Strafrecht Allgemeiner Teil 2 - Abgrenzung täterschaftlichen Unterlassens von der Beihilfe durch Unterlassen

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Strafrecht Allgemeiner Teil 2

Abgrenzung täterschaftlichen Unterlassens von der Beihilfe durch Unterlassen

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III. Abgrenzung täterschaftlichen Unterlassens von der Beihilfe durch Unterlassen

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Problematisch und umstritten ist, ob ein Täter, der es unterlässt, eine Rechtsgutsverletzung zu verhindern, die ein Dritter vorsätzlich durch aktives Handeln begeht, Täter eines Unterlassungsdeliktes oder lediglich Teilnehmer (Beihelfender) durch Unterlassen ist.

Hinweis

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Eine Anstiftung durch Unterlassen gibt es nach überwiegender Auffassung nicht, da die Anstiftung einen geistigen Kontakt zwischen Anstifter und Täter voraussetzt, der aber bei einer unterlassenen Einflussnahme auf einen noch nicht vollständig Entschlossenen nicht gegeben ist.Wessels/Beulke/Satzger Strafrecht AT Rn. 882; anders Rengier Strafrecht AT § 51 Rn. 28.

Beispiel

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Der verurteilte Jugendliche J, der zusammen mit A und B eine Zelle teilt, wird von diesen über einen längeren Zeitraum „in einer Atmosphäre der Gewalt“ gequält und gedemütigt. So muss er 20 Purzelbäume schlagen, bis zum Erbrechen eine große Menge Hering essen und sexuelle Nötigungen über sich ergehen lassen. Am Tattag nimmt nun A an J eine simulierte Exekution vor, indem er J an einen Stuhl fesselt und ihm eine Plastiktüte über den Kopf zieht, die er erst entfernt, nachdem J kurz davor ist, zu ersticken. B hat dabei lediglich zugesehen.

Der BGHBGH Urteil vom 12.2.2010, 4 StR 488/08, abrufbar unter www.bundesgerichtshof.de. hat ausgeführt, dass B gegenüber J zunächst eine Garantenstellung aus Ingerenz gehabt habe, da er dem A durch die vorangegangenen Misshandlungen zu verstehen gegeben habe, dass dieser sich bei weiteren Misshandlungen keine Hemmungen aufzuerlegen brauche. Damit aber habe er die Gefahr der Eskalation geschaffen. Fraglich ist nun aber, ob sich B wegen mittäterschaftlich begangener, gefährlicher Körperverletzung und Nötigung durch Unterlassen oder nur wegen Beihilfe dazu durch Unterlassen strafbar gemacht hat.    

Expertentipp

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Davon abzugrenzen ist die Beteiligung durch positives Tun an einem Unterlassungsdelikt eines anderen. Diese richtet sich nach den allgemeinen Abgrenzungskriterien von Täterschaft und Teilnahme. Hält also ein Nichtgarant einen Garanten aktiv davon ab, das Opfer zu retten, dann kann sich dieser als Anstifter zu einem Unterlassungsdelikt oder (Neben oder Mit-)Täter strafbar gemacht haben.Wessels/Beulke/Satzger Strafrecht AT Rn. 1209.

Hinweis

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Diese Abgrenzungskriterien werden ausführlich dargestellt bei „Täterschaft und Teilnahme“, dort unter Rn. 100. Zum besseren Verständnis empfiehlt es sich, die dortigen Ausführungen zu lesen.

Nach herrschender Meinung ist auf die im Begehungsbereich entwickelten Abgrenzungskriterien zwischen Täterschaft und Teilnahme abzustellen, um eine dem Einzelfall gerechte Entscheidung zu treffen.

Für die Literatur ist entscheidend, ob der Garant mit (potentieller) Tatherrschaft und dem Willen zur Tatherrschaft die geforderte Handlung unterlässt. Dabei erfolgt die Abgrenzung auf der Grundlage objektiver Kriterien, so der tatsächlichen Beherrschung des Geschehensablaufs (war es dem Unterlassenden einfach möglich, den aktiv handelnden Täter abzuhalten?), der Nähe zum Tatort, dem Schutzobjekt und der Mitwirkung bei der Tatplanung.Rengier Strafrecht AT § 51 Rn. 20; Wessels/Beulke/Satzger Strafrecht AT Rn. 1211.

