Der BGH- Entscheidung (2 StR 147/21 – abgedruckt in NStZ 2023, 482) lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Angeklagte A verließ in den frühen Morgenstunden mit einem BAK-Wert von 2,42 Promille und nach Kokainkonsum eine Gaststätte und geriet am Taxistand mit dem Geschädigten K in Streit, woraufhin er sein Messer zog und 6 mal mit Tötungsvorsatz in den Oberkörper des K stach. Nun trat P, der auf den Streit aufmerksam geworden war, aber das Messer nicht gesehen hatte, zwischen die beiden. Auch N versuchte die Situation zu beruhigen und stieß den Angeklagten von K weg, so dass dieser kurzfristig zu Boden ging. K gelang es, sich einige Meter vom Geschehen zu entfernen. Nachdem A wieder aufgestanden war, stach er mit Tötungsvorsatz 3 Mal auf den Oberkörper der P ein, der anschließend von dem Zeugen N auf die andere Straßenseite gebracht wurde. Als nun J eingreifen wollte, stach A erneut zu und traf J in den Oberarm wobei er zugleich schrie „Ich stech euch alle ab.“ Nunmehr erschien der Zeuge Po, dem es schließlich durch beschwichtigendes Zureden gelang, A von weiteren Attacken abzuhalten. Das Geschehen dauerte nur wenige Minuten.
Das LG Köln verurteilte A wegen versuchtem Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung wegen der Stichverletzungen an K und P und wegen gefährlicher Körperverletzung wegen der Stichverletzungen an J.
Der BGH hat das Urteil aufgehoben, weil er der Meinung war, dass die Versagung des strafbefreienden Rücktritts nicht rechtfehlerfrei begründet worden sie.
Da es sich um einen möglichen Rücktritt eines Alleintäters handelt, ist § 24 Abs. 1 StGB anwendbar. Dieser unterscheidet in S. 1 zwischen einem unbeendeten Versuch, bei dem es ausreicht, wenn der Täter die weitere Ausführung der Tat aufgibt und einen beendeten Versuch, bei welchem der Täter die Vollendung verhindern muss. Reicht also bei der 1. Alt. das reine Nichtweiterhandeln aus, so muss der Täter bei der 2. Alt. aktiv werden und eine neue Kausalkette in Gang setzen, die zum Ausbleiben des Erfolgs führt.
Ob ein unbeendeter oder beendeter Versuch vorliegt, bestimmt sich nach der Vorstellung des Täters. Als Zeitpunkt wird nach h.M. die letzte Ausführungshandlung herangezogen. Nicht rücktrittsfähig ist ein fehlgeschlagener Versuch. Hier nimmt der Täter an, den Erfolg ohne Zäsur mit den vorhandenen Mitteln nicht mehr herbeiführen zu können. Der BGH hat dazu folgendes ausgeführt:
„Nach § 24 Abs. 1 Satz 1 erste Alternative StGB wird wegen Versuchs nicht bestraft, wer freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt. Voraussetzung ist zunächst, dass der Täter zu diesem Zeitpunkt noch nicht mit einem Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs rechnet (unbeendeter Versuch), seine Herbeiführung aber noch für möglich hält. Scheitert – wie vorliegend – der Versuch, so kommt es darauf an, ob der Täter nach anfänglichem Misslingens des vorgestellten Tatablaufs sogleich zu der Annahme gelangt, er könne ohne zeitliche Zäsur mit den bereits eingesetzten oder bereitstehenden Mitteln die Tat noch vollenden. Nur dann liegt kein fehlgeschlagener, sondern ein unbeendeter Versuch vor, von dem der Täter noch durch freiwillige Aufgabe der weiteren Tatausführung zurücktreten kann. Maßgebend ist dabei das subjektive Vorstellungsbild des Täters zum Zeitpunkt der letzten Ausführungshandlung (sog. „Rücktrittshorizont“…) … und zwar selbst dann, wenn diese auf einer Fehlvorstellung beruht oder wenn der Täter nach der Tatausführung Umstände erkennt, die seine bisherigen Vorstellungen erschüttern.“
Das Landgericht hatte angenommen, dass Angeklagte aufgrund des Umstands, dass sich die Verletzten räumlich entfernt hatten angenommen habe, den Erfolg nicht mehr herbeiführen zu können, weswegen ein fehlgeschlagener nicht mehr rücktrittsfähiger Versuch vorläge. Der BGH ist dem mit folgender Argumentation entgegengetreten:
„Allein das körperliche Trennen des Täters von dem Tatopfer durch einen Dritten – hier durch den Nebenkläger P. und dann durch die Zeugen N. und J. – schließt einen strafbefreienden Rücktritt nicht zwingend aus … Im Rahmen eines – wie hier – mehraktigen Geschehens können die Einzelakte untereinander und mit der letzten Tathandlung ein durch die subjektive Zielsetzung des Täters verbundenes, örtlich und zeitlich einheitliches Geschehen bilden mit der Folge, dass für die Beurteilung der Frage, ob der Versuch fehlgeschlagen ist oder ein strafbefreiender Rücktritt durch das Unterlassen weiterer Tathandlungen (unbeendeter Versuch) oder durch Verhinderung der Tatvollendung (beendeter Versuch) erreicht werden kann, allein die subjektive Sicht des Täters nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung maßgeblich ist … Unbeschadet der rechtlich nicht zu beanstandenden Annahme mehrerer zueinander in Tatmehrheit stehender Delikte hätte sich das Landgericht daher im vorliegenden Fall angesichts der engen zeitlichen Abfolge von Einzelakten (wenige Minuten) an einer überschaubaren Örtlichkeit, des Ausrufs des Angeklagten, er werde alle „abstechen“, und der Feststellung, der Angeklagte habe sich von einem weiteren Zeugen beschwichtigen und „von weiteren Angriffen abhalten“ lassen, zu einer vertiefteren Auseinandersetzung mit der Mehraktigkeit des Geschehens und seiner Bedeutung für den (subjektiven) Rücktrittshorizont des Angeklagten gedrängt sehen müssen und sich nicht mit der (objektiven) Feststellung begnügen dürfen, die Tatopfer seien vom Angeklagten weggezogen worden. Entsprechende Erörterungen lassen die Urteilsgründe indes vermissen.“
Dieses Urteil steht in der „Tradition“ des BGH, aus Opferschutzgründen großzügig mit dem strafbefreienden Rücktritt zu sein kritisch dazu Anm. Ruppert, NStZ 2023, 484. Kennen sollten Sie die Problematik bereits bei mehraktigen Angriffen auf ein und dasselbe Opfer. Im Wege der Gesamtbetrachtung stellt die h.M. wie vorliegend auch der BGH auf den letzten Ausführungsakt ab, sofern die einzelnen Akte durch einen entsprechenden Vorsatz miteinander verbunden sind. Die in der Lit. teilweise vertretene Einzelakttheorie siehe dazu die Ausführungen im Kurs Strafrecht AT II unter Rn. 36 mit weiteren Nachweisen zu den dargestellten Auffassungen betrachtet jede aus Sicht des Täters erfolgsgeeignete Handlung und bestimmt den Fehlschlag anhand der Vorstellung des Täters im Anschluss an die einzelne Handlung.