Der BGH ( BGH Urt. v. 12.10.2016 - 1 StR 402/16 - abrufbar unter www.bundesgerichtshof.de) musste sich in diesem Zusammenhang mit folgendem Sachverhalt befassen:
"In der Nacht vom 30. auf den 31. Oktober 2015 trafen sich der Angeklagte und der Geschädigte M. an einem N. U-Bahnhof. Sie kamen miteinander ins Gespräch, in dessen Rahmen der Angeklagte den Geschädigten bat, ihm dessen Mobiltelefon für ein Gespräch zu überlassen. Tatsächlich wollte der Angeklagte aber gar kein Gespräch mit dem Telefon führen, ihm kam es nur darauf an, das Telefon ausgehändigt zu bekommen. Der Geschädigte glaubte dem Vorwand des Angeklagten und reichte ihm sein Telefon, nachdem er seine eigene SIM-Karte herausgenommen und eine ihm vom Angeklagten übergebene SIM-Karte eingelegt hatte. Er ging irrtümlich davon aus, dass der Angeklagte ihm das Telefon nach dem Telefonat wieder zurückgeben wollte. Der Angeklagte nahm das Mobiltelefon entgegen und hielt es – etwa ein bis zwei Armlängen von dem Geschädigten entfernt stehend – in seiner Hand fest. Nunmehr fiel ein vom Angeklagten mitgeführtes Mobiltelefon zu Boden. In dem Moment drehte sich der Angeklagte um und rannte mit dem Telefon des Geschädigten für diesen völlig überraschend davon. Der Geschädigte nahm die Verfolgung des Angeklagten auf. Als dieser nach etwa 100 m zurück blickte und den hinter ihm her laufenden Geschädigten bemerkte, zog er ein in seiner Jackentasche mitgeführtes Messer mit einer feststehenden Klinge von 15 cm heraus und hielt dieses für den nunmehr nur noch 50 m entfernten Geschädigten sichtbar hoch, um ihn von der weiteren Verfolgung abzuhalten. Der Geschädigte ließ sich aber nicht von der Verfolgung des Angeklagten abhalten; ihm gelang es schließlich, die Polizei auf den flüchtenden Angeklagten aufmerksam zu machen. Diese konnte den Angeklagten festnehmen"
In der Klausur käme nun sowohl die Prüfung des § 242 StGB als auch aufgrund der Täuschung über den Rückgabewillen der § 263 StGB in Betracht. Das Problem der Abgrenzung, um das es nachfolgend gehen wird, wird bei § 242 StGB beim Gewahrsamsbruch diskutiert und bei § 263 StGB bei der Vermögensverfügung. Sie sollten mit der Norm beginnen, die Sie dann im Ergebnis auch bejahen. Der BGH hat § 242 StGB bejaht, weswegen wir damit beginnen.
Das Mobiltelefon stand im Eigentum des N und war damit für A eine fremde bewegliche Sache. Diese müsste er weggenommen haben. Wegnahme ist der Bruch fremden und die Begründung neuen, nicht notwendigerweise tätereigenen Gewahrsams gegen oder ohne den Willen des Gewahrsamsinhabers. Sie prüfen also die Wegnahme in der Klausur in drei Schritten:
1. Stand das Mobiltelefon in dem Gewahrsam eines anderen? (wäre z.B. nicht der Fall bei verlorenen Gegenständen, bei denen der Gewahrsamsinhaber nicht weiß, wo sie sich befinden - diese können gewahrsamslos sein, so dass nur eine Unterschlagung in Betracht käme)
2. Fand ein vollständiger Wechsel im Gewahrsam statt? Sowohl hier als auch bei Punkt 1) wird die Verkehrsanschauung relevant. Gewahrsam ist tatsächliche Sachherrschaft, getragen von einem Sachherrschaftswillen. Ein Gewahrsamswechsel liegt vor, wenn der bisherige Gewahrsamsinhaber eine sozial auffällige und rechtfertigungsbedürftige Handlung vornehmen müsste, um den Gewahrsam zurückzuerlangen.
