A. Der niedrige Beweggrund als Mordmerkmal der 1. Gruppe
Expertentipp
Bei der Bejahung dieses Mordmerkmals sollten Sie sich in einer Klausur darüber im Klaren sein, dass jede Tötung verwerflich ist, da sich alle Probleme grundsätzlich friedfertig lösen lassen. Damit ein Totschlag gem. § 212 StGB zum Mord gem. § 211 StGB wird, muss also eine erheblich gesteigerte Verwerflichkeit bejaht und von Ihnen überzeugend argumentiert werden können.
Der niedrige Beweggrund wird ist das „Auffangmerkmal“ zu den in der Norm davor genannten spezielleren Mordmerkmalen der Mordlust, der Befriedigung des Geschlechtstriebs und der Habgier, die im Wesentlichen geprägt sind durch hemmungslose Eigensucht und Rücksichtslosigkeit gegenüber den Interessen des Opfers.
Gemeinhin wird ein Beweggrund dann als niedrig angesehen, wenn er nach allgemeiner sittlicher Würdigung auf tiefster Stufe steht und deshalb besonders verachtenswert ist (BGH NStZ 2023, 231). Wann das der Fall ist, muss in jedem Einzelfall dargelegt werden.
Einer aktuellen Entscheidung (BGH 5 StR 479/22, NStZ 2023, 231) lag wie so häufig ein Sachverhalt zugrunde, wonach das weibliche Opfer den männlichen Täter zurückgewiesen hatte und dieser die Beendigung der Beziehung nicht akzeptieren wollte. Er stach mehrmals mit einem Messer auf das Opfer ein, welches jedoch schwer verletzt überlebte.
Dem Landgericht, welches unter Verweis auf die persönliche Beziehung zwischen Täter und Opfer den niedrigen Beweggrund verneint hat, hat der BGH (a.a.O.) folgendes entgegengehalten:
„Ergibt sich das Tötungsmotiv aus einer Trennung vom Ehe-, Lebens- oder Intimpartner, kann für einen niedrigen Beweggrund sprechen, dass der Täter dem anderen Teil aus übersteigertem Besitzdenken das Lebensrecht abspricht…., den berechtigten Wunsch nach einem selbstbestimmten Leben bestrafen will …. oder dass er handelt, weil er die Trennung nicht akzeptiert und eifersüchtig ist … Gegen das Vorliegen eines niedrigen Beweggrundes kann dagegensprechen, dass die Trennung zu tatbestimmenden und tatauslösenden Gefühlen der Verzweiflung und inneren Ausweglosigkeit geführt hat ... Zu bedenken kann dabei auch sein, dass nicht selten – wie auch hier – der Täter die Trennung selbst maßgeblich zu verantworten hat….
Der Umstand, dass die Trennung vom Tatopfer ausgegangen ist, stellt für sich gesehen kein gegen die Annahme niedriger Beweggründe sprechendes Indiz dar. Mit dem Menschenbild des Grundgesetzes und den Werten des durchweg auf Selbstbestimmung, Gleichberechtigung und gegenseitige personelle Achtung angelegten deutschen Rechts … ist es aus Sicht des Senats unvereinbar, der legitimen Inanspruchnahme des Rechts auf ein selbstbestimmtes Leben eine derartige Relevanz für die sozialethische Bewertung des Tötungsmotivs zuzusprechen.“
B. Das gemeingefährliche Mittel als Mordmerkmal der 2. Gruppe
Die Tötung mit einem gemeingefährlichen Mittel muss in einer Klausur von einer reinen Mehrfachtötung abgegrenzt werden.
Eine Mehrfachtötung liegt in der Regel dann vor, wenn sich der Täter mit Tötungsabsicht zwar gegen eine Mehrzahl von ihm individualisierter Opfer richtet aber darüber hinaus keine Zufallsopfer in Kauf nimmt (BGH NStZ 2023, 288) so z.B., wenn ein Täter auf eine Gruppe von 4 Personen zufährt, um diese zu töten.
