Mit einem solchen Sachverhalt musste sich der BGH (Urteil v. 06.10.2016, 2 StR 46/15 – abrufbar unter www.bundesgerichtshof.de) im Rahmen einer Revision befassen.
Gegen den Angeklagten A war ein Ermittlungsverfahren wegen mehrfachen Betruges eingeleitet worden. Mit Datum vom 07.05.2013 erfolgte mit entsprechender richterlicher Anordnung die Festnahme des Angeklagten. Bei der gleichzeitig durchgeführten Durchsuchung wurde ein Notebook sichergestellt. Am 12.05.2013 erhielt die Polizei von der ehemaligen Lebensgefährtin des A einen Hinweis, dass sich ein Koffer mit wichtigen Dokumenten hinter einer Küchenleiste befinde. Die StA versuchte daraufhin, den mit der Sache bereits befassten Haftrichter zu erreichen. Als dies nicht gelang, telefonierte sie mit einem Richter des Bereitschaftsdienstes, der jedoch den Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses ohne Akte ablehnte. Daraufhin prüfte die Staatsanwältin die Gefahr im Verzug, die sie im Ergebnis auch bejahte. Begründet wurde dies mit der angeblichen Unmöglichkeit der Vorlage der Akte, die sich bei einem anderen Richter mit einem Antrag auf Erlass eines Beschlagnahmebeschlusses befunden hat sowie mit der Gefahr des Beweismittelverlustes evtl. herbeigeführt durch eben jene Zeugin, die zuvor den Tipp gegeben hatte. Zudem war die Staatsanwältin der Auffassung, dass in Ansehung des 1. Durchsuchungsbeschlusses davon auszugehen sei, auch ein zweiter Beschluss würde am nächsten Tag nach Akteneinsicht erneut erlassen.
Der im Rahmen der zweiten Durchsuchung aufgefundene Koffer war später ein wichtiges Beweismittel, auf welches sich das Urteil stützte. Der Angeklagte rügte in der Revision, dass die bei der 2. Durchsuchung aufgefundenen Beweise nicht hätten verwertet werden dürfen. Aus der Revisionsbegründung ließ sich nicht eindeutig entnehmen, ob der Angeklagte in der Hauptverhandlung der Verwertung des Beweismittels widersprochen hatte.
I. Zulässigkeit der Rüge
In einer Klausur wäre nun zunächst zu klären, ob der Angeklagte sich auf ein eventuelles Beweisverwertungsverbot überhaupt berufen dürfte oder ob die Rüge aufgrund eines unterbliebenen Widerspruchs in der Hauptverhandlung nicht unzulässig wäre. Nach der Rechtsprechung des BGH ist diese Widerspruchslösung vor allem bei den unselbstständigen Beweisverwertungsverboten, die sich aus einer Verletzung der §§ 136 I 2, 163a IV 2 StPO ergeben, zu beachten.
„Hat ein Verteidiger in der Hauptverhandlung mitgewirkt und hat der verteidigte Angeklagte der Verwertung des Inhalts einer ohne Belehrung über sein Recht, sich redend oder schweigend verteidigen und jederzeit den Beistand eines Verteidigers in Anspruch nehmen zu können, zustande gekommenen Aussage zugestimmt, so besteht kein Verwertungsverbot; dasselbe gilt aber auch, wenn der verteidigte Angeklagte der Verwertung nicht widersprochen hat. Der Widerspruch muss spätestens in der Erklärung enthalten sein, die der Angeklagte oder sein Verteidiger im Anschluss an diejenige Beweiserhebung abgibt, die sich auf den Inhalt der ohne Belehrung gemachten Aussage bezieht (BGH, Beschluss vom 27. Februar 1992 - 5 StR 190/91, BGHSt 38, 214, 225 f.; Urteil vom 12. Januar 1996 - 5 StR 756/94, BGHSt 42, 15, 22 f.). Der rechtzeitige Widerspruch als Bewirkungshandlung ist danach eine Entstehungsvoraussetzung des Verwertungsverbots (Meixner, Das Widerspruchserfordernis des BGH bei Beweisverwertungsverboten, 2015, S. 17 ff.). Nach dem Zeitpunkt des § 257 Abs. 1 StPO kann er nicht mehr nachgeholt werden. Daher bedarf der fristgerechte Widerspruch gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO entsprechender Darlegungen im Rahmen einer Verfahrensrüge zum Revisionsgericht.“
