Inhaltsverzeichnis
B. Begünstigung, § 257
I. Überblick
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Geschütztes Rechtsgut des § 257 ist zunächst das Individualinteresse des Opfers an der Wiederherstellung der vom Vortäter rechtswidrig entzogenen Position. Daneben ist aber auch das Interesse an der Allgemeinheit geschützt, den durch die Vortat beeinträchtigten gesetzmäßigen Zustand wiederherzustellen. Der Strafgrund der Begünstigung besteht mithin darin, dass der Täter, der dem Vortäter Hilfe leistet in der Absicht, ihm die Vorteile der Tat zu sichern, diese Wiederherstellung erschwert oder vereitelt.Jäger Strafrecht BT Rn. 592.
Expertentipp
Die Begünstigung wird in der Klausur zumeist im Zusammenhang mit einem Diebstahl oder Raub des Vortäters relevant werden. Es stellt sich dann nämlich die Frage, ob der Täter lediglich Beihilfe zum Diebstahl oder Raub gem. §§ 249, 242, 27 oder Begünstigung gem. § 257 leistet.
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Beachten Sie, dass § 257 ein Vergehen ist, bei welchem der Gesetzgeber die Versuchsstrafbarkeit nicht angeordnet hat. Diese Besonderheit wird wichtig werden bei der Bestimmung der Tathandlung.
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Darüber hinaus bestimmt § 257 Abs. 3, dass derjenige, der an der Vortat beteiligt war, nicht wegen Begünstigung strafbar ist. Damit kann strafbarer Täter des § 257 weder der Täter der Vortat noch Anstifter oder Gehilfe der Vortat sein. Behalten Sie diesen Abs. im Kopf, wenn es nachfolgend darum gehen wird, wer Täter einer Hehlerei sein kann.
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Der Aufbau der Begünstigung sieht wie folgt aus:
Prüfungsschema
Wie prüft man: Begünstigung, § 257
I. | Objektiver Tatbestand |
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| 1. | rechtswidrige Vortat eines anderen |
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| 2. | Tathandlung: Hilfeleistung |
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| Abgrenzung Begünstigung – sukzessive Beihilfe | Rn. 754 |
II. | Subjektiver Tatbestand |
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| 1. | Vorsatz |
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| 2. | Vorteilssicherungsabsicht |
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| Unmittelbarkeit des aus der Vortat stammenden Vorteils | Rn. 766 |
III. | Rechtswidrigkeit |
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IV. | Schuld |
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V. | Strafantrag gem. § 257 Abs. 4 |
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II. Objektiver Tatbestand
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Der objektive Tatbestand besteht darin, dass der Täter einem anderen, der eine rechtswidrige Tat begangen hat, Hilfe leistet. Die Prüfung erfolgt mithin in zwei Schritten:
Schritt 1 | Schritt 2 |
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Rechtswidrige Vortat eines anderen | Hilfe leisten |
1. Vortat
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Die Vortat kann bei § 257 jede beliebige Tat sein, aus welcher der Täter Vorteile erlangt hat. Wichtig ist, dass diese Vortat tatsächlich begangen wurde. Auf die Verfolgbarkeit kommt es dagegen nach überwiegender Auffassung nicht an, so dass auch bereits verjährte Taten als Vortat in Betracht kommen.Jäger Strafrecht BT Rn. 594.
2. Tathandlung: Hilfe leisten
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Bei dieser Vortat muss der Täter Hilfe geleistet haben. Nach überwiegender Auffassung ist darunter Folgendes zu verstehen:
Definition
Definition: Hilfeleisten
Hilfeleisten ist jedes Handeln oder Unterlassen, welches objektiv geeignet ist, die durch die Vortat erlangten oder entstandenen Vorteile dagegen zu sichern, dass sie dem Vortäter zu Gunsten des Verletzten entzogen werden.BGHSt 4, 122.
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Wie schon dem Wortlaut zu entnehmen ist, ist es nicht erforderlich, dass die Hilfeleistung erfolgreich war. Es reicht aus, dass das Handeln oder Unterlassen des Täters jedenfalls objektiv geeignet war, die Entziehung zu verhindern. Eine tatsächliche Vorteilssicherung muss vom Täter lediglich beabsichtigt sein.BGHSt 24, 166; Joecks/Jäger § 259 Rn. 5. Sofern teilweise vertreten wird, dass auch eine untaugliche Handlung als Hilfeleistung ausreichen soll,Seelmann JuS 1983, 34. wird dem entgegengehalten, dass damit eine nach § 257 grundsätzlich straflose Versuchshandlung zur täterschaftlichen Handlung gemacht werde und damit der Tatbestand unzulässig ausgedehnt werde.
Beispiel
A lagert Diebesgut unmittelbar nach der Tat in einer Tasche verpackt in der Garage seines Nachbarn. Am nächsten Tag bittet er seine Ehefrau E, die Tasche zu holen und im Schrebergarten zu vergraben. Die Ehefrau handelt wie befohlen. Allerdings hat der Nachbar zuvor das Diebesgut entdeckt und durch Ziegelsteine ausgetauscht, was E nicht weiß.
