Im vorliegenden Fall musste sich der BGH (Urteil vom 07. April 2021 - VII ZR 49/19) mit der Frage auseinandersetzen, ob die Inhaberin und Betreiberin eines großen Gestüts Verbraucherin beim Verkauf sein kann.
A Tatbestand
Die Klägerin (K) ist eine vermögende, passionierte Amateur-Dressurreiterin, die ein Gestüt mit Angestellten betreibt, auf dem sie unter anderem eigene Pferde hält und regelmäßig Turniere und Reitlehrgänge ausrichtet. Ihr Vermögen wird durch einen Vermögensverwalter in der Schweiz betreut.
Sie ersteigerte durch einen fachkundigen Berater X auf einer vom Unternehmer (B) – einem Pferdezuchtverband – zwei Mal jährlich durchgeführten und für die Öffentlichkeit zugänglichen Eliteauktion für Reitpferde, die zum damaligen Zeitpunkt dreieinhalbjährige Siegerstute der westfälischen Eliteschau "V " für 100.000€ für private Ausritte. Das Tier wurde K unmittelbar nach der Auktion übergeben.
Die Gewährleistung wurde individualvertraglich ausgeschlossen.
Die K ließ das Pferd in der Folgezeit von einer Tierärztin untersuchen, die zu dem Ergebnis kam, das Pferd weise rechts vorne und links vorne eine angeborene und unheilbare Lahmheit mit einem Grad von 1/10 auf, was sich nicht unerheblich auf die Rittigkeit des Pferdes auswirkt.
Nachdem dieser Befund an den B weitergeleitet worden war, erklärte K den Rücktritt vom Vertrag und verlangte die Rückabwicklung des Kaufvertrags, da die Stute bereits lahm übergeben worden sei.
B macht geltend, das Pferd habe bis zur Auktion niemals Lahmheitserscheinungen gezeigt. Eine Mangelhaftigkeit des Pferds bei Gefahrübergang sei auch nicht zu Gunsten der K zu vermuten, da sie Unternehmerin sei und zudem das Pferd auf einer öffentlich zugänglichen Auktion ersteigert habe. Überdies sei die Gewährleistung ausgeschlossen worden.
Jedenfalls aber habe die K dem B keine ausreichende Gelegenheit zur Nacherfüllung gegeben. Hat K gegen B einen Anspruch aus Rücktritt?
Bearbeitervermerk:
Bei der Lösung des vorliegenden Falls ist auf die ab dem 1.1.2022 herrschende Rechtslage abzustellen.
B Lösung
I §§ 346 Abs. 1, 437 Nr. 3, 326 Abs. 5, 323 analog
K könnte gegen B einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von 100.000 € Zug um Zug gegen Rückgabe des mangelhaften Pferdes haben.
1 Kaufvertrag
Ein Kaufvertrag wurde wirksam zwischen K und B gem. § 156 durch Zuschlag geschlossen. Dabei wurde K von X gem. § 164 wirksam vertreten. Die Vorschriften über Sachen finden gemäß § 90a auf Tiere entsprechende Anwendung.
2 Mangel bei Gefahrübergang
Fraglich ist, ob das Pferd bei der Übergabe (maßgeblicher Zeitpunkt für den Gefahrübergang) bereits mangelhaft war.
Die Sache ist frei von Sachmängeln, wenn sie bei Gefahrübergang den subjektiven Anforderungen und den objektiven Anforderungen von § 434 entspricht. Da die Parteien keine besondere Beschaffenheit vereinbart haben, kommt ein Mangel nach § 434 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 nicht in Betracht.
Allerdings kommt ein Mangel nach § 434 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 in Betracht insoweit sich das Pferd nicht für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignet. Für die vertragliche Vereinbarung ist nach Ansicht der Rechtsprechung ausreichend, wenn die Parteien die angestrebte Verwendung übereinstimmend unterstellt haben.
Doch auch, wenn man eine vertragliche Vereinbarung im engeren Sinne – wie dies häufig in der Literatur vorausfesetzt wird – verlangt, ist im vorliegenden Fall davon auszugehen, dass eine entsprechende konkludente Vereinbarung vorlag. Im Rahmen einer Pferdeauktion für Reitpferde ist das Verkaufsangebot so auszulegen, dass Pferde zu Reitzwecken veräußert werden sollen.
Ergänzend liegt auch ein Mangel nach § 434 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 vor. Die gewöhnliche Verwendung eines Reitpferdes ist das Reiten. Ein Pferd mit einer derartigen Beeinträchtigung entspricht gerade nicht den objektiven Anforderungen an ein Reitpferd.
Da es sich vorliegend um eine angeborene Störung handelt, lag der Mangel bereits bei Gefahrübergang vor.
Hinweis
In solchen Konstellationen ist nicht auf § 477 einzugehen. Beachte ferner, dass § 446 grundsätzlich dispositiv ist.
