Der Entscheidung des BGH (Urt. v. 30.12.2014 − 2 StR 439/13) lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Zwischen den Eheleuten X und Y war es im Laufe der Ehe aus verschiedenen Gründen zu einem Zerwürfnis gekommen, infolge dessen die ursprünglich von den Phillipinen stammende X zusammen mit ihrem minderjährigen Sohn aus der gemeinsamen Wohnung auszog und über einen Anwalt die Regelung des Trennungs- und Kindesunterhalts sowie des Umgangsrechts anstrebte. Ein Angebot des Y, für 25.000,00 € "nach Hause" zurückzukehren und den Sohn in Deutschland zu lassen, lehnte X ab. Dem mittlerweile auch beteiligten Jugendamt erklärte sie, sie werde ihren Sohn niemals verlassen und auch nicht auf die Phillipinen zurückkehren. Die gegenüber Freunden ausgebrachte Ankündigung eines Urlaubs ausnutzend, beschloss Y, X zu töten und nach außen vorzugeben, sie sei nun doch nach Hause zurück gekehrt. Dafür versöhnte er sich pro forma wieder mit X, half ihr sogar bei den Renovierungsarbeiten in der Wohnung und beschaffte sich bei der Gelegenheit einen Schlüssel zur Wohnung. Am 18.04. tötete er sodann die X und beseitigte ihre Leiche, die bis heute nicht gefunden wurde. Zehn Tage später erstattete eine Bekannte eine Vermisstenanzeige. Durch Befragungen erfuhr die Polizei von der Trennungssituation der Eheleute, von dem Geldangebot und von den Reparaturarbeiten. Der zuständige Kriminalhauptkommissar L bat den Sachbearbeiter des Jugendamts G am 3.8.2007 telefonisch um Unterstützung. Dies hielt der Zeuge G in einer E-Mail an andere Mitarbeiter des Jugendamts wie folgt fest:
„Die Polizei (KK66, Herr L) ermittelt in der Familie K wegen einer Vermisstenanzeige bezüglich der vom Vater getrennten Kindesmutter. Diese ist seit drei Monaten verschwunden. Bei der Polizei ergeben sich verdichtende Verdachtsmomente gegen den Kindesvater. Herr L bittet um Mithilfe, da Herr K sich in Widersprüche verstrickt (zeitliche Angaben, angebliche Telefonate mit der verschwundenen KM, plötzliche Anmeldung des Kindes beim Vater etc.). Das Kind M (7.2.2002) lebt beim Vater und ist dort gemeldet. Herr L ist darum bemüht, die vom Vater gemachten Angaben mit dem Jugendamt abzugleichen. Es besteht ein sich verdichtender Tatverdacht. Herr L bittet um Mitteilung bei weiteren hier aufkommenden Verdachtsmomenten. …“
Am 14.08.2007 wurde Y als Zeuge vernommen und entsprechend gem. §§ 52 und 55 StPO belehrt. Am 22.8.2007 wurde förmlich ein Strafverfahren eingeleitet. Am 6.11.2007 wurde X dann als Beschuldigter vernommen und dabei gemäß § 163 a Abs. 4 und § 136 Abs. 1 S. 2 StPO belehrt. In der Hauptverhandlung widersprach die Verteidigung nach jeder Zeugenvernehmung von Polizeibeamten, die zu den Aussagen des Angekl. in seinen Vernehmungen im Vorverfahren Angaben machten, der Verwertung.
Die gegen das Urteil erhobene Verfahrensrüge nach § 136 I 2 StPO ist nach Auffassung des BGH möglich, aber wegen des fehlenden "Beruhens" gem. § 337 StPO vorliegend nicht erfolgreich.
