Der in § 24 StGB geregelte Rücktritt ist ein persönlicher Strafaufhebungsgrund, den Sie in der Klausur für jeden Täter gesondert prüfen müssen. Abs. 1 regelt die Voraussetzungen des Rücktritts bei einem Alleintäter, worunter auch der mittelbare Täter fällt, es sei denn, es handelt sich um die Konstellation des „Täters hinter dem Täter“. Abs. 2 befasst sich mit dem Rücktritt mehrerer Tatbeteiligter, also auch dem Rücktritt bei der Mittäterschaft
I. Rücktritt nach außertatbestandlicher Zielerreichung
Als erste Voraussetzung prüfen Sie nach gängigem Aufbauschema, ob ein Rücktritt überhaupt möglich ist. Das wird bei einem fehlgeschlagenen Versuch verneint und ist streitig bei einer außertatbestandlichen Zielerreichung.
Folgender Sachverhalt lag der Entscheidung des BGH (JuS 2022, 978) zugrunde:
A misshandelte bereits seit längerer Zeit seine Ehefrau E. Dieser gelang es schließlich mit Hilfe Ihrer Freundin F, sich von A zu trennen und in ein Frauenhaus zu ziehen. Als A am Tattag E und F an einer Bushaltestelle stehen sah, forderte er E erneut vehement auf, zu ihm zurückzukehren, was E aber mit Unterstützung der F, die sich zwischen A und E stellte, deutlich zurückwies. Daraufhin verließ A den Bereich der Bushaltestelle, was beide Frauen zu der Überzeugung gelangen ließ, A habe die Entscheidung akzeptiert. A jedoch, der die Zurückweisung als persönliche Beleidigung empfand, fasste nun den Entschluss, E zu töten. Daraufhin kehrte er – von den Frauen unbemerkt - mit einem Messer zur Bushaltestelle zurück. Davon ausgehend, dass er zunächst die seine Ehefrau beschützende F „aus dem Weg räumen“ müsse, trat er von hinten an F heran und zog ihr das Messer über den Hals, wobei er ihren Tod billigend in Kauf nahm. F gelang es jedoch, ihre Handtasche hochzuziehen, sodass sie nur leichte Schnittverletzungen erlitt. Geschockt verließ sie aber zunächst den unmittelbaren Bereich der Bushaltestelle. A stellte daraufhin seinem eigentlichen Ziel, der E nach, die versuchte zu fliehen. Er brachte sie zu Boden und stach mehrfach auf sie ein. Als er glaubte, sie tödlich verletzt zu haben, verließ er den Tatort. E überlebte aufgrund umgehend eingeleiteter Rettungsmaßnahmen.
A hat sich zunächst wegen versuchtem Mord aus niedrigen Beweggründen an E gem. §§ 211, 212, 22, 23 StGB in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung gem. §§ 224 I Nr. 2 und 5 StGB strafbar gemacht. Ein Rücktritt vom versuchten Mord kommt nicht in Betracht, da A nach der letzten Ausführungshandlung davon ausging, er habe alles Erforderliche zur Herbeiführung des Erfolgs getan.
Auch hinsichtlich F hat sich A wegen gefährlicher Körperverletzung strafbar gemacht. Auch ein versuchter heimtückischer Mord in Ermöglichungsabsicht liegt vor. Fraglich ist allerdings, ob A nicht hiervon gem. § 24 I 1, Alt. 1 StGB zurückgetreten ist.
