Inhaltsverzeichnis
IV. Vertretenmüssen
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Das Vertretenmüssen bezieht sich nach dem Wortlaut des § 280 Abs. 1 S. 2 auf „die Pflichtverletzung“. Die Pflichtverletzung, die die Haftung aus §§ 280 Abs. 1, Abs. 2 auslösen soll, ist – wie § 286 zeigt – der Verzug. Wie sich aus dem Verweis auf § 286 ergibt, kommt es nicht auf die (ursprüngliche) „einfache“ Leistungsverzögerung als haftungsbegründende Pflichtverletzung an sondern den Zeitpunkt des Verzugseintritts.Lorenz NJW 2005, 1889, 1891 unter Ziff. 3. Die Funktion von § 286 Abs. 4 beschränkt sich in diesen Fällen darauf, den maßgeblichen Zeitpunkt für das Vertretenmüssen festzulegen. Vertretenmüssen muss zu dem Zeitpunkt vorliegen, indem alle objektiven Voraussetzungen des Verzugs vorliegen.
Der Schuldner gerät nach § 286 Abs. 4 ausnahmsweise nicht in Verzug, wenn die Leistung(shandlung) infolge eines Umstandes unterbleibt, den der Schuldner nicht zu vertreten hat. Es gibt also ohne Vertretenmüssen bei Eintritt der objektiven Voraussetzungen des § 286 keinen Verzug.
Expertentipp
Es handelt sich bei § 286 Abs. 4 aufgrund der Formulierung wie bei § 280 Abs. 1 S. 2 um Ausnahmetatbestände, die dem Schuldner günstig sind. Dieser muss deshalb nach allgemeinen Grundsätzen die Tatsachen darlegen und im Streitfalle beweisen, die diese Ausnahme rechtfertigen sollen.
Im Falle der Haftung aus §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 folgt diese Ausnahme bereits aus § 280 Abs. 1 S. 2. Im Rahmen anderer Normen wie z.B. § 288 behält § 286 Abs. 4 aber seine Bedeutung als selbstständiges Verzugsmerkmal bei.
Es handelt sich beim Fehlen des Vertretenmüssens also um eine rechtshindernde Einwendung. Gelingt dem Schuldner der Nachweis seiner fehlenden Verantwortlichkeit nicht, bleibt es bei der gesetzlich vorgesehenen Haftung, da das Vertretenmüssen des Schuldners nun vermutet werden muss.
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Der Entlastungsbeweis ist nach § 286 Abs. 4 also für den Zeitpunkt zu führen, in dem alle sonstigen Verzugsvoraussetzungen vorliegen.Lorenz NJW 2005, 1889, 1891 unter Ziff. 3. Besteht zu diesem Zeitpunkt ein Entschuldigungsgrund (so z.B. im Fall der Erkrankung oder beim Streik der Mitarbeiter), kann Verzug und damit eine Schadensersatzhaftung aus §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 erst eintreten, wenn der Entschuldigungsgrund entfällt. Einer erneuten Mahnung bedarf es dann aber nicht mehr.Grüneberg-Grüneberg § 286 Rn. 32.
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Der Beginn der Leistungsverzögerung und der Zeitpunkt, in dem zusätzlich auch die objektiven Verzugsvoraussetzungen vorliegen, können zusammenfallen. Dann spielt die Unterscheidung der Zeitpunkte bei der Prüfung des Vertretenmüssens keine Rolle – in allen anderen Fällen kann sie von erheblicher Relevanz sein.
Beispiel
A schuldet dem B Zahlung, wobei der Anspruch sofort fällig und durchsetzbar gewesen ist und durch Überweisung auf ein Konto des B erfüllt werden soll. A leistet nicht. 10 Tage nach Fälligkeit ändert sich die Bankverbindung des B, wovon A keine Kenntnis erlangt. Nach 20 Tagen mahnt B den A, ohne auf die Änderung seiner Bankverbindung hinzuweisen.
A kann sich nicht in Verzug befinden: Als die dem A bekannte Bankverbindung des B noch intakt war, fehlte die hier erforderliche Mahnung. Bei Mahnung fehlte jedoch eine geeignete Bankverbindung, so dass A das Ausbleiben der Zahlung nicht vermeiden konnte.
Anders liegt es hingegen, wenn der Leistungstermin vertraglich kalendermäßig bestimmt worden wäre, da sich A dann zum Fälligkeitstermin bereits nach § 286 Abs. 2 Nr. 1 in Verzug befunden hätte.
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Ein erst nach Eintritt des Verzuges entstehender Entschuldigungsgrund beseitigt den Verzug hingegen nicht, da der Schuldner gem. § 287 S. 2 nunmehr für Zufall, also unabhängig vom Verschulden haftet.
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Expertentipp
Gehen Sie jetzt noch einmal das Prüfungsschema zum Vertretenmüssen oben unter Rn. 20 durch.
Das Vertretenmüssen richtet sich nach §§ 276 ff. Die Prüfung richtet sich nach den Ausführungen im 2. Teil oben unter Rn. 20 ff.