Der Entscheidung lag folgender (vereinfacht dargestellter) Sachverhalt zugrunde:
Der Angeklagte A fuhr am Tattag zusammen mit dem später getöteten Beifahrer B in einem umgerüsteten Golf. Beide hatten auch zuvor schon – in wechselnden Rollen als Fahrer oder Beifahrer - an Autorennen teilgenommen. In dem anderen Auto, einem Porsche, saßen als Fahrer der Angeklagte H mit seinem ebenfalls angeklagten Beifahrer S, der das Rennen filmte, H anfeuerte und zusammen mit B den „Startschuss“ für das Rennen gegeben hatte. Nachdem bereits mehrere „Beschleunigungstests“ durchgeführt worden waren, fuhren beide nun auf einer Bundesstraße mit weit überhöhter Geschwindigkeit nebeneinander her. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit betrug an dieser Stelle 120 km/h. A war jedoch mit 213 km/h unterwegs und H mit 200 km/h als vor ihnen auf der rechten Fahrspur der Zeuge G mit seinem Fahrzeug auftauchte. Obgleich beide hätten bremsen können, zog der bereits auf der linken Fahrspur fahrende A sein Fahrzeug nach links zur Leitplanke hin und der neben ihm fahrende H sein Fahrzeug wiederum zu A hin. G, der beide Fahrzeuge im Rückspiegel hatte kommen sehen, zog sein Fahrzeug auf der Fahrspur nach rechts, einen Standstreifen gab es nicht. Auf diese Weise überholten beide Angeklagten den Zeugen, wobei zwischen den Fahrzeugen jeweils nur noch ein Abstand von 30 cm lag. A geriet bei diesem Vorgang nunmehr zu weit nach links, verlor die Kontrolle über das Fahrzeug, welches ins Schleudern geriet und sich schließlich überschlug. Dabei wurden A und B, die beide nicht angeschnallt waren, aus dem Fahrzeug geschleudert. B war auf der Stelle tot, A überlebte schwer verletzt.
A und H wurden vom Landgericht zunächst wegen § 315c I Nr. 2b StGB verurteilt.
Im objektiven Tatbestand ist zu prüfen, ob beide grob verkehrswidrig und rücksichtslos eine der „sieben Todsünden“ begangen haben. In Betracht kommt hier, dass beide gem. Ziffer 2b) während eines Überholvorganges falsch gefahren sind, da sie auf einer zweispurigen Autobahn dreispurig gefahren und den G auf diese Weise mit zu geringem Seitenabstand überholt haben.
Dabei haben sie auch die Sorgfaltspflichten eines ordentlichen Verkehrsteilnehmers in besonderem Maße außer Acht gelassen und damit grob verkehrswidrig gehandelt. Während die grobe Verkehrswidrigkeit die Handlung des Täters kennzeichnet, gibt die Rücksichtslosigkeit Auskunft über die innere Einstellung des Täters.
Rücksichtslos handelt, wer sich zwar seiner Pflichten als Verkehrsteilnehmer bewusst ist, sich aber aus eigensüchtigen Gründen, etwa seines ungehinderten Fortkommens wegen, darüber hinwegsetzt, mag er auch darauf vertraut haben, dass es zu einer Beeinträchtigung anderer Personen nicht kommen werde. Ferner handelt rücksichtslos, wer sich aus Gleichgültigkeit nicht auf seine Pflichten besinnt, Hemmungen gegen seine Fahrweise gar nicht erst aufkommen lässt und unbekümmert um die Folgen seiner Fahrweise drauflosfährt (Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben/Hecker § 315c Rn. 28)
Das Verhalten von A und H war durch Eigensucht, Leichtsinn und Gleichgültigkeit gegenüber den Belangen anderer Verkehrsteilnehmer geprägt und damit auch rücksichtslos.
Expertentipp
Die Stellung des Merkmals im Deliktsaufbau ist streitig. Während die Literatur das Merkmal als Tatbestandsmerkmal versteht, begreift es des BGH als Schuldmerkmal. Da Sie den Aufbau nicht begründen müssen und sich die Rücksichtslosigkeit häufig schon aus dem groben Verkehrsverstoß ergibt, würden wir Ihnen empfehlen, das Merkmal (ohne erklärende Ausführungen zur Stellung) im Tatbestand zu prüfen.
Dadurch müssten Sie ferner eine konkrete Gefahr für Leib oder Leben eines anderen oder eine Sache von bedeutendem Wert geschaffen haben. In Betracht kommt hier die körperliche Integrität des G sowie dessen Fahrzeug.
