Hinweis
Die Urteile können Sie u.a. auf der Seite des Bundesverfassungsgerichts unter www.bundesverfassungsgericht.de - oder des Bundesverwaltungsgerichts - unter www.bverwg.de – abrufen; ferner auf der Seite des Europäischen Gerichtshofs www.curia.europa.eu/
A. BVerfG, Urteil vom 15.11.2023, - 2 BvF 1/22 -
I. Sachverhalt
Im Februar 2022 wurden 60 Milliarden Euro in ein Sondervermögen, den nunmehr sog. Klima- und Transformationsfonds (KTF), verschoben. Die Kreditermächtigungen waren ursprünglich für Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie eingeplant, wurden dafür jedoch nicht benötigt. Im zweiten Nachtragshaushalt für das Jahr 2021 beschloss der, diese Kreditermächtigungen dem damaligen Klimafonds zur Verfügung zu stellen. Das Sondervermögen wurde damit von 40 auf 100 Milliarden Euro aufgestockt.
Die Summe wurde in voller Höhe im Jahr 2021 verbucht, obwohl das Geld erst in den Folgejahren ausgegeben werden sollte und soll. Die Buchungssystematik des Haushaltsrechts wurde zuvor entsprechend angepasst. So sollte die Schuldenbremse in den Jahren 2023 und geplant auch 2024 wieder einzuhalten, nachdem diese von 2020-22 vor allem wegen der Corona-Epidemie ausgesetzt war.
Das Grundgesetz schreibt dort das Verbot der Neuverschuldung fest. Danach sind im Rahmen der Haushaltswirtschaft des Bundes Einnahmen und Ausgaben grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen. Nach Art. 115 Abs. 2 Satz 6 Grundgesetz sind Ausnahmen von der Schuldenbremse nur bei Naturkatastrophen und außergewöhnlichen Notsituationen möglich. Die Unionsfraktion im Bundestag wandte sich hiergegen mit einem Normenkontrollantrag.
II. Entscheidung
Der Senat erklärte die Milliardenbuchungen in einem Nachtragshaushalt 2021 für verfassungswidrig. Die Entscheidung fußt auf drei grundlegenden Erwägungen: Zunächst geht es um eine Darlegungspflicht des Gesetzgebers, dieser muss einen notwendigen „Veranlassungszusammenhang“ zwischen der Notsituation und den Gegenmaßnahmen nicht ausreichend dargelegt. Zweitens widerspricht die zeitliche Loslösung der Erklärung einer Notlage gemäß Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG vom tatsächlichen Einsatz der Kreditermächtigungen den Verfassungsgeboten der Jährlichkeit und Jährigkeit. „Jährlichkeit“ bedeutet, dass ein Haushaltsplan für jedes Jahr aufzustellen ist; „Jährigkeit“ meint, dass Ermächtigungen im jeweiligen Haushaltsjahr in Anspruch genommen werden müssen. Eine faktisch unbegrenzte Weiternutzung von notlagenbedingten Kreditermächtigungen in nachfolgenden Haushaltsjahren ist unzulässig. Schließlich verstieß die Verabschiedung des Zweiten Nachtragshaushaltsgesetzes 2021 nach Ablauf des Haushaltsjahres 2021 gegen den Haushaltsgrundsatz der Vorherigkeit aus Art. 110 Abs. 2 Satz 1 GG.
Die festgestellte Verfassungswidrigkeit führt zur Nichtigkeit des Gesetzes.
B. BVerwG, Urteile vom 07. November 2023, - 3 C 8/22 und 3 C 9/22 –
Keine Erlaubnis für den Erwerb tödlicher Medikamente zum Zweck der Selbsttötung
I. Sachverhalt
Die Kläger leiden an schweren Erkrankungen. Ihre Anträge auf Erteilung einer Erlaubnis für den Erwerb von Natrium-Pentobarbital zum Zweck der Selbsttötung lehnte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte ab. Die dagegen gerichteten Klagen hatten in den Vorinstanzen keinen Erfolg.
II. Entscheidung
Das Bundesverwaltungsgericht hat die Revisionen der Kläger zurückgewiesen. Das Berufungsgericht hat im Einklang mit Bundesrecht entschieden, dass die beantragte Erlaubnis gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG zu versagen ist. Der Erwerb von Natrium-Pentobarbital zur Selbsttötung ist grundsätzlich nicht mit dem Zweck des Gesetzes vereinbar, die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Medizinische Versorgung im Sinne der Vorschrift meint die Anwendung eines Betäubungsmittels zur Heilung oder Linderung von Krankheiten oder krankhaften Beschwerden. Eine solche therapeutische Zielrichtung hat die Beendigung des eigenen Lebens grundsätzlich nicht.
