Tatbestand:
Der Kläger nimmt die beklagte Sparkasse auf Auszahlung des Guthabens auf einem Girokonto in Anspruch.
Durch Beschluss des zuständigen Amtsgerichts vom 16. November 2009 wurde für den Kläger ein Betreuer bestellt und angeordnet, dass Willenserklärungen des Klägers, die seine Vermögenssorge betreffen, zu ihrer Wirksamkeit der Einwilligung des Betreuers bedürfen (Einwilligungsvorbehalt).
Der Kläger ist Alleinerbe seiner am 18. Juli 2010 verstorbenen Mutter, die bei der Beklagten ein Girokonto unterhielt.
Er hob von diesem Konto am 30. Juli 2010 1.221,28 € ab und übergab das abgehobene Geld unmittelbar nach dem Empfang einer dritten Person.
Sein Betreuer hatte hiervon keine Kenntnis. Er hat weder in die Abhebung noch in die Weitergabe des Geldes eingewilligt und diese auch nicht nachträglich genehmigt. Die Parteien streiten über die Erfüllungswirkung der Auszahlung der 1.221,28 €.
Die Beklagte hat behauptet, der Kläger habe den abgehobenen Betrag zumindest in Höhe von 1.157,86 € an eine Frau S. zur Tilgung von Verbindlichkeiten weitergegeben und rechnet hilfsweise mit einem Bereicherungsanspruch gegen den Kläger auf.
Der Kläger hat der Beklagten die Abtretung eines etwaigen Anspruchs gegen Frau S. angeboten. Die Beklagte lehnte dies ab.
Kann der Kläger (K) Wiedergutschrift und Auszahlung verlangen?
Lösung
I. Anspruch entstanden?
Die AGL war vorliegend §§ 700 I, 488 I 2, 1922 I BGB zu entnehmen.
Beim Guthaben handelt es sich um eine unregelmäßige Verwahrung. Der K hat den Anspruch im Wege der Universalsukzession von seiner Mutter geerbt.
II. Anspruch untergegangen?
Expertentipp
Hier liegt der erste große Schwerpunkt der Klausur.
1. Anspruchsuntergang durch Erfüllung?
Hier wäre mit § 362 einzusteigen.
Die Erfüllung nach § 362 Abs. 1 BGB tritt regelmäßig als objektive Folge der Leistungsbewirkung ein (Theorie der realen Leistungsbewirkung), ohne dass es weiterer Umstände, insbesondere einer dahingehenden Vereinbarung, bedarf. Auch ergibt sich nichts anderes, wenn man der sog. „Vertragstheorie“ folgt. Der Betreuer hat auch keine Einwilligung zur Annahme der Leistung als Erfüllung erteilt, weshalb diese gem. § 1903 Abs. 1 Satz 2, § 131 Abs. 2, § 108 Abs. 1 BGB unwirksam wäre.
Die Grundsätze des Minderjährigenrechts gelten unabhängig davon, ob man von einer tatsächlichen Handlung oder eines „Erfüllungsvertrags“ ausgeht (Schutzzweck bedenken s.u.).
Bestehende Leistungspflichten können gegenüber einem beschränkt geschäftsfähigen Minderjährigen mangels Empfangszuständigkeit nicht ohne Einwilligung des gesetzlichen Vertreters wirksam erfüllt werden.
Dabei ist derjenige empfangszuständig, der die Verfügungsmacht über die Forderung hat.
Der Schutzzweck der §§ 107 ff. BGB trifft wegen des mit der Erfüllung verbundenen rechtlichen Nachteils auch auf die Annahme einer Leistung als Erfüllung zu Bei wirksamer Erfüllung erleidet der Minderjährige einen rechtlichen Nachteil in Form des Erlöschens seiner Forderung. Ob er hierdurch auch etwas erlangt was bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise gleich oder höherwertig ist, ist unerheblich, da § 107 BGB voraussetzt, dass er lediglich einen rechtlichen Vorteil erlangt.
Um den vom Gesetz bezweckten Minderjährigenschutz lückenlos zu gewährleisten, muss dies auch dann gelten, wenn an tatsächliche Handlungen, etwa die Entgegennahme einer Leistung, Rechtsfolgen geknüpft werden.
