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Denkbar ist, dass der Tod erst durch das Verhalten eines Dritten herbeigeführt wird. Häufig begegnen Ihnen hier Konstellationen, in denen Mittäter gemeinsam eine Körperverletzung begehen, bei der dann einer der Mittäter entgegen dem Tatplan eine Handlung ausführt, die zum Tod des Opfers führt (Mittäter - Exzess). Erneut geht es die Frage, inwieweit der Körperverletzungshandlung (!) das Risiko anhaftet, dass einer der Beteiligten über das vereinbarte Ziel hinausschließt und das Opfer tötet.
Nach Auffassung des BGHBGH NStZ 2021, 735 ist immer dann ein Zurechnung möglich, wenn
das Opfer durch die Körperverletzung in eine Lage gerät, in der es den nachfolgenden Einwirkungen eines gewaltbereiten Tatbeteiligten schutzlos ausgeliefert ist oder
dem gemeinschaftlich begangenen Angriff nach den tatsächlichen konkreten Gegebenheiten die naheliegende Möglichkeit einer tödlichen Eskalation innewohnt.
Beispiel
A, B und C, allesamt der rechtsradikalen Szene angehörend, schlagen und treten gemeinsam auf den unterlegenen X ein. Im Zuge der intensiver werdenden Misshandlungen springt A aufgrund eines spontan gefassten Entschlusses auf den Kopf des X, der gerade gezwungen worden war, in die Kante eines Schweinetrogs zu beißen. Mit diesem Sprung haben B und C nicht gerechnet („Schweinetrogfall“).
A hat sich wegen Mordes aus niedrigen Beweggründen gem. § 211 strafbar gemacht. B und C haben sich zunächst, mangels Tötungsvorsatzes, nicht des mittäterschaftlich begangenen Mordes sondern der gemeinschaftlich begangenen, schweren Körperverletzung gem. §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 4, 25 Abs. 2 strafbar gemacht. Darüber hinaus hat der BGHBGH NStZ 2005, 93; anders BGH NStZ 2021, 735 beide wegen gemeinschaftlich begangener Körperverletzung mit Todesfolge gem. §§ 227, 25 Abs. 2 verurteilt. Der gefährlichen Körperverletzungshandlung haftet nach Auffassung des BGH im konkreten Fall die Gefahr der Eskalation an. Genau diese Gefahr hat sich in dem vorsätzlichen Sprung des A auch realisiert. Aus diesem Grund kommt auch kein, den Unmittelbarkeitszusammenhang unterbrechendes Dazwischentreten des A in Betracht, da A nicht „dazwischen“ getreten ist, sondern, veranlasst durch B und C, die Gefahr weiterentwickelt hat.
Expertentipp
Bei der Prüfung des § 227 müssen Sie mithin 2 Fragen nacheinander klären:
1. Was ist der Anknüpfungspunkt für den Zurechnungszusammenhang - Handlung oder Erfolg? Folgen Sie der Letalitätslehre, haben sich einige der zuvor genannten Probleme schnell erledigt. Folgen Sie hingegen dem BGH und anderen Literaturvertretern, dann stellt sich Frage
2. Wird der Zurechnungszusammenhang durchbrochen durch die Handlung des Opfers oder eines Dritten? Bei diesem Punkt geht es um eine Bewertung des Risikos der Körperverletzungshandlung und damit um eine lebensnahe, am Sachverhalt orientierte Argumentation. Wie immer ist hier mit guten Begründungen vieles vertretbar.