Voraussetzung dafür ist, dass ein Rücktritt noch möglich ist. Der BGH (a.a.O.) hat zunächst geprüft, ob nicht ein fehlgeschlagener und damit nicht mehr rücktrittsfähiger Versuch angenommen werden muss und führt dazu aus:
„Fehlgeschlagen ist ein Versuch, wenn die Tat nach Misslingen des zunächst vorgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder anderen naheliegenden Mitteln objektiv nicht mehr vollendet werden kann, ohne dass eine ganz neue Handlungs- und Kausalkette in Gang gesetzt werden muss, und der Täter dies erkennt oder wenn er subjektiv die Vollendung nicht mehr für möglich hält. .... Hieran gemessen war der Versuch nicht fehlgeschlagen .... Der Angeklagte hätte der Nebenklägerin M. mithin, wie ihm angesichts der festgestellten Wahrnehmung aller Ereignisse auch bewusst war, nachsetzen, weiter auf sie einwirken und sie nach wie vor töten können.... Zwar hätte er nach seinem Vorstellungsbild, auf das es insofern ankommt, … dann sein primäres Handlungsziel, die Tötung seiner Ehefrau, nicht mehr erreichen können, so dass er sich entscheiden musste. … Rein tatsächlich aber hätte er, wenn auch unter Aufgabe seines eigentlichen Tatziels, nach seinem Vorstellungsbild nach wie vor die Nebenklägerin M. töten können. Er entschied sich indes, nicht der Nebenklägerin M. nachzusetzen, sondern sich stattdessen seiner Ehefrau zuzuwenden, weil es ihm in der konkreten Situation darauf ankam, sein eigentliches Tatziel zu erreichen. …. Damit aber war die versuchte Tötung der Nebenklägerin M. nicht fehlgeschlagen. Zudem gab der Angeklagte seinen Versuch, die Nebenklägerin M. zu töten, freiwillig im Sinne des § 24 Abs. 1 StGB auf, denn es handelte sich um eine autonome Entscheidung, dem ursprünglichen und eigentlichen Tatziel Vorrang zu geben“
Dann befasst sich der BGH (a.a.O.) mit dem Thema der „außertatbestandlichen Zielerreichung“ und danach gefragt, ob ein Rücktritt nicht deswegen ausgeschlossen ist, weil eine Erfolgsherbeiführung für den Täter sinnlos geworden ist. Mit folgenden Ausführungen bestätigt er seine bisherige Rechtsprechung:
„Der rechtlichen Beurteilung des Agierens des Angeklagten als freiwilligen Rücktritt vom nicht fehlgeschlagenen Versuch steht diese von ihm erkannte Sinnlosigkeit einer Fortsetzung seines Angriffs auf die Nebenklägerin M. aber nicht entgegen … Die "außertatbestandliche Zielerreichung" und damit verbundene vom Täter erkannte Nutzlosigkeit der Tatfortsetzung führt weder zur Annahme eines fehlgeschlagenen Versuchs noch wird dadurch die Freiwilligkeit eines Rücktritts vom Versuch ausgeschlossen“
Für den BGH zählt nur der tatbestandliche Erfolg und der auf Herbeifügung gerichtete Wille. In der Literatur wird ein Rücktritt in diesen Fällen hingegeben zum großen Teil verneint, da ein Täter, der sein außertatbestandliches Ziel erreicht habe, kein Motiv mehr für eine Tötung habe, so dass auch zugleich sein Vorsatz im Hinblick auf die Tatvollendung entfalle. Um die Tat zu vollenden, müsse er erneut einen Vorsatz fassen. Da ein Rücktritt allerdings voraussetze, dass der Täter seinen bisherigen Vorsatz aufgebe, komme eine Strafbefreiung gem. § 24 nicht in Betracht (Jäger Strafrecht AT Rn. 318 m. w. N.; Roxin JZ 1993, 896.)
II. Rücktritt eines Mittäters im Vorbereitungsstadium
Ein Problem der besonderen Art ist der Rücktritt eines Mittäters im Vorbereitungsstadium. Sagt sich ein Mittäter noch im Vorbereitungsstadium von der Tat los, wird die Haupttat jedoch unter Fortwirkung seines bereits erbrachten Tatbeitrags vollendet, ist streitig, wie dieser Fall zu lösen ist. In der Literatur (Rengier JuS 2010, 281) wird unter Hinweis auf das Koinzidenzprinzip (im Tatentschluss sofern es ein Versuch ist) bereits der gemeinsame Tatplan zum Zeitpunkt des unmittelbaren Ansetzens verneint (näheres dazu finden Sie in der JURACADEMY im Kurs Strafrecht AT II beim Kapitel „Rücktritt“ / Thema „Mittäterschaft“)
Der BGH (NStZ 2022, 605) stellt bei mittäterschaftlich begangenen Vorbereitungshandlungen auf den im Vorfeld gefassten Tatplan ab und fragt dann im Rahmen des § 24 II StGB danach, ob die Voraussetzungen des Rücktritts bei mehreren Tatbeteiligten vorliegen. Er führt dazu folgendes aus:
„Wegen Beteiligung an einer Straftat kann sich auch derjenige als Mittäter (§ 25 Abs. 2 StGB) oder Teilnehmer (§ 26 ff. StGB) strafbar machen, der lediglich im Vorbereitungsstadium der Tat einen Tatbeitrag leistet, wenn die Tat entsprechend des gemeinsam gefassten Tatplans begangen wird. Bei einer Beteiligung mehrerer an der Tat, kann durch die Aufgabe von Vorbereitungshandlungen eine Bestrafung wegen Beteiligung an der (versuchten oder vollendeten) Tat allenfalls dann vermieden werden, wenn bis zu diesem Zeitpunkt noch kein fortwirkender oder noch wirksam werdender Tatbeitrag erbracht ist … Hat ein Angeklagter dagegen auf der Grundlage gemeinsamen Wollens die Tatbestandsverwirklichung fördernde Vorbereitungs- und Unterstützungshandlungen erbracht, hat er insbesondere den in der Mitverabredung der Tat liegenden psychischen, die Tatgenossen bestärkenden Tatbeitrag geleistet, verlieren diese Tatbeiträge nicht dadurch ihre Bedeutung, dass er sich noch im Stadium der Vorbereitung entschließt, an der tatbestandsmäßigen Ausführungshandlung nun doch nicht teilzunehmen. Das innere Lossagen eines Tatbeteiligten von der Tat ist wirkungslos. Wird die Tat vollendet, ist er infolgedessen an der vollendeten Tat beteiligt …. wird sie nur versucht, ist er an der versuchten Tat beteiligt“
III. Rücktritt durch Unterlassen bei § 24 II 1 StGB
Bei § 24 II StGB kommt es ohne Rücksicht darauf, ob ein unbeendeter oder beendeter Versuch vorliegt, allein darauf an, ob der Beteiligte die Tatvollendung verhindert hat. Eine solche Verhinderung kann in einem Unterlassen des geplanten Tatbeitrags liegen, wenn der Beteiligte davon ausgeht, die anderen Tatbeteiligten würden die Tatausführung ohne seinen Beitrag nicht fortsetzen.
