Der leicht alkoholisierte A, der zusammen mit seinem Kumpel V abends in der Stadt unterwegs war, traf auf M und dessen Freund S, der zwei angeleinte, laut bellende Hunde bei sich führte. Aus nicht mehr aufklärbaren Gründen entwickelte sich zwischen den Beteiligten eine verbale, auch beleidigende Auseinandersetzung. Als A und V weitergingen, folgten ihnen M und S, wobei sich der Abstand 20 bis 25 m) ständig verringerte. Im Laufe der weiteren Auseinandersetzung, die zunehmend aggressiver wurde (A: „Passt auf, wenn ich euch auf offener Straße abschießen lasse”). kam M, gefolgt von S, immer näher heran. V befürchtete nun eine alsbaldige Konfrontation und versuchte A zu überzeugen, nach Hause zu gehen. Dieser Aufforderung kam A jedoch nicht nach, sondern setzte stattdessen die verbale Auseinandersetzung fort. Als der Abstand zwischen A und M nur noch 10 bis 20 m betrug, nahm A für M verdeckt ein Klappmesser mit einer Klingenlänge von 10 cm aus seiner Bauchtasche. V bekam Angst und rannte davon. M lief nun auf A zu, der sich mit dem Rücken zu ihm befand und stehen blieb. Als er ihn erreichte, versuchte er, ihm einen Faustschlag gegen den Kopf zu versetzen. Der Schlag verfehlte A jedoch, weil er sich genau in dem Moment umdrehte. Unmittelbar nach der Drehbewegung stach A mit dem Klappmesser zu. Die Klinge drang 15 cm tief in den linken Unterbauch ein und führte letztlich zu tödlichen Verletzungen des M. Bevor M zusammen brach schlug und trat er jedoch noch zwei Mal auf A ein.
Das LG hat A wegen Totschlags verurteilt. Diese Entscheidung hob der BGH auf. Diese Entscheidung ist deswegen von Bedeutung für Ihre Klausuren, weil sie wunderbar deutlich macht, welche Anforderungen an eine plausible und überzeugende Argumentation im Rahmen des § 32 StGB zu stellen sind und weil das LG hier einen Fehler macht, den Klausurbearbeiter nur allzu gerne ebenfalls machen: es stellt eher Behautptungen auf, als dass es überzeugend mit dem Sachverhalt argumentiert. Aus diesem Grund daher nachfolgend zunächst einmal die Ausführungen des LG:
Das LG ist der Ansicht, A habe rechtswidrig gehandelt, weil ihm in der konkreten Situation andere Möglichkeiten für eine Abwehr des Angriffs zur Verfügung standen und der tödliche Messerstich deshalb nicht das nach § 32 II StGB erforderliche Verteidigungsmittel war. So habe A während des Wortwechsels und der Verlagerung des Geschehens bis zum Tatort genügend Zeit gehabt, um auf den Besitz des Messers hinzuweisen und dessen Einsatz anzudrohen. Zu diesem Zeitpunkt sei M lediglich hinter ihm hergelaufen und habe noch nicht damit begonnen, auf A einzuschlagen. Ebenso hätte A versuchen können, mit Worten deeskalierend auf die ihn verfolgende Gruppe einzuwirken. Auch wäre es ihm in der konkreten Verteidigungssituation möglich gewesen, das Messer als Schlagwerkzeug zu benutzen oder seine Fäuste einzusetzen. Dabei hätte A gute Erfolgsaussichten gehabt, weil er auf Grund seiner Körperlänge von 187 cm dem nur 160 cm großen M überlegen gewesen sei und eine situationsbedingte körperliche Schwächung nicht vorgelegen habe. Zudem hätte der A nicht mit einer derartigen Wucht auf eine so sensible Körperregion einstechen müssen. Schließlich dürfe auch nicht unbeachtet bleiben, dass A wegen seiner aggressiven Äußerungen im Vorfeld eine Mitschuld an der Gemütsverfassung des Geschädigten trage, auch wenn die Voraussetzungen einer Notwehrprovokation dadurch noch nicht erfüllt seien.