3. Erfolgte dieser Gewahrsamswechsel gegen oder ohne den Willen des Gewahrsamsinhabers (nicht des Eigentümers - beide können Personenverschieden sein)
Das Mobiltelefon stand zunächst unproblematisch im Gewahrsam des N. Fraglich ist nun aber zunächst, ob der Gewahrsam durch das Aushändigen des Telefons nicht vollständig auf A überging. Würde man das bejahen, dann könnte N evtl. täuschungsbedingt über sein Vermögen verfügt haben, so dass eine Strafbarkeit gem. § 263 I StGB gegeben wäre.
In diesem Fall wäre das nachfolgende Ziehen des Messers nicht über § 252 StGB zu bestrafen. §§ 253, 255, 22 StGB scheiterten am dadurch verursachten Vermögensschaden, ist dieser doch bereits durch den Betrug entstanden. Es bliebe dann insoweit nur eine versuchte Nötigung gem. §§ 240, 22 StGB.
Bejahte man hingegen § 242 StGB, dann käme auch eine Qualifikation gem. § 244 I Nr. 1a StGB sowie nachfolgend §§ 252, 250 II Nr. 1 StGB in Betracht.
Wie Sie also sehen, ist diese Abgrenzung für den Täter erhbelich. Beim ersten Lösungsansatz bekäme der Täter max. 5 Jahre beim zweiten hingegen nicht unter 5 Jahren.
Das LG Nürnberg-Fürth hatte erstinstanzlich den freiwilligen Gewahrsamswechsel bejaht. Für den Gewahrsamswechsel sprechen zunächst auch gute Gründe. N müsste dem A, der nicht willens ist, das Handy zurückzugeben, gewaltsam die Hand öffnen und das Handy wieder an sich nehmen. Dies wäre eine sozial auffällige und rechtfertigungsbedürftige Handlung. Grundsätzlich kann man unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung davon ausgehen, dass derjenige, der ein Handy in der Hand hält auch derjenige ist, dem die Sacherrschaft zusteht.
Sofern man, wie das LG, somit im Rahmen des § 263 StGB eine Vermögensverfügung prüft, läge also zunächst ein Handeln vor (Übergabe des Mobiltelefons), welches sich unmittelbar vermögensmindernd auswirkte, indem es einen Gewahrsamsverlust herbeiführte. Diese Verfügung müsste aber auch mit Verfügungsbewusstsein vorgenommen worden sein, d.h. N müsste die vollständige Gewahrsamübertragung willentlich herbeigeführt haben wollen. (Im Rahmen der Prüfung des § 242 StGB wären wir jetzt also beim 3. Prüfungspunkt "gegen oder ohne den Willen"). Hier wird es nun spannend. N ging davon aus, er werde das Telefon nach kurzer Zeit wieder zurückerhalten. Von daher liegt es nahe anzunehmen, dass N mit der Übergabe nur eine Gewahrsamslockerung herbeiführen wollte, keinesfalls aber seinen Gewahrsam aufgeben wollte.
Der BGH hat dementsprechend einen vollständigen Gewahrsamswechsel durch die Übergabe des Handys verneint. Er führt dazu aus:
"Die Würdigung des Landgerichts geht für die Abgrenzung von Diebstahl und Betrug von einem unzutreffenden rechtlichen Maßstab aus, indem es allein auf das äußere Erscheinungsbild der Übergabe des Mobiltelefons abstellt und deswegen darin eine Vermögensverfügung des Geschädigten sieht. Es nimmt nicht in den Blick, dass in Fällen, in denen sich der Täter, eine Sache durch Täuschung verschafft – wie hier unter dem Vorwand, nur ein Telefonat führen zu wollen und das Telefon dann zurückzugeben –, für die Abgrenzung von Wegnahme (§ 242 StGB) und Vermögensverfügung (§ 263 StGB) auch die Willensrichtung des Getäuschten und nicht nur das äußere Erscheinungsbild des Tatgeschehens maßgebend ist....