Der Entscheidung des BGH (JuS 2022,980) lag folgender Sacherhalt zugrunde:
Der 16jährige B hatte beschlossen, seinen Lehrer L zu töten und hatte den 18jähringe A und den 17jähringen C dafür gewinnen können, ihm bei der Umsetzung seines Plans zu helfen. Entsprechend dem vorgefassten Plan täuschte C nun auf dem Schulhof sitzend einen allergischen Schock vor. A und C fingen L am Lehrerparkplatz ab und baten ihn um Hilfe für B. L eilte dem vermeintlich kranken B zu Hilfe und beugte sich über ihn. Der Plan sah nun vor, dass A und C in diesem Moment mit einem Hammer auf L einschlagen. A trug den Hammer hinten im Bund seiner Jogginghose, C in einer etwas abseits gestellten Umhängetasche. Als A den Lehrer über B gebeugt stehen sah, fasste er nun den Entschluss, den Plan nicht weiter zu verfolgen und ließ den Hammer in sein Hosenbein rutschen. C, der nicht ohne weiteres den Hammer aus seiner Tasche holen konnte, forderte A mehrfach durch Kopfnicken auf, als erster zuzuschlagen. Der Umstand, dass es für C schwierig war, auf den Hammer zuzugreifen, war A nicht bekannt. Da weder A noch C mit dem Hammer zuschlugen, wurde die Tat nicht vollendet.
Der BGH (a.a.O.) musste sich mit der Strafbarkeit des A befassen und hat sich zunächst gefragt, ob A überhaupt zum versuchten, gemeinschaftlich zu begehenden, heimtückischen Mordes gem. §§ 212, 211, 22 23 StGB unmittelbar angesetzt hat. Dies hat er mit folgender Begründung bejaht:
„Mittäter treten einheitlich in das Versuchsstadium ein, sobald auch nur einer von ihnen zu der tatbestandlichen Ausführungshandlung unmittelbar ansetzt ... Nach den allgemeinen Grundsätzen zur Abgrenzung von Vorbereitungshandlungen zum strafbaren Versuch liegt ein unmittelbares Ansetzen bei solchen Handlungen vor, die nach der Vorstellung des Täters in ungestörtem Fortgang unmittelbar zur Tatbestandserfüllung führen oder mit ihr in einem unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Täter subjektiv die Schwelle zum „Jetzt geht es los“ überschreitet, es eines weiteren Willensimpulses nicht mehr bedarf und er objektiv zur tatbestandsmäßigen Angriffshandlung ansetzt, so dass sein Tun ohne Zwischenakte in die Erfüllung des Tatbestandes übergeht, wobei auf die strukturellen Besonderheiten der jeweiligen Tatbestände Bedacht zu nehmen ist ... Nicht als Zwischenakte in diesem Sinne anzusehen sind Handlungen, die wegen ihrer notwendigen Zusammengehörigkeit mit der Tathandlung nach dem Plan des Täters als deren Bestandteil erscheinen, weil sie an diese zeitlich und räumlich angrenzen und mit ihr im Falle der Ausführung eine natürliche Einheit bilden; dies kann auch für ein notwendiges Mitwirken des Opfers gelten ... Maßgebliche Kriterien für die Beurteilung im Einzelfall sind u. a. die Dichte des Tatplans und der Grad der Rechtsgutsgefährdung.“
Danach stellt das „In-die-Falle-locken“ des L bereits das unmittelbare Ansetzen zum versuchten Mord dar. Dazu der BGH (a.a.O.):
„Der gemeinsame Tatplan richtete sich auf eine heimtückische Tötung. Die hierzu ersonnene Falle hatten die als Mittäter handelnden Angeklagten dem Nebenkläger vollständig und erfolgreich gestellt. Der Tatbegehung standen danach keine Hindernisse mehr entgegen. Vielmehr sollten dem Nebenkläger nach dessen Hinabbeugen die tödlichen Hammerschläge versetzt werden und das Tun der Angeklagten ohne weitere Zwischenakte in die Tatbestandsverwirklichung einmünden.“