Für die Durchsuchung und Beschlagnahme war bislang noch nicht geklärt, ob auch hier die Widerspruchslösung gilt. Der BGH (2. Senat) hat dies im Wesentlichen unter Bezugnahme auf die Dispositionsmacht der Verteidigung verneint:
„Dagegen spricht, dass eine Dispositionsmacht der Verteidigung über den auf diese Weise erfassten Sachbeweis, anders als bezüglich der Äußerungen des Beschuldigten, die durch verfahrensfehlerhafte Vernehmungen (§§ 136 Abs. 1 Satz 2, 163a Abs. 4 Satz 2 StPO) oder durch Gesprächsüberwachungen (§§ 100a, 100f StPO; vgl. BGH, Beschluss vom 7. März 2006 - 1 StR 316/05, BGHSt 51, 1, 3) im Vorverfahren erlangt wurden, grundsätzlich nicht besteht. Seine früheren Angaben kann der Angeklagte aus seiner Erinnerung erläutern und erklären, er kann sie durch eine Sacheinlassung ersetzen oder dementieren; er kann auch aus seiner Sicht die Äußerungssituation, die zur staatlichen Informationsbeschaffung geführt hat, darstellen. Dann aber erscheint es nachvollziehbar, ihm ferner die Disposition über die Verwertbarkeit seiner früheren Angaben zu überlassen. Bei der staatlichen Erfassung von Sachbeweisen (Urkunden oder Augenscheinsobjekten) bestehen keine vergleichbaren Dispositionsmöglichkeiten. Die Verteidigung darf dem staatlichen Strafverfahren sächliche Beweismittel grundsätzlich nicht entziehen, wenn sie verwertbar und dem hoheitlichen Zugriff ausgesetzt sind. Die Art und Weise der Erlangung solcher Sachbeweise durch die Ermittlungsbehörden, auf die der Beschuldigte keinen Einfluss hat, ist deshalb vom Gericht von Amts wegen aufzuklären, soweit Verfahrensfehler bei diesem Vorgang in Betracht kommen. Auf einen Widerspruch gegen die Beweisverwertung kommt es dafür nicht an. Dies gilt insbesondere dann, wenn sich - wie hier - auch ohne besonderen Hinweis der Verteidigung konkrete Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Ermittlungsmaßnahme nicht den gesetzlichen Eingriffsvoraussetzungen entspricht. Versäumnisse der Verteidigung dürfen insoweit nicht dazu führen, dass an sich rechtswidrig erlangtes Beweismaterial ohne weiteres zur Grundlage einer strafrechtlichen Verurteilung des Angeklagten werden kann.“
Die Rüge war damit zulässig.
Hinweis
Beachten Sie: die Ausführungen des BGH waren in dieser Sache nicht bindend. Mit Datum vom 09.05.2018 (5 StR 17/18) ist der 5. Senat dieser Rechtsauffassung entgegengetreten. Nach Meinung des 5. Senats ist auch bei einer fehlerhaften Durchsuchung in der Hauptverhandlung Widerspruch zu erheben, um dem Tatgericht die Möglichkeit zu geben, freibeweislich zu klären, ob eine rechtswidrige Beweisgewinung vorliegt. Dies soll im Interesse der Schonung von Justizreservern geschehen.
II. Begründetheit der Rüge
Die Rüge ist begründet, wenn die Beweisgewinnung rechtswidrig war und daraus ein Beweisverwertungsverbot resultiert.
Die Rechtswidrigkeit der Beweisgewinnung hat der BGH unter Hinweis auf den Richtervorbehalt bejaht. In dem Augenblick, in dem die StA einen Richter / eine Richterin erreicht und bei diesem / dieser eine Durchsuchung beantragt, ist für eine Entscheidungskompetenz der StA auf Basis desselben Sachverhalts kein Raum mehr.
