A. BVerfG, Beschluss v. 10.12.2024, Az. 2 BvE 15/23 Unterschriftenquoren für Zulassung zu Wahlen verfassungsgemäß
I. Sachverhalt
Kleinere Parteien, die nicht durchgehend mit mindestens fünf Abgeordneten im Bundestag oder einem Landtag vertreten sind, müssen ihre Wahlbeteiligung beim Bundeswahlleiter anmelden und Unterstützungsunterschriften sammeln. Kreiswahlvorschläge erfordern 200 Unterschriften, Landeslisten bis zu 2.000. Parteien nationaler Minderheiten sind von dieser Pflicht befreit (vgl. § 20 Abs. 2 Satz 3, § 27 Abs. 1 Satz 2, jeweils in Verbindung mit § 18 Abs. 2 BWahlG).
Durch die Wahlrechtsreform 2023 wurde zudem festgelegt, dass Parteien Kreiswahlvorschläge nur noch einreichen können, wenn sie auch eine Landesliste vorlegen. Eine Partei, die nur im Europaparlament vertreten ist, klagt – gestützt auf Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG - gegen die Beibehaltung der Unterschriftenpflicht und beantragt eine vorläufige Absenkung der Quoren.
II. Entscheidung
Das Bundesverfassungsgericht sieht in der Beibehaltung der Unterschriftenpflicht für Wahlvorschläge keine Verletzung der Rechte der klagenden Partei. Die Organklage ist zwar zulässig, aber unbegründet, da die Regelung verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist.
Die Unterschriftenpflicht dient dazu, die Wahl als Integrationsprozess zu sichern und die Zahl aussichtsloser Wahlvorschläge zu begrenzen. Sie stellt eine legitime Hürde dar, um Parteien mit ernsthaften Erfolgschancen zu bevorzugen. Auch die Höhe der Quoren ist verfassungskonform und nicht übermäßig erschwerend.
Die Ausnahme für Parteien nationaler Minderheiten und bereits im Bundestag oder in Landtagen vertretene Parteien ist ebenfalls zulässig. Eine Gleichstellung von im Europaparlament vertretenen Parteien ist nicht erforderlich.
Das Wahlrechtsänderungsgesetz 2023 hat keinen Änderungsbedarf geschaffen. Die Pflicht zu Unterstützungsunterschriften bleibt bestehen, da sie weiterhin eine sinnvolle Funktion erfüllt. Der Antrag auf einstweilige Anordnung wird damit hinfällig.
B. BVerfG, Urteil v. 26.11.2024, Az.- 1 BvL 1/24 -Krankenhausvorbehalt bei ärztlichen Zwangsmaßnahmen teilweise verfassungswidrig
I. Sachverhalt
Ein Betreuer kann in eine ärztliche Zwangsmaßnahme einwilligen, wenn der Betreute die Behandlung ablehnt. Diese Einwilligung bedarf der Genehmigung des Betreuungsgerichts und ist an eine stationäre Behandlung im Krankenhaus gebunden.
Das Bundesverfassungsgericht stellte 2016 fest, dass eine gesetzliche Regelung für Zwangsbehandlungen notwendig ist, um unter Betreuung stehende Menschen zu schützen. Daraufhin wurde § 1906a BGB eingeführt, der Zwangsmaßnahmen an einen Krankenhausaufenthalt knüpft.
Im Ausgangsfall wehrt sich eine psychisch erkrankte Betroffene gegen die Versagung der Zwangsbehandlung in ihrem Wohnverbund statt im Krankenhaus. Der Bundesgerichtshof hat das Verfahren ausgesetzt und das Bundesverfassungsgericht um Klärung gebeten, ob diese Vorgabe mit der Schutzpflicht des Staates vereinbar ist.
II. Entscheidung
Der Senat entschied mit 5:3 Stimmen: Die ausnahmslose Vorgabe, ärztliche Zwangsmaßnahmen nur in einem Krankenhaus durchzuführen, ist teilweise verfassungswidrig. Sie greift in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) ein und ist unverhältnismäßig, wenn Betroffene durch den Krankenhausaufenthalt erhebliche gesundheitliche Beeinträchtigungen erleiden könnten, die in ihrer gewohnten Einrichtung vermeidbar wären.
Zwar verfolgt die Regelung legitime Zwecke wie den Schutz der Betroffenen und die Sicherstellung hoher medizinischer Standards, jedoch steht der Eingriff in manchen Fällen nicht in einem angemessenen Verhältnis zu diesen Zielen. Besonders problematisch ist die Regelung für wiederholt zwangsbehandelte Personen, bei denen bereits Erkenntnisse über drohende gesundheitliche Nachteile vorliegen.
Das Bundesverfassungsgericht erklärt die Norm deshalb teilweise für unvereinbar mit dem Grundgesetz und erstreckt diese Entscheidung auf die Nachfolgeregelung in § 1832 BGB. Bis Ende 2026 muss der Gesetzgeber eine Neuregelung schaffen, bis dahin bleibt das bisherige Recht in Kraft.
C. BVerfG, Beschluss vom 30.09. 2024, Az. – 2 BvR 150/24 -Verlegung in eine andere JVA verfassungswidrig
I. Sachverhalt
Der inhaftierte Beschwerdeführer wurde in eine andere Justizvollzugsanstalt verlegt und beantragte daraufhin Eilrechtsschutz. Diesen lehnte das Landgericht mit dem angefochtenen Beschluss ab.
II. Entscheidung
Der Beschluss des Landgerichts, der den Eilrechtsschutz gegen die Verlegung eines Gefangenen in eine andere Justizvollzugsanstalt ablehnt, verletzt das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG. Das Landgericht hat keine ausreichende Interessenabwägung vorgenommen, obwohl dies für die Prüfung der vorläufigen Aussetzung einer belastenden Maßnahme erforderlich gewesen wäre. Zudem differenzierte es nicht klar zwischen den verschiedenen Voraussetzungen für vorläufigen Rechtsschutz im Strafvollzug. Die Entscheidung wird daher den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht gerecht und wird an das Landgericht zurückverwiesen.