Die Versagung der Erlaubnis verletzt die Kläger nicht in ihren Grundrechten: „Zwar greift der Erlaubnisvorbehalt für den Erwerb von Betäubungsmitteln (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 BtMG) in Verbindung mit der zwingenden Versagung einer solchen Erlaubnis für den Erwerb zum Zweck der Selbsttötung (§ 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG) in das durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistete Recht des Einzelnen ein, selbstbestimmt die Entscheidung zu treffen, sein Leben eigenhändig bewusst und gewollt zu beenden. Dieses Recht ist, wie das Bundesverfassungsgericht durch Urteil vom 26. Februar 2020 (2 BvR 2347/15 u. a.) entschieden hat, nicht auf schwere oder unheilbare Krankheitszustände oder bestimmte Lebens- und Krankheitsphasen beschränkt und bedarf keiner Begründung oder Rechtfertigung. Im Ausgangspunkt geschützt ist damit nicht nur die Freiheit des Einzelnen, selbstbestimmt zu entscheiden, ob er sein Leben beenden möchte, sondern auch, wann und wie das geschehen soll. § 3 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG schränkt diese Freiheit ein. Menschen, die freiverantwortlich entschieden haben, sich mithilfe von Natrium-Pentobarbital töten zu wollen, können ihren Entschluss ohne Zugang zu diesem Betäubungsmittel nicht in der gewünschten Weise umsetzen.“
Der Senat sieht also einen Grundrechtseingriff als gegeben, hält diesen jedoch für gerechtfertigt: „Das BtMG verfolgt mit dem generellen Verbot, Betäubungsmittel zum Zweck der Selbsttötung zu erwerben, u. a. das legitime Ziel, Miss- und Fehlgebrauch von tödlich wirkenden Betäubungsmitteln zu verhindern. Die Verbotsregelung ist zur Erreichung dieses Ziels geeignet und erforderlich. Sie ist auch angemessen, weil der mit ihr verfolgte Zweck und die zu erwartende Zweckerreichung nicht außer Verhältnis zu der Schwere des Grundrechtseingriffs stehen; für Menschen, die selbstbestimmt entschieden haben, ihr Leben beenden zu wollen, gibt es andere zumutbare Möglichkeiten zur Verwirklichung ihres Sterbewunsches.“
Hierzu macht der Senat weitere Ausführungen und merkt an, dass diese Alternativen nicht einfach umsetzbar sind. Zur Abwägung standen daher die mit dem fehlenden Zugang zum Mittel verbundenen Belastungen für Sterbewillige, die selbstbestimmt entschieden haben, ihr Leben beenden zu wollen und das Recht, dem eigenen Leben selbstbestimmt ein Ende setzen zu dürfen. Der Senat sah hier keine Unverhältnismäßigkeit: „Dem Gesetzgeber kommt bei der Gewichtung der Gefahren des Betäubungsmittelverkehrs und der Ausgestaltung des Schutzkonzepts zur Verhinderung von Miss- und Fehlgebrauch ein Spielraum zu. Dessen Grenzen sind mit dem Verbot des Erwerbs von Natrium-Pentobarbital zur Selbsttötung nicht überschritten. Die Einschränkung der Selbstbestimmung bei der Wahl des Mittels hat zwar Gewicht; es geht um die Gestaltung des eigenen Lebensendes. Die Gefahren, die durch den Erwerb von Natrium-Pentobarbital und die Aufbewahrung des Mittels durch die Sterbewilligen entstehen können, sind jedoch groß.“
Auch sah der Senat keine extremen Notlage im Sinne des Urteils des Bundesverwaltungs-gerichts vom 2. März 2017 (BVerwG 3 C 19.15): „Die Voraussetzungen einer solchen Notlage liegen bei den Klägern schon deshalb nicht vor, weil eine zumutbare Alternative zur Selbsttötung mit Natrium-Pentobarbital nach den verbindlichen Feststellungen des OVG auch für sie besteht.“
Vorinstanzen:
OVG Münster, OVG 9 A 146 und 148/21 - Urteile vom 02. Februar 2022 -
VG Köln, VG 7 K 13803/17 und VG 7 K 8560/18 - Urteile vom 24. November 2020 –
C. EuGH, Urteil vom 7. Dezember 2023, - C-634/21 -sowie - C-26/22 und C-64/22 -
Schufa-Score darf nicht maßgeblich sein
I. Sachverhalt
Das Schufa-Scoring ermöglicht eine schnelle und vertrauenswürdige Bonitätsprüfung potenzieller Vertragspartner und ist daher aus dem Rechtsverkehr kaum noch wegzudenken. Das VG Wiesbaden legte die Frage vor, ob das Scoring eine „ausschließlich auf einer automatisierten [Daten-]Verarbeitung beruhende Entscheidung“ ist und dem Betroffenen gegenüber „rechtliche Wirkung entfaltet oder [ihn] in ähnlicher Weise erheblich beeinträchtigt“. Dies wäre gem. Art. 22 Abs. 1 DSGVO regelmäßig nur zulässig, wenn das Gesetz sie ausdrücklich erlaubt oder der Betroffene einwilligt. Die Schufa hielt die Regelung für nicht anwendbar. Sie setze voraus, dass der Akteur, der die Datenverarbeitung verantwortet (hier: Schufa), und derjenige, der die darauf beruhende Entscheidung trifft (also der zukünftige Vermieter oder Verkäufer, Bank als Kreditgeber o.ä.), identisch sind.
II. Entscheidung
Der EuGH bejahte einen Verstoß gegen die DSGVO, wenn das Scoring eine maßgebliche Rolle bei der Entscheidung über einen Vertragsschluss spielt. Das Urteil legt dar, dass die Scoring-Praxis der Schufa nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig ist. Das vorlegende VG muss nun prüfen, ob im nationalen Recht Ausnahmen gemäß Art. 22 Abs. 2 DSGVO geregelt sind und ob auch die übrigen DSGVO-Vorschriften eingehalten worden sind.