Inhaltsverzeichnis
- B. Der Primäranspruch des Käufers (§ 433 Abs. 1)
- I. Anspruchsentstehung
- 1. Wirksamer Kaufvertrag
- 2. Weitere Anspruchsvoraussetzungen
- 3. (Keine) Anfängliche Unmöglichkeit (§ 275 Abs. 1)
- a) Nichtexistenz/Untergang des verkauften Gegenstandes
- b) Rechtliches Unvermögen des Verkäufers
- c) Anfängliche Unmöglichkeit (nur) der Mängelbeseitigung
- aa) Mangel des Kaufobjekts bei Vertragsschluss
- bb) Anfängliche Unbehebbarkeit des Mangels
- cc) Auswirkung auf die Primärleistungspflicht des Verkäufers
- II. Rechtsvernichtende Einwendungen
- 1. Erfüllung und Erfüllungssurrogate
- 2. Nachträgliche Leistungsbefreiung nach § 275
- 3. Leistungsbefreiung nach § 300 Abs. 2
- 4. Sonstige Einwendungen
- III. Durchsetzbarkeit
- 1. Fälligkeit
- 2. Einreden
- IV. Nebenpflichten des Verkäufers
- V. Pflichtverletzung
B. Der Primäranspruch des Käufers (§ 433 Abs. 1)
Prüfungsschema
Wie prüft man: Anspruch des Käufers gem. § 433 Abs. 1 (ggf. i.V.m. § 453)
I. | Anspruchsentstehung |
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| 1. | Wirksamer Kaufvertrag (siehe vor Rn. 4) |
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| 2. | Sonstige Voraussetzungen/rechtshindernde Einwendungen, insbesondere: |
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| a) | Besondere Voraussetzung für Gläubiger- und Schuldnerstellung Dritter |
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| b) | Eintritt einer vereinbarten Bedingung |
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| c) | Anfängliche Unmöglichkeit nach § 275 Abs. 1 |
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| Nichtexistenz/Untergang des verkauften Gegenstandes | Rn 57 ff. |
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| Unmöglichkeit der Mängelbeseitigung | Rn. 62 ff. |
II. | Rechtsvernichtende Einwendungen, insbesondere |
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| 1. |
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| 2. | Nachträgliche Leistungsbefreiung nach § 275 Abs. 1–3, § 300 Abs. 2 |
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| 3. | Eintritt einer auflösenden Bedingung, § 158 Abs. 2 |
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| 4. | Rücktritt, Verlangen von Schadensersatz statt der Leistung (§ 281 Abs. 4), Widerruf i.S.d. § 355 |
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III. | Durchsetzbarkeit |
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| 1. | Fälligkeit |
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| 2. | Einreden |
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| Annahmeverzug und ZbR aus § 320 | Rn. 89 | |
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| Verjährung bei Nichtverschaffung von Eigentum | Rn. 90 |
I. Anspruchsentstehung
1. Wirksamer Kaufvertrag
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Die Primärleistungspflichten der Kaufvertragspartner richten sich nach deren vertraglichen Vereinbarungen. Notwendige Voraussetzung für die Entstehung der kaufvertraglichen Primäransprüche ist der Abschluss eines wirksamen Kaufvertrages. Sie nehmen dazu die oben unter Rn. 4 ff. besprochen Prüfungsschritte vor.
Hinweis
Anspruchsvoraussetzung für einen vertraglichen Primäranspruch ist die vertragliche Vereinbarung, die auf Herbeiführung des gewünschten Anspruchs gerichtet ist. Die im Gesetz aufgeführten Normen zur Typisierung der verschiedenen Vertragstypen sind also keine Anspruchsgrundlagen – es handelt sich ja eben gerade nicht um ein gesetzliches Schuldverhältnis. Der Anspruch folgt „aus Vertrag“ und nicht „aus § X“. Die Regelung in § 433 dient (nur) der Festlegung des Vertragstyps, auf den die §§ 434 ff. Anwendung finden sollen. Außerdem kann § 433 als Auslegungshilfe verstanden werden: Wenn die Parteien sich in ihrer Vereinbarung zur Festlegung ihrer Leistungspflichten mit den Begriffen „Kauf“ oder „(ver-)kaufen“ begnügt haben, wollen sie im Zweifel die in §§ 433 ff. (§ 453) typisierten Pflichten begründen.
Haben Sie einen Vertrag, der unproblematisch einem Vertragstyp des BGB entspricht, empfiehlt sich regelmäßig folgende Formulierung (am Beispiel eines Kaufvertrages): Anspruch „aus Kaufvertrag gem. § 433 Abs. 1 BGB“.Petersen JURA 2008, 180, 182 unter Ziff. II 1b.
2. Weitere Anspruchsvoraussetzungen
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Wie immer kann die Entstehung des Anspruches neben dem wirksamen Kaufvertrag in bestimmten Fällen noch weitere Punkte erfordern, etwa die Voraussetzungen einer Abtretung oder Schuldübernahme, wenn es in der Person des Gläubigers oder Schuldners einen Wechsel gegeben hatSiehe zu diesen Themen und den damit verbundenen Aufbaufragen im Skript „Schuldrecht AT I“. oder den Eintritt einer aufschiebenden Bedingung (vgl. bereits oben unter Rn. 19 ff.).
3. (Keine) Anfängliche Unmöglichkeit (§ 275 Abs. 1)
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Die anfängliche Unmöglichkeit stellt eine besondere rechtshindernde Einwendung gegen die Entstehung des Primäranspruches aus einem wirksamen Kaufvertrag dar. Die allgemeinen Grundsätze zu § 275 Abs. 1 haben wir uns bereits an anderer Stelle angesehen.Skript „Schuldrecht AT II“ Rn. 315 ff. Wir wollen hier nur die Fallkonstellationen hervorheben, die sich typischerweise im Kaufrecht stellen:
a) Nichtexistenz/Untergang des verkauften Gegenstandes
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Es ist denkbar, dass der verkaufte Gegenstand bei Abschluss des Kaufvertrages nicht mehr existiert oder nie existieren kann. Die Fälle unterscheiden sich von den noch nicht existierenden Sachen, die wir uns oben unter Rn. 19 ff. angesehen haben.
Beispiel
V verkauft dem K seine Kaufpreisforderung gegen X, die in Wahrheit nie bestand oder bei Vertragsschluss – etwa wegen Rücktritts des X – nicht mehr besteht.
Beispiel
Der angestellte Verkäufer A verkauft dem K nach zahlreichen Besichtigungsterminen im Namen des Antiquitätenhändlers V einen von K ausgesuchten antiken Schreibtisch nebst passendem antikem Stuhl, die sich bei Vertragsschluss in einem Zwischenlager des V befinden sollen. Bei Vertragsschluss war jedoch der Schreibtisch infolge eines Brandes bereits zerstört – alternativ: gestohlen – worden.
