Dem Urteil des BAG (Urt. v. 20.11.2014 – 2 AZR 651/13, abrufbar unter www.bundesarbeitsgericht.de = NZA 2015, 294 = BeckRS 2015, 65741 [beck-online]) lag folgender (leicht vereinfachter) Sachverhalt zugrunde:
K ist bei B seit 1996 als Kfz-Mechaniker tätig. Die B beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer. Am 27.7.2012 betrat der K die Sozialräume der B, um sich umzuziehen. Er traf dort auf die ihm bislang unbekannte Mitarbeiterin (M) eines externen Reinigungsunternehmens. Bei seinem Eintreffen lehnte diese in der Tür zwischen Wasch- und Umkleideraum und unterhielt sich mit zwei Kollegen des K, die sich im Waschraum befanden. Dorthin begab sich auch der K. Nachdem die beiden Kollegen die Räumlichkeiten verlassen hatten, führten der K – während er sich Hände und Gesicht wusch – und Frau M ein Gespräch. In dessen Verlauf stellte diese sich zunächst vor das Waschbecken und anschließend neben den K. Der K sagte zu ihr, sie habe einen schönen Busen und berührte sie an einer Brust. Frau M erklärte, dass sie dies nicht wünsche. Der K ließ sofort von ihr ab. Er zog sich um und verließ den Sozialraum. Frau M arbeitete weiter. Sie schilderte den Vorfall später ihrem Arbeitgeber, der seinerseits an die B herantrat.
Am 31.7.2012 bat die B den K zu einem Gespräch. Er gestand den Vorfall ein und erklärte, er habe sich eine Sekunde lang vergessen. „Die Sache“ tue ihm furchtbar leid. Er schäme sich, so etwas werde sich nicht wiederholen. Mit Schreiben vom 31.7.2012 kündigte die B das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich mit sofortiger Wirkung.
In der Folge richtete der K ein Entschuldigungsschreiben an Frau M. Er führte mit ihr unter Zahlung eines Schmerzensgelds einen Täter-Opfer-Ausgleich herbei. Frau M nahm seine Entschuldigung an und versicherte, die Angelegenheit sei damit für sie erledigt. Sie habe kein Interesse mehr an einer Strafverfolgung. Das gegen den K eingeleitete Ermittlungsverfahren wurde gem. § 170 II StPO eingestellt.
Der K hat fristgerecht Kündigungsschutzklage erhoben. Er hat vorgetragen, er habe – subjektiv unstreitig – den Eindruck gehabt, Frau M habe mit ihm geflirtet. Dann sei es zu einem plötzlichen „Blackout“ gekommen.
Wurde durch die Kündigung durch B das zwischen K und B bestehende Arbeitsverhältnis beendet?
Falllösung:
Fraglich ist, ob B das Arbeitsverhältnis mit K durch die außerordentliche Kündigung vom 31.07.2012 beendet hat.
I. Wirksamer Arbeitsvertrag
K ist seit 1996 bei B angestellt, sodass grundsätzlich ein wirksamer Arbeitsvertrag gegeben war.
II. Schriftliche Kündigungserklärung (§ 623 BGB)
Eine Kündigung bedarf gem. § 623 BGB der Schriftform. Hier hat B dem K mit Schreiben vom 31.07.2012 gekündigt, sodass die Schriftform gewahrt wurde.
III. Voraussetzungen von § 626 Abs. 1 BGB
Des Weiteren müssten die Voraussetzungen für eine außerordentliche Kündigung gem. § 626 Abs. 1 BGB vorliegen.
Für eine außerordentliche Kündigung müsste zunächst ein wichtiger Grund gem. § 626 Abs. 1 BGB vorliegen. Hiernach kann das Dienstverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.
Zunächst ist daher zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, grundsätzlich als wichtiger Grund geeignet ist. Wenn dies der Fall ist, dann ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls – jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – zumutbar ist oder nicht (BAG, NZA 2014, 1197 Rn. 39; BAGE 146, 203 = NZA 2014, 243 = NJW 2014, 810 Rn. 15).
1. Wichtiger Grund
Fraglich ist also zunächst, ob „an sich“ ein wichtiger Grund gegeben ist.
Der K könnte seine arbeitsvertraglichen Pflichten in erheblicher Weise verletzt haben, indem er Frau M sexuell belästigt hat.
