Dem Urteil des BGH (v. 15.04.2015 – VIII ZR 80/14, abrufbar unter www.bundesgerichtshof.de = NJW 2015, 1669 = BeckRS 2015, 08782 [beck-online]) lag folgender – leicht vereinfachter – Sachverhalt zugrunde:
Mit Vertrag vom 3.08.2012 kaufte der K von dem B, einem gewerblichen Autohändler, einen erstmalig am 30.08.1999 zugelassenen Gebrauchtwagen mit einer Laufleistung von 144.000 km zum Preis von 5000 €. Der Kaufvertrag enthält unter der Rubrik „Zubehör/Sonderausstattung“ den Eintrag „HU neu“. Am Tag des Fahrzeugkaufs hatte der Technische Überwachungsverein (TÜV) die Hauptuntersuchung durchgeführt und das Fahrzeug beanstandungsfrei mit einer TÜV-Plakette versehen. Am nächsten Tag fuhr der K zu ihrem rund 900 km entfernten Wohnort. Auf der Fahrt dorthin versagte der Motor auf Grund eines defekten Kraftstoffrelais mehrfach. Bei den anschließenden, von dem K veranlassten Untersuchungen des Fahrzeugs wurde unter anderem eine starke Korrosion an den Bremsleitungen, den Längsträgern, den Querlenkern, den Achsträgern und dem Unterboden sowie an sämtlichen Zuleitungen zum Motor festgestellt. Der K erklärte daraufhin mit Schreiben vom 30.08.2012 die Anfechtung des Kaufvertrags wegen arglistiger Täuschung, hilfsweise den Rücktritt vom Kaufvertrag und begründete dies mit den bei der Untersuchung festgestellten, die Verkehrssicherheit des Fahrzeugs beeinträchtigenden Mängeln. Der B behauptet, er habe das Fahrzeug vor dem Verkauf durchgesehen und nur vordergründigen Rost festgestellt; im Übrigen habe er sich auf die Untersuchung des TÜV verlassen.
Der K begehrt Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des Kraftfahrzeugs.
Besteht der geltend gemachte Anspruch?
Falllösung:
I. Anspruch aus § 812 Abs. 1 S. 1 Var. 1 BGB
K könnte gegen B einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des Kraftfahrzeugs aus § 812 Abs. 1 S. 1 Var. 1 BGB haben.
1. Etwas erlangt
B müsste etwas erlangt haben. Dies ist jeder vermögenswerte Vorteil. Hier hat B Eigentum und Besitz an den 5000 € erlangt.
2. Durch Leistung
B müsste die 5000 € auch durch Leistung erlangt haben. Leistung ist jede bewusste und zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens (PWW/Prütting, 10. Aufl. 2015, § 812 Rn. 22). Hier hat K im Hinblick auf einen bestehenden Kaufvertrag geleistet, sodass eine zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens gegeben ist.
3. Ohne Rechtsgrund
Fraglich ist, ob ein Rechtsgrund für die Leistung der 5000 € besteht. Dieser könnte in Form des Kaufvertrags gegeben sein. Ursprünglich haben K und B einen wirksamen Kaufvertrag geschlossen.
K könnte diesen aber wegen arglistiger Täuschung angefochten haben gemäß § 123 Abs. 1 BGB, sodass der Vetrag ex tunc unwirksam ist.
V hat die Anfechtung gegenüber K erklärt (§ 143 BGB).
Die Täuschung verlangt wie nach § 263 StGB, dass der Täuschende bei dem Getäuschten einen Irrtum hervorruft, aufrechterhält oder bestärkt, indem er falsche Tatsachen vorspiegelt bzw. wahre Tatsachen entstellt oder unterdrückt (BGH, NJW 1957, 988; PWW/Ahrens, § 123 Rn. 4). Die Täuschung kann durch positives Tun oder Unterlassen erfolgen und muss pflichtwidrig und arglistig sein (PWW/Ahrens, § 123 Rn. 4).
Indem der B die starke Korrosion an den Bremsleitungen, den Längsträgern, den Querlenkern, den Achsträgern und dem Unterboden sowie an sämtlichen Zuleitungen zum Motor nicht aufgedeckt hat, könnte eine Täuschung durch Unterlassen gegeben sein. Eine Täuschung durch Unterlassen kommt nur in Betracht, wenn eine Offenbarungspflicht hinsichtlich des verschwiegenen Umstands besteht (BGH, NJW-RR 1998, 1406; PWW/Ahrens, § 123 Rn. 8). Eine Aufklärungspflicht ist dann gegeben, wenn sie nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) und den Anforderungen des Verkehrs aufgrund einer Gesamtwürdigung zu erwarten ist (BGHZ 117, 283; PWW/Ahrens, § 123 Rn. 12). Es ist über erkennbar besonders wichtige Umstände aufzuklären, die für seine Entschließung von ausschlaggebender Bedeutung sind (BGH, NJW 1998, 1406; PWW/Ahrens, § 123 Rn. 11).
Die Korrosionsschäden beeinträchtigen die Verkehrssicherheit des Fahrzeugs, sodass es sich grundsätzlich um wesentliche Umstände handelt, die mitzuteilen sind.