Die Handlung der Ehefrau war objektiv nicht geeignet, die Vorteile der Tat zu sichern, da die Vorteile bereits verschwunden waren. Gäbe es den strafbaren Versuch der Begünstigung, so wäre die Ehefrau entsprechend strafbar. Mit der oben dargestellten h.M. ist sie hingegen straflos. Lediglich eine Minderauffassung in der Lit. würde in dem Verhalten der E eine Hilfeleistung erblicken.
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Da die Hilfeleistung dazu geeignet sein muss, dem Täter die Vorteile gegen Entziehung zu Gunsten des Verletzten zu sichern, scheiden Handlungen aus, die lediglich der Sacherhaltung (z.B. Füttern eines gestohlenen Tieres) oder der Abwehr eines rechtswidrigen Angriffs (Niederschlagen des Diebes) dienen. Bei einer entsprechenden Garantenstellung kann Hilfeleistung auch in einem pflichtwidrigen Unterlassen liegen, so z.B. wenn die Eltern es zulassen, dass ihre minderjährigen Kinder Diebesgut im Haus verstecken.
Beispiel
Typische Begünstigungshandlungen nach dem soeben Ausgeführten sind mithin das Aufbewahren oder Verbergen entwendeter Gegenstände, das Umlackieren entwendeter Fahrzeuge, das Abheben des Geldes von einem entwendeten Sparbuch.Jäger Strafrecht BT Rn. 594 m.w.N.
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Problematisch kann in der Klausur die Abgrenzung von Beihilfe zur Vortat und Begünstigung werden. Zu unterscheiden sind zunächst folgende Konstellationen:
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• | Der Täter leistet Hilfe, bevor der Diebstahl oder Raub vollendet wurde. In diesem Fall liegt ausschließlich eine Beihilfe zur Vortat vor, da Begünstigung erst möglich ist, wenn die Vortat wenigstens vollendet ist. |
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• | Der Täter leistet Hilfe, nachdem die Vortat bereits beendet ist. In diesem Fall kommt ausschließlich Begünstigung gem. § 257 in Betracht, da nach Beendigung eine Beteiligung an der Vortat nicht mehr möglich ist. |
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Problematisch sind die Fälle, in denen der Täter zwischen Vollendung und Beendigung hinzutritt und z.B. durch Verbringen der Diebesbeute in sein eigenes Fahrzeug unterstützend handelt.
Beispiel
A ist in den Kiosk der B eingebrochen und hat diverse Alkoholika und Zigaretten auf die Straße getragen. Leider ist er nur mit dem Fahrrad gekommen und weiß jetzt nicht, wie er die Gegenstände nach Hause schaffen soll. Er ist deswegen hocherfreut, als sein Bruder X um die Ecke biegt, der ihm nach kurzer Unterrichtung über das Geschehen beim Transport hilft, indem er die Sachen in seinen Wagen lädt.
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Ein Teil des Schrifttums lehnt die sukzessive Beihilfe nach Vollendung der Haupttat grundsätzlich ab. Für diese Auffassung gibt es mithin ein Abgrenzungsproblem zwischen Beihilfe an der Vortat und Begünstigung nicht.Geppert Jura 1994, 443; Jahn/Reichart JuS 2009, 311.
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Expertentipp
Wiederholen Sie an dieser Stelle die Problematik der sukzessiven Mittäterschaft und sukzessiven Beihilfe, dargestellt im Skript „Strafrecht AT II“.
Da die Vortat jedoch erst mit der Beendigung abgeschlossen ist, bejaht die Rechtsprechung, gefolgt von anderen Literaturvertretern, die Möglichkeit der sukzessiven Beihilfe.BGHSt 30, 30; Schönke/Schröder-Weißer § 27 Rn. 20.
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Innerhalb der h.M. ist jedoch umstritten, wie die sukzessive Beihilfe von der Begünstigung abgegrenzt werden kann.
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Überwiegend wird nach der inneren Willensrichtung des Hinzutretenden abgegrenzt. Wolle dieser die Vortat erfolgreich zu Ende bringen, so liege Beihilfe zur Haupttat vor. Habe er hingegen vor, das vom Vortäter Erlangte gegen die Entziehung zu sichern, so sei Begünstigung gegeben.BGHSt 6, 248; MüKo-Cramer § 257 Rn. 24. Da die innere Willensrichtung ein sehr unpräzises Abgrenzungskriterium ist, will die Gegenansicht stets wegen Beihilfe zur Vortat bestrafen. Eine Begünstigung kommt dieser Auffassung zufolge erst nach Beendigung der Vortat in Betracht.Schönke/Schröder-Hecker § 257 Rn. 7.