3 Rücktrittsgrund
Ein Rücktrittsgrund könnte sich vorliegend aus § 326 Abs. 5 ergeben. Ist der Schuldner nach § 275 Abs. 1-3 von der Leistungspflicht befreit, kann der Gläubiger zurücktreten.
Dabei bezieht sich § 326 Abs. 5 auf die Verpflichtung zur Nacherfüllung. Eine entsprechende Befreiung nach § 275 Abs. 1-3 käme nur dann in Betracht, wenn B dem Grunde nach zur Nacherfüllung verpflichtet gewesen wäre.
a Unmöglichkeit der Nacherfüllung
Die Nacherfüllung könnte jedoch gemäß § 326 Abs. 5 unmöglich sein. Vorliegend lag ein Fall der anfänglichen objektiven Unmöglichkeit im Hinblick auf die Nachbesserung i.S.d. § 439 Abs. 1 Alt. 1, gemäß § 275 Abs. 1 vor, da das Tier von Geburt an einen unheilbaren Defekt hatte.
Eine neue Lieferung kam vorliegend ebenfalls nicht in Betracht. Zwar ist anerkannt, dass auch im Rahmen der Stückschuld grundsätzlich eine neue Lieferung in Betracht kommt, dies jedoch dann nicht, wenn die Kaufsache nach dem Parteiwillen nicht austauschbar ist.
Vorliegend kaufte K das Tier auf einer Auktion aufgrund einer bewussten Auswahl des bestimmten Tieres durch den fachkundigen Berater. In dieser Konstellation kann gerade nicht davon ausgegangen werden, dass das bewusst gewählte Pferd beliebig austauschbar sein soll.
Damit ist die Nacherfüllung insgesamt objektiv unmöglich.
b Ausschluss der Gewährleistung
Fraglich ist, ob die Gewährleistungsrechte wirksam ausgeschlossen wurden.
Vorliegend haben die Parteien die Gewährleistungsrechte individualvertraglich ausgeschlossen.
aa Unwirksamkeit des Ausschlusses wegen § 476 Abs. 1 Satz 1
Der Ausschluss könnte jedoch gemäß § 476 Abs. 1 Satz 1 unwirksam sein.
Hierfür müsste ein Verbrauchsgüterkauf vorliegen.
Dabei sind Verbrauchsgüterkaufverträge gemäß § 474 Abs. 1 Satz 1 Verträge, durch die ein Verbraucher von einem Unternehmer eine Ware kauft.
(1) B als Unternehmer
B ist laut Sachverhalt Unternehmer.
Hinweis
Unternehmer ist nach der Legaldefinition des § 14 Abs. 1 BGB eine natürliche oder juristische Person oder eine rechtsfähige Personengesellschaft, die bei Abschluss eines Rechtsgeschäfts in Ausübung ihrer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit handelt.
(2) K als Verbraucher
Fraglich ist, ob K als Verbraucher angesehen werden kann.
„Nach § 13 BGB in der ab 13. Juni 2014 geltenden Fassung (BGBl. 2013 I S. 3643) Verbraucher jede natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft zu Zwecken abschließt, die überwiegend weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbständigen beruflichen Tätigkeit zugeordnet werden können. Sowohl die gewerbliche als auch die selbständige berufliche Tätigkeit setzen - jedenfalls - ein selbständiges und planmäßiges, auf gewisse Dauer angelegtes Anbieten entgeltlicher Leistungen am Markt voraus, wobei eine Gewinnerzielungsabsicht nicht erforderlich ist.
Dabei können auch (branchenfremde) Nebengeschäfte erfasst werden.
Ein Handeln "in Ausübung" der gewerblichen oder der selbständigen beruflichen Tätigkeit im Sinne von § 14 Abs. 1 BGB setzt jedoch stets voraus, dass es gerade in einem hinreichend engen, tätigkeitsspezifischen Zusammenhang mit eben dieser erfolgt.
Für die Abgrenzung zwischen Verbraucher- und Unternehmerhandeln ist grundsätzlich die objektiv zu bestimmende Zweckrichtung des Rechtsgeschäfts entscheidend. Dabei kommt es maßgeblich auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls, insbesondere das Verhalten der Parteien (oder etwaiger Vermittler) bei Vertragsschluss an.“
Bei K handelt es sich nicht um eine Pferdehändlerin, sodass die Voraussetzungen von § 14 nicht schon daher erfüllt sind.
Fraglich ist, ob K aus den Umständen heraus, dass sie so vermögend ist, Angestellte auf dem Gestüt arbeiten, diese einen Finanzverwalter hat und sie auf der Auktion durch einen Sachverständigenexperten vertreten wurde, die Unternehmereigenschaft im Sinne von § 14 angenommen werden kann.
Bei der Bewertung ist entscheidend auf die objektiv zu bestimmende Zweckrichtung des Rechtsgeschäfts abzustellen. Das in Streit stehende Pferd sollte allein für private Zwecke erworben werden.
