A. Die Haftzelle als „Wohnraum“ gem. § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB
Der Begriff der Wohnung taucht an unterschiedlichen Stellen im StGB auf. So unterscheidet § 244 in Abs. 1 Nr. 3. und Abs. 4 zwischen der „Wohnung“ und der „dauerhaft privat genutzten Wohnung“. In § 123 StGB wird das Hausrecht u.a. des Wohnungsinhabers geschützt. § 306a Abs. 1 StGB spricht nun von einer „Räumlichkeit, die der Wohnung von Menschen dient“.
In allen Fällen geht es um Räumlichkeiten, die vorübergehend oder dauerhaft einen Lebensmittelpunkt darstellen.
Insofern hat das LG Ravensburg (NStZ 2023, 501) einen Täter wegen versuchter schwerer Brandstiftung gem. §§ 306a Abs. 1 Nr. 1, 22, 23 StGB verurteilt, der in seiner Haftzelle Einrichtungsgegenstände in Brand gesetzt hatte. Entgegen seinen Erwartungen uferte das Feuer aber nicht aus, sondern wurde durch das Eingreifen der Justizvollzugsbeamten schnell gelöscht. Es entstanden Rußspuren an den Wänden und Schäden an der Türe und einem Fensterflügel. Die Zelle hätte nach dem Reinigen und dem Austausch des Fensterflügels wieder benutzt werden können. Tatsächlich dauerte die Instandsetzung aber fast 2 Monate aufgrund der sowieso geplanten Umbaumaßnahmen in der JVA.
Die Zelle sah das Landgericht als Räumlichkeit an, die der Wohnung von Menschen dient. Es hat dazu folgendes ausgeführt:
„Die Haftzelle ist als ein Wohnraum iSd Vorschrift des § 306 a Abs. 1 Nr. 1 StGB anzusehen. Die Zelle eines Inhaftierten ist als selbständige Wohneinheit im Rahmen eines Hauses mit mehreren Einheiten zu qualifizieren. Die Zelle ist für die Zeit des JVA-Aufenthaltes des Inhaftierten sein Lebensmittelpunkt. Es handelt sich um den einzigen Raum, der ihm zur persönlichen Nutzung und zur privaten Lebensführung – natürlich im beschränkten Rahmen einer JVA – zur Verfügung steht. Er bewahrt dort die ihm zugestandenen Besitztümer auf, hält sich dort einen Großteil des Tages auf (bis zu 23 Stunden); es stehen Sanitäreinrichtungen zur Verfügung, teilweise wird dort auch das Essen konsumiert, nicht zuletzt schläft er dort. Dem steht auch der erzwungene und mit erheblichen Einschränkungen verbundene Aufenthalt in der JVA nicht entgegen.“
Als Tathandlung verlangt § 306a StGB, dass der Täter das Objekt in Brand setzt oder durch Brandlegung ganz oder teilweise zerstört. Auch wenn Wände, Fenster und Türen beeinträchtigt wurden, konnte das LG doch keine vollendete Brandstiftung feststellen. Es führt dazu aus:
„Der Tatbestand verlangt weiterhin eine mindestens teilweise Zerstörung der Räumlichkeit. Diese ist vorliegend nicht gegeben. Zwar konnten Schäden an der Türe festgestellt werden, auch waren Rauchspuren in den jeweiligen Wanddecken zu sehen, mehr aber nicht. Die Unbrauchbarkeit des Wohnraumes wurde mit max. 1 – 2 Monaten angegeben. Zwar reicht für das Merkmal des teilweisen Zerstörens, dass ein zum Wohnen bestimmter selbständiger Teil eines Gebäudes durch die Brandlegung für Wohnzwecke unbrauchbar geworden ist, was zum Beispiel auch bezüglich einer Unbenutzbarkeit einer Wohnung durch eine starke Verrußung gegeben sein kann. Dies liegt jedoch vorliegend noch nicht vor; die Zelle hätte nach der Reinigung und dem Ersetzen des Fensterflügels ohne weiteres wieder benutzt werden können. Dass dies nicht geschah, hatte nichts mit der Brandlegung zu tun, sondern mit den Umbaumaßnahmen in der JVA (vgl. dazu Fischer, StGB, aaO, § 306 a Rdnr. 8 a). Eine Vollendung ist mithin nicht eingetreten.“
Das Inbrandsetzen des Mobiliars ist aber als unmittelbares Ansetzen zu werden, weswegen eine Strafbarkeit wegen versuch angenommen werden kann.