G wurde mit über 200 km/h und nur einem Seitenabstand von 30 cm überholt. Bei einem derart gefährlichen Manöver hängt es nur noch vom rettenden Zufall ab, ob G an Leib und Leben verletzt wird, zumal A die Herrschaft über sein Fahrzeug verlor und beim Schleudern und Überschlagen auch jederzeit G hätte getroffen werden können. Eine konkrete Gefahr liegt damit vor. Der objektive Tatbestand ist verwirklicht.
Aufgrund des hohen Gefahrpotentials kann beiden Angeklagten auch dolus eventualis unterstellt werden. Da auch keine Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe angenommen werden können, ist eine Strafbarkeit gem. § 315c I 2b StGB zu bejahen.
Fraglich ist nun aber, ob sich beide Angeklagten darüber hinaus als Nebentäter gem. § 222 StGB an dem Beifahrer B strafbar gemacht haben könnten. Das LG hatte das erstinstanzlich verneint unter Hinweis auf eine der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung gleichstehende Fremdgefährdung.
Hinweis
Das LG Berlin (535 Ks 8/16) hat einen Täter, der bei einem Autorennen einen unbeteiligten Dritten tötete, sogar wegen Mordes verurteilt. Problematisch ist vor allem der Tötungsvorsatz. Den illegalen Rasern dürfte es in erster Linie um das Austesten der Möglichkeiten des Autos und der eigenen Fähigkeiten gehen. Typisch ist dabei das Element der Selbstüberschätzung. Vor dem Hintergrund, dass bei einer Tötung eine Hemmschwelle zu überwinden ist, sind an die Begründung des dolus eventualis hohe Anforderungen zu stellen (§ 261 StPO: aus dem Inbegriff der Überzeugung). Gleichwohl hat das LG Berlin angenommen, dass sich die Täter mit dem Tod anderer Verkehrsteilnehmer abgefunden hätten. Ob dieses Urteil in der Revision Bestand haben wird, bleibt abzuwarten - wir werden Sie informiert halten.
Zunächst einmal sind die im Tatbestand zu prüfenden Merkmale des Erfolgs (Tod des B), der Handlung (Überholvorgang im Rahmen des Autorennens), der Kausalität und der Sorgfaltspflichtwidrigkeit (dreispuriges Überholen auf zweispuriger Straße unter erheblicher Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit) unproblematisch zu bejahen. Fraglich ist jedoch, ob B sich nicht, indem er sich in Kenntnis der Risiken als Beifahrer neben A gesetzt und diesen angefeuert hat, eigenverantwortlich selbst gefährdet hat. Wäre das zu bejahen, dann wäre die Handlungen des A nur teilnehmende, straflose Handlungen. Der BGH (4 StR 328/08) führt dazu folgendes aus:
„Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs macht sich… grundsätzlich nicht strafbar, wer das zu einer Selbsttötung oder Selbstverletzung führende eigenverantwortliche Handeln des Selbstschädigers vorsätzlich oder fahrlässig veranlasst, ermöglicht oder fördert … Straffrei ist ein solches Handeln regelmäßig auch dann, wenn es nicht auf die Selbsttötung oder -verletzung gerichtet war, sich aber ein entsprechendes, vom Opfer bewusst eingegangenes Risiko realisiert … Maßgebliches Abgrenzungskriterium zwischen strafloser Beteiligung an einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung bzw. -schädigung und der – grundsätzlich tatbestandsmäßigen – Fremdschädigung eines anderen ist die Trennungslinie zwischen Täterschaft und Teilnahme. Liegt die Tatherrschaft über die Gefährdungs- bzw. Schädigungshandlung nicht allein beim Gefährdeten bzw. Geschädigten, sondern zumindest auch bei dem sich hieran Beteiligenden, begeht dieser eine eigene Tat und kann nicht aus Gründen der Akzessorietät wegen fehlender Haupttat des Geschädigten straffrei sein …. Dies gilt im Grundsatz ebenso für die Fälle fahrlässiger Selbst- bzw. Fremdgefährdung. Dabei bestimmt sich auch hier die Abgrenzung zwischen der Selbst- und der Fremdgefährdung nach der Herrschaft über den Geschehensablauf, die weitgehend nach den für Vorsatzdelikte zur Tatherrschaft entwickelten objektiven Kriterien festgestellt werden kann …. Bei der Prüfung, wer die Gefährdungsherrschaft innehat, kommt dem unmittelbar zum Erfolgseintritt führenden Geschehen besondere Bedeutung zu.“
Nach diesen Grundsätzen ist festzustellen, dass B als Beifahrer keine Tatherrschaft innehatte. Dieser Herrschaft hat er sich zum Zeitpunkt des Losfahrens des Autos begeben, da er keinerlei Möglichkeit der Einflussnahme auf das Geschehen mehr hatte. Es lag vielmehr einzig in der das Fahrzeug steuernden Hand des A, wie das weitere Geschehen sich fortentwickelt.
