Dem Urteil des BGH (vom 23.09.2015 – VIII ZR 284/14, MDR 2015, 1282 = BeckRS 2015, 17443 [beck-online]) lag folgender – leicht vereinfachter – Sachverhalt zugrunde:
B bot am 26. Juni 2012 in Rahmen einer Auktion über die Internetplattform eBay unter Angabe eines Startpreises von 1 € einen Jugendstil Gussheizkörper zum Verkauf an. Die Versteigerung erfolgte auf der Grundlage der zu dieser Zeit maßgeblichen Allgemeinen Geschäftsbedingungen von eBay. Dort heißt es auszugsweise:
"§ 9 Nr. 11
Anbieter, die ein verbindliches Angebot auf der eBay-Website einstellen, dürfen nur dann Gebote streichen und das Angebot zurückziehen, wenn sie gesetzlich dazu berechtigt sind. Weitere Informationen.
§ 10 Nr. 7
Bieter dürfen ein Gebot nur dann zurücknehmen, wenn sie gesetzlich dazu berechtigt sind. Weitere Informationen."
In den von eBay eingerichteten "Hilfeseiten" zu dem Stichwort "Wie beende ich mein Angebot vorzeitig" heißt es (auszugsweise):
"Wenn Sie einen Artikel auf der eBay-Website einstellen, geben Sie grundsätzlich ein verbindliches Angebot zum Abschluss eines Vertrags über diesen Artikel ab und sind für die Angebotsdauer dieses Angebots gebunden. Es kann jedoch vorkommen, dass Sie ein Angebot vorzeitig beenden müssen, zum Beispiel, wenn Sie feststellen, dass Sie sich beim Einstellen des Artikels geirrt haben oder der zu verkaufende Artikel während der Angebotsdauer ohne ihr Verschulden beschädigt wird oder verlorengeht.
Gründe für die vorzeitige Beendigung eines Angebots
Wenn Sie ein Angebot vorzeitig beenden oder kurz vor dessen Ende Änderungen vornehmen, werden Käufer möglicherweise enttäuscht. In den folgenden Fällen dürfen Sie ihr Angebot jedoch vorzeitig beenden:
Grund: Der Artikel ist ohne Ihr Verschulden verloren gegangen, beschädigt oder anderweitig nicht mehr zum Verkauf verfügbar.
Sie sollten Gebote nur aus gutem Grund streichen. Beachten Sie bitte außerdem, dass Gebote, wenn sie einmal gestrichen wurden, nicht wieder in Kraft gesetzt werden können. Es folgen einige Beispiele für eine legitime Streichung:
- Der Bieter wendet sich mit der Bitte an Sie, sein Gebot zu stornieren.
- Sie können die Identität des Bieters trotz aller Bemühungen nicht nachprüfen.
- Sie müssen Ihre Auktion vorzeitig abbrechen, da sie den Artikel doch nicht mehr verkaufen können. In diesem Fall müssen Sie vor der Beendigung der Auktion die bisher abgegebenen Gebote streichen."
Unter dem Punkt "So beenden Sie ein aktives Angebot" heißt es in den
"Hilfeseiten" von eBay (auszugsweise):
3. Wählen Sie den Grund aus, aus dem Sie das Angebot streichen.
Am 27. Juni 2012 gab der K ein Maximalgebot von 500 € ab. Am 29. Juni 2012 beendete der B die Auktion unter Streichung aller Gebote vorzeitig, ohne einen Grund anzugeben. Zu diesem Zeitpunkt war der Kläger der Höchstbietende mit einem aktuellen Höchstgebot von 112 €.
Mit Anwaltsschreiben vom 20. Juli 2012 forderte K den B zur Übergabe des Kaufgegenstandes Zug um Zug gegen Zahlung des Kaufpreises auf. Der B antwortet, dass er den Heizkörper keinesfalls dem K übergeben werde. Vielmehr macht er geltend, dass der K ein sog. "Abbruchjäger" sei. Anfang Juli 2012 habe er herausgefunden (was zutrifft), dass der K in den letzten Monaten mehrere hundert Gebote bei eBay zurückgenommen hat.
K behauptet, er hätte den Heizkörper nach Erhalt zu einem Verkehrswert von 4.000 € weiterveräußern können (was ebenfalls zutrifft), welche er nun von B verlangt.
Besteht der geltend gemachte Anspruch des K gegen B?
Falllösung
K könnte gegen B einen Schadensersatzanspruch statt der Leistung aus §§ 280 Abs. 1, 3, 281 Abs. 1 BGB haben.
