Inhaltsverzeichnis
II. Ausschluss der Gewährleistung
Prüfungsschema
Wie prüft man: Gewährleistungsausschluss
I. | Gesetzlicher Gewährleistungsausschluss: |
| ||
|
| Zeitlich versetzte Abgabe von Angebot und Annahme | Rn. 196 | |
|
| Schwebend unwirksamer Kaufvertrag | Rn. 198 | |
II. | Vertraglicher Gewährleistungsausschluss: |
| ||
| 1. | Vereinbarung über Ausschluss der Gewährleistung |
| |
|
|
| Auslegung bei Kombination mit Beschaffenheitsvereinbarung | Rn. 201 |
| 2. | Wirksamkeitserfordernisse und -hindernisse, insbesondere |
| |
|
| a) | Arglist oder Garantie, § 444 |
|
|
|
| Arglist nur eines Verkäufers bei Verkäufermehrheit | Rn. 203 |
|
| b) | AGB: insb. §§ 307, 309 Nr. 7, 8b |
|
193
Vor Darstellung der einzelnen Rechte des Käufers betrachten wir außerdem noch die verschiedenen Varianten, nach denen die Gewährleistungshaftung des Verkäufers trotz bestehenden Mangels ausgeschlossen ist.
1. Gesetzlicher Haftungsausschluss
194
Die allgemeinen kaufrechtlichen Regelungen in §§ 433 ff. kennen zwei Tatbestände, die die Gewährleistungshaftung des Verkäufers ausschließen: § 442 und § 445.Beim Handelskauf beachten Sie zusätzlich § 377 HGB, vgl. dazu die Darstellung im Skript „Handels- und Gesellschaftsrecht“.
a) Ausschluss nach § 442
195
Dass eine Haftung des Verkäufers für Mängel nicht besteht, wenn der Käufer den Mangel bei Vertragsschluss kannte, ergibt sich aus § 442 Abs. 1 S. 1. Dahinter steckt der Gedanke, dass der Käufer durch den Mangel nicht in seinen berechtigten Erwartungen enttäuscht wird, wenn er den Kauf trotz des offenbarten Mangels mit dem vereinbarten Preis gewollt hat. Die Geltendmachung von Gewährleistungsansprüchen trotz erkannten Mangels wäre widersprüchlich (§ 242).
196
Da es im Kern um das Verbot widersprüchlichen Verhaltens geht, hat der BGH den Anwendungsbereich des § 442 um Fälle erweitert, in denen Angebot und Annahme zeitlich versetzt abgegeben wurden. Dann soll es grundsätzlich darauf ankommen, wann die Erklärung des Käufers für diesen bindend geworden ist. Das ist regelmäßig erst mit Zugang der Fall, weil der Käufer seine Erklärung ja vorher noch § 130 Abs. 1 S. 2 widerrufen kann. Da der nicht juristisch gebildete Käufer von einem solchen Widerrufsrecht regelmäßig nichts weiß, stellt der BGH im Zweifel bereits auf den Zeitpunkt Abgabe, bei notarieller Form (§ 311b) auf die notarielle Beurkundung der Vertragserklärung des Käufers ab.BGH NJW 2012, 2793 ff.; Grüneberg-Weidenkaff § 442 Rn. 8. Erfährt der Käufer von dem Mangel erst im Anschluss, aber vor Annahme seiner Erklärung durch den Verkäufer, kannte er den Mangel technisch gesehen zwar bei Vertragsschluss. § 442 findet im Wege der teleologischen Reduktion dennoch keine Anwendung.BGH a.a.O. mit der Ausnahme, dass der Käufer § 442 gegen sich gelten lassen müsse, wenn er Kenntnis vom Mangel und auch Veranlassung hatte, sich um Möglichkeiten zu bemühen, das Wirksamwerden seines Angebots deshalb noch zu verhindern. Lasse er den Vertrag dann sehenden Auges zustande kommen, handele er widersprüchlich. Wurde der Käufer durch einen Vertreter ohne Vertretungsmacht vertreten, ist der Zeitpunkt der Genehmigung maßgeblich.BGH JuS 2023, 266.
197
Expertentipp
Wissen Sie noch welche Zwecke § 311b Abs. 1 S. 1 verfolgt?