Anschließend hat sich der BGH mit der Frage befasst, ob A durch das Unterlassen der geplanten Mitwirkungshandlung gem. § 24 II 1 StGB zurückgetreten sein könnte. Dies verneint er aufgrund der vom LG getroffenen Sachverhaltsfeststellungen mit folgender Begründung:
„§ 24 Abs. 2 Satz 1 StGB … verlangt … die bewusste Verhinderung der Tatvollendung. Dabei bestehen grundsätzlich die gleichen Anforderungen wie beim Alleintäter, so dass insbesondere das Verhalten des Zurücktretenden für das Ausbleiben der Vollendung zumindest mitursächlich werden muss... Kann einer von mehreren Tatbeteiligten den noch möglichen Eintritt des Taterfolgs allein dadurch vereiteln, dass er seinen vorgesehenen Tatbeitrag nicht erbringt oder nicht fortführt, so verhindert bereits seine Untätigkeit oder sein Nichtweiterhandeln die Tatvollendung. Ist dem Beteiligten dies im Zeitpunkt der Verweigerung oder des Abbruchs seiner Tatbeteiligung bekannt und handelt er dabei freiwillig, liegen damit die Voraussetzungen für einen Rücktritt nach § 24 Abs. 2 Satz 1 StGB vor..... Ein solcher Rücktritt eines Tatbeteiligten durch schlichtes Unterlassen kommt in Betracht, wenn nach seiner Vorstellung ohne ihn der verabredete Plan nicht zu verwirklichen ist, etwa wenn nur er über die erforderlichen Tatwerkzeuge oder Fertigkeiten verfügt.....Gleiches gilt, wenn ein Beteiligter seinen Tatbeitrag in der begründeten Überzeugung verweigert, die anderen Tatbeteiligten würden die Tat allein aufgrund seiner Untätigkeit nicht weiter durchführen....Geht der Tatbeteiligte hingegen von der Gefahr der Tatvollendung durch den oder die Mittäter aus, bedarf der Rücktritt wie beim beendeten Versuch des Einzeltäters eines auf die Erfolgsabwendung gerichteten aktiven Tuns ...Darüber hinaus kann ein Rücktritt aller Tatbeteiligten zu bejahen sein, wenn sie im Falle eines unbeendeten Versuchs einvernehmlich nicht mehr weiterhandeln, obwohl sie den Taterfolg noch herbeiführen könnten ...Maßgeblich ist in allen Fällen die subjektive Sicht des Täters nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung
Der BGH weist nun darauf hin, dass das LG keine hinreichenden Feststellungen zum Vorstellungsbild des A getroffen habe. Aus den Urteilsgründen lasse sich vor allem nicht entnehmen, ob A das Unterlassen seiner Mitwirkung als geeignet und ausreichend dafür ansah, die Gesamttat scheitern zu lassen.
„Dass sein Mittäter … die Tasche mit dem Hammer abgestellt hatte und diesen nicht mehr zugriffsbereit bei sich führte, war von ihm nach den Feststellungen gerade nicht bemerkt worden. Stattdessen legen die Urteilsgründe – trotz des an ihn gerichteten Kopfnickens – nahe, dass der Angeklagte die Tatvollendung durch seinen Mittäter weiterhin für möglich hielt und von der Gefahr ausging, …(er) könne den Hammer jederzeit hervorziehen und auf den Nebenkläger entsprechend dem Tatplan einschlagen….
Den Urteilsgründen ist auch kein einvernehmlicher Rücktritt des Angeklagten und seines Mittäters zu entnehmen. Der Umstand, dass der Angeklagte und So. (=C) nach dem Scheitern des ursprünglichen Tatplans mit dem Wiederaufrichten des Nebenklägers den Eintritt des Taterfolgs nicht mehr aktiv weiterverfolgten, reicht dafür nicht aus. Denn ein freiwillig erzieltes (konkludentes) Einvernehmen beider, die ihnen noch mögliche Tat nicht weiter auszuführen, ist weder festgestellt noch belegt. Stattdessen legen die Urteilsgründe nahe, dass der Angeklagte – zumal mit Blick auf das Verhalten des Nebenklägers – den Versuch bereits für fehlgeschlagen hielt“
Ein Rücktritt des A kommt damit nicht in Betracht.