Gemäß § 3 Abs. 4 AGG ist eine sexuelle Belästigung gegeben, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird. Auch einmalige Handlungen können hiervon erfasst sein (BAG, NZA 2011, 1342 = NJW 2012, 407 Rn. 18).
Hierzu hat das BAG folgendes ausgeführt:
„Bei der Aussage, Frau M habe einen schönen Busen, handelte es sich nicht um ein sozialadäquates Kompliment, sondern um eine unangemessene Bemerkung sexuellen Inhalts. [...] In der anschließenden Berührung lag ein sexuell bestimmter Eingriff in die körperliche Intimsphäre von Frau M. Sowohl die Bemerkung als auch die folgende Berührung waren objektiv unerwünscht. Dies war für den Kl. erkennbar [...]. Unmaßgeblich ist, wie er selbst sein Verhalten zunächst eingeschätzt und empfunden haben mag und verstanden wissen wollte [...]. Mit seinen erkennbar unerwünschten Handlungen hat der Kl. iSv § 3 IV AGG die Würde von Frau M verletzt und sie zum Sexualobjekt erniedrigt.“
Somit hat der K Frau M sowohl verbal als auch körperlich sexuell belästigt iS.v. § 3 Abs. 4 AGG. Eine sexuelle Belästigung iSv § 3 Abs. 4 AGG stellt auch nach § 7 Abs. 3 AGG eine Verletzung vertraglicher Pflichten dar. Es ist also „an sich“ als wichtiger Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB gegeben.
2. Abwägung
Ob die sexuelle Belästigung im Einzelfall zur außerordentlichen Kündigung berechtigt, ist abhängig von den konkreten Umständen, unter anderem von ihrem Umfang und ihrer Intensität (BAG, NZA 2011, 1342 = NJW 2012, 407 Rn. 16).
Hierzu führt das BAG folgendes aus:
„Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen.
Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumindest bis zum Ende der Frist für eine ordentliche Kündigung zumutbar war oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Im Vergleich zu einer außerordentlichen fristlosen Kündigung kommen als mildere Mittel insbesondere eine Abmahnung oder eine ordentliche Kündigung in Betracht. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck – nicht die Sanktion pflichtwidrigen Verhaltens, sondern die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses – zu erreichen [...].
Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 II iVm § 323 II BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist [...].
Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wird zudem durch § 12 III AGG konkretisiert. Danach hat der Arbeitgeber bei Verstößen gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 I AGG, zu denen auch sexuelle Belästigungen iSv § 3 IV AGG gehören, die geeigneten, erforderlichen und angemessenen arbeitsrechtlichen Maßnahmen – wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung – zu ergreifen. Welche Maßnahmen er als verhältnismäßig ansehen darf, hängt von den konkreten Umständen ab. § 12 III AGG schränkt das Auswahlermessen allerdings insoweit ein, als der Arbeitgeber die Benachteiligung zu „unterbinden“ hat. Geeignet im Sinne der Verhältnismäßigkeit sind daher nur solche Maßnahmen, von denen der Arbeitgeber annehmen darf, dass sie die Benachteiligung für die Zukunft abstellen, das heißt eine Wiederholung ausschließen [...].
Dem BerGer. kommt bei der Prüfung und Interessenabwägung ein Beurteilungsspielraum zu. Seine Würdigung wird in der Revisionsinstanz lediglich daraufhin überprüft, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat [...].
Das LAG hat die Abwägung fehlerfrei vorgenommen. Es hat die Kündigung als unverhältnismäßig angesehen. Die Bekl. sei verpflichtet gewesen, den Kl. vorrangig abzumahnen. Diese Würdigung liegt innerhalb des tatrichterlichen Beurteilungsspielraums. Es liegen keine Umstände vor, die zu der Annahme berechtigten, selbst nach einer Abmahnung sei von einer Wiederholungsgefahr auszugehen. Die in Rede stehende Pflichtverletzung des Kl. wiegt auch nicht so schwer, dass eine Abmahnung aus diesem Grund entbehrlich gewesen wäre.
Das LAG hat ohne Rechtsfehler angenommen, dass eine Abmahnung nicht deshalb verzichtbar war, weil bereits ex ante erkennbar gewesen wäre, dass eine Verhaltensänderung auch nach Abmahnung in Zukunft nicht zu erwarten stand.
