Weiter stellte das Gericht klar, dass es mit Art. 3 I GG vereinbar ist, auch wenn die Baurechtsbehörde nicht vor Tätigwerden alle in einem Bebauungsplan belegenen Grundstücke systematisch und vollständig kontrolliert, um etwaige Verstöße gegen die Festsetzungen des Bebauungsplans festzustellen. Vielmehr darf die Behörde auch schon gegen einen einzelnen Grundstückseigentümer vorgehen, sobald sie von einem Verstoß Kenntnis erlangt. Erforderlich ist allerdings, dass die Behörde von Beginn an plant, gegen alle ähnlich gelagerten Fälle ebenso vorzugehen.
Sachverhalt
Die Kläger waren Eigentümer eines mit einem Wochenendhaus bebauten Grundstücks, welches im Geltungsbereich des Bebauungsplans „Wochenendhausgebiet“ der Gemeinde M vom 13.09.2005 lag. In diesen Bebauungsplan aufgenommen wurden örtliche Bauvorschriften. Diese sahen unter anderem vor, dass Außenwände der Gebäude und Nebenanlagen in unauffälligen Farbtönen zu halten seien.
Vor Inkrafttreten des Bebauungsplans „Wochenendhausgebiet“ lag das Grundstück im Geltungsbereich der „Ortsbausatzung für Wochenendhäuser“ vom 24.11.1958.
Im Juli 2011 führte das Landratsamt aufgrund eines Hinweises der Gemeinde M auf dem Grundstück der Kläger eine Baukontrolle durch und kam dabei zu dem Ergebnis, dass das Haus der Kläger gegen die Festsetzungen des Bebauungsplans und die örtlichen Bauvorschriften verstoße.
Den Klägern wurde aufgegeben, das Wochenendhaus in einem unauffälligen Farbton neu zu streichen, welcher zuvor mit dem Landratsamt abzustimmen sei.
Gegen diesen Bescheid legten die Kläger Widerspruch ein. Ihnen „dränge sich der Eindruck auf, dass das Landratsamt allein gegen sie vorginge und ihnen einen Abriss auferlege. Die Bauvorschriften würden auf nahezu allen Grundstücken im Wochenendhausgebiet nicht eingehalten. Sie hätten sich beim Bau an den Nachbargrundstücken orientiert.“ Damit habe das Landratsamt gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen. Die Behörde sei ihrer Aufsichtspflicht über Jahrzehnte nicht nachgekommen und gehe nunmehr „ohne Einschreitenskonzept“ gegen sie vor. „Dies sei unerklärlich, da sich bei einem einfachen Spaziergang zahlreiche Verstöße auf anderen Grundstücken feststellen ließen und der Beklagte im Gerichtsverfahren sechs oder sieben Mitarbeiter benannt habe, die für die Überwachung zuständig seien.“
Hinsichtlich des für die Außenwände des Wochenendhauses gewählten Farbtons, eines kräftigen Oranges, brachten die Kläger vor, die Farbe „sei nicht auffälliger als der Farbton an den direkten Nebenhäusern in rot, gelb oder auch weiß. Die Farbe sei zudem durch die Sonneneinstrahlung erheblich ausgeblichen.“ Besonders im Herbst passe sich die Farbe wunderbar in die Landschaft ein.
Das Regierungspräsidium wies den Widerspruch der Kläger mit Bescheid vom 21.12.2012 zurück mit der Begründung, Orange sei keine unauffällige Farbe. Das Landschaftsbild werde durch die grelle Farbe und die damit einhergehende Ausstrahlungswirkung beeinträchtigt.
Auch habe die bauordnungsrechtliche Verfügung den Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 I GG nicht verletzt. „Die Überwachungstätigkeit habe sich [als schwierig] gestaltet, nachdem die Errichtung von Wochenendhäusern durch den Gesetzgeber verfahrensfrei gestellt worden sei. Das Landratsamt habe oft keine Kenntnis darüber gehabt, wann, wo und in welcher Form gebaut worden sei. Die Kontrollen erfolgten nunmehr in der Regel aufgrund eines konkreten Hinweises. Den Hinweisen werde möglichst zeitnah und gründlich nachgegangen. […] Bei Wochenendhausgebieten seien die Nutzer aber eher am Wochenende anzutreffen, an Tagen also, an denen die Bediensteten nicht arbeiteten. Das Gebiet solle künftig systematisch Schritt für Schritt von Westen nach Osten kontrolliert werden. Schwere und bereits bekannte Verstöße würden präferiert und möglichst zeitnah aufgegriffen.“ Jedenfalls seit Inkrafttreten des Bebauungsplans „Wochenendhausgebiet“ im Jahre 2005 werde verstärkt auf die baulichen Tätigkeiten geachtet. Die Rückbauverfügungen seien weder willkürlich getroffen worden noch einseitig zu Lasten der Kläger erfolgt. Das Landratsamt habe im Gebiet „Wochenendhausgebiet“ auch in anderen vergleichbaren Fällen entsprechende Anordnungen getroffen oder werde dies auch zukünftig weiter tun.
