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Wie bei allen Erfolgsqualifikationen so kann auch bei § 238 Abs. 3 der gefahrspezifische Zusammenhang (auch „Unmittelbarkeitszusammenhang“ genannt) problematisch werden, insbesondere dann, wenn der Erfolg, also der Tod durch das Verhalten des Opfers eintritt. Sie müssen dann klären, ob es sich um eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung handelt oder ob in dem unbefugten Nachstellen das Risiko der Handlung des Opfers und damit des Todes bereits angelegt war.
Zu beachten ist, dass der Gesetzgeber bei der Schaffung der Vorschrift nicht nur den Fall besonders unter Strafe stellen wollte, in dem das Opfer z.B. auf der Flucht vor dem Täter zu Tode kommt, sondern auch jenen, bei dem das durch die Nachstellungshandlungen bedrängte Opfer vom Täter in einen psychischen Ausnahmezustand versetzt und infolgedessen in den Selbstmord getrieben wird.BT-Drs. 16/3641, 14; BGH NJW 2017, 2211
Beispiel
A und O kommen im Spätsommer 2014 als Paar zusammen. Ein halbes Jahr später trennt sich O nach einem heftigen Streit von A, der daraufhin beginnt, O nachzustellen. Er schickt ihr über mehrere Wochen hasserfüllte, bedrohende und beleidigende Textnachrichten, verfolgt sowohl sie als auch die Eltern mit Telefonanrufen und Sachbeschädigungen, lauert ihr zu Hause und am Arbeitsplatz auf und versucht, sie bei ihrem Arbeitgeber durch erfundene Mitteilungen zu deskreditieren. In der Folge erkrankt die bis dahin psychisch gesunde O an einer schweren Depression und wird mehrfach in eine psychiatrische Klinik eingewiesen. Schließlich verweigert sie eine weitere Behandlung und erhängt sich im November 2015 im Keller ihrer Wohnung.
Problematisch ist hier zum einen der große Zeitraum zwischen den Tathandlungen und dem Eintritt der Folge und zum anderen der Umstand, dass das Opfer eine weitere Behandlung verweigert hat. Der BGHBGH NJW 2017, 2211 hat gleichwohl den Unmittelbarkeitszusammenhang bejaht, da das Verhalten des Opfers motivational auf die Verwirklichung des Grundtatbestands zurückzuführen gewesen sei und diese Motivation für sein selbstschädigendes Verhalten handlungsleitend gewesen sei.
Wie bei jeder Erfolgsqualifikation muss bezüglich der Folge nur Fahrlässigkeit gem. § 18 vorliegen. Beachten Sie, dass Sie zunächst die objektive Fahrlässigkeit und dann in der Schuld noch die subjektive Fahrlässigkeit prüfen.
Die Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt liegt bereits in der Verwirklichung des Grunddelikts. Es muss also nur geprüft werden, ob der Tod zum Zeitpunkt des Handels des Täters objektiv und schließlich auch für den Täter subjektiv vorhersehbar war. Die Vorhersehbarkeit ist zu verneinen, wenn der Eintritt des Todes außerhalb aller Lebenswahrscheinlichkeit lag. Bei Suiziden braucht sich die Vorhersehbarkeit nicht auf alle Einzelheiten des zum Tode führenden Geschehensablaufs zu erstrecken, insbesondere nicht auf die durch die Tathandlung ausgelösten, im Einzelnen ohnehin nicht einschätzbaren somatischen Vorgänge, die den Tod schließlich ausgelöst haben; es genügt vielmehr die Vorhersehbarkeit des Erfolgs im Allgemeinen.BGH BeckRS 2020, 42668