Problematisch ist also zunächst die Frage, inwieweit der Einsatz des Messers die erforderliche Verteidigungshandlung war. Erforderlich ist eine Handlung dann, wenn sie geeignet ist, den Angriff zu beenden oder wesentlich abzuschwächen und unter gleich geeigneten Verteidigungsmitteln das Mildeste ist. Bei lebensgefährdenden Verteidigungsmitteln ist grundsätzlich eine Stufenfolge zu beachten: Der Angegriffene soll zunächst den Einsatz des Mittels androhen, dann muss er versuchen, es so einzusetzen, dass nur geringe Verletzungen entstehen und erst danach darf er einen lebensgefährdenden Einsatz wählen. Das alles hängt aber von der sog. "Kampflage" ab.
Nun ist das LG der Auffassung, das A diese ihm mögliche Stufenfolge nicht eingehalten habe. Der BGH bemerkt dazu jedoch zu recht folgendes:
Soweit A entgegengehalten wird, den Einsatz des Messers während des Wortwechsels und der Verlagerung des Geschehens bis zum Tatort nicht angedroht und es in diesem Zeitraum auch versäumt zu haben, durch Worte deeskalierend auf seine Kontrahenten einzuwirken, handelt es sich um mögliche Verhaltensweisen im Vorfeld und nicht um im Zeitpunkt des Messereinsatzes noch verfügbare alternative Abwehrmittel.
Für die Annahme, dass es A möglich war, den Angriff mit den bloßen Fäusten abzuwehren, ohne dabei ein unvertretbar hohes Fehlschlagrisiko oder eine Eigengefährdung in Kauf nehmen zu müssen, fehlt es an einer tragfähigen Grundlage. Das LG hat in diesem Zusammenhang lediglich auf die Größenverhältnisse zwischen den Kontrahenten abgehoben und daraus eine körperliche Überlegenheit des A abgeleitet. Dies reicht nicht aus, um einen sicheren Erfolg des A bei einem Faustkampf mit M zu belegen. Ob eine körperliche Auseinandersetzung ohne eigene Verletzungen mit Erfolg bestanden werden kann, hängt nur zu einem geringen Teil von der Statur der Kontrahenten ab. Weitere Feststellungen – etwa zu möglichen Erfahrungen des A mit derartigen Auseinandersetzungen oder besonderen Fertigkeiten in diesem Bereich – die eine derartige Aussage gestatten könnten, sind dem Urteil nicht zu entnehmen. Das LG hat auch nicht hinreichend dargelegt, warum A gehalten gewesen sein sollte, das Messer als Schlagwerkzeug einzusetzen. Bei dem Tatmesser handelte es sich um ein Klappmesser mit einer feststehenden 10 cm langen Klinge. Wie ein solches Messer in einer effektiven Weise als Schlagwerkzeug eingesetzt werden kann, erschließt sich nicht von selbst. Schließlich hat das LG auch nicht mit Tatsachen belegt, dass es A möglich war, den Angriff von M durch einen weniger wuchtigen Stich gegen eine nicht so sensible Körperregion endgültig abzuwehren. Die hierzu gemachten Ausführungen beschränken sich auf die bloße Behauptung, dass ihm diese Handlungsmöglichkeit zur Verfügung standen.
Die Aufhebung des Urteils durch den BGH führt nun dazu, dass das LG in einer erneuten Verhandlung die noch offenen Fragen klären muss. Dazu gehört auch die Frage, inwieweit A durch die vorangegangene verbale Provokation in seinem Notwehrrecht eingeschränkt sein könnte (fahrlässige Notwehrprovokation). Bei einer fahrlässigen Notwehrprovokation muss der Täter zunächst Schutzwehr üben und darf erst danach zur Trutzwehr übergehen Ob A dies vorliegend in Anbetracht von evtl. 2 Angreifern, die nur noch wenige Meter entfernt waren, möglich war, erscheint zweifelhaft. Lässt es sich nicht aufklären, gilt auch hier "in dubio pro reo".
Für den Fall, dass S den A gar nicht angreifen wollte, A dies aber irrig annahm und deswegen das tödliche Verteidigungsmittel wählte, kommt ein Erlaubnistatestandsirrtum in Betracht, der nach h.M. über § 16 I StGB analog zu lösen ist.
Nähere Ausführungen zur Rechtswidrigkeit finden Sie in unserem GuKO SR I und den ExO`s. Einen Einblick in unsere Skipte finden Sie hier: http://www.juracademy.de/web/topic.php?id=12527.