Der BGH grenzt wie sonst auch nach der inneren Haltung ab und stellt darauf ab, ob sich der Unterlassende dem Willen das aktiv Handelnden unterordnet und dementsprechend nur Randfigur sein möchte oder ob er ein eigenes Interesse an der Tat hat.BGH NStZ 1992, 31; BGH NStZ 2019, 341. Dabei zieht der BGH aber verstärkt die objektive Tatherrschaft und den Willen zur Tatherrschaft als Indiz für den Willen, die Tat als eigene zu begehen, heran.BGH NStZ 2009, 321.

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Nach einer teilweise in der Literatur vertretenen Auffassung ist das pflichtwidrige Untätigbleiben gegenüber dem vorsätzlich handelnden Begehungstäter immer nur eine Beihilfe des Garanten. Allein der aktiv Handelnde beherrsche das Geschehen und „verstelle“ daher dem Garanten den „Zugang“ zum strafbaren Erfolg. Auch aus Akzessorietätsgründen sei nur Beihilfe möglich. Das Unrecht des Garantenunterlassens sei von dem Vorsatzinhalt und der Vorsatzverwirklichung des Begehungstäters abhängig.Ranft ZStW 1984, 815 ff.; Kühl Strafrecht AT § 20 Rn. 229.

Nach anderen Auffassungen hingegen kann im Unterlassensbereich der Gesichtspunkt der Tatherrschaft zur Abgrenzung Täterschaft/Teilnahme nicht herangezogen werden. Die bloße Möglichkeit, einen Erfolg zu verhindern, begründe keine Tatherrschaft, sondern sei lediglich im Rahmen der Kausalität von Bedeutung. Bei den Unterlassungsdelikten handele es sich um Pflichtdelikte, bei denen allein die Verletzung der Erfolgsabwendungspflicht unrechtsbegründend wirke. Dabei lege die Garantenpflicht nicht nur den potenziellen Täterkreis fest, sondern wirke auch täterschaftskonstituierend, indem jeder, der die Erfolgsabwendungspflicht verletze, Täter sei.Bosch JA 2007, 420; Ellbogen/Stage JA 2005, 355.

Eine weitere Meinung unterscheidet schließlich nach Art und Inhalt der verletzten Handlungspflicht. Entscheidend sei, ob die Tat wertmäßig die Voraussetzungen einer Beihilfe oder einer Täterschaft erfülle. Der Beschützergarant sei regelmäßig als Täter anzusehen. Seine Pflicht sei unmittelbar erfolgsbezogen, ihn interessiere nicht der zum Erfolg führende Kausalverlauf, sondern allein die Erfolgsabwendung als solche. Der Überwachergarant hingegen unterliege einer qualitativ anderen Rechtspflicht, deren Unterlassen wertmäßig einer Beihilfe näherstünde.Seier JA 1990, 383.

Beispiel

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Im obigen Beispiel hat der BGH nur eine Beihilfe durch Unterlassen angenommen. B wurde nur als sich unterordnende Randfigur des Geschehens angesehen. Die Tatbestandsverwirklichung wurde primär von dem das Geschehen steuernden A in den Händen gehalten, auch wenn B verhindernd hätte eingreifen können.

Expertentipp

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Es stellt sich in der Klausur die Frage, an welcher Stelle diese Problematik anzusprechen ist. Es würde sich anbieten, das Problem beim „Unterlassen der erforderlichen Handlung“ darzustellen. Da aber einige Auffassungen nach der Art der Garantenstellung differenzieren, müssten Sie vorgreifen und diese inzident prüfen. Sofern eine Garantenstellung verneint wird, ist die Abgrenzung überflüssig, da der Teilnehmende dann weder als Unterlassenstäter noch als Beihelfender durch Unterlassen strafbar sein kann. Von daher sollten Sie die Frage am Ende der Prüfung des (objektiven) Tatbestands aufwerfen. Da nach h.M. bei der Abgrenzung auch subjektive Kriterien relevant werden, sollten Sie in diesem Fall nicht zwischen objektivem und subjektivem Tatbestand unterscheiden, sondern nur „Tatbestand“ als Gliederungsebene wählen.

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