Lenkt ein Täter sein Auto hingegen in eine Menschenmenge, um eine möglichst große Zahl von nicht individualisierten Menschen zu verletzen und zu töten, dann kann ein gemeingefährliches Mittel angenommen werden. Dazu führt der BGH (4 StR 192/22, NStZ 2023, 288) folgendes aus:
„Das Mordmerkmal der Tötung mit einem gemeingefährlichen Mittel ist hingegen erfüllt, wenn der Täter ein Tötungsmittel einsetzt, das in der konkreten Tatsituation eine unbestimmte Mehrzahl von Menschen an Leib und Leben gefährden kann, weil er die Ausdehnung der Gefahr nicht in seiner Gewalt hat. Dabei ist nicht allein auf die abstrakte Gefährlichkeit eines Mittels abzustellen, sondern auf seine Eignung und Wirkung in der konkreten Situation unter Berücksichtigung der persönlichen Fähigkeiten und Absichten des Täters.“
C. Die Heimtücke als Mordmerkmal der 2. Gruppe
Die vom BVerfG vorgegebene restriktive Auslegung der Mordmerkmal führt vor allem bei der Heimtücke dazu, dass der Täter ein „Ausnutzungsbewusstsein“ haben muss. Das Opfer darf also nicht zufällig arg- und wehrlos sein.
Der BGH (4 StR 403/20, NStZ 2023, 232) musste sich mit folgendem Sachverhalt befassen:
Der verzweifelte und stark alkoholisierte A (Bak Wert zwischen 1,8 und 2,6 Promille), der sich bereits zuvor Gedanken über einen Suizid gemacht hatte, beschloss am Tattag spontan, sich nun das Leben zu nehmen. Zu diesem Zweck beschleunigte er sein Fahrzeug weiter auf eine Geschwindigkeit von mindestens 120 km/h bei erlaubten 100 km/h und fuhr auf die spätere Unfallkreuzung mit einer – wie ihm bekannt war – vorfahrtsberechtigten Straße zu. Wegen dichten Bewuchses am Straßenrand war es ihm nicht möglich, von rechts in den Kreuzungsbereich einfahrende vorfahrtsberechtigte Fahrzeuge rechtzeitig wahrzunehmen und sein Fahrzeug gegebenenfalls abzubremsen, was er aufgrund seines Suizidentschlusses ohnehin nicht vorhatte. A hielt zumindest für möglich, dass es im Kreuzungsbereich zu einer Kollision mit einem anderen Fahrzeug kommen und Insassen desselben hierdurch zu Tode kommen könnten, was ihm gleichgültig war. Tatsächlich prallte das Fahrzeug des Angekl. ungebremst mit einer Geschwindigkeit von 120 km/h im rechten Winkel auf ein aus einem Kleintransporter und Anhänger bestehendes vorfahrtsberechtigtes Fahrzeuggespann der F. In der Folge wurde der Kleintransporter gegen eine Holzhütte geschleudert, F erlitt Prellungen und Schnittwunden.
Das Landgericht hat das Mordmerkmal der Heimtücke verneint. Diese Entscheidung hat der BGH bestätigt. Er führt dazu folgendes aus:
„Eine Verurteilung wegen eines Heimtückemordes setzt neben dem – vom LG bejahten – objektiven Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers ein subjektives Element in Gestalt eines Ausnutzungsbewusstseins voraus. Hierfür genügt es, dass der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit in ihrer Bedeutung für die hilflose Lage des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfasst, dass er sich bewusst ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen … An diesem Bewusstsein kann es bei affektiven Durchbrüchen oder sonstigen heftigen Gemütsbewegungen allerdings fehlen ... Wenn auch nicht jeder dieser Zustände einen Täter daran hindert, die Bedeutung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers für die Tatbegehung zu erkennen, so kann doch insbesondere die Spontaneität des Tatentschlusses im Zusammenhang mit der Vorgeschichte der Tat und dem psychischen Zustand des Täters ein Beweisanzeichen dafür sein, dass er ohne das erforderliche Ausnutzungsbewusstsein gehandelt hat …Hierbei handelt es sich um eine vom Tatgericht zu bewertende Tatfrage, die vom Revisionsgericht nur eingeschränkt beurteilt werden kann.“
Expertentipp
Da das Ausnutzungsbewusstsein ein subjektives Merkmal, die Heimtücke aber ein objektives Mordmerkmal ist, sollten Sie die Voraussetzungen getrennt prüfen und im objektiven Tatbestand feststellen, dass jedenfalls die objektiven Voraussetzungen des Mordmerkmals erfüllt sind und die finale Festlegung dann im subjektiven Tatbestand treffen. Umfangreiche Ausführungen zu diesem Thema nebst zahlreichen Videos finden Sie wie immer in den Kursen der JURACADEMY, hier in dem Kurs Strafrecht BT I sowie dem SR Komplettpaket.