Das OLG Karlsruhe musste sich jüngst (Beschluss vom 08.01.2015 - 1 (8) Ss 510/13) mit folgendem Sachverhalt auseinandersetzen:
In der Nacht vom 15.02.2011 auf den 16.02.2011 wurde ein sog. Castortransport vom Gelände des K. Instituts für Technologie (KIT) in das atomare Zwischenlager Nord bei L. durchgeführt. Ungeachtet eines von der zuständigen Behörde erlassenen Versammlungsverbots begab sich der Angeklagte A in den frühen Morgenstunden des 15.02.2011 mit weiteren 37 Personen auf das Gelände des KIT Nord vor die nur 15 bis 20 Meter auseinander liegenden dortigen Tore 3 und 4, um an einer Greenpeace-Aktion teilzunehmen. In Verfolgung seines Tatplanes, auf den Castortransport möglichst öffentlichkeits- und medienwirksam aufmerksam zu machen, kettete sich der Angeklagte - ebenso wie mindestens acht weitere Personen, die jeweils ähnliche Vorrichtungen verwendeten - gegen 5:00 Uhr mittels eines Fahrradbügelschlosses mit dem Hals am Tor 3 fest, wobei sich einer der Mittäter an beiden Flügeltoren festkettete, so dass ein Öffnen des Tores nicht mehr möglich war. Um 6:05 Uhr durchtrennten Polizeikräfte in Zusammenarbeit mit der Werksfeuerwehr des KIT das Fahrradschloss des Angeklagten mittels einer Hydraulikschere, so dass nach Durchtrennen auch der übrigen Schlösser Tor 3 wieder für die Straßenbahn passierbar wurde. Der Angeklagte beabsichtigte mit seiner Aktion, die Beförderung der Beschäftigten in das KIT, welche - wie er wusste - am Morgen des 15.02.2011 gegen 7.41 das Tor in einer Straßenbahn sitzend passieren würden, zumindest zu verzögern.
Da die Aktion frühzeitig durch die Polizei beendet wurde, die Beschäftigten mithin ungehindert das Tor passieren konnten, kommt vorliegend nur eine Strafbarkeit des A wegen versuchter Nötigung gem.§§ 240, 22, 23 StGB in Betracht. Eine Strafbarkeit des Versuchs ergibt sich aus Abs. 3.
Im Rahmen des Tatentschlusses ist zunächst einmal problemtisch, inwieweit das Anketten am Tor unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerfG Gewalt darstellen kann. Hätte die herannahende Straßenbahn die Menschenkette, die A zusammen mit seinen Mitstreitern bildete, nicht durchbrechen können, läge unproblematisch Gewalt vor. Aber auch für den Fall, dass die Straßenbahn das Hinderniss physisch evtl. hätte überwinden können, der Fahrer es aber aus nachvollziehbaren Gründen (Verletzung der Demonstranten) unterlassen hätte, müsste man Gewalt bejahen, da A nicht nur körperlich am Tatort anwesend war sondern durch das Anketten auch ein sich manifestierendes körperlich wirkendes Hinderniss schuf und damit die Bagatellgrenze überschritt. Der erstrebte Nötigungserfolg hätte in dem Abbremsen des Straßenbahn und damit in der Verzögerung der Beförderung der Beschäftigten gelegen.
Durch das Verwirklichen des Tatbestandsmerkmales der Gewalt hat A auch unmittelbar angesetzt. Das OLG führt dazu aus: "Der Eintritt in das Versuchsstadium wird grundsätzlich durch Handlungen des Täters begründet, die nach seinem Tatplan in ungestörtem Fortgang unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung führen sollen und/oder die im unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dieser stehen". Durch das Anketten hat A "- bereits zu diesem Zeitpunkt alles getan, was nach seiner Vorstellung von der Tat zur Herbeiführung des Nötigungserfolges und damit zur Tatvollendung erforderlich war. Der beabsichtigte Nötigungserfolg - Verzögerung der Beförderung der um 7:41 Uhr mit der Straßenbahn eintreffenden KIT-Werksangehörigen - wäre auch eingetreten, wenn das Fahrradschloss bzw. die Schlösser der weiteren Mittäter nicht zuvor um 6.05 Uhr von Polizeikräften in Zusammenarbeit mit der Werksfeuerwehr des KIT durchtrennt und insoweit die Blockade des Tores 3 beendet worden wäre."