Hat der Käufer den Mangel grob fahrlässig nicht erkannt, kommt eine Haftung des Verkäufers nur in Betracht, wenn der Verkäufer den Mangel arglistig verschwiegen hat oder wenn er eine GarantieSiehe zur Garantieübernahme im Skript „Schuldrecht AT II“ Rn. 33 f.. für die Beschaffenheit der Sache übernommen hat (§ 442 Abs. 1 S. 2). Arglist eines Vertreters muss sich der Verkäufer nach § 166 Abs. 1 zurechnen lassen.St. Rspr., z.B. BGHZ 168, 64 ff. Nach umstrittener Ansicht gilt dies auch für formbedürftige Rechtsgeschäfte, die Schutzzwecke der Form (z.B. § 311b Abs. 1 S. 1) beziehen sich auf die Vertragserklärungen, nicht die Kenntnis von Umständen bei Abgabe der Erklärung.Hamdorf NJW 2023, 553 (557).
Definition
Definition: arglistiges Verschweigen
Ein arglistiges Verschweigen liegt immer dann vor, wenn der Verkäufer den Käufer trotz AufklärungspflichtSiehe dazu im Skript „Schuldrecht AT II“ Rn. 432 ff. vorsätzlich nicht auf einen Mangel hinweist. Erfasst wird auch der Fall des vorsätzlichen Vorspiegelns der Mangelfreiheit.Grüneberg-Weidenkaff § 442 Rn. 18. Dabei handelt der Verkäufer bereits dann arglistig (= vorsätzlich), wenn er „ins Blaue hinein“ unrichtige Angaben macht.St. Rspr., z.B. BGHZ 168, 64 ff.
Beispiel
K kauft von V einen gebrauchten Pkw. Bei Abschluss des Kaufvertrages gibt der auf Seiten der V tätige Mitarbeiter M auf Nachfrage des K an, der Wagen sei „unfallfrei“. Allerdings hatte er dies vorher nicht nachgeprüft und verfügte deshalb über keine eigenen Erkenntnisse. Später stellt sich heraus, dass das Fahrzeug einen erheblichen Vorschaden nach einem Unfall hatte. Wegen der einschränkungslosen Auskunft des M bejahte der BGH in diesem Fall ein arglistiges Verhalten, das sich V nach § 166 Abs. 1 zurechnen lassen muss. M hätte den K darauf hinweisen müssen, dass er über keine näheren Informationen verfüge. Ohne diese Einschränkung müsse K die Aussage des V fälschlicherweise so verstehen, als beruhe sie auf zuverlässiger Kenntnis und sei deshalb richtig.
198
Auch im Falle eines schwebend unwirksamen Vertrages ist auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen und nicht auf das Datum des späteren Wirksamenwerdens.
Beispiel
Haben Käufer und Verkäufer einen Grundstückskaufvertrag mit Formfehler geschlossen, ist der Vertrag gem. §§ 125 S. 1, 311b Abs. 1 S. 1 nichtig, kann aber nach § 311b Abs. 1 S. 2 durch Auflassung und Eintragung des Käufers als neuen Eigentümer im Grundbuch geheilt werden. Erfährt nun der Käufer nach Vertragsschluss, aber vor dem Grundbucheintrag, dass das Grundstück mangelhaft ist, schließt das seine Gewährleistungsansprüche nach vollzogenem Grundbucheintrag und Heilung des Formmangels nicht mehr aus. Die spätere Kenntnis vom Mangel schadet ihm nicht. Der Vertrag wird so gültig, wie er ihn ursprünglich, also ohne Mangelkenntnis, gewollt hat. Die Vereinbarungen ändern sich nicht mehr. Dem entspricht es, wenn der Verkäufer sich an seinen ursprünglichen Versprechen messen lassen muss.BGH NJW 2011, 2953 f. Dieser ist möglicherweise gut beraten, den Grundbucheintrag zu verhindern, um die Gewährleistungshaftung zu vermeiden.
§ 442 und 445 finden im Rahmen des Verbrauchsgüterkaufs, wegen § 475 Abs. 3 S. 2, keine Anwendung.
b) Ausschluss nach § 445
199
Für Pfandversteigerungen sieht § 445 ebenfalls einen gesetzlichen Haftungsausschluss bis zur Grenze der Arglist oder Beschaffenheitsgarantie vor.