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Im Beispiel 1 kann der Verkäufer die verkaufte Forderung mangels Existenz nicht auf den Käufer im Wege der Abtretung (§§ 398 ff.) übertragen. Er kann die nicht existente Forderung auch nicht alleine (neu) zur Entstehung bringen. Er braucht dazu den X, der freiwillig mit dem Verkäufer die gegen ihn gerichtete Kaufpreisforderung neu begründen müsste. Die Nichtexistenz eines verkauften, aber nur theoretisch noch begründbaren Rechts führt im Zweifel dazu, dass der Anspruch auf Verschaffung dieses Rechts wegen Unmöglichkeit nach § 275 Abs. 1 ausgeschlossen ist. Diesem Ansatz hat sich auch der BGH angeschlossen. In diesen Fällen liegt ein vom allgemeinen Leistungsstörungsrecht geregelter Fall der Nichterfüllung, nicht aber ein vom kaufrechtlichen Gewährleistungsrecht erfasster Mangel vor. Die Verjährung etwaiger Ansprüche folgt daher aus den allgemeinen Vorschriften (§§ 195, 199), § 438 Abs. 1 Nr. 1 a findet auf diese Ansprüche keine analoge Anwendung.BGHZ 238, 327; BGH JA 2024, 689.
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Im Beispiel 2 haben wir den Fall einer Zerstörung oder des unauffindbaren Verlusts eines geschuldeten Stücks.
Ist die Verschaffung des Eigentums (nur) an einem Teil des Kaufgegenstands unmöglich (sog. „quantitative Teilunmöglichkeit“) und ist dieser Teil wirtschaftlich als selbständige Einheit anzusehen, wird die Primärleistungspflicht des Verkäufers nach § 275 Abs. 1 nur „insoweit“ ausgeschlossen.Siehe dazu im Skript „Schuldrecht AT II“ Rn. 320 ff. Der Verkäufer schuldet dann noch die Eigentumsverschaffung am restlichen Kaufgegenstand. Der Käufer ist im Fall der Teilunmöglichkeit nicht nach § 266 berechtigt, die restliche, noch mögliche Teilleistung zurückzuweisen – andernfalls gerät er nach §§ 293 ff. in Annahmeverzug.Grüneberg-Grüneberg § 266 Rn. 7; Lorenz NJW 2013, 1341. V schuldet im Beispiel 2 (nur) noch den – vorhandenen – Stuhl, sodass die Lieferung dieses Stuhls die Gesamtlieferung der möglichen Leistung darstellt. Allerdings kann K unter den Voraussetzungen der §§ 326 Abs. 5, 323 Abs. 5 S. 1 und Abs. 6 auch schon vor Lieferung des Stuhls vom ganzen Vertrag zurücktreten und dann wegen Rücktritts die Abnahme der noch möglichen Leistung (Stuhl ohne passenden Schreibtisch) verweigern. Dass der Käufer auch schon vor Lieferung des Stuhls zurücktreten kann, ergibt sich aus §§ 326 Abs. 5, 323 Abs. 4, da schon vor Lieferung feststeht, dass der V von der Restleistung wegen Unmöglichkeit befreit ist.Lorenz NJW 2013, 1341.
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Anders liegt es, wenn die Parteien die Leistungspflicht nicht von vorneherein auf ein konkretes Stück fixiert, sondern nur der Gattung nach bestimmt haben.
Beispiel
V verkauft dem Sammler K einen noch zu beschaffenden antiken Schreibtisch, den er dem K liefern soll. K sind Farbe und Form gleichgültig. Er legt nur Wert darauf, dass der Schreibtisch aus der Werkstatt von David Roentgen (1743–1807) stammt. Befand sich nun im Lager des V ein Schreibtisch der geschuldeten Art, der bei Vertragsschluss bereits zerstört oder gestohlen worden war, hat dies mangels Konkretisierung keinen Einfluss auf die Leistungspflicht des Verkäufers.Siehe dazu im Skript „Schuldrecht AT II“ Rn. 335.
Eine anfängliche Unmöglichkeit kann bei Gattungsschulden bzw. Vorratsschulden nur bestehen, wenn die gesamte Gattung (bzw. der Vorrat) bei Vertragsschluss nicht (mehr) existiert.
Hinweis
Hier zeigt sich deutlich, dass § 275 die „Leistungsgefahr“ und nicht die „Sachgefahr“ regelt. Der zufällige Verlust einer Sache trifft ihren Eigentümer (Sachgefahr). Die Leistungspflicht des Schuldners – der noch nicht einmal der Eigentümer zu sein braucht – kann hingegen vom Verlust der Sache unberührt bleiben (Frage der Verteilung der Leistungsgefahr). Das ist bei der unbeschränkten Gattungsschuld und der Vorratsschuld gegeben: Der Verlust eines Stücks aus der Gattung bedeutet eben nicht automatisch, dass der Verkäufer nicht mehr leisten müsste.
b) Rechtliches Unvermögen des Verkäufers
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Verkauft jemand einen Gegenstand (Sache, Recht), über den er nicht verfügen darf, hat er ein Problem: Schließlich hat er sich verpflichtet, dem Käufer den Gegenstand zu verschaffen, was ohne Zustimmung des Berechtigten grundsätzlich nicht möglich ist.
Expertentipp
Kennen Sie weitere Fälle, in denen der nichtberechtigte Verkäufer dem Käufer Eigentum an einer Sache verschaffen kann?
Dieses Problem lässt sich natürlich dadurch lösen, dass der Verkäufer sich die Zustimmung des Berechtigten zur Verfügung über den Gegenstand geben lässt (§ 185 Abs. 1) oder den Gegenstand von diesem erst einmal selber erwirbt. Die bei Vertragsschluss fehlende Berechtigung kann also nicht automatisch als Unmöglichkeitstatbestand aufgefasst werden, der die Leistungspflicht des Verkäufers gem. § 433 Abs. 1 (i.V.m. § 453) ausschließt.
Eine anfängliche Unmöglichkeit dürfen Sie in den Fällen fehlender Verfügungsberechtigung des Verkäufers aber annehmen, wenn sich dem Sachverhalt nicht entnehmen lässt, dass der Verkäufer zum Erwerb der Verfügungsberechtigung willens und in der Lage ist.BGH NJW 2009, (63 f.) und BGH NJW 2007, 2841, (2842). Der anfänglich fehlenden Verfügungsberechtigung kommt also eine Vermutung für ein anspruchsausschließendes Unvermögen i.S.d. § 275 Abs. 1 zu.