I. Wirksamer Schuldverhältnis?
Zunächst müsste ein wirksames Schuldverhältnis zwischen K und B bestehen. Hier könne ein Kaufvertrag gemäß § 433 BGB gegeben sein.
Zunächst könnte über einen Vertragsschluss durch Zuschlag gemäß § 156 S. 1 BGB nachgedacht werden. Jedoch handelt es sich bei „Onlineauktionen“ wie bei eBay nicht um Versteigerungen i.S.d. § 156 BGB, sodass der Vertragsschluss durch Angebot und Annahme gemäß §§ 145 ff. BGB zustande kommt.
Gemäß § 9 Nr. 11 der AGB von eBay dürfen Anbieter, die ein verbindliches Angebot auf der eBay-Webseite einstellen, nur dann Gebote streichen und das Angebot zurückziehen, wenn sie gesetzlich dazu berechtigt sind.
Ist dies nicht der Fall, kommt zwischen dem Anbieter und dem Höchstbietenden ein Kaufvertrag zustande. Das heißt das Zustandekommen des Vertrags hängt hier davon ab, ob der B zur Rücknahme seines Angebots oder zur Streichung des Gebots des K berechtigt war.
Hierzu führt der BGH folgendes aus:
„[15] 1. Nach den Auktionsbedingungen von eBay, die der vorliegenden Auktion zugrunde lagen und die der Senat selbst auslegen kann, kommt ein Kaufvertrag bei Ablauf der Auktion oder bei vorzeitiger Beendigung des Angebots - insoweit übereinstimmend mit den §§ 145 ff. BGB - durch Annahme des Verkaufsangebots durch den Höchstbietenden zustande, es sei denn der Anbieter war "gesetzlich dazu berechtigt", das Angebot zurückzunehmen und die vorliegenden Gebote zu streichen.
[16] Nach der Rechtsprechung des Senats ist das Verkaufsangebot aus der Sicht des an einer eBay-Auktion teilnehmenden Bieters (§§ 133, 157 BGB) dahin auszulegen, dass es unter dem Vorbehalt einer (nach diesen eBayBedingungen) berechtigten Angebotsrücknahme steht. Dies ist nicht nur im engeren Sinn als Verweisung auf die gesetzlichen Bestimmungen über die Anfechtung von Willenserklärungen (§§ 119 ff. BGB) zu verstehen, sondern wird durch Hinweise von eBay zur Angebotsbeendigung erläutert, die auch andere Tatbestände, wie etwa den unverschuldeten Verlust des Artikels, bezeichnen [...].
[17] In Einklang mit dieser Rechtsprechung ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass ein unverschuldeter Verlust (beziehungsweise die Zerstörung) des Kaufgegenstandes eine vorzeitige Angebotsrücknahme rechtfertigt und das Zustandekommen eines Vertrages verhindert. Da das Berufungsgericht diese zwischen den Parteien streitige Tatsache offen gelassen hat, ist für das Revisionsverfahren zugunsten des Klägers dessen Vortrag zu unterstellen, dass dies nicht der Fall gewesen und der Beklagte deshalb auch nicht zum (vollständigen) Abbruch der Auktion unter Streichung aller Gebote berechtigt gewesen ist.
[18] 2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts scheitert der Vertragsschluss mit dem Kläger als Höchstbietenden nicht daran, dass der Beklagte das Gebot des Klägers wegen eines in dessen Person liegenden Grundes wirksam gestrichen hätte.
[19] a) Gemäß § 9 Nr. 11 der eBay-Bedingungen dürfen Anbieter, die ein verbindliches Angebot auf der eBay-Website einstellen, nur dann Gebote streichen und das Angebot zurückziehen, wenn sie gesetzlich dazu berechtigt sind. In Konkretisierung dieser grundsätzlichen Aussage wird in den Hilfeseiten der eBay-Bedingungen beispielhaft ausgeführt, dass eine Gebotsstreichung dann möglich ist, wenn der Bieter darum bittet oder der Anbieter die Identität des Bieters trotz aller Bemühungen nicht ermitteln kann. Ein auf der Grundlage der eBay-Bedingungen abgegebenes Angebot ist daher dahin auszulegen, dass es auch unter dem Vorbehalt steht, es gegenüber einzelnen Bietern zurückzunehmen, wenn hierzu ein berechtigter Grund nach den Bedingungen besteht.
