Inhaltsverzeichnis
I. Überblick
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Expertentipp
Lesen Sie die nebenstehend zitierte Norm!
§ 243 ist keine Qualifikation, sondern eine Strafzumessungsnorm zum einfachen Diebstahl. Strafzumessungsregeln finden Sie an verschiedenen Stellen im StGB, so z.B. in § 212 Abs. 2, dem besonders schweren Fall des Totschlags, mit welchem die Strafe erhöht wird oder in § 249 Abs. 2, dem minder schweren Fall des Raubes, mit welchem die Strafe ermäßigt wird.
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Mit diesen Strafzumessungsregeln hat der Gesetzgeber der Rechtsprechung die Möglichkeit gegeben, bei Taten, die hinsichtlich des verwirklichten Unwertgehalts erheblich vom „Normalfall“ abweichen, eine höhere oder auch niedrigere Strafe zu verhängen. Beim Diebstahl wird der Strafrahmen mit § 243 Abs. 1 S. 1 angehoben: Hat der einfache Diebstahl einen Strafrahmen von bis zu 5 Jahren Freiheitsstrafe oder Geldstrafe, so wird der Diebstahl in „besonders schweren Fällen“ mit Freiheitsstrafe von 3 Monaten bis zu 10 Jahren bestraft. Die Verhängung einer Geldstrafe ist nicht mehr möglich.
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Im Gegensatz zu § 212 Abs. 2 hat der Gesetzgeber bei § 243 Abs. 1 Fallgruppen aufgelistet, bei welchen ein besonders schwerer Fall in Betracht kommen kann. § 243 Abs. 1 S. 2 beginnt mit den Worten: „Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter …“. Entsprechend dieser Formulierung nennt man diese Fallgruppen Regelbeispiele.
Hinweis
Auch Regelbeispiele finden Sie an verschiedenen Stellen im Gesetz, so z.B. in den §§ 240 Abs. 4, 263 Abs. 3, 267 Abs. 3. Die nachfolgenden Ausführungen zur rechtlichen Natur und zur Problematik des „Versuchs des Regelbeispiels“ sind auf diese Vorschriften übertragbar.
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Die im Gesetz genannten Regelbeispiele sind weder zwingend noch abschließend. Sie haben lediglich Indizwirkung, was bedeutet, dass „in der Regel“ bei Verwirklichung der Beispiele ein besonders schwerer Fall vorliegen wird, aber nicht vorliegen muss. Es ist dem Gericht also möglich, trotz Verwirklichung eines Regelbeispiels einen besonders schweren Fall abzulehnen, wenn die Gesamtwürdigung von Tat und Täter keinen besonders hohen Unwertgehalt ergibt.Wessels/Hillenkamp/Schuhr Strafrecht BT/2 Rn. 216 ff.
Beispiel
Der erwerbslose A steigt am Sonntagmittag erstmalig durch ein weit offen stehendes Seitenfenster eines Spielwarengeschäfts ein, um seiner kranken Tochter zu Weihnachten eine Puppe zu stehlen, die er sich nicht leisten kann.
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Umgekehrt kann das Gericht einen besonders schweren „unbenannten“ Fall annehmen, wenn zwar keine der Nummern 1 bis 7 verwirklicht sind, aber die Tat sich vom Unwertgehalt her vom einfachen Diebstahl abhebt, eventuell sogar vom Tatbild her mit den Nummern 1 bis 7 vergleichbar ist.
Beispiel
In der Asservatenkammer der Polizei lagert eine äußerst wertvolle Briefmarkensammlung, die anlässlich einer Razzia als Diebesgut sichergestellt wurde. Der Polizeibeamte P, der für die Asservatenkammer zuständig ist, nimmt in einem unbeobachteten Moment diese Sammlung an sich und verkauft sie an den Hehler H.
Hier ist kein benanntes Regelbeispiel verwirklicht. Aufgrund der Amtsträgereigenschaft des P, des Umstandes, dass er für die sichere Verwahrung verantwortlich war, sowie des Wertes der Briefmarkensammlung liegt aber ein Diebstahl vor, der vom Unrecht und der Schuld deutlich über dem Normalfall des Diebstahls liegt, so dass ein unbenannter schwerer Fall angenommen werden kann.Vgl. BGHSt 29, 319.