Hinweis
Beachten Sie, dass Eigentums- und Besitzverschaffung keine selbstständigen Leistungsteile der in § 433 Abs. 1 S. 1 typisierten Hauptleistungspflicht darstellen. Beide Teile werden vielmehr als unzertrennbare Einheit aufgefasst. Wenn dem Verkäufer die Eigentumsverschaffung unmöglich, die Besitzeinräumung jedoch möglich ist, liegt keine mögliche Teilleistung, sondern vollständige Unmöglichkeit der Gesamtleistung vor.BGH NJW-RR 1999, 346, (347).
Eine fehlende Verfügungsberechtigung über die verkaufte Sache oder das verkaufte Recht stellt daher keinen Rechtsmangel dar, sondern führt zur vollständigen Nichtleistung wegen Unmöglichkeit (h.M.).BGH NJW 2007, 3777 ff.; Grüneberg-Weidenkaff § 435 Rn. 8 („fehlendes Eigentum kein Rechtsmangel“); a.A. Canaris JZ 2003, S. 831 ff. (832) m.w.N., der ab dem Moment, in dem der Käufer Eigentum erworben hätte, das Gewährleistungsrecht anwenden will. In der Sache geht es um die Anwendbarkeit der Verjährungsregel des § 438 Abs. 1 Nr. 1a (siehe dazu unter Rn. 90).
Beispiel
V verkauft dem gutgläubigen K eine dem E gestohlene Uhr, an der V wegen § 935 Abs. 1 selber kein Eigentum erwerben konnte. Wenn sich aus dem Sachverhalt nicht ergibt, dass V willens und in der Lage ist, den E zur Zustimmung zur Veräußerung der Uhr an K zu bewegen, ist anfängliches Unvermögen des V anzunehmen. Der Anspruch auf Übereignung und Übergabe der Uhr ist dann gem. § 275 Abs. 1 von Anfang an ausgeschlossen.
c) Anfängliche Unmöglichkeit (nur) der Mängelbeseitigung
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Sehen wir uns schließlich noch die Fälle an, in denen der Verkäufer dem Käufer von Anfang an zwar Eigentum und Besitz an der verkauften Sache verschaffen kann, jedoch nicht in der geschuldeten Qualität. Die Pflicht zur Herstellung der geschuldeten Qualität gem. § 433 Abs. 1 S. 2 kann bereits bei Vertragsschluss wegen Unmöglichkeit (§ 275 Abs. 1) ausgeschlossen sein, wenn ein von Anfang an „unbehebbarer Mangel“ vorliegt. Es stellt sich die Frage, wann ein unbbehebbarer Mangel bereits bei Vertragsschluss vorliegt und was der Verkäufer bei einem solchen unbehebbaren Mangel überhaupt noch schuldet.
Beispiel
V verkauft dem K sein gebrauchtes Motorrad, das vereinbarungsgemäß eine dem Tachostand entsprechende Laufleistung von 25 000 km zurückgelegt haben soll. Der Tachostand erweist sich jedoch infolge einer Manipulation als falsch. In Wirklichkeit beträgt die Laufleistung 40 000 km.
Beispiel
Landwirt V verkauft dem Hersteller K aus seiner Ernte 20 t Mais „ohne gentechnische Veränderungen“. Es stellt sich jedoch heraus, dass das Saatgut der von V angebauten Maispflanzen genetisch verändert worden war.
aa) Mangel des Kaufobjekts bei Vertragsschluss
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Ob die verkaufte Sache mangelhaft ist, ist am Maßstab der §§ 434, 435 zu entscheiden, auch wenn der Vertrag noch nicht das Stadium des Gefahrübergangs erreicht hat.MüKo-Ernst § 323 Rn. 25, 26. Gegen die Einordnung als Sachmangel im rechtechnischen Sinne, Oechsler Vertragliche Schuldverhältnisse § 2 Rn. 80. Lesen Sie zu Rechten des Käufers bei Mangelhaftigkeit der Kaufsache vor Gefahrübergang den sehr instruktiven Aufsatz von Hao-Hao Wu in JuS 2020, 394. Schließlich geht aus den §§ 434, 435 nicht hervor, dass ein Mangel nur bei Gefahrübergang vorliegen könnte und nicht bereits vorher. Aus der Formulierung in § 434 Abs. 1 folgt nur, dass ein gewährleistungspflichtiger Sachmangel nach Gefahrübergang nicht mehr auftreten kann.MüKo-Westermann § 434 Rn. 51 f.; Bamberger/Roth-Faust § 433 Rn. 38 ff.
Hinweis
Eine ganz andere Frage ist, ob die Gewährleistungsrechte aus §§ 437 ff. schon vor Gefahrübergang Anwendung finden können (s.u. Rn. 175 ff.).
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Bei der Stückschuld haben sich die Parteien auf die Lieferung eines ganz konkreten Stücks verständigt, das Gegenstand der Mängelprüfung ist. Im Beispiel 1 kommt als „die verkaufte Sache“ nur das Motorrad des V mit einer Laufleistung von tatsächlich 40 000 km in Betracht. Die Mangelprüfung konzentriert sich auf dieses eine Stück.
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Bei der unbeschränkten oder auf den Vorrat beschränkten Gattungsschuld wie im Beispiel 2 kann als Bezugspunkt für die Mängelprüfung erst ein vom Verkäufer zur Erfüllung ausgewähltes Stück dienen. Ein Mangel bei Vertragsschluss ist also nur denkbar, wenn alle Stücke der vereinbarten Gattung mit einem Mangel i.S.d. §§ 434, 435 behaftet sind. Nur dann steht fest, dass „die verkaufte Sache“, also irgendein vom Verkäufer auszusonderndes Stück aus der vereinbarten Gattung, von Anfang an mangelhaft ist. Dies ist im Beispiel 2 der Fall.
bb) Anfängliche Unbehebbarkeit des Mangels
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Ist ein Mangel bereits bei Vertragsschluss vorhanden und unbehebbar, kann der Verkäufer dem Käufer von Anfang an Besitz und Eigentum an der verkauften Sache nur mit dem Mangel verschaffen.
