Inhaltsverzeichnis
- B. Herausgabe eines stellvertretenden commodums (§ 285)
- I. Schuldverhältnis
- II. Leistungsbefreiung des Schuldners
- III. Erlangung eines Ersatzes
- IV. Kausalzusammenhang zwischen Unmöglichkeit und erlangtem Ersatz/Anspruch
- V. Kongruenz zwischen stellvertretendem Commodum und ursprünglich geschuldeter Leistung
B. Herausgabe eines stellvertretenden commodums (§ 285)
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Prüfungsschema
Wie prüft man: Anspruch auf Herausgabe/Abtretung des stellvertretenden commodums nach § 285
I. | Anspruch entstanden | ||
| 1. | Anspruchsvoraussetzungen | |
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| a) | Schuldverhältnis |
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| b) | Anspruchsgegner nach § 275 von der Leistungspflicht befreit |
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| c) | Anspruchsgegner hat Ersatz oder Ersatzanspruch erlangt |
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| d) | Kausalzusammenhang zwischen Unmöglichkeit und erlangtem Ersatz/-anspruch |
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| e) | Kongruenz (Identität) zwischen ursprünglich geschuldeter Leistung und erlangtem Ersatz/-anspruch |
| 2. | Kein Anspruchsausschluss nach allgemeinen Grundsätzen | |
II. | Anspruch (nicht) erloschen | ||
III. | Anspruch durchsetzbar | ||
| 1. | Anspruch fällig, § 271 | |
| 2. | Einredefrei | |
| 3. | Kein Einwand des Rechtsmissbrauchs, § 242 |
Erlangt der Schuldner infolge des Umstandes, aufgrund dessen er die Leistung nach § 275 Abs. 1 bis 3 nicht zu erbringen braucht, einen Ersatz oder einen Ersatzanspruch (sog. „stellvertretendes commodum“„Commodum“ = Lateinisch für „Vorteil“.), so kann der Gläubiger nach § 285 die Herausgabe des als Ersatz Empfangenen oder Abtretung des Ersatzanspruchs verlangen.
I. Schuldverhältnis
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Grundvoraussetzung des Anspruchs aus § 285 ist zunächst das Bestehen eines (vertraglichen oder gesetzlichen) Schuldverhältnisses. Insoweit kann auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen werden. Ein vertragliches Schuldverhältnis muss nicht unbedingt vorliegen (vgl. auch die systematische Stellung des § 285 im 2. Buch des BGB).
Bei Ansprüchen aus ungerechtfertigter Bereicherung wird § 285 vor dem Zeitpunkt der Haftungsverschärfung (§§ 818 Abs. 4, 819) durch § 818 Abs. 1 bis 3 verdrängt. Für den Zeitraum danach verweist § 818 Abs. 4 auch auf § 285. Bei dinglichen Ansprüchen muss – wie auch sonst im Rahmen der §§ 280 ff. – die Anwendbarkeit stets im Einzelfall bestimmt werden. So ist § 285 grds. nicht auf § 985 anwendbar. Der Herausgabeanspruch zielt auf den Besitz, das Surrogat auf den Ersatz des Eigentums. Damit fehlt die notwendige Identität zwischen dem Surrogat und dem geschuldeten Gegenstand. Ferner enthalten die §§ 989, 990 Sonderregelungen. Im Erbrecht wird § 285 durch die §§ 2019 ff. verdrängt. Im Fall des § 2021 findet § 2021 für den Zeitpunkt nach Haftungsverschärfung Anwendung. Auf Vermächtnisansprüche auf Leistung eines Gegenstandes findet § 285 Anwendung. § 285 ist bei Verweigerung der Nacherfüllung gem. § 439 Abs. 4 oder § 635 Abs. 3 analog anwendbar.Grüneberg-Grüneberg § 285 Rn. 6.
II. Leistungsbefreiung des Schuldners
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Der Herausgabeanspruch aus § 285 verlangt zunächst eine anfängliche oder nachträgliche Leistungsbefreiung nach § 275 Abs. 1 bis 3. Die Prüfung richtet sich daher zunächst nach den vorstehenden Ausführungen zu § 275.
Auf die Frage nach dem Vertretenmüssen kommt es bei § 285 nicht an.
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Fraglich ist, ob § 285 Abs. 1 auch auf die Befreiung von unkörperlichen Dienst- und Werkleistungen sowie Unterlassungspflichten anzuwenden ist. Dies lehnt die (noch) herrschende Meinung (zu § 281 a.F.) ab, weil § 285 von einem „geschuldeten Gegenstand“ spricht, den es bei unkörperlichen Leistungserfolgen im Wortsinne nicht geben kann.Grüneberg-Grüneberg § 285 Rn. 5. Allerdings nimmt § 285 Abs. 1 auch die Fälle des § 275 Abs. 3 in Bezug. § 275 Abs. 3 betrifft höchstpersönliche Leistungspflichten, die typischerweise bei Dienstleistungen anzutreffen sind (vgl. §§ 613 S. 1, 664 Abs. 1 S. 1).
Hinweis
Beide Ansichten sind vertretbar. Achten sie aber auf Folgendes: Wird ein Arbeitnehmer infolge der Verletzung durch einen Dritten arbeitsunfähig, erwirbt der zur Entgeltfortzahlung verpflichtete Arbeitgeber die Ersatzansprüche des Arbeitnehmers gegen den Dritten in Höhe seiner Entgeltsfortzahlung kraft Gesetzes (§ 6 EFZG). Auf § 285 kommt es in diesen Fällen nicht an. Wer § 285 auf Dienstleistung in sonstigen Fällen nicht anwenden will, sollte bei Regressfragen § 255 bemühen oder einen Abtretungsanspruch aus ergänzender Vertragsauslegung erwägen.Grüneberg-Grüneberg § 285 Rn. 5.