„Ist beim Ermittlungsrichter ein Durchsuchungsbeschluss beantragt, ist auch dann, wenn dieser sich außerstande sieht, die Anordnung ohne Vorlage der Akte zu erlassen, für eine staatsanwaltschaftliche Prüfung des Vorliegens von Gefahr im Verzug regelmäßig kein Raum mehr, es sei denn, es liegen neue Umstände vor, die sich nicht aus dem vorangegangenen Prozess der Prüfung und Entscheidung über den ursprünglichen Antrag auf Durchsuchung ergeben.“
Die für die Entscheidungskompetenz erforderliche Gefahr im Verzug kann also, nachdem das Gericht eingeschaltet wurde, nur durch nachträglich eintretende oder neu bekannt werdende tatsächliche Umstände begründet werden. Derartige Umstände waren vorliegend nicht gegeben.
Hinweis
Dies hatte bereits das BVerfG mit Datum vom 16.06.2015 (2 BvR 2718/10, 2 BvR 2808/11, 2 BvR 1849/11) in ähnlich gelagerten Fällen entschieden. Sobald der Ermittlungs- oder Eilrichter mit der Angelegenheit befasst sei, ende die Eilzuständigkeit der StA und ihrer Hilfsbeamten. Das gelte selbst dann, wenn die Gefahr des Beweismittelverlustes drohe.
Die Beweisgewinnung war also rechtswidrig. Nun stellt sich die Frage, ob sich daraus auch ein Beweisverwertungsverbot ergibt. Bei der Abwägung zwischen dem Interesse an einer effektiven Strafverfolgung und dem Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren muss auch der mögliche hypothetische Ermittlungsverlauf berücksichtigt werden. Diesen hat die StA zugrunde gelegt, indem sie annahm, dass auch der neu eingeschaltete Richter am nächsten Tag nach Durchsicht der Akte einen Beschluss erlassen hätte.
Der BGH hat das Beweisverwertungsverbot völlig zu Recht bejaht und dazu folgendes ausgeführt:
„Die Annahme eines Beweisverwertungsverbots ist zumindest bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstößen, bei denen die grundrechtlichen Sicherungen planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen worden sind, geboten …. Ein schwerwiegender Verstoß liegt … vor. Die ermittelnde Staatsanwältin hat die Bedeutung des Richtervorbehalts grundlegend verkannt, als sie nach der Befassung des Eilrichters in der Sache - ohne dass sich gegenüber der Sachlage zuvor etwas Neues ergeben hätte - ihre eigene Eilkompetenz allein deshalb wieder aufleben ließ, weil der Eilrichter sich zu einer Entscheidung ohne Akten nicht in der Lage gesehen hat. Dass sie keine Anstrengungen unternommen hat, dem Ermittlungsrichter die Akten beizubringen, entbehrt eines nachvollziehbaren Grundes. Schon dies stellt angesichts der dargelegten Besonderheiten des Falles für sich gesehen - ungeachtet des Umstands, dass die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die den Vorrang der richterlichen Entscheidung vor einer Eilkompetenz der Ermittlungsbehörden nach dessen Befassung festgestellt hat, zum Zeitpunkt der Eilanordnung der Staatsanwältin noch nicht ergangen war - eine grundlegende Verkennung der Bedeutung des Richtervorbehalts dar.
Hinzu kommt die objektiv unvertretbare Annahme eines durch die ExLebensgefährtin des Beschuldigten drohenden Beweismittelverlusts, der angesichts ihrer kooperativen Mitarbeit keinerlei tatsächliche Grundlage hat und auch nicht durch allgemeine kriminalistische Erwägungen gestützt wird. Dies gilt trotz des Umstands, dass bereits am 7. Mai 2013 in der Sache ein Durchsuchungsbeschluss erlassen worden war und die die Ermittlung führende Staatsanwältin davon ausging, das Amtsgericht würde im Hinblick auf die Angaben der Zeugin G. und die bei der Durchsuchung am 7. Mai 2013 aufgefundenen Beweismittel erneut einen Durchsuchungsbeschluss erlassen. Dem Aspekt eines möglichen hypothetisch rechtmäßigen Ermittlungsverlaufs … kommt bei - wie hier - grober Verkennung des Richtervorbehalts ohnehin keine Bedeutung … Hier kommt hinzu, dass es eine verbindliche und abschließende richterliche Entscheidung gibt, ohne Aktenvorlage die beantragte Maßnahme abzulehnen. Die ist von der Staatsanwaltschaft zu respektieren und verbietet den Rückgriff auf einen „hypothetischen“ anderen Ermittlungsrichter, der dem Antrag stattgegeben hätte.“
Das erstinstanzliche Urteil war von daher aufzuheben.