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Das wird vor allem bei der Stückschuld vorkommen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass in diesem Stadium der primären Erfüllung eine Mangelbeseitigung durch Ersatzlieferung in jedem Fall ausscheidet. Ob und wann bei Stückschulden eine Mängelbeseitigung durch Ersatzlieferung im Rahmen der Nacherfüllung überhaupt in Betracht kommt, kann an dieser Stelle noch dahingestellt bleiben (dazu später unter Rn. 222 ff. mehr). Denn eine Mängelbeseitigung durch ersatzweise Lieferung einer anderen als der vereinbarten Sache ist im Gesetz erst in der Nacherfüllungsphase beim Nacherfüllungsanspruch aus §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 vorgesehen. In der primären Leistungsphase schuldet der Verkäufer nach h.M. eine Ersatzlieferung hingegen (noch) nicht.Medicus/Lorenz Schuldrecht II § 7 Rn. 3; Grüneberg-Weidenkaff § 439 Rn. 2: keine Identität mit ursprünglichem Erfüllungsanspruch; Lorenz NJW 2013, 1341, 1343; Musielak NJW 2008, 2801, 2803 unter Ziff. III 2 a.E: gesetzliche Grundlage für primäre Ersatzlieferungspflicht fehlt; Gsell JuS 2007, 97, 100 unter Ziff. II 5 (keine Ausdehnung des § 439 möglich, planmäßige Sonderregelung); a.A. u.a Bitter ZIP 2007, 1881, 1887 f. unter Ziff. III a. E. (Ersatzlieferungspflicht entweder aus § 433 Abs. 1 S. 2 oder § 439 Abs. 1 analog); MüKo-Ernst § 323 Rn. 29 f.; einen guten Überblick über die Ansätze finden Sie in Heinemeyer NJW 2019, 1025. Die Lieferung einer anderen Sache würde ja nicht zur Verschaffung von Besitz und Eigentum am verkauften Stück führen. Schon die Pflicht gem. § 433 Abs. 1 S. 1 würde also nicht erfüllt. Außerdem begründet die Lieferung einer anderen Sache gem. § 434 Abs. 5 einen neuen Sachmangel. Der Verkäufer kann bei einer Stückschuld mit einer Ersatzsache – mag sie auch gleichwertig sein – seinen Primärleistungspflichten nach § 433 Abs. 1 nicht gerecht werden. Im Beispiel 1 liegt demnach ein anfänglich irreparabler Mangel vor, da der Verkäufer die zu hohe Laufleistung des Motorrads nicht rückgängig machen kann und eine Ersatzlieferung ausgeschlossen ist.
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Bei der Gattungsschuld würde ein von Anfang an unbehebbarer Mangel voraussetzen, dass alle Exemplare der vereinbarten Gattung einen solchen Mangel aufweisen und dieser bei allen Exemplaren der Gattung unbehebbar ist (z.B. kontaminierte Nahrungsmittel eines bestimmten Erzeugers). Ob eine Ersatzlieferung aus einer anderen Gattung geschuldet ist, kann hier ebenfalls offen bleiben. Denn eine solche Lieferung schuldet der Verkäufer allenfalls im Rahmen des Nacherfüllungsanspruchs aus §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1. Im Beispiel 2 liegt also ein von Anfang unbehebbarer Mangel bei der verkauften Maisernte vor, da der Verkäufer die gentechnischen Veränderungen im angebauten Mais nicht mehr ändern kann.
cc) Auswirkung auf die Primärleistungspflicht des Verkäufers
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Im Falle des unbehebbaren Mangels entfällt nur die Pflicht zur Beseitigung dieses Mangels nach § 433 Abs. 1 S. 2. Der Verkäufer ist nicht verpflichtet, „besser“ zu leisten als möglich. Im Übrigen bleibt der Verkäufer zur Leistung verpflichtet.
Bamberger/Roth-Faust § 433 Rn. 42; Lorenz NJW 2013, 1341, 1344 unter Ziff. III 2. Man spricht hier auch von „qualitativer Teilunmöglichkeit“, weil sich die Unmöglichkeit nur auf einen Teil, nämlich den Qualitätsaspekt der Hauptleistungspflichten des Verkäufers gem. § 433 Abs. 1 S. 2 bezieht.Lorenz a.a.O.Im Beispiel 1 bleibt der Verkäufer also verpflichtet, dem Käufer Besitz und Eigentum am verkauften Motorrad zu verschaffen. An der zu hohen Laufleistung dieses Motorrads kann und muss der Verkäufer hingegen nichts ändern. Im Beispiel 2 ist der Verkäufer verpflichtet, dem Käufer Besitz und Eigentum an 20 t Mais aus seiner Ernte zu verschaffen. Die genetischen Defekte kann und muss der Verkäufer hingegen nicht ändern.
Hinweis
Der Käufer kann die Übereignung und Übergabe der mit einem unbehebbaren Mangel versehenen Sache nicht nach § 266 zurückweisen. Tut er das, gerät er in Annahmeverzug.Bamberger/Roth-Unberath § 266 Rn. 3 und § 294 Rn. 6; Grüneberg-Grüneberg § 266 Rn. 7; Lorenz NJW 2013, 1341, (1344). Diese Beschränkung ist ein Ausfluss des Grundsatzes pacta sunt servanda. Die Verschaffung von Besitz und Eigentum ohne diesen Mangel ist wegen § 275 Abs. 1 nicht geschuldet– deshalb stellt die Sache mit dem Mangel das allein geschuldete Objekt dar. In der Lieferung des mangelhaften Objekts liegt dann keine unzureichende Teilleistung. Auch kann der Käufer die Einrede des nichterfüllten Vertrags (§ 320) nicht erheben. Hier fehlt ein fälliger Anspruch des Käufers (§ 275!).JuS 2020, 394 (399).
Will der Käufer den Annahmeverzug und damit einhergehenden Gefahrübergang (§ 446 S. 3 lesen) verweigern, muss er vom Vertrag gem. §§ 326 Abs. 5, 323 Abs. 4, Abs. 5 S. 2 zurücktreten. Nach h.M. ist dies nur bei Erheblichkeit (Abs. 6) des Mangels möglich.Lorenz NJW 2013, 1341, 1344; Jud JuS 2004, 841, 845 f. unter Ziff. IV. Ist der Mangel unerheblich, der Rücktritt somit ausgeschlossen, steht der Käufer nicht schutzlos da. Aus dem in § 242 verankerten dolo agit Einwand folgt, dass der Käufer den Kaufpreis schon vor Gefahrübergang gem. § 441 Abs. 1 mindern kann und die mangelhafte Sache Zug um Zug gegen Zahlung des geminderten Betrags verlangen kann.Medicus/Lorenz Schuldrecht BT II § 5 Rn. 6; Auch ZGS 2004, 91 (95) die jedoch schon das gesamte Mängelrecht vor Gefahrübergang anwenden wollen.
Diese Möglichkeit steht dem Käufer nur dann nicht zu, wenn die Voraussetzungen des § 442 (§ 475 Abs. 3 beachten!) gegeben sind. Diese Vorschrift schließt es auch schon vor Gefahrübergang aus, dass sich der Käufer auf die Verletzung der primären Pflicht gem. § 433 Abs. 1 S. 2 beruft.Bamberger/Roth-Faust § 442 Rn. 30.
Hinweis
Bitte beachten Sie, dass § 434 seit dem 1.1.2022 neu gefasst ist. Inhaltlich ergeben sich bezüglich des Videos jedoch keine Änderungen. Statt § 434 Abs. 1 Satz 1 nun § 434 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 zu zitieren. Das Video wird in Kürze neu gedreht.