Das Landgericht hatte aufgrund des Umstands, dass zuvor sowohl A als auch B als Fahrer an Rennen mit diesem Auto teilgenommen hatten, darauf abgestellt, dass es letztlich nur vom Zufall abgehangen habe, wer in der konkreten Situation nun das Auto fährt und hatte eine der Selbstgefährdung gleichstehende Fremdgefährdung angenommen (dazu auch Roxin in Gallas-FS 1973 S. 241, 252; ders. NStZ 1984, 411, 412). Der BGH lehnt dies mit folgender Begründung ab:
„Entscheidend ist vielmehr die tatsächliche Situation beim Schadenseintritt. Ob diese Grundsätze in gleicher Weise Geltung hätten, wenn die an einem riskanten Unternehmen Beteiligten ein in etwa gleiches Maß an Tatherrschaft besessen hätten (hier die beiden Fahrer der am Rennen beteiligten Fahrzeuge im Verhältnis untereinander), hat der Senat nicht zu entscheiden…“
Damit kann der Tatbestand des § 222 StGB bejaht werden.
Problemtisch ist nun, ob B nicht durch das Einsteigen in das Fahrzeug eine rechtfertigende Einwilligung in die Fremdgefährdung durch A erteilt hat.
Während in die vorsätzliche Tötung grundsätzlich nicht rechtfertigend eingewilligt werden kann (Ausn. § 1901a BGB Patientenverfügung), kann in die Körperverletzung eingewilligt werden, sofern diese nicht gegen die guten Sitten verstößt. Fraglich ist, ob in eine nur lebensgefährdende Handlung, die letztlich nur fahrlässig zum Tod führt, eingewilligt werden kann.
Für § 227 StGB hat der BGH entschieden, dass in diese Körperverletzung unter Berücksichtigung des § 228 StGB dann nicht rechtfertigend eingewilligt werden kann, wenn der Einwilligende durch die Tathandlung in eine konkrete Todesgefahr gebracht werde. Für den vorliegenden Fall führt er dementsprechend folgendes aus:
„Für diese Eingrenzung spreche sowohl der Normzweck des § 228 StGB als auch die aus der Vorschrift des § 216 StGB abzuleitende gesetzgeberische Wertung. Sie begrenzten die rechtfertigende Kraft der Einwilligung in eine Tötung oder Körperverletzung, da das Gesetz ein soziales bzw. Allgemeininteresse am Erhalt dieser Rechtsgüter auch gegen den aktuellen Willen des Betroffenen verfolge (BGHSt 49, 34, 42, 44; 166, 173 f. = JR 2004, 472 m. Anm. Hirsch = JZ 2005, 100 m. Anm. Arzt). Diese Grundsätze hat der Bundesgerichtshof auf die Fälle übertragen, in denen das spätere Opfer in das Risiko des eigenen Todes eingewilligt und sich dieses anschließend – im Rahmen des von der Einwilligung „gedeckten“ Geschehensablaufs – verwirklicht hat. Auch in diesen Fällen scheide eine Rechtfertigung der Tat durch die Einwilligung des Opfers bei konkreter Todesgefahr aus (BGHSt 49, 166, 175). Für gefährliches Handeln im Straßenverkehr gilt nichts Anderes. … Bezweckt eine Vorschrift dagegen ausschließlich den Schutz von Individualrechtsgütern (wie §§ 222, 229 StGB), so verliert die Einwilligung ihre (insoweit) rechtfertigende Wirkung .. dort, wo die Grenze zur Sittenwidrigkeit überschritten ist, also bei konkreter Todesgefahr, unabhängig von der tatsächlich eingetretenen Rechtsgutverletzung.“
Eine rechtfertigende Einwilligung ist damit nach Auffassung des BGH nicht möglich.
Sowohl A als auch H haben sich damit zudem gem. § 222 StGB strafbar gemacht.
S wurde wegen Beihilfe zu § 315c StGB schuldig gesprochen.
Hinweis
Der BGH hält also grundsätzlich eine rechtfertigende Einwilligung sowohl bei § 227 StGB als auch bei § 222 StGB für möglich, jedoch nur dann, wenn die Grenze zur Sittenwidrigkeit gem. § 228 StGB nicht überschritten werde, was immer dann der Fall sein soll, wenn „bei vorausschauender objektiver Betrachtung aller maßgeblichen Umstände der Tat der Einwilligende … in konkrete Todesgefahr gebracht werde“. Da bei § 222 und § 227 StGB aber der Tod eingetreten ist, wird wohl immer eine Todesgefahr vorgelegen haben, die Einwilligung wird damit aber immer unzulässig sein. Das Rechtsgut ist damit zwar theoretisch aber wegen § 228 StGB nicht praktisch disponibel