B. Die konkrete Gefahr bei § 315c Abs. 1 Nr. 1 StGB und der „andere“ bei § 315d Abs. 2 und 5 StGB
Immer und immer wieder müssen sich die Gerichte mit „Rasern“ und den tödlichen Folgen der Raserei befassen. Seit der Einführung des § 315d StGB steht den Gerichten nun die Möglichkeit offen, über Abs. 5 eine Haftstrafe von bis zu 10 Jahren zu verhängen. Auch kann gem. § 69 StGB die Fahrerlaubnis entzogen und über § 315f StGB das Kraftfahrzeug eingezogen werden. Vor diesem Hintergrund sind die Verurteilungen gem. § 211 StGB selten geworden. Problematisch bei diesen Verurteilungen war stets die Bejahung des dolus eventualis in Abgrenzung zur bewussten Fahrlässigkeit.
Der BGH (Beschluss vom 26.10.2022, abgedruckt in NStZ 2023, 499) musste sich mit folgendem Sachverhalt befassen:
A fuhr im Winter bei Temperaturen kurz über dem Gefrierpunkt gegen 22.30 Uhr über eine Strecke von 1,7 Kilometern auf der regennassen Fahrbahn mit 150 km/h, obwohl nur 50 km/h bzw. abschnittsweise nur 30 km/h zulässig waren. Er wollte seinen 3 Beifahrern imponieren und seine Fahrkünste sowie die Beschleunigungskraft seines Fahrzeuges unter Beweis stellen. Dabei wechselte er mehrfach die Spur, ohne den Blinker zu setzen und fuhr an unübersichtlichen Stellen zu schnell. Die überholten Autofahrer erschraken, weil die Scheiben beim Überholen wackelten und sie nach dem Überholvorgang aufgrund des aufspritzenden Wassers kurzfristig nichts mehr sahen. Schließlich berührte A mit dem Vorderrad seines Fahrzeugs die Bordsteinkante und verlor die Kontrolle über sein Fahrzeug. Der Wagen kam von der Fahrbahn ab und kollidierte mit einem Baum. Die im Auto mitfahrenden Beifahrer erlitten tödliche Verletzungen, A wurde nur leicht verletzt.
In Betracht kommt eine Strafbarkeit gem. § 315d Abs. 1 Nr. 3 und 5 StGB wegen verbotenem Kraftfahrzeugrennen mit Todesfolge.
Durch das Fahren mit 3 bis 5fach überhöhter Geschwindigkeit hat sich A als Kraftfahrzeugführer mit nicht angepasster Geschwindigkeit und grob verkehrswidrig und rücksichtslos fortbewegt. Dabei hatte er die Absicht, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Diese wird situativ anhand der örtlichen Gegebenheiten und der technischen Möglichkeiten des Autos bestimmt.
Aufgrund des Umstands, dass die 3 Beifahrer zu Tode gekommen sind, liegen auch die Voraussetzungen der Erfolgsqualifikation gem. Abs. 5 vor. Gem. § 18 StGB muss der Täter nur fahrlässig handeln, d.h. er muss die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lassen bei objektiver Vorhersehbarkeit des tatbestandlichen Erfolgs.