Expertentipp
In der Klausur fangen Sie mit der Strafbarkeit des Teilnehmers wegen Beihilfe zur Vortat, also gem. §§ 242, 27 oder §§ 249, 27 an. Das Problem wird dann im objektiven Tatbestand bei der Handlung des Teilnehmers, dem Hilfeleisten, dargestellt und diskutiert. Sollten Sie sich der Literaturauffassung anschließen, wonach eine sukzessive Beihilfe nicht möglich ist, müssen Sie im Anschluss § 257 prüfen, wobei Sie bei der Tathandlung auf die obige Diskussion und Entscheidung verweisen können. Sollten Sie sich der Literaturauffassung anschließen, wonach stets Beihilfe zur Vortat vorliegt, so erübrigt sich eine Prüfung des § 257. Im Übrigen müssen Sie bei der Hilfeleistung mit der Rechtsprechung überprüfen, welche innere Willensrichtung der Hinzutretende hatte. Auch wenn es sich insoweit um ein subjektives Merkmal handelt, empfiehlt es sich, dies schon im objektiven Tatbestand zu thematisieren.
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Wenig problematisch sind die Fälle, in welchen der Täter dem Vortäter schon vor Begehung der Tat seine spätere Hilfeleistung zusagt. In diesem Fall wird zumeist eine Beihilfe in Form der psychischen Beihilfe zu bejahen sein, so dass es auf den soeben dargestellten Streit nicht ankommt.
III. Subjektiver Tatbestand
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Im subjektiven Tatbestand sind zwei Voraussetzungen zu prüfen:
Schritt 1 | Schritt 2 |
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Vorsatz | Absicht, die Vorteile der Tat zu sichern |
1. Vorsatz
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Erforderlich ist zunächst wieder Vorsatz hinsichtlich des objektiven Tatbestandes, wobei dolus eventualis genügt. Es ist nicht erforderlich, dass sich der Vorsatz auf nähere Einzelheiten zur Person des Vortäters, zur Art der Vortat oder zur Beschaffenheit des Vorteils bezieht. Es reicht aus, wenn der Täter diese Umstände in ihren groben Umrissen kennt.
Beispiel
A bringt eine Kassette in Sicherheit, wobei er davon ausgeht, dass B diese Kassette, von welcher A glaubt, dass sie Schmuck beinhaltet, von dem Dieb D angekauft hat, um den Inhalt weiterzuverkaufen. Tatsächlich ist in der Kassette Geld verborgen, welches B gestohlen hat.
Hier ist die Vortat ein Diebstahl und nicht, wie von A vorgestellt, eine Hehlerei, was jedoch, da es sich in beiden Fällen um Straftaten handelt, für den Vorsatz ebenso unbeachtlich ist wie der Umstand, dass die Kassette tatsächlich Geld beinhaltet.
2. Vorteilssicherungsabsicht
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Der Täter muss darüber hinaus in der Absicht handeln, dem Begünstigten die Vorteile der Tat zu sichern. Unter Absicht ist dabei dolus directus 1. Grades zu verstehen, d.h. es muss dem Täter darauf ankommen, im Interesse des Vortäters die Wiederherstellung des gesetzmäßigen Zustandes zu verhindern oder zu erschweren.
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Wichtig ist, dass die Absicht des Täters darauf gerichtet ist, mit seiner Handlung Vorteile zu sichern, die unmittelbar durch die Vortat erlangt worden sind. Anders als bei § 259 ist dafür nach überwiegender Auffassung aber keine Sachidentität erforderlich. Ist die Vortat ein Vermögensdelikt, muss es dem Täter nur darauf ankommen, dass ein geldwerter Vorteil nachvollziehbar im Vermögen des Vortäters verbleibt.BGH NStZ 1990, 123; Jäger Strafrecht BT Rn. 595.
Beispiel
A hat durch einen Betrug von B einen Verrechnungsscheck in Höhe von 10 000 € erhalten, welchen er bei seiner Bank einreicht, die den Betrag dem Konto gutschreibt. Diesen Betrag überweist A zunächst auf ein eigenes Konto bei einer anderen Bank in der Schweiz und dann auf ein Konto seiner nunmehr eingeweihten Ehefrau, ebenfalls in der Schweiz.
Hier hat der Geldtransfer nicht dazu geführt, dass das Geld seine Eigenschaft als „unmittelbar aus der Vortat stammend“ verliert. Die Ehefrau kann sich damit wegen Begünstigung strafbar machen, wenn sie nunmehr über das Geld weiter verfügt.
IV. Rechtswidrigkeit und Schuld
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Insofern bestehen keine deliktsspezifischen Besonderheiten, so dass auf die allgemeinen Grundsätze verwiesen wird.
V. Täterschaft und Teilnahme
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Wie bereits ausgeführt, kann Täter des § 257 nicht derjenige sein, der Täter, Mittäter oder mittelbarer Täter der Vortat ist.
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Darüber hinaus sind Gehilfen der Vortat gem. § 257 Abs. 3 ebenfalls nicht strafbar. Strafbar ist jedoch, wenn der Täter der Vortat einen bislang Unbeteiligten zur Begünstigung anstiftet. In diesem Fall dürfte jedoch eine mitbestrafte Nachtat vorliegen.