Der Tatbestand der Nötigung ist damit verwirklicht. Fraglich ist jedoch, ob auch die Rechtswidrigkeit zu bejahen ist. Rechtfertigungsgründe zugunsten des A kommen vorliegend zunächst nicht in Betracht. Lägen Sie vor, dann wäre die Verwerflichkeit schon auf diesem Grund zu verneinen.
Damit ist nun der Weg offen für die Prüfung des § 240 II StGB. Beim Nötigungszweck ist dabei zu beachten, das es bei der Beurteilung der Verwerflichkeit nicht um das Demonstrationsziel ("Fernziel") gehen kann. Relevant ist vielmehr das unmittelbar abgenötigte Opferverhalten, hier also das erstrebte Anhalten der Straßenbahn. Die Verwerflichkeit könnte bejaht werden, da A bewusst die Mitarbeiter des KIT instrumentalisieren wollte, um auf seine politischen Belange aufmerksam zu machen. Nach der Rechtsprechung des BVerfG muss aber bei Blockadeaktionen im Rahmen der Abwägung stets das Grundrecht der Versammlungsfreiheit Berücksichtigung finden. Das OLG Karlsruhe führt dementsprechend folgendes zur Rechtswidrigkeit aus:
"Nach der für den Senat maßgeblichen und bindenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bestehen bei Blockadeaktionen, mit denen - wie vorliegend - mit allgemein-politischer Zielsetzung ein kommunikatives Anliegen verfolgt wird, zum Schutz des Grundrechts der Versammlungsfreiheit vor übermäßiger und unangemessener Sanktion besondere Anforderungen für die Anwendung und Auslegung des Verwerflichkeitsklausel des § 240 StGB II (BVerfGE 104, 92 ff.; 73, 255 ff.; BVerfG StraFo 2011, 180..). Danach sind bei der am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierten Mittel-Zweck-Relation insbesondere die Art und das Maß der Auswirkungen der Aktion auf betroffene Dritte und deren Grundrechte zu berücksichtigen. Wichtige Abwägungselemente sind hierbei die Dauer und die Intensität der Aktion, deren vorherige Bekanntgabe, Ausweichmöglichkeiten über andere Zufahrten, die Dringlichkeit des blockierten Transports, aber auch der Sachbezug zwischen den in ihrer Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigten Personen und dem Protestgegenstand, wobei das Gewicht solcher demonstrationsspezifischer Umstände mit Blick auf das kommunikative Anliegen der Aktion zu bestimmen ist. Stehen die äußere Gestaltung der Blockademaßnahme und die durch sie ausgelösten Behinderungen in einem Zusammenhang mit dem Versammlungsthema und/oder betrifft das Anliegen auch die von der Demonstration nachteilig Betroffenen, kann die Beeinträchtigung ihrer Freiheitsrechte unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände möglicherweise eher sozial erträglich und damit in größerem Maße hinzunehmen sein, als wenn dies nicht der Fall ist. Demgemäß ist im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen, ob und inwieweit die Wahl des Versammlungsortes und die konkrete Ausgestaltung der Versammlung sowie die von ihr betroffenen Personen einen auf die Feststellung der Verwerflichkeit einwirkenden Bezug zum Versammlungsthema haben."
Da das erstinstanzlich urteilende LG diese Aspekte nicht ausreichend gewürdigt hatte, hat das OLG das Urteil aufgehoben und zur erneuten Verhandlung zurück verwiesen.
Weitere Ausführungen dazu finden Sie in unseren ExO`s sowie im GuKO SR I. Einen Auszug aus unserem Skript finden Sie hier: http://www.juracademy.de/web/topic.php?id=12534.