Eine Zurechnung entgegen dieser objektiv privaten Zwecksetzung käme danach nur in Betracht, wenn die dem B erkennbaren Umstände eindeutig und zweifelsfrei darauf hingewiesen hätten, dass die K beim Erwerb des Pferds in Verfolgung einer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit gehandelt hätte. Solche entgegenstehenden Umstände sind nicht bereits darin zu sehen, dass ein fachkundiger Berater als Bote oder Stellvertreter beim Abschluss des Vertrags tätig wurde. Bei solch hochpreisigen Waren ist es auch im privaten Rahmen nicht unüblich Sachverständige einzubeziehen.
Hinweis
Auf eine Abgrenzung zwischen Stellvertretung und Botenschaft kam es gar nicht an. Auch im Fall der Stellvertretung wäre im Hinblick auf die Bestimmung der Verbrauchereigenschaft auf den Vertretenen abzustellen.
Allein aus dem Umstand, dass K sehr vermögend ist und einen Vermögensverwalter hat ergibt sich keine andere Bewertung. Dies hat mit der objektiven Zweckrichtung des Erwerbs nichts zu tun.
Auch gehört nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu den gewerblichen Betätigungen nicht die Verwaltung eigenen Vermögens, die auch dann grundsätzlich dem privaten Bereich zugerechnet wird, wenn es sich - wie hier - um die Anlage beträchtlichen Kapitals handelt (siehe nur BGH, Urteile vom 23. Oktober 2001 - XI ZR 63/01, BGHZ 149, 80, 86 f.)
Das ausschlaggebende Kriterium für die Abgrenzung der privaten von einer berufsmäßig betriebenen Vermögensverwaltung ist vielmehr der Umfang der mit ihr verbundenen Geschäfte; erfordern diese - was der Beurteilung im Einzelfall unterliegt - einen planmäßigen Geschäftsbetrieb, wie etwa die Unterhaltung eines Büros oder einer Organisation, so liegt eine gewerbliche Betätigung vor.
Ein derartiger Umfang der Betätigung ergibt sich aus dem Sachverhalt jedoch nicht zweifelsfrei.
K ist damit Verbraucherin.
(3) Pferd als Ware
Der Begriff der Ware ist im Sinne von § 241a zu verstehen. Wie sich aus § 477 Abs. 1 Satz 2 mittelbar ergibt, fällt auch der Kauf von lebenden Tieren unter die Regelungen der §§ 474 ff..
bb Unanwendbarkeit der § 474 ff.
476 Abs. 1 S. 1 könnte jedoch unanwendbar sein. Die Vorschriften gelten nicht für gebrauchte Waren, die in einer öffentlich zugänglichen Versteigerung gemäß § 312g Abs. 2 Nr. 10 verkauft werden, wenn dem Verbraucher klare und umfassende Informationen darüber, dass die Vorschriften dieses Untertitels nicht gelten, leicht verfügbar gemacht wurden.
Auch bei Tieren kann eine Unterscheidung zwischen neu und gebraucht vorgenommen werden. Ein bereits im Reiteinsatz befindliches Tier ist wegen der damit einhergehenden Belastung als gebraucht anzusehen. Die Anforderungen an eine öffentlich zugängliche Versteigerung sind vorliegend erfüllt.
Hinweis
Eine "öffentlich zugängliche Versteigerung" i.S.d. § 312g Abs. 2 Nr. 10 ist danach in Abgrenzung zu einer "öffentlichen Versteigerung" i.S.d. § 383 Abs. 3 Satz 1 bereits anzunehmen, wenn der Unternehmer Verbrauchern, die persönlich anwesend sind oder denen diese Möglichkeit gewährt wird, Waren oder Dienstleistungen anbietet, und zwar in einem vom Versteigerer durchgeführten, auf konkurrierenden Geboten basierenden transparenten Verfahren, bei dem der Bieter, der den Zuschlag erhalten hat, zum Erwerb der Waren oder Dienstleistungen verpflichtet ist.
Allerdings sind K keine Informationen über die Nichtanwendbarkeit der Vorschriften über den Verbrauchsgüterkauf zugänglich gemacht worden. Eine Ausnahme nach § 474 Abs. 2 Satz 2 liegt nicht vor.
c Zwischenergebnis
Die Gewährleistungsrechte wurden nicht wirksam ausgeschlossen.
4 Fristsetzung
Im Rahmen von § 326 Abs. 5 ist § 323 entsprechend mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Fristsetzung entbehrlich ist.
5 Rücktrittserklärung
K hat den Rücktritt erklärt.
6 Ausschlussgründe
Ausschlussgründe aus § 323 Abs. 5 bzw. Abs. 6 analog sind nicht ersichtlich. Insbesondere ist der Mangel nicht unerheblich.
II Ergebnis
K hat gegen B einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von 100.000 € Zug um Zug gegen Rückgabe des Pferdes.