II. Rechtsvernichtende Einwendungen
1. Erfüllung und Erfüllungssurrogate
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Der Anspruch gem. § 433 Abs. 1 erlischt nach den allgemeine Regeln durch Erfüllung oder Erfüllungssurrogate gem. § 362 ff., dies haben wir im Skript Schuldrecht AT I schon ausführlich behandelt.
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Der Verkäufer erfüllt, indem dem Gläubiger dieses Anspruchs oder einem ermächtigten Dritten (§ 362 Abs. 2 i.V.m. § 185) der verkaufte Gegenstand mangelfrei verschafft wird.
Die Verschaffung der verkauften Sache bzw. sonstigen Gegenstandes richtet sich den Regeln über die jeweils einschlägigen Verfügungsgeschäfte (z.B. §§ 398 ff., 873 ff., 929 ff.).
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Beim Eigentumsvorbehalt tritt Erfüllung erst in dem Moment ein, in dem das Eigentum durch Bedingungseintritt auf den Käufer übergegangen ist (s.o. Rn. 24).
Auch der gutgläubige (mangelfreie) Erwerb der verkauften Sache bzw. Rechts führt zur Erfüllung, da der geschuldete Erfolg im Ergebnis bewirkt wird.
Grüneberg-Weidenkaff § 433 Rn. 17; Bamberger/Roth-Faust § 433 Rn. 37.73
Wann die Übergabe der verkauften Sache gem. § 433 Abs. 1 bzw. § 453 Abs. 3 erfolgt ist, richtet sich nach den Parteivereinbarungen. Im Zweifel tritt Übergabe in dem Moment ein, in dem der Käufer den unmittelbaren Besitz an der Sache nach § 854 erlangt.Grüneberg-Weidenkaff § 433 Rn. 11 ff. Die Parteien können aber vereinbaren, dass der Käufer nur mittelbaren Besitz gem. § 868 oder § 870 erlangen oder dass die Sache direkt einem Dritten übergeben werden soll.
Beispiel
A verkauft dem B Rohöl, das sich auf einem Tanker befindet und direkt an den Abnehmer des B, die Raffinerie C, geliefert werden soll. Mit Entladung des Rohöls bei C tritt nach der Vereinbarung gleichzeitig eine Übergabe des verkauften Öls im Verhältnis A und B ein.
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Neben der Verschaffung von Besitz und Eigentum muss der Verkäufer ja auch noch seine Pflicht zur mangelfreien Lieferung nach § 433 Abs. 1 S. 2 erfüllen, sofern die Sache keinen unbehebbaren Mangel hat (siehe Rn. 62 ff. oben).
Dies ist bei Sachmängeln dann der Fall, wenn diese bei Gefahrübergang i.S.d. §§ 446, 447 mangelfrei ist (vgl. Rn. 175 ff.). Bei Rechtsmängeln ist der Moment des Vollrechtserwerbs entscheidend (vgl. Rn. 186).
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Bietet der Verkäufer dem Käufer entgegen § 433 Abs. 1 S. 2 einen Kaufgegenstand mit einem – behebbaren – Mangel an, kann der Käufer die Annahme der mangelhaften Sache nach verweigern. Während große Teile der Literatur das Zurückweisungsrecht § 266 entnehmenHao-Hao Wu JuS 2020, 394 (396 f.) m.w.N.; Vereinzelt wird ein Zurückweisungsrecht des Käufers generell bestritten, so u.a. Jansen ZIP 2002, 877 (878). begründet der BGH das Zurückweisungsrecht über die §§ 320 Abs. 1, 273 Abs. 1.BGH NJW 2017, 1100 Verweigert der Käufer die Annahme, gerät er wegen §§ 294, 297 nicht in Annahme- und Schuldnerverzug, sodass auch durch die Zurückweisung kein Gefahrübergang nach § 446 S. 3 eintreten kann. Damit beginnt die (sekundäre) Nacherfüllungsphase nicht, der Käufer muss annahmeverzugsbegründete Mehraufwendungen nicht tragen (§ 304) und ist nicht aus §§ 280 Abs. 1, 2, 286 verpflichtet.Oechsler, vertragliche Schuldverhältnisse § 2 Rn. 85.
Auf eine Erheblichkeit des Mangels i.S.d. § 323 Abs. 5 S. 2 kommt es in diesem Zusammenhang nach h.M. nicht an. Die Gegenansichten wollen eine Harmonisierung der Regelungen aus dem Rücktritt und § 266 herstellen. Das überzeugt nicht, da es bei § 266 gerade nicht um die Ausübung des Rücktrittsrechts geht und die Leistung noch gar nicht i.S.d. § 323 Abs. 5 „bewirkt“ wurde. § 323 Abs. 5 S. 2 schränkt (nur) das Rücktrittsrecht, aber nicht den Primäranspruch des Käufers gem. § 433 Abs. 1 S. 2 ein. Die Grenze besteht lediglich in dem allgemeinen Gebot von Treu und Glauben (§ 242).
Die h.M., wonach die Erheblichkeit i.S.d. § 323 Abs. 5 S. 2 bei der Annahmeverweigerung noch keine Rolle spielt, hat nicht nur den Wortlaut des § 323 Abs. 5 S. 2 für sich, sondern kann sich auch auf eine einleuchtende Begründung stützen: Aus dem Kaufvertrag ergibt sich für den Verkäufer die Pflicht zur vollständig mangelfreien Leistung gem. § 433 Abs. 1 S. 2. Hier gibt es keine Bagatellgrenze und kein Recht auf „kleinere Schlampereien“. Das stellt im Übrigen § 266 klar, der dem Schuldner grds. keine (quantitativen oder qualitativen) Teilleistungen erlaubt. Die Qualitätsgrenzen ergeben sich allein aus dem Vertrag und den ergänzenden Mängeldefinitionen in §§ 434, 435 (analog). Außerdem schafft erst die Annahme der Sache durch den Käufer einen Vertrauenstatbestand mit der Wirkung, die verkaufte Sache wegen unerheblicher Mängel nicht mehr zurückgeben zu können und die Nacherfüllung allenfalls um den Preis einer Minderung (§ 441 Abs. 1 S. 2!) oder eines „kleinen“ Schadensersatzes statt der Leistung verweigern zu können.
Hinweis
Damit unterscheidet sich die Drucksituation vor und nach Gefahrübergang erheblich. Nach Gefahrübergang kann der Käufer dem Verkäufer bei Vorliegen eines unerheblichen Mangels nicht (vgl. § 323 Abs. 5 S. 2) mit dem Rücktritt vom gesamten Vertrag „drohen“, er ist auf die Minderung beschränkt. Vor Gefahrübergang kann der Käufer die Annahme (berechtigt) verweigern und dem Käufer eine Frist zur vollständigen Leistung setzen. Kommt der Verkäufer dem nicht nach, kann der Käufer wegen (vollständiger) Nichtleistung zurücktreten. Weigert sich der Verkäufer kategorisch vor Fälligkeit, ist § 323 Abs. 4 zu bemühen, i.Ü. noch § 323 Abs. 6 zu beachten.