Am 14. Januar 2013 erhoben die Kläger eine Anfechtungsklage gegen den Bescheid des Landratsamtes.
Entscheidung des Gerichts
Das VG Stuttgart hatte i.R.d. § 113 I 1 VwGO die Rechtmäßigkeit der bauordnungsrechtlichen Verfügung zu prüfen.
1. Ermächtigungsgrundlage
Ermächtigungsgrundlage für die Anordnung war § 47 Abs. 1 LBO.
2. Formelle Rechtmäßigkeit
Das Landratsamt war für den Erlass der Anordnung als untere Baurechtsbehörde zuständig (§ 46 Abs. 1 Nr. 3, § 48 Abs. 1 LBO, § 15 Abs. 1 Nr. 1 LVG). Die Kläger wurden zudem ordnungsgemäß angehört (§ 28 Abs. 1 LVwVfG).
3. Materielle Rechtmäßigkeit
a. Bestimmtheitsgrundsatz, § 37 I LVwVfG
Das VG Stuttgart befand, dass die Anordnung, das Wochenendhaus in einer unauffälligen Farbe zu streichen, welche zuvor mit dem Landratsamt abzustimmen sei, wegen eines Bestimmtheitsmangels materiell rechtswidrig sei.
„Das Bestimmtheitsgebot nach § 37 Abs. 1 LVwVfG erfordert, dass der Adressat einer Regelung in der Lage sein muss, zu erkennen, was von ihm gefordert wird, und zwar in dem Sinne, dass der behördliche Wille keiner unterschiedlichen subjektiven Bewertung zugänglich ist.“
„Die Formulierung ‚unauffälliger Farbton‘, die Ziff. 2.6 der örtlichen Bauvorschriften zum Bebauungsplan entnommen ist, eröffnet einen weiten Wertungsspielraum, der ohne eine weitere Konkretisierung offen lässt, welcher farbliche Außenanstrich noch oder nicht mehr zulässig ist.“ Je nach Betrachtungsweise, Jahreszeit und Lichtverhältnissen erschienen unterschiedliche Farben als unauffällig. „Im Übrigen lässt sich selbst bei identischen Rahmenbedingungen trefflich darüber streiten, welche Farbe ‚unauffällig‘ ist. Will eine Behörde eine erhebliche Beeinträchtigung des Landschaftsbildes durch den Außenanstrich eines Gebäudes vermeiden, muss sie dem Bauherrn deshalb entweder eine Auswahl zulässiger konkreter Farbtöne positiv vorgeben oder aber, wenn sie nicht übermäßig in seine Verfügungsbefugnis eingreifen will, sich darauf beschränken, nur eine Auswahl unzulässiger konkreter Farbtöne zu bezeichnen.“
Eine andere Bewertung ergebe sich auch nicht aus dem im Bescheid enthaltenen Hinweis, dass der Farbton „mit dem Landratsamt abzustimmen ist“. Das Gericht führte aus: „Es ist nicht Aufgabe des Bürgers, sich […] bei der Behörde nach der Zulässigkeit eines von ihm gewählten Farbtons zu erkundigen. Aus § 37 Abs. 1 LVwVfG folgt vielmehr das Gegenteil. Schon aus dem Regelungsgehalt eines Verwaltungsaktes selbst muss hinreichend bestimmt oder jedenfalls bestimmbar sein, welcher Farbanstrich vorgeschrieben ist.“
Schließlich stellte das VG Stuttgart fest, dass die mangelnde Bestimmtheit auch nicht in der mündlichen Verhandlung geheilt worden sei. Das Landratsamt habe bis zuletzt nicht klar definiert, welche Farben erlaubt oder verboten sein sollen. „Im Übrigen dürfte eine Heilung aber schon deshalb nicht in Betracht kommen, da die - weitestgehend wortlautidentische - örtliche Bauvorschrift gleichfalls wegen fehlender Bestimmtheit unwirksam sein dürfte.“
b. Ermessensfehler i.S.d. § 114 S. 1 VwGO
Keine Gleichheit im Unrecht
Schließlich prüfte das VG Stuttgart i.R.d. § 114 S. 1 VwGO, ob das Landratsamt seine Entscheidung ermessensfehlerfrei getroffen hatte. Hierbei untersuchte es insbesondere, ob eine Ermessensdisproportionalität wegen Missachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) gegeben war.
Insoweit führte das Gericht aus, es sei von den Klägern weder dargelegt worden noch sonst erkennbar, dass das Landratsamt ausdrücklich erklärt hat, auf anderen Grundstücken Verstöße gegen die Festsetzungen des Bebauungsplans zu dulden. Das VG Stuttgart stellte fest: „Aber selbst wenn ein einzelner solcher Fall vorliegen sollte, würde dies der Klage nicht automatisch zum Erfolg verhelfen, da Art. 3 Abs. 1 GG keinen Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht gewährt.“
Unzureichendes „Einschreitenskonzept“?
Schließlich setzte sich das VG Stuttgart mit dem Einwand der Kläger auseinander, dem Einschreiten des Landratsamts liege kein ausreichendes Konzept zugrunde.