Fraglich ist aber, ob K auch arglistig gehandelt hat. Arglist i.S.d. Vorschrift bedeutet Vorsatz, wobei bedingter Vorsatz ausreicht (PWW/Ahrens, § 123 Rn. 25).
Hierzu der BGH:
„[...] [E]in Verkäufer verschweigt einen offenbarungspflichtigen Mangel bereits dann arglistig, wenn er ihn mindestens für möglich hält und gleichzeitig damit rechnet und billigend in Kauf nimmt, dass der Vertragspartner den Fehler nicht kennt und bei Kenntnis den Kaufvertrag nicht oder nicht mit dem vereinbarten Inhalt geschlossen [...].“
B gesteht ein, eine Prüfung durchgeführt zu haben, hierbei gibt er an die wesentlichen Korrosionsschäden jedoch nicht bemerkt zu haben. Mit letzter Gewissheit kann dem Sachverhalt auch etwas anderes nicht entnommen werden. Es gilt zu beachten, dass derjenige, der sich auf die Rechtsfolgen des § 123 BGB beruft, die Voraussetzungen des Anfechtungsrechts nachzuweisen hat (BGH, NJW 2001, 65; PWW/Ahrens, § 123 Rn. 47). Daher lässt sich die Arglist des B nicht mit letzter Sicherheit feststellen (a.A.v.).
Hierzu führt der BGH folgendes aus:
„Nach ständiger Rechtsprechung des Senats trifft den Gebrauchtwagenhändler keine generelle, anlassunabhängige Obliegenheit, das Fahrzeug vor dem Verkauf umfassend zu untersuchen [...]. Vielmehr kann er zu einer Überprüfung des Fahrzeugs nur aufgrund besonderer Umstände, die für ihn einen konkreten Verdacht auf Mängel begründen, gehalten sein [...], etwa dann, wenn er die Vorschädigung eines zu veräußernden Fahrzeugs kennt [...]. Abgesehen von diesen Fällen ist der Händler grundsätzlich nur zu einer fachmännischen äußeren Besichtigung ("Sichtprüfung") verpflichtet [...].
[...] Zudem hat das Berufungsgericht versäumt, Feststellungen zu dem erforderlichen Ursachenzusammenhang zwischen der vermeintlichen arglistigen Täuschung und dem Abschluss des Kaufvertrags zu treffen. Denn angesichts der am Tag des Kaufvertrags durchgeführten, erfolgreichen Vorführung des Fahrzeugs zur Hauptuntersuchung versteht es sich nicht von selbst, dass der vom Berufungsgericht für erforderlich gehaltene Hinweis des Beklagten, das Fahrzeug nicht selbst untersucht zu haben, am Kaufentschluss der Klägerin etwas geändert hätte."
4. Ergebnis
K hat gegen B keinen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises aus § 812 Abs. 1 S. 1 Var. 1 BGB.
II. Anspruch gem. § 346 Abs. 1 i.V.m. § 437 Nr. 2, § 440 Satz 1, § 323 Abs. 1, § 348 BGB
K könnte gegen B einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des Kraftfahrzeugs aus § 346 Abs. 1 BGB i.V.m. §§ 437 Nr. 2, 440 Satz 1, 323 Abs. 1, 348 BGB haben.
1. Wirksamer Kaufvertrag
Ein wirksamer Kaufvertrag (§ 433 BGB) wurde zwischen K und B geschlossen (s.o.).
2. Mangel
Der Gebrauchtwagen müsste auch mangelhaft gewesen sein gemäß § 434 BGB. Die Sache ist gemäß § 434 Abs. 1 S. 1 BGB frei von Sachmängeln, wenn sie bei Gefahrübergang die vereinbarte Beschaffenheit hat.
Hierzu führt der BGH folgendes aus:
„Das gekaufte Fahrzeug war bei Gefahrübergang (§ 446 BGB) mangelhaft, weil es sich entgegen der vereinbarten Beschaffenheit nicht in einem Zustand befand, der die Erteilung einer TÜV-Plakette am Tag des Kaufvertrags rechtfertigte.
Die im Kaufvertrag enthaltene Eintragung "HU neu" beinhaltet bei interessengerechter Auslegung [...] die stillschweigende Vereinbarung, dass sich das verkaufte Fahrzeug im Zeitpunkt der Übergabe in einem für die Hauptuntersuchung nach § 29 StVZO geeigneten verkehrssicheren Zustand befinde und die Hauptuntersuchung durchgeführt sei (§ 434 Abs. 1 Satz 1 BGB). Insoweit gilt nichts anderes als für einen in einem Kaufvertrag enthaltenen Zusatz "TÜV neu" [...].
Nach den insoweit rechtsfehlerfrei getroffenen [...] Feststellungen des Berufungsgerichts genügte das Fahrzeug dieser Beschaffenheitsvereinbarung nicht, sondern war aufgrund der fortgeschrittenen Korrosion insbesondere an den vorderen Bremsleitungen ungeachtet der dennoch erteilten TÜV-Plakette nicht verkehrssicher und aufgrund seines schlechten Gesamtzustandes bei Übergabe nicht so beschaffen, dass ein Betrieb des Fahrzeugs und dessen gefahrlose Nutzung im Straßenverkehr möglich gewesen wären.“
Daher war ein Mangel gegeben. Dieser lag auch schon bei Gefahrübergang vor (§ 446 BGB).