Es ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Kl. nicht unfähig sei, sein Verhalten zu ändern. Mit dem Hinweis auf einen unerklärlichen „Blackout“ wollte er ausdrücken, dass es sich bei seiner Handlungsweise um ein ihm wesensfremdes, einmaliges „Augenblicksversagen“ gehandelt habe. Es spricht nichts dafür, dass der Kl. sich noch einmal irrtümlich einbilden könnte, „angeflirtet“ zu werden und auf eine solche Annahme erneut in vergleichbarer Weise reagieren müsste. Ersichtlich war er im Stande, seine Fehleinschätzung sofort zu erkennen und entsprechend dieser Einsicht zu handeln, nämlich augenblicklich von Frau M abzulassen.
Das LAG hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass der Kl. auch nicht unwillig sei, sein Verhalten zu ändern.
Entgegen der Ansicht der Revision hat das LAG durchaus erkannt, dass es sich um eine mehraktige sexuelle Belästigung von sich steigernder Intensität gehandelt hat. Es ist allerdings angesichts des unstreitigen Geschehensablaufs von einer natürlichen Handlungseinheit ausgegangen und hat dem Kl. zugutegehalten, dass er sich über die Unerwünschtheit seines Verhaltens geirrt und dieses nach Erkennen seiner Fehleinschätzung sofort beendet habe. Daraus hat es den Schluss gezogen, der Kl. werde in dieser Weise künftig nicht mehr vorgehen und genauer zwischen eigenen Beobachtungen und subjektiven Schlussfolgerungen unterscheiden [...]. Dies ist ohne Einschränkung vertretbar. Der Kl. hat nicht etwa notorisch Grenzen überschritten. Sein Verhalten ist nicht zu vergleichen mit dem des Kl. in der von der Bekl. herangezogenen Entscheidung des BAG vom 9.6.2011 [...]. Dieser war bereits einschlägig abgemahnt und hatte einer Mitarbeiterin gleichwohl über mehrere Tage in immer neuen Varianten bei unterschiedlichsten Gelegenheiten trotz von ihm erkannter ablehnender Haltung zugesetzt und damit für diese ein Arbeitsumfeld geschaffen, in dem sie jederzeit mit weiteren entwürdigenden Anzüglichkeiten rechnen musste.
Das LAG hat sich auf Grund der gesamten Umstände des Streitfalls die Überzeugung iSv § 286 I ZPO gebildet, bereits durch eine Abmahnung werde eine Wiederholung iSv § 12 III AGG „ausgeschlossen“. Es hat diese Überzeugung darauf gestützt, dass es sich um den ersten Vorfall nach langjähriger, beanstandungsfreier Beschäftigung gehandelt und der Kl. in dem Gespräch am 31.7.2012 sein Fehlverhalten ohne Zögern eingeräumt habe, obwohl er es auf Grund der „Vier-Augen-Situation“ im Waschraum möglicherweise erfolgreich hätte abstreiten können. Aus seiner Erklärung im Personalgespräch mit der Bekl., der Vorfall tue ihm furchtbar leid und er schäme sich dafür, hat es den Schluss gezogen, dass der Kl. über sein Verhalten ehrlich erschrocken gewesen sei. In diese Richtung wiesen auch das Entschuldigungsschreiben und die Herbeiführung eines Täter-Opfer-Ausgleichs unter Zahlung eines Schmerzensgelds.
Die Revision setzt dieser vertretbaren Würdigung nur ihre eigene Bewertung entgegen. Rechtsfehler zeigt sie nicht auf. Ein solcher liegt nicht darin, dass das LAG entschuldigendes Verhalten berücksichtigt hat, das der Kl. erst auf Vorhalt der Bekl. und unter dem Eindruck einer – drohenden – Kündigung und eines – drohenden – Strafverfahrens gezeigt hat. Zwar wirkt sich „Nachtatverhalten“ vor Zugang der Kündigung unter diesen Umständen nur schwach entlastend aus [...]. Jedoch kann es zumindest dann die Annahme fehlender Wiederholungsgefahr stützen, wenn es sich um die Fortsetzung einer zuvor gezeigten Einsicht handelt [...]. Das LAG durfte auf Grund seines Verhaltens nach der Zurückweisung durch Frau M davon ausgehen, dass der Kl. noch vor dem Gespräch mit der Bekl. sein Fehlverhalten und dessen Schwere erkannt und – auch ausweislich seiner späteren Bemühungen – seine „Lektion“ schon von sich aus soweit gelernt hatte, dass eine Abmahnung ihr Übriges zum Ausschluss einer Wiederholungsgefahr getan hätte.
