Inhaltsverzeichnis
IV. Minderung und Rückzahlungsanspruch
Prüfungsschema
Wie prüft man: Rückzahlungsanspruch aus § 651m Abs. 2 wegen Minderung
I. | Anspruchsentstehung | |
| 1. | Wirksamer Pauschalreisevertrag |
| 2. | Mangel i.S.d. § 651i Abs. 1, 2 |
| 3. | Keine schuldhaft unterlassene Mängelrüge (§ 651o Abs. 2) oder |
| 4. | Entbehrlichkeit der Rüge |
| 5. | Minderungsumfang |
II. | Rechtsvernichtende Einwendungen | |
III. | Durchsetzbarkeit | |
| 1. | Fälligkeit |
| 2. | Einreden |
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Gem. § 651m Abs. 1 führt der Reisemangel dazu, dass sich der Reisepreis für die Dauer des Mangels mindert. Wie im Mietrecht tritt die Minderung kraft Gesetzes ein (vgl. § 536 Abs. 1). Dies liegt daran, dass der Reiseveranstalter (wie der Vermieter) seine Pflicht zur mangelfreien Leistung innerhalb eines bestimmten Zeitraums permanent zu erfüllen hat. Für jede Sekunde, bei der ihm das nicht gelungen ist, tritt automatisch Unmöglichkeit ein, da eine rückwirkende Erfüllung ausgeschlossen und ein Nachholen der Leistung deshalb nicht mehr möglich ist. Solange ein Reisemangel besteht, tritt folglich eine teilweise, nämlich für diesen Zeitraum, Unmöglichkeit der mangelfreien Leistung ein. Die automatische Minderung im Reise- und Mietvertragsrecht korrespondiert deshalb mit dem allgemeinen System bei Unmöglichkeit der Leistung in § 326 Abs. 1 S. 1 Var. 2. Auch dort führt die teilweise Unmöglichkeit zur automatischen Minderung der Gegenleistungspflicht.
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Aus § 651m Abs. 2 ergibt sich im Fall der Minderung ein Rückerstattungsanspruch des Reisenden.
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Nach § 651o Abs. 2 tritt die Minderung nicht ein, wenn es der Reisende schuldhaft unterlässt, den Mangel anzuzeigen, und der Reiseveranstalter infolgedessen nicht Abhilfe leisten konnte. Diese Ausschlusstechnik begegnet uns im Mietrecht in § 536c Abs. 2 S. 2 wieder. Der Sinn besteht dieser Rügeobliegenheit besteht darin, dem – örtlich in der Regel – entfernten Reiseveranstalter die Möglichkeit zu geben, Abhilfe zu schaffen und damit das Ausmaß der Minderung und sonstigen Mängelfolgen so gering wie möglich zu halten.
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Die Rüge i.S.d. § 651o Abs. 1 ist eine rechtsgeschäftsähnliche Handlung, auf die die Vorschriften über einseitige Rechtsgeschäfte entsprechende Anwendung finden. Die Rüge der Mängelrechte ist gegenüber dem Reiseveranstalter zu erklären und wird mit Zugang bei diesem oder bei dessen Empfangsvertreter (§ 164 Abs. 3) wirksam. Als Empfangsvertreter kommen insbesondere die örtlichen Reiseleiter des Veranstalters in Betracht, die der Reiseveranstalter dem Reisenden vor Beginn der Reise nach § 651d Abs. 1 i.V.m. Art 250 §§ 1–3 EGBGB benennen muss.
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Die Mängelrüge ist schuldlos unterlassen, solange der Reisende den Mangel selber noch gar nicht kennt oder wenn der Reisende keinen geeigneten Ansprechpartner vor Ort erreichen kann. Außerdem kommt eine schuldlose Versäumung der Rüge wegen unterbliebener Belehrung über die Rügeobliegenheit in Betracht. Nach § 651d Abs. 1 i.V.m. Art 250 §§ 1–3 EGBGB muss der Reiseveranstalter den Reisenden über die Rügeobliegenheit unterrichten. Versäumt er dies, kann eine schuldlose Unkenntnis des Reisenden vermutet werden.
Palandt-Sprau § 651o Rn. 3.538
Die Mängelrüge ist zur Wahrung des Minderungsrechts entbehrlich, wenn eine Abhilfe ohnehin nicht möglich ist oder wenn der Reiseveranstalter den Mangel bereits kennt.
Palandt-Sprau § 651o Rn. 3. Ein Festhalten an dem Rügeerfordernis wäre dann sinnlose Förmelei.539
Nach § 651m Abs. 1 S. 2 ist der Reisepreis in dem Verhältnis herabzusetzen, in dem der Wert der mangelhaften Reise gegenüber dem Wert der vereinbarten Reise zurückbleibt. Dabei wird der Wert der (mangelfreien) Reise regelmäßig dem vereinbarten Preis entsprechen.
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Mit der Formulierung „für die Dauer des Mangels“ ist bei der Wertberechnung außerdem auf den Zeitraum vom Auftreten des Mangels bis zu dessen Behebung abzustellen ist. Eine effektive Begrenzung des Minderungsumfangs ist damit jedoch nicht gemeint. Vielmehr können schwerwiegende Mängel auch Auswirkungen auch auf die mangelfreie Zeit haben und damit den Wert der Reise über den betroffenen Zeitraum hinaus mindern.
BGH Urteil vom 15.7.2008 (Az: X ZR 93/07) unter Tz. 9 ff. = NJW 2008, 2775, 2776.Beispiel
Der Reisende R buchte für sich und seine Ehefrau F beim Reiseveranstalter V eine 14-tägige Pauschalreise in die Türkei für insgesamt 2800 €. Auf dem Rückflug musste das Flugzeug wegen eines technischen Defekts notlanden. Die Passagiere weigerten sich, mit dem – angeblich reparierten – Flugzeug die Reise fortzusetzen und mussten weitere zwölf Stunden auf eine Ersatzmaschine warten.
Geht man davon aus, dass der „Beinahe-Absturz“ auf dem Rückflug die erreichte Erholung von R und seiner Ehefrau wieder zunichte gemacht hat, müssen sich R und F nicht auf eine zeitanteilige Kürzung des Reisepreises verweisen lassen. Zwar war nur der letzte Reisetag betroffen, so dass bei wortlautgetreuer Anwendung der Minderungsvorschrift eine Herabsetzung des Reisepreises um maximal 1/14 = 200 € in Betracht käme. Die Formulierung in § 651m Abs. 1 S. 1 schließt es jedoch nicht aus, eine Wertminderung über diesen Betrag hinaus anzuerkennen, wenn der Mangel wegen seiner Schwere den Wert der Reise in einem stärkeren Umfang betroffen hat. Bei derart ungewöhnlichen und lebensbedrohlichen Vorfällen kann die Entwertung der Reise sogar zu einer Minderung auf 0 € führen.
BGH Urteil vom 15.7.2008 (Az: X ZR 93/07) unter Tz. 9 ff. = NJW 2008, 2775, 2776.541
Für den Rückzahlungsanspruch gelten die allgemeinen Einwendungstatbestände.
Hinweis
Wird der Reisevertrag nach § 651i wegen eines erheblichen Mangels gekündigt, so bleiben gem. §§ 651l Abs. 2 S. 1 Hs. 2, 651i Abs. 3 Nr. 6 die bis zur Kündigung der Reise entstandenen Rechte des Reisenden aus der Minderung davon unberührt