Inhaltsverzeichnis
V. Die Rückgriffskondiktion
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Prüfungsschema
Wie prüft man: Anspruch aus § 812 Abs. 1 S. 1 Var. 2 BGB (Rückgriffskondiktion)
I. | Anspruchsentstehung | |||
| 1. | Etwas Erlangt: Befreiung von einer Verbindlichkeit | ||
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| a) | (Kein) Vorrang anderer Ausgleichsmechanismen | |
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| b) | Fall des § 267 BGB ohne „268“ | |
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| aa) | Keine Anwendung der Auftragsregeln |
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| bb) | Änderung der Tilgungsbestimmung |
| 2. | In sonstiger Weise auf Kosten des Gläubigers | ||
| 3. | Ohne rechtlichen Grund | ||
| 4. | Umfang des Anspruchs | ||
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| a) | Herausgabe des Erlangten | |
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| b) | Erweiterungen nach § 818 Abs 1 BGB | |
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| c) | Wenn Herausgabe nicht (mehr) möglich: Wertersatz, § 818 Abs. 2 BGB | |
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| d) | Kein Anspruch bei fehlender Bereicherung | |
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| aa) | Voraussetzungen des § 818 Abs. 3 BGB |
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| bb) | Verschärfte Haftung? |
II. | Rechtsvernichtende Einwendungen, | |||
III. | Durchsetzbarkeit | |||
| 1. | Fälligkeit | ||
| 2. | Einreden |
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Als letzte Fallgruppe der Nichtleistungskondiktionen bleibt die Rückgriffskondiktion zu besprechen. Gemeint ist hier der Rückgriff auf einen Begünstigten, an den nicht geleistet wurde, der aber Nutznießer einer Leistung des Gläubigers war. Diese etwas kryptisch anmutende Formulierung wird klarer, wenn man sich den wirtschaftlichen Hintergrund verdeutlicht. Es geht darum, einen Ausgleich dafür zu schaffen, dass durch die Leistung an einen Gläubiger ein Dritter (Schuldner der Rückgriffskondiktion) von seiner Leistungspflicht befreit wird. Da der Leistende an den Gläubiger und nicht an den Dritten geleistet hat, bleibt also die Eingriffskondiktion nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB, die hier als RückgriffskondiktionVgl. zur Rückgriffskondiktion: Jauernig/Stadler, BGB § 812 Rn. 72-79; Looschelders, Schuldrecht BT, § 55 Rn. 41 ff. bezeichnet wird.
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Aber Vorsicht: In der weit überwiegenden Mehrzahl der Fälle, in denen jemand eine fremde Schuld bezahlt, hält das Gesetz spezielle und damit vorrangige Ausgleichsmechanismen bereit. Für eine Rückgriffskondiktion ist dann kein Raum mehr.Vgl. Looschelders, Schuldrecht BT, § 55 Rn. 41.
Beispiel
A und B haften dem C aus vorsätzlich, gemeinsam begangener Körperverletzung gemäß §§ 823 Abs. 1, 830, 426 BGB gesamtschuldnerisch auf Schadenersatz. C nimmt den liquideren A allein auf die volle Summe in Anspruch. A zahlt. Hier kann A gegen B aus § 426 Abs. 1 BGB vorgehen. Diese Anspruchsgrundlage verdrängt den § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB.
1. Etwas erlangt
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Die Rückgriffskondiktion ist eine Eingriffskondiktion im Sinne des § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB Deshalb muss als Erstes geprüft werden, ob der in Anspruch genommene Schuldner „Etwas“ im Sinne dieser Norm erlangt hat.Vgl. Looschelders, Schuldrecht BT, § 55 Rn. 41.
Bei den Fallkonstellationen der Rückgriffskondiktion ist dies in aller Regel die Befreiung von einer dem Gläubiger gegenüber bestehenden Verbindlichkeit.