Der BGH führt dazu folgendes aus:
"Die Beschuldigteneigenschaft setzt zwar nicht nur das objektive Bestehen eines Verdachts, sondern auch den Verfolgungswillen der Strafverfolgungsbehörde hinsichtlich einer Verdachtshypothese voraus, der sich in einem Willensakt manifestiert.... Wird gegen eine Person förmlich ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, liegt darin ein solcher Willensakt. Aber auch ohne förmliche Verfahrenseröffnung gegen die Person ist die konkludente Zuweisung der Rolle als Beschuldigter möglich. Dies richtet sich danach, wie sich das Verhalten des ermittelnden Beamten bei seinen Aufklärungsmaßnahmen nach außen darstellt ...Das Strafverfahren ist eingeleitet, sobald die Ermittlungsbehörde eine Maßnahme trifft, die nach ihrem äußeren Erscheinungsbild darauf abzielt, gegen jemanden strafrechtlich vorzugehen ... Ist eine Ermittlungshandlung darauf gerichtet, den Vernommenen als Täter einer Straftat zu überführen, kommt es daher nicht mehr darauf an, wie der Ermittlungsbeamte sein Verhalten rechtlich bewertet...
Nach diesem Maßstab lag bei der Vernehmung am 14.8.2007 eine auf Überführung des Angekl. .. als Täter eines Tötungsdelikts gerichtete Maßnahme vor. ...Das wird aus dem vorangegangenen telefonischen Auskunftsersuchen vom 3.8.2007 an das Jugendamt deutlich. Dies war eine strafprozessuale Ermittlungshandlung (§ 161 Abs. 1 S. 1 StPO). Aufgrund eines sich „verdichtenden Verdachts“ wurde dabei die fremde Behörde um Mitteilung weiterer Verdachtsmomente gebeten. Dazu wurden die bisherigen Verdachtsmomente genannt. Der bestehende Verdacht war damit dem Jugendamt mitgeteilt worden, um zusätzliche Erkenntnisse zu erhalten....
Die Durchführung der Maßnahme als Zeugenvernehmung war dann aber rechtsfehlerhaft, weil die Schutzbestimmungen aus § 163 a Abs. 4 iVm § 136 Abs. 1 S. 2 StPO nicht beachtet wurden.
Der Verfahrensmangel wurde nicht durch die Belehrung gemäß § 55 Abs. 2 StPO kompensiert; denn diese Belehrung entspricht nicht dem Hinweis auf ein umfassendes Aussageverweigerungsrecht als Beschuldigter (vgl. BGH Urt. v. 26.5.1992 – 5 StR 122/92, BGHSt 38, 302, 303 f.) und dessen Recht auf Verteidigerbeistand...
Das Unterlassen einer Belehrung gemäß § 163 a Abs. 4 S. 2 iVm § 136 Abs. 1 S. 2 StPO bei der Vernehmung am 14.8.2007 führt zu einem Beweisverwertungsverbot für diese Zeugenvernehmung....
Die Unkenntnis darüber, dass die Zeugenvernehmung unverwertbar war, kann ferner dazu geführt haben, dass der Angekl. .. bei der nachfolgenden Beschuldigtenvernehmung nur Angaben gemacht hat, weil er meinte, seine Zeugenaussage ergänzen zu müssen. Auch dadurch wurde die Entscheidungsfreiheit des Angekl. .. darüber, ob er sich redend oder schweigend verteidigen will, berührt. Dies hätte durch eine qualifizierte Belehrung darüber, dass die vorherige Aussage als Zeuge unverwertbar ist, vermieden werden können. Eine solche Belehrung ist jedoch nicht erteilt worden.
Es kann offen bleiben, ob deshalb mit einer in der Literatur vertretenen Ansicht ein Beweisverwertungsverbot auch für die Beschuldigtenvernehmung mangels qualifizierter Belehrung anzunehmen ist (vgl. Gless/Wennekers JR 2008, 383, 384; SK/StPO-Rogall 4. Aufl., § 136 Rn 87; Roxin HRRS 2009, 186, 187) oder ob dies mit der Rspr. des BGH von einer Abwägung des Strafverfolgungsinteresses mit dem Interesse des Beschuldigten an der Wahrung seiner Rechte abhängt (vgl. BGH Urt. v. 18.12.2008 – 4 StR 455/08, BGHSt 53, 112, 116) und auch danach ein Beweisverwertungsverbot besteht. Der Senat kann nämlich hier ausschließen, dass das Urteil auf der Nichtbeachtung von Beweisverwertungsverboten bezüglich der Zeugenvernehmung oder – gegebenenfalls – bezüglich der Beschuldigtenvernehmung beruht."