So lag einer Entscheidung aus dem Jahr 2004 (28.01.2004 2 StR 452/03 - abrufbar unter www.bundesgerichtshof.de) folgender Sachverhalt zugrunde:
Die in Deutschland geborene, später getötete Ehefrau E wurde auf Betreiben der Eltern mit A verheiratet. A, der aus einem kleinen Dorf in Anatolien stammte, kam im Februar 2002 nach Deutschland. Bereits nach 6 Wochen kam es in der Ehe immer wieder zum Streit, der auch zunehmend in Gewalttätigkeiten des äußerst dominaten und patriachalischen A gegenüber der E endete. Alle Versuche der E, auf sein Verhalten einzuwirken, scheiterten, weswegen E sich entschloss, die Scheidung einzureichen. A, dessen Aufenthaltsgenehmigung im 14.11.2002 auslief, sollte in die Türkei zurück kehren. A empfand dies als Demütigung und drohte wiederholt, E umzubringen. Am 16.10.2002 kam es deswegen erneut zum Streit, in dessen der Verlauf A die E mit 48 Messerstichen tötete.
Der BGH musste nun entscheiden, unter welchen Voraussetzungen bei ausländischen Tätern niedrige Beweggründe angenommen werden können. Grundsätzlich gilt zunächst einmal folgendes:
Die niedrigen Beweggründe stellen ein täterbezogenes Mordmerkmal der ersten Gruppe des § 211 StGB dar. Sie setzen voraus, dass die Motivation des Täters sittlich auf tiefster Stufe steht und besonders verachtenswert erscheint. Besondere Ausprägungen der niedrigen Beweggründe sind die Mordlust, die Tötung zur Befriedigung des Geschlechtstriebs und die Habgier. Mit diesen Mordmerkmalen müssen also die Antriebe des Täters vergleichbar sein, was insbesondere dann der Fall ist, wenn die Tat durch hemmungslose Eigensucht und Rücksichtslosigkeit geprägt ist. Nun stellt sich bei der Bewertung der Niedrigkeit natürlich die Frage, auf wessen Wertvorstellungen abzustellen ist: die der hiesigen Wertegemeinschaft oder auf jene der aus einem anderen Kulturkreis stammenden Täter.
Der BGH hat wie folgt differenziert:
Bei der objektiven Bewertung der Beweggründe als niedrig soll nicht auf die Herkunft des A und dessen Kulturkreis abgestellt werden.
"Zwar hat der Bundesgerichtshof in seiner früheren Rechtsprechung die besonderen Anschauungen und Wertvorstellungen, denen ein Täter wegen seiner Bindung an eine fremde Kultur verhaftet ist, bereits bei der Gesamtwürdigung, ob ein Beweggrund objektiv niedrig ist, berücksichtigt... Diese Gesamtwürdigung umfaßt zwar neben den Umständen der Tat auch die Lebensverhältnisse des Täters und seine Persönlichkeit. Nach der schon früher vertretenen Auffassung des Senats ist jedoch der Maßstab für die objektive Bewertung eines Beweggrunds den Vorstellungen der Rechtsgemeinschaft der Bundesrepublik Deutschland zu entnehmen, in der der Angeklagte lebt und vor deren Gericht er sich zu verantworten hat, und nicht den Anschauungen einer Volksgruppe, die sich den sittlichen und rechtlichen Werten dieser Rechtsgemeinschaft nicht in vollem Umfang verbunden fühlt"
Neben der objektiven Bewertung ist aber auch die Bewertung durch den Täter selber zu überprüfen. Zwar muss er seine Motive nicht als niedrig ansehen, er muss aber wissen, dass die Wertegemeinschaft, in der er lebt, sie als niedrig bewertet.
"Der Täter muß die Mordmerkmale subjektiv in ihren tatsächlichen Voraussetzungen erfassen. Bei der Prüfung der niedrigen Beweggründe gehört dazu, daß er die Umstände kennt und mit seinem Bewußtsein erfaßt, welche die Bewertung seines Handlungsantriebes als niedrig begründen ...
Die als niedrig zu bewertenden Handlungsantriebe dürfen nicht lediglich unbewußte Handlungsantriebe gewesen sein ..., denn das Schuldprinzip setzt voraus, daß die die Tat charakterisierenden Motive und Absichten als Merkmale des subjektiven Tatbestandes nur dann berücksichtigt werden dürfen, wenn sie in das Bewußtsein des Täters getreten sind. Die – rechtliche – Bewertung der Handlungsantriebe als niedrig braucht der Täter nicht vorzunehmen oder nachzuvollziehen, auf seine eigene Einschätzung
oder rechtsethische Wertung kommt es nicht an .... Er muß aber zu einer zutreffenden Wertung in der
Lage sein; die Fähigkeit dazu kann etwa bei einem Persönlichkeitsmangel oder bei einem ausländischen Täter, der den in seiner Heimat gelebten Anschauungen derart intensiv verhaftet ist, daß er deswegen die in Deutschland gültigen abweichenden sozialethischen Bewertungen seines Motivs nicht in sich aufnehmen und daher auch nicht nachvollziehen kann, fehlen ... Soweit gefühlsmäßige oder triebhafte Regungen (wie Wut, Haß oder Zorn) als Handlungsantrieb in Betracht kommen, muß der Täter diese – über die Erkenntnis ihrer handlungsleitenden Wirkung hinaus – auch gedanklich beherrschen und mit seinem Willen steuern können..."
Der BGH hob das Urteil des LG auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung an die erste Instanz zurück. Zu klären war insbesondere, inwieweit A noch seinen ursprünglichen Wertvorstellungen verhaftet war oder ob er, insbesondere auch aufgrund von Gesprächen mit E und deren Schwester, mit den Bräuchen und Überzeugungen der hiesigen Wertegmeinschaft vertraut gemacht worden war.
Weitere Ausführungen zu diesem Thema finden Sie uns unseren ExO`s sowie im GuKO SR II. Einen Auszug aus dem Skript finden Sie hier: http://www.juracademy.de/web/topic.php?id=12491.