Da die Vorschrift erst 2017 in Kraft getreten ist, nutzt der BGH jede Möglichkeit, die tatbestandlichen Voraussetzungen zu definieren. Aus diesem Grund macht er sich vorliegend Gedanken über den „anderen“ Menschen bei Abs. 5 und Abs. 2. Er führt dazu folgendes aus:
„Der Erörterung bedarf lediglich das Folgende: Dass es sich bei den gefährdeten und getöteten Personen um Mitinsassen des Tatfahrzeugs handelte, steht der Anwendung dieser Qualifikationstatbestände nicht entgegen. Die diesbezügliche Rechtsprechung des Senats zum persönlichen Schutzbereich des § 315c Abs. 1 … gilt auch für § 315d Abs. 2 und 5 StGB. Andere Menschen im Sinne dieser Vorschriften sind auch die Insassen des Fahrzeugs, das der Täter führt, jedenfalls wenn es sich – wofür hier keine Anhaltspunkte bestehen – bei ihnen nicht um Tatbeteiligte im Sinne von § 28 Abs. 2 StGB handelt … Der Gesetzgeber hat mit der Verwendung der Begrifflichkeiten des § 315c Abs. 1 StGB in § 315d Abs. 2 StGB ausdrücklich auf deren Auslegung durch Rechtsprechung und Literatur zurückgegriffen … Durch die Normierung der in § 315d Abs. 1 StGB beschriebenen Tathandlungen sollten Strafbarkeitslücken geschlossen werden, die dadurch entstanden waren, dass die Beteiligung an einem verbotenen Kraftfahrzeugrennen bislang nur als Ordnungswidrigkeit ausgestaltet war (vgl. § 29 Abs. 1, § 49 Abs. 2 Nr. 5 StVO aF). Für eine restriktive Auslegung von § 315d Abs. 2 und 5 StGB im Vergleich zu § 315c Abs. 1 StGB ist daher unter Berücksichtigung des Schutzzwecks der Norm kein Raum.“
Darüber hinaus könnte sich A wegen Gefährdung des Straßenverkehrs gem. § 315c Abs. 1 Nr. 2 b und d StGB strafbar gemacht haben. Zwar hat er mehrfach falsch überholt und ist auch an unübersichtlichen Stellen zu schnell gefahren. Problematisch erscheint indes, ob diese Verstöße zu einer konkreten Gefahr geführt haben.
Dazu der BGH wie folgt:
„§ 315c Abs. 1 StGB setzt in allen Tatvarianten eine konkrete Gefährdung von Leib oder Leben eines anderen oder fremder Sachen von bedeutendem Wert voraus. Dies ist nach gefestigter Rechtsprechung der Fall, wenn die Tathandlung über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus in eine kritische Situation geführt hat, in der – was nach allgemeiner Lebenserfahrung auf Grund einer objektiv nachträglichen Prognose zu beurteilen ist – die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache so stark beeinträchtigt wurde, dass es nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht. Erforderlich ist die Feststellung eines „Beinahe-Unfalls“, also eines Geschehens, bei dem ein unbeteiligter Beobachter zu der Einschätzung gelangt, es sei „noch einmal gut gegangen… Für die Annahme einer konkreten Gefahr genügt es daher nicht, dass sich Menschen oder Sachen in enger räumlicher Nähe zum Täterfahrzeug befunden haben. Umgekehrt wird die Annahme einer Gefahr aber auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass ein Schaden ausgeblieben ist, weil sich der Gefährdete – etwa aufgrund überdurchschnittlich guter Reaktion – noch zu retten ….
Gemessen hieran fehlt es in Bezug auf die Verkehrsverstöße des Angeklagten im ersten Streckenabschnitt – dem mehrfachen falschen Überholen im Sinne von § 315c Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe b) StGB und dem zu schnellen Fahren an unübersichtlichen Stellen im Sinne von § 315c Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe d) StGB – an Feststellungen, die einen „Beinahe-Unfall“ belegen. Die von den Zeugen geschilderten Wahrnehmungen einer Vibration der Windschutzscheibe oder von aufwirbelndem Spritzwasser und die dadurch bei ihnen ausgelösten Reaktionen eines Erschreckens reichen für die Annahme eines „Beinahe-Unfalls“ nicht aus. Weitere Einzelheiten zu Geschwindigkeiten und Abständen – zumindest von deren Einschätzungen aus Sicht der Zeugen – ergeben sich aus den Urteilsgründen auch nicht in ihrem Gesamtzusammenhang. Diese erschöpfen sich vielmehr in der Wiedergabe der tatrichterlichen Wertung, dass es zu einer Gefährdung der Insassen des vom Angeklagten geführten Fahrzeugs und anderer, in dessen Umfeld befindlichen Verkehrsteilnehmern und ihrer Fahrzeuge gekommen sei, die deutlich über die abstrakte Möglichkeit eines Schadenseintritts hinausging, ohne dass dies durch die Schilderung konkreter Verkehrssituationen belegt wird.“
Hinweis
Beachten Sie, dass Sie nicht auf den Unfall abstellen können, weil dieser nicht aus einem Verstoß gegen § 315s Abs. 1 Nr. 2 StGB resultierte (Unmittelbarkeitszusammenhang!). Weder das fehlerhafte Überholen noch das zu schnelle Fahren an unübersichtlichen Stellen führte zu dieser konkreten Gefahr.