Anders als die „öffentlich zugängliche Versteigerung“ i.S.d. § 474 Abs. 2 S. 2, die in § 312g Abs. 2 S. 1 Nr. 10 definiert ist, bezieht sich § 445 auf den engeren Begriff der „öffentlichen Versteigerung“ i.S.d. § 383 Abs. 3.Grüneberg-Weidenkaff § 445 Rn. 6. Dieser Begriff ist enger und verlangt „einen für den Versteigerungsort bestellten Gerichtsvollzieher oder zu Versteigerungen befugten anderen Beamten oder öffentlich angestellten Versteigerer.“
Der Grund des Haftungsprivilegs besteht darin, dass der Verkäufer hier einen Pfandgegenstand verkauft, der ihm nicht gehört und dessen Beschaffenheit er regelmäßig auch nicht so gut kennt.Grüneberg-Weidenkaff § 445 Rn. 1. Der Verkäufer verkauft die Sache notgedrungen, weil seine gesicherte Forderung nicht bedient wurde (vgl. § 1228 ff.) und nicht freiwillig. Für den Fall der Versteigerung im Rahmen der Zwangsvollstreckung sehen § 806 ZPO und § 56 S. 3 ZVG dieselbe Rechtsfolge vor. § 445 sieht, wie § 442 S. 2, Ausnahmen für den Fall der Arglist und Garantieübernahme vor.
2. Vertragliche Haftungsausschlüsse
a) Vereinbarung
201
Ob und was die Parteien mit einer bestimmten Ausschlussklausel meinten, ist durch Auslegung zu ermitteln.
-
Frage: Erfasst der Ausschluss den in Streit stehenden Mangel überhaupt?
Beispiel
Die Privatpersonen V und K einigen sich auf die Formulierung „gekauft wie gesehen“.
Die Gewährleistung ist hier gem. §§ 133, 157 nur in Bezug auf solche Mängel ausgeschlossen, die bei einer den Umständen nach zumutbaren Prüfung und Untersuchung unschwer erkennbar sind.BGH NJW 1996, 2025; BGHZ 74, 383, 385 f.
Beispiel
In einem Grundstückskaufvertrag vereinbaren die Parteien den Ausschluss der Gewährleistung für „sichtbare und unsichtbare Mängel“.
Nach Ansicht des BGH erfasst diese Vereinbarung nicht solche Mängel, die nach Vertragsschluss, aber vor Gefahrübergang auftreten.BGH NJW 2003, 1316. Schließlich könne sich der Käufer vor den Folgen eines solchen Mangels nicht schützen, da er bei Vertragsschluss gerade noch nicht erkennbar war. Wegen des damit verbundenen Risikos könne der Verkäufer ohne ausdrückliche Vereinbarung nicht annehmen, dass der Käufer zu einem derart weit reichenden Haftungsausschluss bereit sei.
-
Diese Konstellation ist ein Klausurklassiker!
Beispiel
V verkauft dem K privat einen 6 Jahre alten Pkw mit der Angabe: „Getriebe ausgetauscht – erst 1 Jahr alt“. Tatsächlich ist das Getriebe 4 Jahre alt. Im Vertrag heißt es: „Pkw wird ohne Gewähr verkauft.“
Hier stehen beide Regelungen, nämlich die vereinbarte Beschaffenheit des ausgetauschten Getriebes (1 Jahr) einerseits und der Gewährleistungsausschluss andererseits, zumindest aus der Sicht des Käufers gleichrangig nebeneinander und können deshalb nicht in dem Sinne verstanden werden, dass der umfassende Gewährleistungsausschluss die Unverbindlichkeit der Beschaffenheitsvereinbarung zur Folge haben soll. Denn bei einem solchen Verständnis wäre letztere für den Käufer – außer im Falle der Arglist des Verkäufers (§ 444 Alt. 1) – ohne Sinn und Wert. Eine nach beiden Seiten interessengerechte Auslegung der Kombination von Beschaffenheitsvereinbarung und Gewährleistungsausschluss kann deshalb, gem. §§ 133, 157, 242, nur dahin vorgenommen werden, dass der Haftungsausschluss mindestens nicht für das Fehlen der vereinbarten Beschaffenheit (§ 434 Abs. 1, 2 S. 1 Nr. 1), sondern nur für objektive Mängel.