Das LAG hat nicht ausdrücklich geprüft, ob es einer Abmahnung deshalb nicht bedurfte, weil es sich um eine solch schwere Pflichtverletzung handelte, dass selbst deren erstmalige Hinnahme der Bekl. nach objektiven Maßstäben unzumutbar war. In der Sache hat es diese Prüfung bei der abschließenden Interessenabwägung vorgenommen. Eine eigene Beurteilung durch das RevGer. ist insoweit möglich, wenn die des BerGer. fehlerhaft oder unvollständig ist und – wie hier – alle relevanten Tatsachen feststehen [...].
Das LAG hat zu Recht angeführt, dass es sich um eine einmalige Entgleisung gehandelt und der Kl. keinen Belästigungswillen gehabt habe. Er habe sich über die Unerwünschtheit seines Verhaltens geirrt [...].
Entgegen der Annahme der Revision hat das LAG den Irrtum des Kl. nicht für unverschuldet erachtet oder gar Frau M für diesen verantwortlich gemacht. Es hat weder den Gesprächsinhalt als verfänglich eingestuft, noch Frau M die räumliche Annäherung vorgeworfen. Es ist nicht davon ausgegangen, dass sie ihrerseits die Privatsphäre des Kl. tangiert oder ein „Umschlagen“ der Situation provoziert habe. Das LAG durfte indes auch eine vermeidbare Fehleinschätzung zu Gunsten des Kl. berücksichtigen [...].
Da eine Abmahnung schon aus diesem Grunde nicht entbehrlich war, kommt es nicht mehr darauf an, dass das LAG auch die weitere Interessenabwägung angesichts des Irrtums über die Unerwünschtheit seines Verhaltens, der langen, beanstandungsfreien Beschäftigungszeit, des Einräumens der Pflichtverletzung trotz des Fehlens von Zeugen, der Entschuldigung und der Durchführung eines Täter-Opfer-Ausgleichs unter Zahlung eines Schmerzensgelds rechtsfehlerfrei zu Gunsten des Kl. vorgenommen hat.
Das Beendigungsinteresse der Bekl. überwiegt nicht etwa auf Grund einer Drucksituation [...]. Es ist nicht ersichtlich, dass der Arbeitgeber von Frau M als Auftragnehmer der Bekl. von dieser eine bestimmte Reaktion gegenüber dem Kl. gefordert hätte.“
Fraglich ist, ob aber eine Umdeutung gem. § 140 BGB in eine ordentliche Kündigung in Betracht kommt. Dies wäre aber nur der Fall, wenn diese durch das Verhalten des K i.S.v. § 1 Abs. 2 KSchG gerechtfertigt wäre. Hier hat eine Abwägung aber bereits ergeben, dass auf das mildere Mittel einer Abmahnung zurückgegriffen werden kann, sodass eine eine Kündigung sozial ungerechtfertigt i.S.v. § 1 Abs. 2 KSchG wäre. Mithin ist eine Umdeutung in eine ordentliche Kündigung nicht möglich.
Somit ist B, obwohl K Frau M sexuell belästigt hat, zuzumuten, ihn weiter zu beschäftigen. Nach den Umständen des Falles hätte eine Abmahnung als ausgereicht. Ein wichtiger Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB ist im konkreten Fall demnach nicht gegeben.
Durch die Kündigung der B vom 31.07.2012 wurde das Arbeitsverhältnis zwischen K und B mithin nicht beendet.
Anmerkung: Der Fall zeigt, dass es vor allem auf eine gute Argumentation und die Berücksichtigung aller Besonderheiten des Einzelfalles ankommt. Dies sollte bei dem Nacharbeiten der Falllösung besonders verinnerlicht werden. Das Urteil mag auf den ersten Blick überraschen, war aber den besonderen Umständen des Einzelfalles geschuldet und unter Berücksichtigung dieser durchaus nachvollziehbar. Zur weiteren Vertiefung kann auf die sehr lesenswerte und humorvolle Urteilsanmerkung von Kock (NJW 2015, 1597, 1598) und von Günther (ArbRAktuell 2015, 128 [beck-online]; vgl. auch NJW-Spezial 2015, 115 [beck-online]) verwiesen werden. Mit verbalen Belästigungen auf Facebook beschäftigt sich das LAG Hessen, NZA-RR 2014, 585. Weitere Ausführungen zu diesem Thema finden Sie auch in unseren ExO`s und im GuKO ZR. Eine Leseprobe aus unserem Skript finden Sie hier: http://www.juracademy.de/web/topic.php?id=12506.