2. (Kein) Vorrang anderer Ausgleichsmechanismen
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Wie einleitend zu diesem Abschnitt bereits gesagt, verdrängen vielfältige spezielle Ausgleichsmechanismen nach Zahlung fremder Schulden die Rückgriffskondiktion. Oben hatten wir bereits den § 426 Abs. 1 BGB erwähnt. Spezieller sind daneben auch alle Fälle des gesetzlichen Forderungsüberganges (cessio legis). Diese sind insbesondere:
Übergang der Forderung auf den Dritten, der zur Abwendung der Zwangsvollstreckung in sein Vermögen die Forderung eines Gläubigers gegen einen Schuldner begleicht. | |
Übergang der Forderung auf den zahlenden Gesamtschuldner. | |
§ 774 und § 1225 BGB: | Übergang der Forderung auf den zahlenden Bürgen/Verpfänder. |
Übergang der Forderung auf den zahlenden Grundstückeigentümer, auf dessen Grundstück eine Hypothek lastet, die eine Fremdverbindlichkeit sichert. |
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Übrig bleibt für die Anwendung der Rückgriffskondiktion wohl nur eine Fallgestaltung.So im Ergebnis Looschelders, Schuldrecht BT, § 55 Rn. 41. Jemand bezahlt gemäß § 267 BGB Schulden eines anderen und hat kein Ablösungsrecht nach § 268 BGB (und deshalb auch keinen speziellen Ausgleich gemäß § 268 Abs. 3 BGB):
3. Der Fall des § 267
a) Keine Anwendung der Auftragsregeln
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Eine Rückgriffskondiktion kommt ferner dann nicht in Betracht, wenn der Zahlende entweder aufgrund eines Auftrages oder als Geschäftsführer ohne Auftrag gehandelt hat.
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Hat er einen (gegebenenfalls konkludent) abgeschlossenen Auftrag des durch die Zahlung befreiten Schuldners, bedarf es der subsidiären Eingriffskondiktion nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB nicht, da der Zahlende Dritter gegen den befreiten Schuldner einen Anspruch aus § 670 BGB (Aufwendungsersatz des Beauftragten) hat.
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Dasselbe gilt auch für die Geschäftsführung ohne Auftrag. Wenn die Übernahme der Geschäftsführung dem Interesse und dem wirklichen oder dem mutmaßlichen Willen des Geschäftsherrn (also in unserem Fall des Schuldners) entsprach, hat der Zahlende einen Anspruch auf Aufwendungsersatz nach § 683 BGB.
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Ist das (ausnahmsweise) nicht der Fall, scheint § 684 BGB endlich die Rückgriffskondiktion für anwendbar zu erklären. Aber das ist nur auf den ersten Blick so. § 684 BGB ist lediglich eine Rechtsfolgeverweisung.Vgl. Looschelders, Schuldrecht BT, § 45 Rn. 9. Es sind also nur die Rechtsfolgen einer ungerechtfertigten Bereicherung und damit die Regeln über den Wegfall der Bereicherung nach §§ 818, 819 BGB anzuwenden.
b) Änderung der Tilgungsbestimmung
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Damit bleibt für die Eingriffkondiktion nur die Fallgestaltung, dass bei der Zahlung der Schuld der Leistende meint, eine eigene Schuld zu erfüllen. Solange das so bleibt, ist wieder kein Raum für die Rückgriffskondiktion, da durch das vermeintliche Leisten auf eine eigene Schuld die Verbindlichkeit des Schuldners nicht erlischt.
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Jetzt lässt aber die herrschende Meinung einen „Trick“ zu. Der Zahlende kann im Nachhinein die Tilgungsbestimmung ändern und so den eigentlichen Schuldner von seiner Verbindlichkeit befreien.Vgl. MüKo BGB/Schwab, BGB § 812 Rn. 397 m.w.N. Jetzt endlich gibt es keine verdrängende Sondervorschrift, aus denen der zahlende Dritte gegen den Schuldner vorgehen kann und der Anwendungsbereich der Rückgriffskondiktion ist eröffnet.
Beispiel
A zahlt an ein Versandhaus eine Rechnung über eine Waschmaschine in Höhe von 500 € versehentlich das zweite Mal. Sein Nachbar B hat ebenfalls eine solche Maschine erworben, aber den Kaufpreis noch nicht entrichtet. Bevor B zahlt und das Versandhaus die Doppelzahlung ausgeglichen hat, gerät die Firma in die Insolvenz.
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Wenn A nichts tut, hat er zwar einen Bereicherungsanspruch gegen das Versandhaus (Leistungskondiktion, condictio indebiti: A leistet ohne rechtlichen Grund das Geld an die Firma). Dieser Anspruch ist aber wertlos. Nun kann A die Tilgungsbestimmung ändern, in dem er erklärt, dass die Zahlung auf die Schuld des B angerechnet werden soll. Nun kann A von B die 500 € aus der Rückgriffskondiktion verlangen.