2. Nachträgliche Leistungsbefreiung nach § 275
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Ein der Erfüllung entgegenstehendes Leistungshindernis i.S.d. § 275 kann auch nach Vertragsschluss eintreten. Hier sind alle Varianten denkbar, die wir bereits bei der anfänglichen Unmöglichkeit vorgestellt haben (s.o. Rn. 56 ff.) mit dem Unterschied, dass die zur Unmöglichkeit führenden Umstände erst nachträglich eingetreten sind – also etwa Untergang oder Verlust der verkauften Sache bzw. der ganzen Gattung nach Vertragsschluss.
Hinweis
Mit gewichtigen Argumenten wird in der Literatur in bestimmten Fällen der Zerstörung/Verlusts des geschuldeten KaufgegenstandesUntergang des Stücks bei Stückschuld, Untergang des ganzen Vorrats bei Vorratsschuld bzw. der ganzen Gattung bei Gattungsschuld. einer pauschalen Annahme von Unmöglichkeit widersprochen.Bitter ZIP 2007, 1881 ff. (mit lehrreichen Beispielen – sehr lesenswert!); Balthasar/Bolten ZGS 2004, 411 ff. Es sei nicht einzusehen, warum der Verkäufer im Falle des vollständigen Verlustes der Sache per se nicht mehr erfüllen müsse (bzw. nicht mehr dürfe!), im Fall einer zur Mangelhaftigkeit führenden Beschädigung aber nach erfolgter Übergabe zur Ersatzlieferung verpflichtet sei und sich dadurch auch den Kaufpreis durch ErsatzlieferungDer Anspruch auf Ersatzlieferung aus § 439 Abs. 1 Var. 2 wegen Mangelhaftigkeit der Kaufsache ist nach h.M. selbst bei der Stückschuld nicht generell ausgeschlossen (dazu näher unter Rn. 222 ff.). noch verdienen könne.Bitter ZIP 2007, 1881, (1886) Meistens sei es Zufall, ob die Sache „nur“ beschädigt und damit mangelhaft werde oder eine vollständige Zerstörung eintrete. Im Falle der Unmöglichkeit einer Teilleistung trete die Nähe beider Fallgruppen deutlich zutage. Deshalb sei Unmöglichkeit nur dann anzunehmen, wenn das vertragliche Leistungsziel auch durch Ersatzlieferung analog § 439 Abs. 1 nicht zu erreichen sei.
Die überwiegende Auffassung folgt diesem Ansatz nichtZ.B. Bamberger/Roth-Faust § 439 Rn. 28; Musielak NJW 2008, 2801, (2803); Gsell JuS 2007, 97, (100); Roth NJW 2006, 2953, (2955). – de lege lata wohl auch mit den stärkeren Argumenten: Für den Fall der – vollständigen oder in Bezug auf die geschuldete Menge teilweisen – Nichtleistung wegen Unmöglichkeit (sog. quantitative Unmöglichkeit) bleibt es bei der vertraglichen Vereinbarung und § 275 Abs. 1. Geschuldet ist bei der Stückschuld ein konkretes Stück, bei der Vorrats- bzw. Gattungsschuld eine Lieferung aus dem vereinbarten Vorrat bzw. der vereinbarten Gattung, nach Konkretisierung (§ 243 Abs. 2) nur die konkretisierte Ware. Soweit das Eigentum an der geschuldeten Sache nicht verschafft werden kann, schließt § 275 Abs. 1 die Leistungspflicht aus. Alternativen dazu werden nur geschuldet, wenn dies vereinbart ist. § 437 Nr. 1 i.V.m. § 439 Abs. 1 erweitern die vereinbarten Leistungspflichten kraft Gesetzes nur für den Fall der mangelhaften Leistung. Für eine analoge Anwendung des § 439 Abs. 1 fehlt eine planwidrige Regelungslücke, da der Gesetzgeber diese Vorschrift nicht auch im Unmöglichkeitsrecht des Allgemeinen Schuldrechts eingeführt hat. Der Verkäufer steht im Fall der quantitativen Unmöglichkeit nach dem Gesetz nicht planwidrig schlechter, sondern planmäßig anders als bei der mangelhaften Leistung.Canaris JZ 2003, 1156 ff.
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Hinzu kommen bei der nachträglichen Leistungsbefreiung auch die Fälle des § 275 Abs. 2 und Abs. 3,Da die Leistungspflicht des Verkäufers regelmäßig keine höchstpersönliche Pflicht i.S.d. § 275 Abs. 3 darstellt, kommt neben § 275 Abs. 1 nur § 275 Abs. 2 in Betracht. die erst ab Geltendmachung durch den Verkäufer „durchgreifen“ und erst dann zum Anspruchsausschluss führen können.Allgemein zu § 275 Abs. 2 im Skript „Schuldrecht AT II“ unter Rn. 315 ff.
Beispiel
Der verkaufte Gebrauchtwagen wird vor Übergabe infolge eines vom Verkäufer nicht verschuldeten Brandes derart beschädigt, dass er nur noch mit einem Vielfachen des Verkehrswertes repariert werden könnte („wirtschaftlicher Totalschaden“). V lehnt deshalb eine Lieferung in repariertem Zustand ab = § 275 Abs. 2.
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Der Verkäufer einer Gattungs- oder Vorratsschuld wird von seiner Leistungspflicht nur dann gem. § 275 Abs. 1 frei, wenn die gesamte Gattung bzw. der Vorrat untergegangen ist und er keine Möglichkeit mehr hat, sich den Leistungsgegenstand zu beschaffen.
Der Untergang bzw. die Verschlechterung einer einzelnen Sache kann jedoch auch bei der Gattungs- bzw. Vorratsschuld zur Leistungsbefreiung führen, und zwar dann, wenn sich die Schuld zuvor auf das zerstörte Stück konkretisiert hatte.
Expertentipp
Wiederholen Sie bitte an dieser Stelle die Abgrenzung der Hol-, Bring- und Schickschuld.
Eine Konkretisierung tritt nach § 243 Abs. 2 ein, wenn der Schuldner „das seinerseits zur Leistung erforderliche“ getan hat. Dies bestimmt sich nach der vereinbarten (Hol-, Bring- oder Schick-) Schuld.Vgl. dazu im Skript „Schuldrecht AT I“ Rn. 150 ff.
