Tatbestand
Der Grundstückseigentümer (Antragsteller) nutzte sein Grundstück, welches innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils i.S.d. § 34 Abs. 2 BauGB lag, zur Kleintierhaltung. Dabei waren in den Stallungen 160 Stück Geflügel untergebracht, darunter zahlreiche Enten. Der Antragsteller betrieb mit diesen auch Kleintiererhaltungs- bzw. Rassezucht.
Mit Bescheid vom 5. März 2015 untersagte das zuständige Landratsamt (Antragsgegnerin) die Nutzung des Grundstücks zur Haltung von mehr als 40 Stück Geflügel an und ordnete, aus Gründen des Nachbarschutzes, die sofortige Vollziehung des Bescheids an nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO.
Dagegen beantragte der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Ansbach einstweiligen Rechtsschutz und die Wiederherstellung des Suspensiveffekts nach § 80 Abs. 5 S. 1 Alt. 2 VwGO. Mit Beschluss vom 30. Juli 2015 wies das Verwaltungsgericht den Antrag ab.
Hiergegen legte der Antragsteller Beschwerde ein beim VGH München.
Entscheidungsgründe
Der VGH München war in seiner Prüfung auf die Gründe beschränkt, welche der Antragsteller zur Begründung der Beschwerde vorgebracht hatte nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO. Das Gericht kam zu der Auffassung, dass die dargelegten Gründe keine Abänderung oder Aufhebung der angefochtenen Entscheidung rechtfertigen.
I. Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO
Zunächst setzte sich das Gericht mit der Frage auseinander, ob die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Bescheides durch die Antragsgegnerin rechtmäßig gewesen war. Dabei kam es zu dem Ergebnis, dass die Behörde die Anordnung in ausreichender Weise begründet hatte (vgl. § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO). „Das Landratsamt hat darauf abgestellt, dass es den Nachbarn aufgrund der Lärmbelastung nicht zumutbar ist, den derzeit rechtswidrigen Zustand bis zur Rechtskraft des Bescheids hinzunehmen.“
II. Materielle Rechtmäßigkeit der Nutzungsuntersagung
1. Voraussetzungen der Nutzungsuntersagung, Art. 76 S. 2 BayBO
Das Gericht hatte zu prüfen, ob das VG Ansbach richtigerweise vom Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen einer Nutzungsuntersagung nach Art. 76 S. 2 BayBO ausgegangen war. Dazu musste die Kleintierhaltung und -zucht des Antragstellers im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften erfolgen.
2. Bauplanungsrechtlicher Beurteilungsmaßstab
Zunächst untersuchte der VGH München, ob das VG Ansbach richtigerweise die Zulässigkeit der Kleintierhaltung nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 4 BauNVO beurteilt hatte.
Dem hatte der Antragsteller widersprochen. Er hatte vorgetragen, der Charakter der näheren Umgebung entspreche nicht dem eines allgemeinen Wohngebiets i.S.d. § 4 BauNVO, „weil in Sichtweite des Antragstellergrundstücks stark frequentierte, großflächige Lagerhallen der Lebensmittelindustrie vorhanden seien und die Wohnbebauung deshalb durch von Transportfahrzeugen ausgehende Immissionen vorbelastet sei.“
Diese Auffassung wies der VGH München hingegen zurück. Das Gericht führte aus, ein im Zusammenhang bebauter Ortsteil könne als allgemeines Wohngebiet qualifiziert werden, wenn „die maßgebliche Umgebung - von unwesentlichen Nutzungen und sog. Fremdkörpern abgesehen - ausschließlich bauliche Elemente enthält, die nur einem der in der Baunutzungsverordnung geregelten Baugebiete zuzuordnen sind.“ Diese Voraussetzung sei auch im fraglichen Ortsteil erfüllt, da es ausschließlich durch Wohngebäude und -nutzung geprägt werde. Im Übrigen bemerkte das Gericht, „ob in ‚Sichtweite‘ der näheren Umgebung zum Antragstellergrundstück Gewerbebetriebe vorhanden sind und die nähere Umgebung durch Immissionen aus dem Transportverkehr vorbelastet ist, ist nicht von Belang.“
a. Zulässigkeit nach § 4 BauNVO
Zunächst untersuchte der VGH München, ob die Kleintierhaltung als nach § 4 BauNVO zulassungsfähig einzuordnen sei.
