die Verwirkung folgt aus dem nachbarrechtlichen Gemeinschaftsverhältnis, das den Nachbarn verpflichtet, seine Einwendungen nicht unangemessen spät zu erheben. Zur Beurteilung, wann eine Einwendung unangemessen spät erhoben wird, wird auf die Jahresfrist analog § 58 Abs. 2 VwGO zurückgegriffen.Dürr Baurecht Baden-Württemberg Rn. 318. Die Jahresfrist beginnt jedoch nicht dann zu laufen, wenn der Nachbar die tatsächliche Kenntnis vom Bauvorhaben erlangt, sondern bereits dann, wenn dieser das Bauvorhaben hätte zur Kenntnis nehmen müssen.BVerwG NVwZ 1988, 532.670
Eine materielle Verwirkung ist hingegen gegeben, wenn der Nachbar durch sein Verhalten gegenüber dem Bauherrn den berechtigten Eindruck hervorruft, er werde gegen das Bauvorhaben keine Einwendungen erheben.
BVerwG NVwZ 1991, 1182. Eine derartige Verwirkung kann auch vor Ablauf der Jahresfrist eintreten.Dürr Baurecht Baden-Württemberg Rn. 318. Auch die materielle Verwirkung wirkt gegenüber dem Rechtsnachfolger.VGH Baden-Württemberg VBlBW 1992, 103.Beispiel
Eine materielle Verwirkung ist gegeben, wenn der Nachbar Widerspruch einlegt, obwohl er vom Bauherrn als Ausgleich für die zu erwartenden Beeinträchtigungen zuvor eine Entschädigung von 3,2 Millionen Euro erhalten hat.
OVG Nordrhein-Westfalen BauR 2004, 62.671
Ein Fall der materiellen Verwirkung kann auch im Falle des Erwerbs von Sperrgrundstücken gegeben sein.
BVerwGE 112, 135, 137 ff. Ein derartiger Erwerb liegt vor, wenn das Grundstück alleine zum Zwecke der Erlangung der Klagebefugnis und der damit verbundenen Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung des benachbarten baulichen Vorhabens ohne jegliche Nutzungsabsicht erworben wird. In diesem Fall wird die Eigentümerstellung missbräuchlich erworben.