Verlangt man, unter Geltung der Warenkauf-RL für alle Varianten des § 434 Abs. 2 eine echte vertragliche Vereinbarung (insb. bzgl. Abs. 2 S. 1 Nr. 2 str.), muss der soeben dargestellte Grundsatz auf den gesamten Abs. erstreckt werden (Rn. 147 a.E.). Eine analoge Anwendung einer solchen Auslegung ist für objektive Mängel – insb. den Fall öffentlicher Äußerungen – nicht geboten. Hier fehlt gerade eine gleichrangige vertragliche Abrede.BGH NJW 2018, 146.
Hinweis
This browser does not support the video element.
b) Wirksamkeit des Haftungsausschlusses
201a
Ist der Mangel vom Haftungsausschluss dem Grunde nach erfasst, ist zu prüfen, ob dieser nicht (teilweise) unwirksam ist. Hier ist vorrangig an § 444, die Regelungen aus dem Verbrauchsgüterkauf (Rn 358o) und die §§ 305 ff. zu denken.
Merke
In der Klausur ist – (Schritt 1) nach der Auslegung – zu prüfen, ob die Regelung (Schritt 2) als individualvertragliche Vereinbarung überhaupt wirksam wäre. Erst wenn dies verneint wurde, ist (Schritt 3) die AGB-Prüfung vorzunehmen.
Hinweis
Ein sehr beliebter Klausurfehler besteht darin, § 476 Abs. 1 S. 1, im B2C Verhältnis, inzident im Rahmen der AGB – Prüfung zu erörtern. Die Vorschrift führt jedoch schon alleine zur Unwirksamkeit eines Ausschlusses, unabhängig vom Charakter der Regelung als AGB! Eine solche Prüfung kommt nur in Betracht, wenn § 476 keine unmittelbare Anwendung findet und mit indizieller Wirkung in die AGB-Prüfung einfließt.MüKo-Maultzsch § 444 Rn. 2.
203
Der Verkäufer kann sich auf einen vertraglich vereinbarten Haftungsausschluss bei arglistigem Verschweigen (mind. Eventualvorsatz) oder einer GarantieübernahmeSiehe dazu unter Rn. 307. insoweit nicht berufen (§ 444). Dabei ist es unerheblich, ob das Verschweigen ursächlich für den Vertragsschluss war oder nicht.BGH ZIP 2018, 2173; BGH ZIP 2011, 1872 f.
204
Im Falle eines Haftungsschlusses durch AGB sind außerdem § 309 Nr. 7 und 8b
Achten Sie hier auf die Beschränkung des Anwendungsbereiches auf „neu hergestellte“ Sachen. Beim Verkauf eines Hausgrundstücks bzw. einer Eigentumswohnung kommt es auf die „Neuheit“ des Hauses/Wohnung an und nicht auf das Grundstück, Grüneberg-Grüneberg § 309 Rn. 60 ff. zu beachten.Beispiel
Unternehmer V verkauft dem Unternehmer K einen gebrauchten PKW. Im Formularvertrag heißt es: „Der Verkauf erfolgt unter Ausschluss jeglicher Gewährleistung.“ Diese Klausel ist wegen Verstoßes gegen § 307 Abs. 1 und 2 i.V.m. §§ 310 Abs. 1 S. 2, 309 Nr. 7 Buchstabe a und b unwirksam, so dass es nach § 306 bei der gesetzlichen Haftung verbleibt. Den in § 309 Nr. 7 vorgesehenen Beschränkungen der Ausschlüsse von Schadensersatzansprüchen trägt die Klausel keine Rechnung. Eine geltungserhaltende Reduktion kommt nicht in Betracht.BGH NJW 2007, 3774. Die Wertungen des § 309 sind gem. § 310 Abs. 1 S. 2 auch im unternehmerischen Verkehr zu berücksichtigen. Dabei ist davon auszugehen, dass den Klauselverboten in § 309 eine Indizwirkung für die Unwirksamkeit auch im unternehmerischen Verkehr zukommt. Regelungen, die gegen § 309 Nr. 7 verstoßen, werden auch im unternehmerischen Verkehr nicht ausnahmsweise als angemessen angesehen.
This browser does not support the video element.