Diese Grundsätze gelten auch im Falle einer Leistung an einen geschäftsfähigen Betreuten, wenn für den betroffenen Bereich ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet ist und der Betreuer in die Leistungsannahme nicht einwilligt. Dem Betreuten fehlt insoweit ebenfalls die zur Erfüllung notwendige Empfangszuständigkeit, sodass die Zahlung an ihn nicht zum Erlöschen seiner Forderung führt. Auf die Kenntnis bzw. fahrlässige Unkenntnis des Schuldners von der Betreuung und dem Einwilligungsvorbehalt kommt es nicht an (also wie oft in Klausurlösungen zu lesen: Der gute Glaube an die Empfangszuständigkeit wird nicht geschützt).
Der Schutz Geschäftsunfähiger und beschränkt Geschäftsfähiger genießt Vorrang vor den Interessen des Rechtsverkehrs. Etwaige Unsicherheiten im Rechtsverkehr sind nach der Intention des Gesetzgebers hinzunehmen.
Im Hinblick auf § 108 und § 1903 I ist festzuhalten, dass die Schutzwürdigkeit von Minderjährigen und Betreuten sich im vorliegenden Fall nicht unterscheidet.
Der Anspruch ist nicht gem. § 362 untergegangen.
2. Anspruchsuntergang infolge Aufrechnung?
Expertentipp
Bevor sie sich zum materiellen Teil äußern, müssen sie kurz festhalten, ob eine Hilfsaufrechnung zulässig ist. Dies wirft man auf, da Prozesshandlungen grds. bedingungsfeindlich sind.
Die Hilfsaufrechnung war vorliegend zulässig, es lag eine zulässige innerprozessuale Bedingung vor.
Fraglich ist, ob der Beklagten (B) ein Gegenanspruch zustand?
a. Ein Anspruch der B gegen K könnte aus § 812 I 1 Alt. 1 folgen.
aa. Etwas erlangt
K hat Besitz und Eigentum an den Geldscheinen erlangt.
bb. Durch Leistung.
Hier durch zweckgerichtete Mehrung seines Vermögens durch B.
cc. Ohne Rechtsgrund
Ein Rechtsgrund für die Leistung bestand nicht. Das Fehlen der Empfangszuständigkeit wird wie eine rechtsgrundlose Leistung behandelt.
dd. Rechtsfolge
Expertentipp
Hier wäre ein zweiter Schwerpunkt zu setzen.
(1) Grds Herausgabe gem. § 812 I 1 (nicht § 818 I).
Hier jedoch infolge der Weggabe an einen Dritten (D) nicht möglich.
(2) Damit ist grds. Wertersatz zu leisten gem. § 818 II.
K schuldet jedoch keinen Wertersatz, wenn er entreichert ist, vgl. § 818 III. Dies wäre der Fall, wenn in K´s Vermögen keinerlei Bereicherung feststellbar wäre. Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall. K hat Ansprüche gegen D aus § 812 I 1 Alt. 1. Die Übereignung an D erfolgte rechtsgrundlos (§§ 1903 I).
Expertentipp
Eine Entreicherung kann nur dann angenommen werden, wenn der Anspruch gegen den Dritten völlig wertlos ist (z.B. Insolvenz).
Damit ist K i.R.d. § 818 II verpflichtet die Ansprüche gegen D an B abzutreten.
Trotz Bestehens eines Anspruchs des B ggü. K aus § 818 II kann B nicht wirksam die Aufrechnung erklären.
Die Ansprüche sind nicht gleichartig. Auf der einen Seite (K) steht ein Anspruch auf Zahlung und auf der anderen ein Anspruch auf Abtretung.
Der Anspruch ist demnach auch nicht infolge der Hilfsaufrechnung untergegangen.
III. Anspruch durchsetzbar?
Auch steht der B kein Zurückbehaltungsrecht aus § 273 zu. K hatte die Abtretung angeboten, diese wurde von B abgelehnt.
IV. Ergebnis
K kann von B Wiedergutschrift und Auszahlung i.H.v. 1.221,28€ aus §§ 700 I, 488 I 2 verlangen.
Alles in Allem eine überzeugende Entscheidung mit hoher Examensrelevanz. Vermutlich würde der Betreute im ersten Examen durch einen Minderjährigen ersetzt werden. Für das zweite Examen ist dieser Fall so wie er entschieden wurde sehr gut geeignet.