3. Fristsetzung bzw. Entbehrlichkeit?
Grundsätzlich gilt im Kaufrecht der Vorrang der Nacherfüllung (§§ 437 Nr. 1, 439 BGB). Hierfür müsste der K eine angemessene Frist gesetzt haben (§ 323 Abs. 1 BGB). Dies hat der K jedoch nicht getan, sondern vielmehr umgehend Rückzahlung des Kaufpreises verlangt.
Jedoch könnte die Fristsetzung entbehrlich gewesen sein gemäß § 440 S. 1 BGB. Dies könnte dann der Fall sein, wenn die Nacherfüllung für ihn gemäß § 440 S. 1 Alt. 3 BGB unzumutbar war.
Hierzu führt der BGH folgendes aus:
„Für die Beurteilung, ob die Nacherfüllung für den Käufer unzumutbar ist, sind alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, insbesondere die Zuverlässigkeit des Verkäufers [...], diesem vorzuwerfende Nebenpflichtverletzungen [...] oder der Umstand, dass der Verkäufer bereits bei dem ersten Erfüllungsversuch, also bei Übergabe, einen erheblichen Mangel an fachlicher Kompetenz hat erkennen lassen [...] und das Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien nachhaltig gestört ist [...].
[...] Hiervon ist vorliegend auszugehen. [...] Hiernach steht fest, dass das als verkehrssicher verkaufte Fahrzeug massive Mängel in Form fortgeschrittener Korrosion an sicherheitsrelevanten Bauteilen aufwies, die bereits bei einer ordnungsgemäß durchgeführten einfachen Sichtprüfung ohne weiteres erkennbar gewesen wären. Der Beklagte hat das Ausmaß des von ihm - nach seinem eigenen Vorbringen - bemerkten "vordergründigen Rosts" zumindest fahrlässig verkannt [...]. Angesichts dieser Umstände hat die Klägerin nachvollziehbar jedes Vertrauen in die Zuverlässigkeit und Fachkompetenz des Beklagten verloren. Der Umstand, dass der TÜV das Fahrzeug nicht beanstandet hat, rechtfertigt mit Blick auf die Unzumutbarkeit der Nacherfüllung keine andere Betrachtung.“
Mithin war eine Nacherfüllung für den K gemäß § 440 S. 1 Alt. 3 BGB unzumutbar, sodass dieser gemäß § 440 S. 1 Alt. 3 BGB auch ohne vorherige Fristsetzung zum Rücktritt berechtigt war.
Durch den Mangel war die Verkehrssicherheit auch beeinträchtigt, sodass dieser auch nicht unerheblich i.S.v. § 323 Abs. 5 S. 2 BGB war.
4. Ergebnis
Mithin hat K gegen B einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs aus § 346 Abs. 1 BGB i.V.m. §§ 437 Nr. 2, 440 Satz 1, 323 Abs. 1, 348 BGB.
Hier noch einmal die Leitsätze des BGH im Überblick:
1. Den Gebrauchtwagenhändler trifft keine generelle, anlassunabhängige Obliegenheit, das Fahrzeug vor dem Verkauf umfassend zu untersuchen. Vielmehr kann er zu einer Überprüfung des Fahrzeugs nur aufgrund besonderer Umstände, die für ihn einen konkreten Verdacht auf Mängel begründen, gehalten sein. Abgesehen von diesen Fällen ist der Händler grundsätzlich nur zu einer fachmännischen äußeren Besichtigung ("Sichtprüfung") verpflichtet [...].
2. Die im Kaufvertrag enthaltene Eintragung "HU neu" beinhaltet bei interessengerechter Auslegung die stillschweigende Vereinbarung, dass sich das verkaufte Fahrzeug im Zeitpunkt der Übergabe in einem für die Hauptuntersuchung nach § 29 StVZO geeigneten verkehrssicheren Zustand befinde und die Hauptuntersuchung durchgeführt sei [...].
3. Für die Beurteilung, ob die Nacherfüllung für den Käufer gem. § 440 S. 1 Alt. 3 BGB unzumutbar ist, sind alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, insbesondere die Zuverlässigkeit des Verkäufers, diesem vorzuwerfende Nebenpflichtverletzungen oder der Umstand, dass der Verkäufer bereits bei dem ersten Erfüllungsversuch, also bei Übergabe, einen erheblichen Mangel an fachlicher Kompetenz hat erkennen lassen und das Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien nachhaltig gestört ist.
Anmerkung:
Zur Vertiefung der Problematik kann auf die Anmerkung von Cziupka (NJW 2015, 1671) verwiesen werden. Weitere Ausführungen zu diesem Thema finden Sie auch in unseren ExO`s und im GuKO ZR. Eine Leseprobe aus unserem Skript finden Sie hier: http://www.juracademy.de/web/skript.php?id=37264.