III. Erlangung eines Ersatzes
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Erlangter Ersatz oder Ersatzanspruch kann das commodum ex re sein, z.B. eine erlangte Versicherungssumme oder ein Anspruch gegen einen Dritten, der die geschuldete Sache zerstört und dadurch die Unmöglichkeit der Leistung verursacht hat. Im Ergebnis ist auch das commodum ex negotiatione erfasst, also dasjenige, dass der Schuldner im Fall der der Veräußerung des Gegenstandes an Dritte als Erlös erzielt.
IV. Kausalzusammenhang zwischen Unmöglichkeit und erlangtem Ersatz/Anspruch
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§ 285 erfordert weiter, dass zwischen dem Umstand, der zur Unmöglichkeit der Leistung geführt hat, und der Erlangung des Ersatzes durch den Schuldner ein Kausalzusammenhang besteht. Dabei ist Mitursächlichkeit ausreichend. Das Merkmal der „Adäquanz“ ist nach teilweise vertretener Ansicht nicht zu fordern, eine solche Begrenzung der Haftung würde dem Normzweck des § 285 nicht entsprechen. Die (noch) h.M. verlangt einen adäquat kausalen Zusammenhang.Für die h.M.: Grüneberg-Grüneberg § 285 Rn. 7 und BGH NJW-RR 88, 903; a.A. BeckOK BGB-Lorenz § 285 Rn. 9; MüKo-Emmerich § 285 Rn. 17.
Beispiel
Beispiel 1 - commodum ex re
Dem Autohändler V wird durch Brandstiftung des B ein Gebrauchtwagen zerstört, den er bereits an den K verkauft, aber noch nicht übergeben hatte. Die Brandstiftung führt nicht nur zur Unmöglichkeit der dem K gem. § 433 Abs. 1 geschuldeten Übereignung und Übergabe, sondern auch zur Entstehung eines Schadensersatzanspruches gegen B. Der Ersatzanspruch stellt daher ein nach § 285 herauszugebendes Surrogat dar.
Nichts anderes gilt dann, wenn V das Fahrzeug gegen Brandschäden versichert hatte und er deshalb einen Zahlungsanspruch gegen die Versicherung erlangt.
Die zur Erfüllung dieser Ansprüche gezahlten Geldbeträge wären als „Ersatz“ i.S.d. § 285 ebenfalls herauszugeben.
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Beispiel
Beispiel 2 - commodum ex negotiatione
Autohändler V verkauft einen bestimmten Gebrauchtwagen an den A und wenig später an den B. Da B den Kaufpreis sofort bar begleicht, gibt V dem B das Fahrzeug samt Papieren mit. A verlangt später von B erbost die Zustimmung zur Übereignung an ihn. B lehnt dies ab.
Hier hat die Übereignung an B und dessen Weigerung zur Eigentumsaufgabe die Pflicht des V gegenüber A zur Eigentumsverschaffung unmöglich werden lassen. Dadurch hat V unmittelbar keinen Ersatz erlangt. Da aber zwischen der Übereignung an B und dem zwischen V und B geschlossenen Kaufvertrag wiederum ein Kausalzusammenhang besteht, kann man nur in dem von B an den V gezahlten Kaufpreis ein Surrogat i.S.d. § 285 – ggf. analog – erblicken.BGH Urteil vom 15. Oktober 2004 (Az. V ZR 100/04) unter Ziff. II 2a = NJW-RR 2005, 241 m.w.N.
V. Kongruenz zwischen stellvertretendem Commodum und ursprünglich geschuldeter Leistung
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Schließlich verlangt § 285, dass der Schuldner den Ersatzgegenstand gerade für den geschuldeten Gegenstand, dessen Leistung ihm unmöglich geworden ist, erlangt hat.BGH Urteil vom 10. Mai 2006 (Az. XII ZR 124/02) = NJW 2006, 2323 m.w.N.
Hier ist auf eine wirtschaftliche Identität abzustellen. Wirtschaftliche Identität kann grds. Dann bejaht werden, wenn das vom Schuldner erlangte Surrogat auch der Gläubiger hätte erzielen können und dürfen (funktionelle Vergleichbarkeit). Dabei ist die zum Schutz des Gläubigers geschaffene Vorschrift nicht zu eng zu betrachten.BGH NJW 2006, 2323 (2324).
Beispiel
V vermietet dem M ein Haus, das er gegen Zerstörung und Beschädigung durch Feuer versichert hat. Das Haus brennt eines Tages wegen Blitzeinschlages ab. Die Versicherung zahlt dem V die Versicherungssumme aus.
Hier besteht keine Identität, so dass M die Versicherungssumme nicht über § 285 herausverlangen kann. Dem V ist durch den Brand die gem. § 535 geschuldete Überlassung des Hauses unmöglich geworden. Die Versicherungssumme ist aber nicht der Ersatz für den Besitz, sondern der Ersatz für das zerstörte Eigentum. Eigentum schuldete der V dem M aber nicht. Anders wäre der Fall zu bewerten, wenn die Versicherung (auch) Ersatz für die Gebrauchsmöglichkeit gewähren würde. Dieser Anteil wäre besitzbezogen und daher von § 285 erfasst.
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Welchen Wert das Surrogat im Vergleich zu dem geschuldeten Gegenstand hat, ist nach dem Tatbestand des § 285 unerheblich. Der Gläubiger hat in jedem Fall Anspruch auf das gesamte Surrogat, auch wenn es den Wert der unmöglich gewordenen Leistung übersteigt.Grüneberg-Grüneberg § 285 Rn. 9. Unerheblich ist auch, ob das Veräußerungsgeschäft gesetzlich verboten war.