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Darin unterscheiden sich Regelbeispiele wesentlich von Qualifikationen. Sind die gesetzlich genannten Voraussetzungen einer Qualifikation, z.B. Diebstahl mit Waffen gem. § 244 Abs. 1 Nr. 1a erfüllt, so muss das Gericht den Täter wegen §§ 242, 244 Abs. 1 Nr. 1a bestrafen. Ein Ermessen wie bei § 243 gibt es nicht.
Beispiel
Polizistin P klaut im Kiosk des A während ihrer Dienstzeit ein Eis. Sie braucht zur Stabilisierung ihres Kreislaufs dringend etwas Zucker, hat aber ihr Geld zu Hause vergessen. Hier muss der Richter – jedenfalls nach h.M. – gem. § 244 Abs. 1 Nr. 1a bestrafen, auch wenn nur ein geringer Schaden verursacht wurde und die Tat nicht in erhöhtem Maße strafwürdig erscheint.
Expertentipp
In der Klausur sollten Sie grundsätzlich den besonders schweren Fall bejahen, wenn die Voraussetzungen des § 243 verwirklicht sind. Nur in Ausnahmefällen empfiehlt sich eine Gesamtwürdigung und eventuelle Ablehnung des § 243. Dann müssen allerdings entsprechende eindeutige Anhaltspunkte im Sachverhalt gegeben sein.
Die Annahme eines unbenannten besonders schweren Falls kommt in der Klausur in Betracht, wenn Sie zunächst die infrage kommenden Regelbeispiele angeprüft und letztlich abgelehnt haben. Gibt es nun wiederum Anhaltspunkte dafür, dass der Unwertgehalt mit einem der geprüften Regelbeispiele vergleichbar und deswegen gesteigert ist, so können Sie einen unbenannten Fall bejahen. In beiden Varianten ist jedoch eine gute Argumentation unabdingbar.
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Damit ein besonders schwerer Fall angenommen werden kann, muss nach überwiegender Auffassung auch der Vorsatz des Täters analog § 15 auf die Verwirklichung eines besonders schweren Falls gerichtet sein. Unterliegt der Täter einem Irrtum, so ist § 16 analog anzuwenden.Wessels/Hillenkamp/Schuhr Strafrecht BT/2 Rn. 228.
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Nicht überlesen sollten Sie § 243 Abs. 2, der eine unwiderlegliche Annahme dahingehend trifft, dass ein besonders schwerer Fall ausgeschlossen ist, sofern sich die Tat auf eine geringwertige Sache bezieht. In diesem Fall ist der Unwertgehalt des Diebstahls nach Auffassung des Gesetzgebers so gering, dass der erhöhte Strafrahmen des § 243 unangemessen erscheint.
Expertentipp
Für die Prüfung des § 243 in der Klausur ist Folgendes zu beachten:
§ 243 wird im Anschluss an die Schuld als weiterer Prüfungspunkt diskutiert. Sofern ein besonders schwerer Fall in Betracht kommt, sollte dies schon im Obersatz deutlich gemacht werden, so zum Beispiel: „A könnte sich wegen Diebstahls in einem besonders schweren Fall gem. §§ 242, 243 Abs. 1 Nr. 1 strafbar gemacht haben, indem er durch das Kellerfenster in die Villa des B einstieg.“
Kommen mehrere Regelbeispiele in Betracht, so sind alle zu prüfen, auch wenn im Ergebnis nur ein Diebstahl in einem besonders schweren Fall vorliegt.
Auch wenn die Voraussetzungen des Regelbeispiels vom Vorsatz des Täters umfasst sein müssen, so sollten Sie nicht von einem „objektiven“ und „subjektiven“ Tatbestand sprechen, da Regelbeispiele keine Tatbestände sind. Es empfiehlt sich vielmehr die Formulierung „in objektiver/subjektiver Hinsicht“.
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Wir werden uns nachfolgend ausführlich mit den Regelbeispielen der Nummern 1–3 sowie mit dem Klausurklassiker „Versuch des Regelbeispiels“ beschäftigen. Die Nummern 4–7 sind nicht sonderlich klausurrelevant, weswegen eine vertiefte Auseinandersetzung nicht erforderlich ist.