Beispiel
K kauft bei V anhand eines Kataloges einen Fernseher, den der V dem K schicken soll. V sondert ein ordnungsgemäß verpacktes Stück aus seinem Lager aus und gibt es beim Frachtführer F zum Versand an K auf. Unterwegs wird das Gerät aufgrund eines Unfalls zerstört. Hier hatte V das bei einer Schickschuld seinerseits zur Leistung Erforderliche getan und seine ursprüngliche Gattungsschuld auf das konkret zum Versand gebrachte Stück beschränkt. Mit Verlust der Sache ist V von seiner Leistungspflicht nach § 275 Abs. 1 frei geworden.
Hinweis
An den allgemeinen Grundsätzen zur Leistungsgefahr ändert sich auch im Verbrauchsgüterkauf nichts, da § 475 Abs. 2 nur die Preisgefahr regelt (siehe dazu Rn. 113 ff.) und für die Leistungsgefahr keine abweichenden Sonderregeln vorsieht.
3. Leistungsbefreiung nach § 300 Abs. 2
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§ 300 Abs. 2 regelt ebenfalls die Leistungsgefahr, und zwar im Fall der Vorrats- und Gattungsschuld.Grüneberg-Grüneberg § 300 Rn. 3. Die Vorschrift hat nur in wenigen Fällen eigenständige Bedeutung und zwar dann, wenn Annahmeverzug vor Konkretisierung eingetreten ist. Denn in der Regel ist die Frage der Leistungsgefahr bei Gattungsschulden vor Eintreten des Annahmeverzuges bereits durch eine Konkretisierung gem. § 243 Abs. 2 beantwortet. Annahmeverzug setzt ein Anbieten des leistungsbereiten Schuldners nach §§ 293 ff. voraus, welches regelmäßig nur möglich ist, wenn der Schuldner vorher das seinerseits zur Leistung Erforderliche getan hat. Die Leistungspflicht beschränkt sich dann gem. § 243 Abs. 2 auf das ausgesonderte und später angebotene Stück, so dass im Falle eines Untergangs oder einer Verschlechterung dieses Stücks § 275 zur Anwendung kommt.
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Der Annahmeverzug vor Konkretisierung kommt insb. dann in Betracht, wenn der Schuldner einer Schick- oder Bringschuld vor Vornahme der gem. § 243 Abs. 2 zur Konkretisierung führenden Leistungshandlung den Gläubiger durch ein wörtliches Angebot gem. § 295 in Annahmeverzug gebracht hat und der Schuldner die Aussonderung vorsorglich vornimmt.Grüneberg-Grüneberg § 300 Rn. 4 ff. Konkretisierung nach § 243 Abs. 2 kann hier solange noch nicht eingetreten sein, solange noch die Übermittlung an die Transportperson (Schickschuld) oder an den Gläubiger (Bringschuld) aussteht.
Beispiel
K kauft bei V einen Fernseher, den V dem K eine Woche später schicken soll. Bereits zwei Tage nach Vertragsschluss bereut K das Geschäft und teilt dem V per Fax mit, er wünsche das Geschäft unter keinen Umständen. V hatte bereits ein Gerät der verkauften Art aus seinem Lager geholt und versandfertig gemacht. Vorsorglich meldet sich V bei K und kündigt seine Lieferung zum vorgesehenen Termin an, da er auf Einhaltung des Vertrages bestehe. Am Liefertermin wird das Gerät auf dem Weg zur Versandaufgabe zerstört.
4. Sonstige Einwendungen
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Ferner können die Primäransprüche auch noch durch die Vereinbarung einer auflösenden Bedingung i.S.d. § 158 Abs. 2 entfallen.
Beispiel
Händler V verkauft dem K einen LKW, den V mit einem besonderen Transportaufsatz ausrüsten soll. Die Parteien vereinbaren den Kauf „vorbehaltlich Sonderausstattungsfähigkeit des verkauften Fahrzeugs gem. Vereinbarung“. Wenn sich der LKW mit der begehrten Sonderausstattung nicht ausrüsten lässt, ist die auflösende Bedingung eingetreten und beide Parteien werden gem. § 158 Abs. 2 von ihren Pflichten (ohne Notwendigkeit eines Rücktritts) wieder frei. Gegen eine aufschiebende Bedingung spricht hier, dass V bereits durch den Vertragsschluss zu einer Leistung verpflichtet werden soll, nämlich zumindest zur Prüfung der Sonderausstattungsfähigkeit des LKW.
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Der Anspruch des Käufers erlischt schließlich dadurch, dass eine Partei ihr zustehende Gestaltungsrechte mit anspruchsvernichtender Wirkung geltend macht.
Dabei kommen in Betracht der Rücktritt aufgrund vertraglichen Vorbehalts oder gesetzlichem Rücktrittsrecht aus §§ 313 Abs. 3 S. 1, 323, 324 bzw. § 326 Abs. 5, (siehe § 346 Abs. 1) das Verlangen von Schadensersatz statt der Leistung (siehe § 281 Abs. 4) sowie der Widerruf nach § 355 (siehe § 357) wobei sich das Widerrufsrecht aus § 312g (außerhalb von Geschäftsräumen oder im Fernabsatzhandel geschlossener Verbraucherkaufvertrag), § 495 i.V.m. § 506 Abs. 1 (vereinbarte Finanzierungshilfe durch Teilzahlung oder sonstigem Zahlungsaufschub) sowie aus § 510 Abs. 2 (Ratenlieferungsvertrag) ergeben kann. Beim verbundenen finanzierten Kauf ist außerdem an die Widerrufswirkung aus §§ 495, 358 Abs. 2, 3 wegen Widerrufs des Darlehensvertrages zu denken (sog. „Widerrufsdurchgriff“).
III. Durchsetzbarkeit
1. Fälligkeit
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Die Fälligkeit des Anspruchs bestimmt sich grundsätzlich nach den allgemeinen Regeln.Siehe dazu im Skript „Schuldrecht AT II“ unter Rn. 90 ff. Im Zweifel tritt die Fälligkeit nach § 271 Abs. 1 sofort mit Abschluss des Vertrages ein. Bei einem Verbrauchsgüterkauf ist § 475 Abs. 1 zu beachten (Rn. 358h).
2. Einreden
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Bei der Prüfung von Einredetatbeständen gelten ebenfalls die allgemeinen Regeln.
Siehe dazu Skript „Schuldrecht AT I“ unter Rn. 447 ff.Besonderes Augenmerk ist hier dem Zurückbehaltungsrecht aus § 320 zu schenken. Vor Zahlung des Kaufpreises steht dem Verkäufer das Zurückbehaltungsrecht aus § 320 Abs. 1 zu. Seine Geltendmachung führt nach § 322 Abs. 1 zur Berücksichtigung eines Zug-um-Zug-Vorbehalts im Urteil. Das Zurückbehaltungsrecht entfällt, wenn der Verkäufer sich zur Vorleistung verpflichtet hat (§ 320 Abs. 1 S. 1 Hs. 2), wie etwa im Falle eines Teilzahlungsgeschäfts i.S.d. § 506 Abs. 3.