[20] Als ein solcher berechtigter Grund, der den in den eBay-Bedingungen ausdrücklich genannten Beispielen vergleichbar ist, kommen jedoch aufgrund des grundsätzlichen Verweises in § 9 Nr. 11 der eBay-Bedingungen auf die gesetzliche Berechtigung zur Angebotsstreichung nur derartige Umstände in der Person des Bieters in Betracht, die Umständen vergleichbar sind, die zur Anfechtung des Angebots (§§ 119 ff. BGB) oder zum Rücktritt vom Vertrag (§ 323 Abs. 4 BGB) führen würden. Derartige, einem gesetzlichen Lösungsrecht gleichstehende Umstände hat das Berufungsgericht indes nicht festgestellt.
[21] b) Die Annahme des Berufungsgerichts, bei dem Kläger handele es sich um einen "unseriösen" Bieter, dessen Gebot der Beklagte habe folgenlos streichen dürfen, verstößt gegen § 286 ZPO. Das Berufungsgericht hat in seine Würdigung den für die Beurteilung wesentlichen Aspekt nicht einbezogen, dass der Verkäufer bei einer eBay-Auktion nicht vorleistungspflichtig ist, sondern der Kauf regelmäßig gegen Vorkasse oder Zug-um-Zug abgewickelt wird. Vor diesem Hintergrund lässt sich den Ausführungen des Berufungsgerichts nicht nachvollziehbar entnehmen, inwiefern der Beklagte Anlass für die Befürchtung hätte haben können, dass der Kläger, selbst wenn er in der Vergangenheit in auffällig hohem Umfang Gebote zurückgenommen haben sollte, seinen etwaigen Verpflichtungen als Käufer - also vor allem seiner Hauptpflicht zur Zahlung des Kaufpreises im Falle der erfolgreichen Ersteigerung - nicht nachkommen würde.“
Dies führt dazu, dass weder Umstände ersichtlich sind, die zu einem Rücktritt noch zu einer Anfechtung berechtigen würden. Mithin besteht ein wirksamer Kaufvertrag zwischen K und B.
Jedoch könnte die Berechtigung des B zur Streichung des Gebots des K noch aus einem anderen Grund gefehlt haben. Hierzu führt der BGH aus:
„[22] c) Rechtsfehlerhaft ist überdies die Annahme des Berufungsgerichts, der Beklagte habe bei der hier gegebenen Fallgestaltung den (objektiven) Grund der Streichung des Angebots des Klägers im Zeitpunkt der Auktionsbeendigung nicht kennen müssen; ein Nachschieben eines solchen Grundes sei auch noch im Schadensersatzprozess möglich. Diese Auffassung führte dazu, dass jedes bei einer Internetauktion eingestellte Verkaufsangebot unter dem allgemeinen Vorbehalt eines möglicherweise bestehenden und in (ungewisser) Zukunft zu benennenden objektiven Lösungsgrundes stünde. Damit würde jede Internetauktion mit Unsicherheiten behaftet, die deren reibungsloses Funktionieren in nicht hinnehmbarer Weise in Frage stellen würde.
[23] Auch die Nutzungsbedingungen beziehungswiese Hilfeseiten von eBay gehen ersichtlich davon aus, dass dem Verkäufer der Grund für den Abbruch der Auktion und der Streichung der Gebote im Zeitpunkt der vorzeitigen Beendigung der Auktion bekannt sein muss. Denn in den Hinweisen hierzu heißt es: "Es kann jedoch vorkommen, dass Sie ein Angebot frühzeitig beenden müssen, wenn Sie feststellen, dass Sie sich beim Einstellen des Artikels geirrt haben oder der zu verkaufende Artikel während der Angebotsdauer ohne ihr Verschulden verlorengeht. [...] In den folgenden Fällen dürfen Sie ihr Angebot jedoch vorzeitig beenden: [...] Der Artikel ist ohne Ihr Verschulden verloren gegangen, beschädigt oder anderweitig nicht mehr zum Verkauf verfügbar. [...] Sie sollten Gebote nur aus gutem Grund streichen." Als Beispiele einer "legitimen Streichung" werden sodann beispielhaft die Bitte des Bieters um Stornierung benannt sowie die fehlende Identifizierbarkeit des Bieters und die Unmöglichkeit der Lieferung des Kaufgegenstands. Es mag daher - was hier keiner Entscheidung bedarf - zulässig sein, dass ein für die vorzeitige Auktionsbeendigung zureichender Grund erst nachträglich von dem Verkäufer benannt wird; unverzichtbar ist jedoch, dass er zu diesem Zeitpunkt bereits vorlag und für die Streichung des Bietergebots kausal geworden ist [...].“
Im Ergebnis war B zur Streichung des Angebots des K nicht berechtigt, sodass ein Kaufvertrag zwischen den Parteien zustande gekommen ist.