Das Gericht kam zu dem Ergebnis, dass die „gewerblich betriebene Geflügelhaltung und Geflügelzucht […] weder allgemein nach § 4 Abs. 2 BauNVO zulässig [ist], noch kommt ihre ausnahmsweise Zulassung nach § 4 Abs. 3 BauNVO in Betracht. Ein Geflügelhaltungs- und Geflügelzuchtbetrieb ist bei der anzustellenden typisierenden Betrachtungsweise im allgemeinen Wohngebiet funktionswidrig und deshalb weder als ‚sonstiger nicht störender Gewerbebetrieb‘ (§ 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO) noch als mitgezogener Betriebsteil im Rahmen eines ‚Gartenbaubetriebs‘ (§ 4 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO) mit der Zweckbestimmung eines allgemeinen Wohngebiets, vorwiegend dem Wohnen zu dienen (§ 4 Abs. 1 BauNVO), zu vereinbaren.“
b. Zulässigkeit nach § 14 BauNVO
Vor diesem Hintergrund habe das VG Ansbach in nicht zu beanstandende Weise angenommen, dass die Zulässigkeit der vom Antragsteller betriebenen Nutzung nach § 14 BauNVO zu beurteilen ist. Nach dieser Vorschrift sind untergeordnete Nebenanlagen und Einrichtungen zulässig, die dem Nutzungszweck der in dem Baugebiet gelegenen Grundstücke oder des Baugebiets selbst dienen und die seiner Eigenart nicht widersprechen. Ausweislich des § 14 Abs. 1 S. 2 BauNVO können zu den untergeordneten Nebenanlagen und Einrichtungen auch solche für die Kleintierhaltung zählen.
Unterordnung der Nebenanlage, kein Widerspruch zur Eigenart des Baugebiets
Vorausgesetzt ist, dass die Anlage für die Kleintierhaltung dem Nutzungszweck der im jeweiligen Baugebiet liegenden Grundstücke dient und dass sie nicht im Widerspruch zur Eigenart des jeweiligen Baugebiets steht. Der VGH München führte aus, die vom Antragsteller betriebene Kleintierhaltung sei „demnach nur zulässig, soweit die Kleintierhaltung den Rahmen der für eine Wohnnutzung typischen Freizeitbetätigung nicht sprengt […]. […] Da allgemeine Wohngebiete vorwiegend dem Wohnen dienen (§ 4 Abs. 1 BauNVO), ist die freizeitgemäße Kleintierhaltung nur in einem den Wohnbedürfnissen (vgl. § 1 Abs. 6 Nr. 2 BauGB) gerecht werdenden Umfang gebietsverträglich.“ Es sei insbesondere darauf zu achten, dass die von der Kleintierzucht ausgehende Geruchs- oder Geräuschbelästigung dem Interesse an einem möglichst störungsfreien Wohnen nicht zuwiderlaufe.
Das VG Ansbach hatte angenommen, dass „die Haltung von mehr als 20 Stück Hühnern mit mehr als einem Hahn den Rahmen einer für die Wohnnutzung typischen Freizeitbetätigung sprengt.“ Der VGH München führte insoweit an, dass laut § 14 Abs. 1 Satz 2 BauNVO zur Kleintierhaltung ausdrücklich auch die Kleintiererhaltungszucht zähle. Vor diesem Hintergrund „dürfte eine Beschränkung auf nur einen Hahn schon aufgrund der auch männlichen Nachzucht zwar nicht generalisierend gerechtfertigt sein, zumal […] dem Ruhebedürfnis der Nachbarschaft insoweit Rechnung getragen werden kann, dass die erwachsenen Hähne zur Nachtzeit in einem abgedunkelten Stall gehalten werden.“ Dennoch sei eine grundsätzliche Beschränkung der Tierhaltung auf etwa 20 Stück Geflügel nicht zu beanstanden.
Einzelfallprüfung
Jedoch sei daneben stets im Einzelfall zu prüfen, inwieweit „nach der Größe der Grundstücke und unter Berücksichtigung einer herkömmlichen oder regional traditionellen Kleintierhaltung“ von diesem Richtwert abgewichen werden könne.