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Bei einem Ratenlieferungsvertrag i.S.d. § 510 besteht Gegenseitigkeit nicht nur hinsichtlich der zu der jeweiligen Teilleistung gehörenden Forderung, sondern auch hinsichtlich noch offener Forderungen wegen anderer – früher bereits erbrachter – Teilleistungen.
BGH NJW-RR 2007, 325, 326.Beispiel
V verkauft dem K eine wöchentlich erscheinende Zeitschrift, wobei die Ausgaben zum Erscheinungstermin geliefert und monatlich bezahlt werden sollen (Ratenlieferungsvertrag i.S.d. § 510). K zahlt die ersten beiden Monatsraten nicht, aber die Rate für den dritten Monat. V kann die Weiterlieferung nun nach § 320 von der Zahlung der ersten beiden Monatsraten abhängig machen.
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Der Gläubigerverzug als solcher schließt die Einrede aus § 320 zugunsten des säumigen Gläubigers nicht aus.
Beispiel
V verkauft dem K eine Waschmaschine, die er dem K liefern soll. Zum vereinbarten Liefertermin ist K nicht anwesend, so dass V unverrichteter Dinge wieder abziehen muss. Trotz seines Annahmeverzuges kann K dem Anspruch auf Kaufpreiszahlung des V die Einrede des § 320 entgegenhalten.
Es erscheint unbillig, dass der Gläubiger trotz seiner Erfüllungsvereitelung durch das Zurückbehaltungsrecht geschützt bleibt. Der Annahmeverzug des Gläubigers muss sich daher „irgendwie“ auswirken. Das tut er auch, allerdings erst auf der Vollstreckungsebene: Eigentlich müssen Leistung und Gegenleistung spätestens in der Zwangsvollstreckung ausgetauscht werden, vgl. §§ 756, 765 ZPO. §§ 322 Abs. 3, 274 Abs. 2 stellen aber klar, dass jeder Gläubiger seinen Anspruch trotz Zug-um-Zug-Einrede beitreiben kann, ohne seine Gegenleistung anbieten zu müssen, sofern sich der andere Teil bereits im Gläubigerverzug befindet.
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Die Verjährung (§ 214 Abs. 1) richtet sich grundsätzlich nach §§ 195, 199 nach der regelmäßigen Verjährungsfrist.
Allgemein zur Verjährung Skript „Schuldrecht AT I“ Rn. 426 ff.Wurde dem Käufer zwar der Besitz, aber (z.B. wegen § 935) noch kein Eigentum an der verkauften Sache verschafft, soll nach einer im Schrifttum überwiegenden Ansicht § 438 Abs. 1 Nr. 1 analog (30 Jahre; analog, da die h.M. keinen Mangel, sondern Nichtleistung annimmt) anzuwenden sein.Grüneberg-Weidenkaff § 438 Rn. 6; MüKo-Westermann § 438 Rn. 13; Bamberger/Roth-Faust § 438 Rn. 14; offengelassen bei BGHZ 174, 61 ff.
Beispiel
V verkauft dem K ein Gemälde, das dem E gestohlen wurde. V und K sind gutgläubig. 9 Jahre nach Übergabe des Gemäldes an K klärt sich der Sachverhalt auf und E meldet sich bei K.
Wenn E sein Eigentum behalten will, läge in Bezug auf den zwischen V und K geschlossenen Kaufvertrag anfängliche Unmöglichkeit vor. K könnte seinen Kaufpreis über § 326 Abs. 4 von V zurückverlangen. Dieser Anspruch wäre aber nach § 199 Abs. 4 verjährt. Gleiches würde wegen § 199 Abs. 3 Nr. 1 für den Schadensersatzanspruch aus § 311a Abs. 2 gelten.
Ist E – ausnahmsweise – willens, das Geschäft des V zu zumutbaren Bedingungen (sonst § 275 Abs. 2!) zu genehmigen (§ 185 Abs. 2 S. 1), wäre zwar Unmöglichkeit eines entsprechenden Verschaffungsanspruchs des K gegen V gem. § 433 Abs. 1 zu verneinen. Dieser wäre aber nach § 199 Abs. 4 ebenfalls verjährt. Ein Rückzahlungsanspruch aus einem nun erklärten Rücktritt nach § 323 scheitert an § 218. Ein Schadensersatzanspruch statt der Leistung aus §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 könnte wegen der eingetretenen Verjährung der Primärleistungspflicht auch durch nachträgliche Fristsetzung nicht mehr begründet werden.
§ 281 setzt nicht nur die Fälligkeit, sondern auch die Durchsetzbarkeit der Leistungspflicht voraus, siehe im Skript „Schuldrecht AT II“ Rn. 88 ff.Dies wird im Vergleich zur Lage etwa bei Belastung des Bildes mit einem Pfandrecht – § 438 Abs. 1 Nr. 1 gilt dann direkt (Rechtsmangel gem. § 435)Pfandrechte gewähren über § 1227 Herausgabeansprüche aus § 985 gegen den (unberechtigten) Besitzer der verpfändeten Sache. – für unbillig gehalten, so dass eine Analogie zu § 438 Abs. 1 Nr. 1 helfen soll, um dem Käufer durchsetzbare, da verjährungstechnisch gleichwertige, Primär- bzw. Sekundäransprüche gegen den Verkäufer zu verschaffen.
IV. Nebenpflichten des Verkäufers
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Den Verkäufer können verschiedene Nebenpflichten treffen. Diese können sich aus Vereinbarung (§§ 133, 157), Gesetz (z.B. § 14 UStG) oder sonstigen Umständen (§ 242) ergeben. Dabei müssen Sie zwischen Nebenleistungspflichten, z.B. Montage (§ 241 Abs. 1) und Nebenpflichten (auch Schutzpflichten genannt) differenzieren. Die Unterscheidung ist relevant für die Rechte des Käufers bei Pflichtverletzung.
Außerdem trägt er nach § 448 Abs. 1 die Kosten der Übergabe der Sache und beim Rechtskauf nach §§ 453 Abs. 2 die Kosten für die Begründung und Übertragung des Rechts.
V. Pflichtverletzung
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Auf die Verletzung der Primärleistungspflicht des Verkäufers durch – vollständige oder (quantitativ) teilweise – Nichtleistung wegen Leistungsbefreiung nach § 275 oder in Form einer Leistungsverzögerung finden (h.M.) die allgemeinen Regeln Anwendung. Wir können daher insoweit auf die Allgemeinen Darstellungen verweisenSiehe dazu das Skript „Schuldrecht AT II“. und uns im weiteren Verlauf dieses Skripts auf die Schlechtleistung des Verkäufers, also die Verletzung der Pflicht zur Verschaffung mangelfreien Eigentums gem. § 433 Abs. 1 S. 2 konzentrieren (s. dazu unten Rn. 205 ff.).