Von der Vorschrift des § 242 StGB werden insbesondere auch solche Fallgestaltungen erfasst, in denen der Gewahrsamsinhaber mit der irrtumsbedingten Aushändigung der Sache eine Wegnahmesicherung aufgibt, gleichwohl aber noch zumindest Mitgewahrsam behält, der vom Täter gebrochen wird. Vollzieht sich der Gewahrsamsübergang mithin in einem mehraktigen Geschehen, so ist die Willensrichtung des Getäuschten in dem Zeitpunkt entscheidend, indem er die tatsächliche Herrschaft über die Sache vollständig verliert...
Nach diesen Maßgaben kann der Ansicht des Landgerichts, mit der Übergabe des Mobiltelefons sei eine Vermögensverfügung eingetreten, da der Geschädigte jede Zugriffsmöglichkeit verliere, auf der Grundlage des festgestellten Sachverhalts nicht gefolgt werden. Denn diese Wertung lässt unberücksichtigt, dass der Geschädigte das Mobiltelefon dem neben ihm stehenden Angeklagten nur für kurze Zeit überließ, damit dieser ein Gespräch führen könne und es ihm sodann zurückgeben werde. Dass unter diesen Voraussetzungen der Geschädigte gegen seinen Willen die tatsächliche Herrschaft über die noch in seiner unmittelbaren Nähe befindlichen Sache vollständig verloren habenkönnte, ist ohne das Hinzutreten besonderer Umstände ... regelmäßig mit den maßgeblichen Anschauungen des täglichen Lebens nicht vereinbar..... Denn die tatsächliche Einwirkungsmöglichkeit wird unter den obwaltenden Umständen allein durch die Aufgabe der Sicherung, die darin liegt, die Sache unmittelbar bei sich zu tragen, noch nicht entzogen. Wie auch das Landgericht – angesichts der räumlichen Verhältnisse naheliegend – in Rechnung stellt, konnte der Geschädigte nach der Übergabe, aber vor dem Weglaufen des Angeklagten bei „freiwilliger oder erzwungener Mitwirkung des Empfängers oder mit körperlicher Gewalt wieder auf die Sache zugreifen“. Der fortdauernde Sachherrschaftswille ergibt sich aus der Vorstellung, das Telefon „unverzüglich“ zurückzuerhalten und wird durch das festgestellte weitere Verhalten des Geschädigten belegt. .... Es kommt nicht darauf an, ob auch der Angeklagte schon durch die Entgegennahme des Mobiltelefons ein Gewahrsamsverhältnis begründete. Angesichts der Gegebenheiten im vorliegenden Fall kann es sich allenfalls um die Erlangung von Mitgewahrsam durch den Angeklagten handeln. Die freiwillige Übertragung von Mitgewahrsam ist jedoch noch keine Vermögensverfügung; sie bewirkt keinen unmittelbaren Vermögensschaden, sondern lediglich eine Gewahrsamslockerung, die darin zu sehen ist, dass sich der Berechtigte der alleinigen Sachherrschaft begeben hat und nicht mehr in demselben Maße auf sie einwirken kann wie zuvor...Seinen Mitgewahrsam hatte der Geschädigte erst in dem Moment verloren, als der Angeklagte mit dem Telefon davongelaufen ist."
Expertentipp
Sie merken sich also: beim Trickdiebstahl ist für die Annahme eines Gewahrsamsbruchs nicht nur das äußere Geschehen maßgeblich sondern auch der Wille des Gewahrsamsinhabers.
Da auch die subjektiven Voraussetzungen des § 242 StGB vorliegen, hat A sich gem. § 242 StGB und aufgrund des Besichführens des Messers, welches nach h.M. ein gefährliches Werkzeug sein dürfte, auch gem. § 244 I Nr. 1a StGB strafbar gemacht. Das nachfolgende Geschehen stellt dann einen schweren räuberischen Diebstahl dar.