Der VGH München stellte fest, dass das VG Ansbach diese Einzelfallprüfung durchgeführt und seinen Erwägungen die Gegebenheiten im Umfeld des streitgegenständlichen Grundstücks zugrundegelegt hatte. Die Antragsgegnerin habe „die besonderen Verhältnisse des Einzelfalls wie Lage und Größe des Antragstellergrundstücks hinreichend berücksichtigt und deshalb das Doppelte dessen zugelassen hat, was im allgemeinen Wohngebiet üblicherweise noch hingenommen werden kann.“ Eine über die zugelassenen 40 Stück Geflügel hinausgehende Haltung und/oder Erhaltungszucht war aber im konkreten Fall auch nach Auffassung des VGH München nicht begründbar.
Keine Berücksichtigung tierseuchenrechtlicher Bestimmungen zugunsten des Anlagenbetreibers
Schließlich setzte sich der VGH München mit den Einwänden des Antragstellers auseinander, wonach sich mit einer auf 40 Stück Geflügel beschränkten Haltung vernünftigerweise keine Kleintiererhaltungszucht betreiben lasse. Es ergebe sich aber aus der Regelung des § 14 Abs. 1 S. 2 BauNVO, dass ihm gerade auch eine solche Zucht von Kleintieren möglich sein müsse.
Der Antragsteller hatte unter anderem vorgetragen, dass zu berücksichtigen sei, dass er schon aus tierseuchenrechtlichen Gründen neben seinen Enten auch Hühner halten müsse (vgl. § 13 Abs. 4 Satz 3 GeflPestSchV). Dadurch erhöhe sich zwangsläufig die Gesamtzahl der von ihm gehaltenen Tiere.
Jedoch führte der VGH München aus, dass das VG Ansbach diese Erwägungen nicht einbeziehen musste bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Kleintierzucht. Schließlich sei die vom Antragsteller betriebene „Entenhaltung - außerhalb von Stallungen oder Schutzvorrichtungen - auch ohne die Haltung von Hühnern nach § 13 Abs. 4 Satz 3 GeflPestSchV zulässig, wenn die Tiere vierteljährlich virologisch auf hochpathogenes aviäres Influenzavirus untersucht werden (§ 13 Abs. 4 Satz 2 GeflPestSchV) […].“ Im Übrigen müsse der Grundstückseigentümer eben auf die Entenhaltung verzichten, wenn sie – auch aufgrund gesetzlicher Bestimmungen – auf eine nicht mehr gebietsverträgliche Anzahl von Tieren angewiesen wäre. Schließlich stehe es dem Antragsteller auch frei, sich allein auf die Hühnerhaltung – ohne Entenzucht – zu verlegen, wodurch er weniger tierseuchenrechtlichen Bestimmungen unterliege.
Prüfung des Rücksichtnahmegebots
Der VGH München stellte kurz fest, dass die Einwände des Antragstellers, die von ihm betriebene Kleintierzucht sei immissionsschutzrechtlich nicht zu beanstanden, nicht weiter zu berücksichtigen waren. Denn mit diesen Ausführungen habe der Antragsteller geltend gemacht, seine Grundstücksnutzung sei mit dem Rücksichtnahmegebot aus § 34 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 15 Abs. 1 S. 2 BauNVO vereinbar. Jedoch habe das VG Ansbach die Zulässigkeit der Nutzung nach § 15 Abs. 1 S. 2 BauNVO gar nicht prüfen müssen. Richtigerweise habe das VG Ansbach bereits einen Verstoß gegen die zulässige Art der baulichen Nutzung festgestellt. Auf die Wahrung des Rücksichtnahmegebots kam es danach gar nicht mehr an.
Entscheidung des Gerichts
Nach alledem kam der VGH München zu dem Schluss, dass die Nutzung des Antragstellers im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Normen geschah. Danach war die Nutzungsuntersagung rechtmäßig ergangen. Die Beschwerde des Antragstellers wurde als unbegründet zurückgewiesen.
Bedeutung für ExamenskandidatInnen
Anhand dieses Urteils lässt sich im Detail wiederholen, in welchen Schritten die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit einer Anlage zu prüfen ist. Verdeutlichen sich, in welchem Verhältnis die Vorschriften der BauNVO zueinander stehen.
Weiter können Sie sich vor Augen führen, dass das Oberverwaltungsgericht im Falle einer Beschwerde i.S.d. §§ 146 ff VwGO die Rechtmäßigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung mit sehr begrenztem Prüfungsumfang untersucht.