II. Pflichtverletzung
Des Weiteren müsste eine Pflichtverletzung des B gegeben sein.
Gemäß § 433 Abs. 1 S. 1 BGB wird der Verkäufer einer Sache durch den Kaufvertrag verpflichtet, dem Käufer die Sache zu übergeben und das Eigentum an der Sache zu verschaffen. Dies hat B nicht getan und somit seine Pflichten aus dem Kaufvertrag verletzt.
Des Weiteren müsste K dem B gemäß § 281 Abs. 1 S. 1 BGB erfolglos eine angemessene Frist zur Leistung gesetzt haben. Diese könnte unter Umständen in dem Anwaltsschreiben vom 20. Juli 2012 gesehen werden. Dies kann jedoch dahinstehen, wenn die Fristsetzung jedenfalls entbehrlich war. Die Fristsetzung ist gemäß § 281 Abs. 2 Var. 1 BGB entbehrlich, wenn der Schuldner die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert. Hier hat der B dem K mitgeteilt, dass er den Gegenstand nicht mehr herausgeben werde. Hierin kann eine endgültige Leistungsverweigerung i.S.d. § 281 Abs. 2 Var. 1 BGB gesehen werden. Mithin war die Fristsetzung entbehrlich.
III. Vertreten müssen
Der B müsste die Pflichtverletzung auch zu vertreten haben (§ 276 Abs. 1 BGB). Dies wird vermutet (§ 280 Abs. 2 S. 2 BGB). Exkulpiert hat sich der B hier ebenfalls nicht, sodass er die Nichtleistung auch zu vertreten hat.
IV. Rechtsfolge (§§ 249 ff. BGB)
Wer zum Schadensersatz verpflichtet ist, hat den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre (§ 249 Abs. 1 BGB). Der zu ersetzende Schaden umfasst auch den entgangenen Gewinn (§ 252 S. 1 BGB). Als entgangen gilt der Gewinn, welcher nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge oder nach den besonderen Umständen, insbesondere nach den getroffenen Anstalten und Vorkehrungen, mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte (§ 252 S. 2 BGB).
Hier hätte B für den Heizkörper 112 € bezahlt. Ein Weiterverkauf wäre ihm für 4.000 € möglich gewesen. Dies führt dazu, dass K einen Schaden i.Hv. 3.888 € erlitten hat.
V. Ergebnis
K hat gegen B einen Schadensersatzanspruch statt der Leistung aus §§ 280 Abs. 1, 3, 281 Abs. 1 BGB i.Hv. 3.888 €.
Die Leitsätze des BGH im Überblick:
1. Ein bei der Internetplattform eBay eingestelltes Verkaufsangebot ist aus der Sicht des an der eBay-Auktion teilnehmenden Bieters dahin auszulegen, dass es unter dem Vorbehalt einer nach den eBay-Bedingungen berechtigten Angebotsrücknahme steht.
2. Will der Verkäufer eines auf der Internetplattform eBay angebotenen Artikels das Gebot eines Bieters aufgrund eines in dessen Person liegenden Grundes vor Ablauf der Auktionsfrist folgenlos streichen, kommen hierfür nur solche Gründe in Betracht, die den Verkäufer nach dem Gesetz berechtigen würden, sich von seinem Verkaufsangebot zu lösen oder Gründe, die von vergleichbarem Gewicht sind.
3. Ein zur Gebotsstreichung berechtigender Grund in der Person des Bieters muss für den Entschluss des Verkäufers, dieses Angebot vor Ende der Auktion zu streichen, kausal geworden sein.
Anmerkung: Mit diesem Urteil schafft der BGH weitere Rechtssicherheit. Er schränkt die Berechtigung des Verkäufers weiter ein, sein Angebot wieder zurückzunehmen. Auf der anderen Seite muss aber auch der Schutz des Verkäufers vor sog. „Abbruchjägern“ im Hinterkopf behalten werden. Das Kunststück ist diese Gratwanderung zu meistern (vgl. zu dieser Problematik: Stieper, MMR 2015, 627 [beck-online]). Zur Vertiefung der Thematik kann ebenfalls auf die äußerst interessante Anmerkung von Wagner (MMR 2016, 26 [beck-online]) verwiesen werden. Er entwickelt vor allem den Gedanken, dass ein anderes Ergebnis als das des BGH über § 138 Abs. 1 BGB möglich gewesen wäre. Weitere Ausführungen zu diesem Thema finden Sie auch in unseren ExO`s und im GuKO ZR. Eine Leseprobe aus unserem Skript finden Sie hier: http://www.juracademy.de/web/topic.php?id=12544.