Das Gericht gab den Klägern zunächst insoweit Recht, als die „Baurechtsbehörde mit Blick auf Art. 3 Abs. 1 GG verpflichtet ist, das ihr eingeräumte Ermessen in gleichgelagerten Fällen gleichmäßig auszuüben. Aus diesem Grunde ist es ihr verwehrt, systemlos oder willkürlich nur gegen einzelne Bauvorhaben einzuschreiten. Dies bedeutet aber nicht, dass die Baurechtsbehörde verpflichtet wäre, rechtswidrige Zustände zeitgleich flächendeckend aufzugreifen.“ Vielmehr dürfe sich die Behörde „zunächst auf ein Vorgehen gegen einzelne Störer beschränken, sofern sie hierfür sachliche Gründe hat […]. Einen sachlichen Grund stellt es dabei etwa dar, wenn die Behörde einen geeigneten Fall als ‚Musterfall‘ auswählt, um erst nach einer gerichtlichen Bestätigung ihrer Rechtsauffassung gleichartige Fälle aufzugreifen. Dies mag zwar kein idealer Zustand sein, ist aber nicht willkürlich […].“ Die Grenze der Zulässigkeit sei erst überschritten, „wenn es nach der Art des Einschreitens an jedem System fehlt, für die Art des Vorgehens keinerlei einleuchtenden Gründe sprechen und die Handhabung deshalb als willkürlich angesehen werden muss […].“„Ausreichend ist […], wenn die Baubehörde bereits beim ersten Einschreiten gegen mehrere Bauwerke plant, schrittweise auch gegen alle - und somit auch gegen ihr bis dato noch nicht bekannt gewordene oder von ihr noch nicht systematisch erfasste - weiteren rechtswidrigen Bauten einzuschreiten und dies glaubhaft macht […].“
Das VG Stuttgart verwies darauf, dass das Landratsamt in der mündlichen Verhandlung dargelegt hatte, dass es das Wochenendhausgebiet zukünftig systematisch Schritt für Schritt von Westen nach Osten kontrolliert werde. „Schwere und bereits bekannte Verstöße würden präferiert und möglichst zeitnah aufgegriffen. Die weitere Abarbeitung und Aufdeckung werde einige Zeit in Anspruch nehmen und voraussichtlich bis 2017 erfolgen. Die laufenden Verfahren würden als Musterprozesse weitere Erkenntnisse hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des Vorgehens des Landratsamtes ergeben. Daneben solle weiterhin auch anlassbezogen vorgegangen werden. Werde das Landratsamt auf konkrete Verstöße aufmerksam gemacht, solle stets auch die nähere Umgebung in den Blick genommen werden.“
Das Gericht sah keinen Anlass, an der Ernsthaftigkeit dieser Absicht zu zweifeln. Insbesondere hatte das Gericht die Angaben des Landratsamtes stichprobenartig überprüft und konnte danach bestätigen, dass das Landratsamt bereits gegen einige namentlich bezeichnete Eigentümer nach dem im „Konzept“ beschriebenen Muster eingeschritten war.
Auch die Tatsache, dass das Landratsamt sein „Konzept“ erst im laufenden Gerichtsverfahren erarbeitet hat, war nach Auffassung das VG Stuttgart unerheblich. „§ 114 Satz 2 VwGO erlaubt es der Verwaltungsbehörde ausdrücklich, ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu ergänzen. Aus dem Wort ‚ergänzen‘ folgt dabei zwar, dass nur die Fälle unter § 114 Satz 2 VwGO fallen, in denen unvollständige Ermessenserwägungen ergänzt werden, nicht hingegen jene, in denen es bisher an jeglichen Ermessenserwägungen fehlte, das Ermessen also noch gar nicht ausgeübt wurde oder die Ermessenserwägungen vollständig ausgewechselt werden […]. Diese Grenze ist vorliegend aber (noch) gewahrt.“
Dies ergebe sich zum einen aus der Tatsache, dass das Landratsamt sein Vorgehen gegen das erst kürzlich errichtete Wochenendhaus der Kläger von Anfang an damit begründet hatte, von ihm gehe eine negative Vorbildfunktion aus. Es sei anderenfalls zu befürchten, dass weitere gleichartige oder ähnliche Bauvorhaben realisiert würden.
4. Ergebnis
Der bauordnungsrechtliche Bescheid war also nur insoweit rechtswidrig, als er den Klägern aufgab, das Wochenendhaus in einem „unauffälligen Farbton“ zu streichen. Im Übrigen wies das VG Stuttgart die Klage als unbegründet ab.
Bedeutung für ExamenskandidatInnen
Anhand dieses Urteils können Sie sich den Gehalt des Bestimmtheitsgrundsatzes nach § 37 I VwVfG vergegenwärtigen.
Auch verdeutlicht die Entscheidung die Relevanz der Grundrechte im Baurecht. Angeschnitten wird die spannende Frage, in welchem rechtlichen Verhältnis die Eigentümer verschiedener im Geltungsbereich eines Bebauungsplans belegener Grundstücke stehen.
Im Zusammenhang mit dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 I GG gilt das alte Schlagwort: „Keine Gleichheit im Unrecht.“